Der Buttfang am Sonntag

Autor: Ueberlieferung
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Es wohnte einmal ein Fischer auf der äußersten Ecke von Butjadingen, der schlug sich eines Sonntagmorgens Glauben und Aberglauben aus dem Sinn und ging auf Buttfang aus. Als er aber den Deich hinaufging, rief gerade die kleine Glocke von der Langwarder Kirche, und das so hell, als wenn sie dicht hinter ihm hinge. Da begann es ihm zu grausen und er dachte bei sich: »Wärst du doch nur lieber wieder umgekehrt.« Als er aber oben auf den Deich kam und über den Groden (das Außendeichvorland) und über das Watt hinwegschaute, da stand ein Mann mit einer glühendroten Mütze am Priel (Wasserlauf im Watt), der bückte sich fortwährend nieder und griff und griff und tat es in den Beutel. Da dachte er bei sich: »Wenn es dem nichts schadet, dann geht es bei dir auch gut ab.« Er nahm einen Schluck (Branntweins) gegen das Gruseln, ging den Deich hinab über den Groden und das Watt und fischte hinter dem fremden Schiffer her, und fing Butt über Butt. Der fremde Fischer ging immer weiter und weiter hinaus, und der andere ihm nach. Da rief die große Langwarder Glocke über den Deich, so hell, als ob sie dicht über seinem Kopf hinge. Da fröstelte ihn, wie wenn ihn das Fieber packen sollte, aber der Fremde winkte ihm zu, er solle ihm getrost nachkommen. Und er nahm noch einen Schluck und fischte hinter ihm her, immer weiter und weiter hinaus, bis es totenstill um ihn wurde. Da riefen beide Glocken über den Deich und das weite Watt, und zwar so hell, als hinge ihm die eine Glocke vor dem einen, und die andere vor dem anderen Ohr. Da erschauerte er, als würde er mit eiskaltem Wasser begossen, aber der fremde Fischer winkte ihm, er solle nur ruhig immer weiter nachkommen. Er nahm also den dritten Schluck, aber das half nicht; er trank den ganzen Rest in der Flasche aus, aber auch das half nicht. Da wurde ihm zumute, als hätte er jemand ermordet und sollte dafür hängen. Er warf den Beutel über die Schulter und lief, was er nur konnte. Aber da drang die Flut hinter ihm her, so daß er nicht wußte, wo sie auf einmal hergekommen war, und sie lief mit ihm um die Wette. Als er sich umsah, war das Wasser schon dicht hinter ihm, und nun schlug es ihm schon auf die Hacken. Nun brauste es schon an ihm vorbei, und nun trat er schon bis an die Knöchel hinein. Nun ging es ihm schon bis an die Waden, und nun bis über die Waden, jetzt bis ans Knie, bis übers Knie, und von jetzt an war es ihm, als wenn er lief und lief und doch nicht weiterkam. Nun stieg es ihm schon bis an die Lenden, bis an den Leib. Weg warf er den Beutel mit Butt, steckte Arme und Hände voraus, warf sich nieder und fing an zu schwimmen. Und er schwamm und schwamm, bis das Wasser endlich zu flach wurde und er wieder zu laufen anfing. Und er lief und stieg, bis er den Groden unter den Füßen hatte, und rannte, bis er aufs Trockene kam und in seinem klatschnassen Zeug oben auf dem Deich stand. Als er sich hier verpustete und sich nach dem Fremden umsah, war der andere verschwunden. »Nun weiß ich, wer du gewesen bist«, sagte er bei sich selbst, »und von jetzt an geh ich mein Lebtag nicht wieder sonntags auf Buttfang.«