Die Burgwallinsel achteinhalb Jahrhunderte danach

Seit dem Fall der Inselburg sind mehr als 8 1/2 Jahrhunderte vergangen. Über die zerfallenen Trümmer des wendischen Gaufürstensitzes, der lange Zeit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Mittelpunkt eines ganzen Bezirks gebildet hatte, breitete die Natur mit sorglicher Hand im Laufe der Zeiten eine wundervolle Vegetation und schuf damit ein wahres Dornröschenparadies, das in seiner Weltentlegenheit und feierlichen Unberührtheit weithin seines gleichen suchen konnte. Als ein einzelner Beleg dafür mag dienen, dass nach den Berichten der alten Teterower Generation bis zur Seesenkung um 1860 die Burgwallinsel eine Vogelbrutstätte größten Umfangs bildete, auf welcher Reiher und Seeadler horsteten, Kampfhähne und Möwen, Seeschwalben und Kormorane zuhause waren und auf welcher grolle Flächen des Bodens vor Gelegen kaum passierbar waren, — ein unbeeinflusster, ungepflegter Naturschutzpark großen Stils, dem nur in unserer sorgfältig behüteten und bewahrten Vogelbrutstätte auf dem Langenwerder etwas annähernd ähnliches entgegengestellt werben kann. Auch in der Erinnerung der Menschen war das Bild der alten wendischen Burg vollkommen erblasst, man wusste nur zu berichten, dass dort früher Räuber auf dem „Schlossberge“ gehaust hätten, die die Gegend unsicher machten. Beachtenswert ist, dass nach der Sage vom Schlossberg über den See zum westlich gelegenen „Vitsmorgen“ (Tempelacker des auf der Burg verehrten Swantewits) in der Nähe des bekannten Hünengrabes von Teterow am Johannismittag eine goldene Kette auftauchte. Der genannten Richtung entspricht ein noch nachweisbarer wendischer Damm durchs tiefe Moor am westlichen Seeufer.

In den späteren Jahrzehnten nach der Wiederauffindung hat dann der 1908 gestorbene Bürgermeister v. Pentz (Teterow) mit eifersüchtiger Liebe über seine Burgwallinsel gewacht und sich gewissermaßen mit Krallen und Zähnen gegen das Betreten der Insel durch Unberufene gewehrt, — nicht einmal der 1907 in Teterow tagende Heimatbund ist hinübergekommen!


Wo jetzt Menschenhand den Boden der Insel rührt, trifft man auf Reste der alten Zeit, — ganz abgesehen von den zahllosen, überall zutage tretenden wendischen Gefäßresten.

Als 1860 der Seespiegel gesenkt war, erschien wieder die Pfahlkonstruktion der alten Wendenbrücke in ihrer ganzen Länge. Lischs Voraussage, dass sie bald restlos äußeren Einwirkungen erliegen würde, schien sich zu bestätigen. Zweispännerweise wurden die an den Uferstrecken herausgezogenen, über 3 Meter langen Eichenpfähle als Brennholz abgefahren, die im See stehenden wurden herausgezogen, um für den Rübenschleppdampfer Platz zu schaffen. Der Rest wurde entfernt, weil er beim Mähen störte. Ein alter Arbeiter sagte mir, er habe sie immer „umgetreten.“ Als dann aber 1925 im Spätsommer ein ungewöhnlich niedriger Wasserstand eintrat, vermochte ich unter Führung der im Wiesenboden steckenden Stümpfe den inselseitigen Teil der wendischen Brücke vorn festen Boden bis zum Schilf in einer Länge von 45 Mtr. festzustellen. Über 200 Pfähle konnten kartographisch in einem Abszissen- und Koordinatensystem festgelegt werden. Es handelte sich meist um Nadelholzstämme, von denen nur das Kernholz noch erhalten war. Daneben fanden sich gut erhaltene Eichenstämme, darunter vierkantig behauene bis zu etwa 25 mal 15 Zentimeter im Querschnitt. Das sonst guterhaltene Eichenholz war butterweich bei voller Erhaltung der äußeren Form und ließ sich etwa wie ein feuchter Pilz ausdrücken. Die Brückenpfeiler standen in regelmäßigen Abständen von 1,30 Meter, ohne mit denen der gegenüberliegenden Reihe zu korrespondieren. Sie bestanden meist aus je einer Gruppe von drei Pfählen, von denen zwei in Handbreite bis Fußlänge auseinander standen, während der dritte stets mehr als fußlang davon entfernt war. Probeeinstiche zwischen den Reihen ergaben im Wiesenboden dem Kalkmergel aufliegend überall massenhaft Flachholz: Planken, Bretter, Stangen, Brückenjochreste. So ergab sich das Bild einer 45 Meter langen, 4,30 Meter breiten, sorgfältig erbauten Brücke bis zur Schilfgrenze. Das war nicht der Notsteg zu einem im See verborgenen Zufluchtswinkel, sondern der den Machtverhältnissen entsprechend angelegte Zugang zu dem Sitze eines mächtigen Gaufürsten!

Als am Brückenende auf dem südlichen Seeufer nach der Seesenkung das entstandene Neuland auf dem „Brückenhoop“ etwa um 1875 noch mehr entwässert werden sollte, legte man den einen der Entwässerungsgräben nicht in das tiefe Moor, sondern in die ganze Länge des an die Brücke anschließenden, ans Festland führenden wendischen Dammes. Hierbei sind nach absolut zuverlässigen Mitteilungen alter Teterower lange eiserne Schwerter und Speerspitzen herausgekommen, die von Herren des Magistrats an sich genommen sein sollen. Vielleicht dienen diese Zeilen dazu, einzelne dieser Stücke, die sich möglicherweise noch in interessierten Händen befinden könnten, wieder festzustellen. Als man gleichzeitig auf dem durch die Seesenkung verlandeten Sauerwerder den neuen Zugang von Westen her durch Landschüttung befestigen wollte, entnahm man das Material dazu dem nördlichen Horst auf dem Sauerwerder an der noch erkenntlichen Sandgrube. Hier traf man auf mindestens ein Reitergrab mit völlig erhaltenen Skeletten von Mann und Ross. Von Augenzeugen ist mir noch mündlich bestätigt worden, dass es sich um ein auffallend kleines Pferd gehandelt hat. Es wird eines der kleinen „requirierten“ Wendenpferde gewesen sein, denn der Reiter selbst ist offenbar einer der gefallenen Dänen gewesen. Dies lässt sich jetzt noch nach soviel Jahren aus einem drolligen Missverständnis in der Überlieferung folgern. Der alte Fischer Väschow, gestorben um 1905, hatte die Funde nicht selbst gesehen, aber von den Findern über alles genaue Erkundigungen eingezogen. Er meint scherzhafter Weise, der Tote wäre wohl ein „Snieder“ gewesen. Als ich darauf nachfasste, sagte er, es sei ihm immer wieder von den Kindern gesagt worden, bei dem Toten hätte man eine Schere und ein „Bögelisen“ gefunden. In diesem „Bögelisen“ hatte der gute Päschow ein Plätteisen vermutet, während es sich natürlich nur um einen Steigbügel gehandelt haben kann. Die Verwendung von Steigbügeln und Mähnenscheren sind uns aus nordischen Reitergräbern von den Zeiten der Völkerwanderung bis tief ins Mittelalter hinein hinreichend bekannt. Interessant ist auch, dass der ostwärts von diesem Dänengrabe am Rande des Sauerwerders, der Insel gegenüber gelegene bewaldete Hügelkopf bei den alten Fischern den Namen Bußebart („Buxbort“) geführt hat und wohl auch noch führt, ein auch sonst bekannter wendischer Name, der etwa Gotteswald bedeutet, also wohl auf ein Heiligtum zu beziehen ist. An die Belagerung durch die Dänen scheinen übrigens auch gewisse Bodenveränderungen auf der „großen Horst“ nördlich des Zuganges auf den Sauerwerder zu erinnern. Es handelt sich um die Spuren einer aus flachem Graben und seichtem Wall bestehenden Befestigungslinie, von Norden nach Süden verlaufend, die die Umfassung des dänischen Lagers gebildet haben könnte. Doch stehen Untersuchungen noch aus.

Von Interesse ist auch, was aus den Leichen der von den Dänen niedergemachten zahlreichen wendischen Besatzung geworden ist. Dass die Dänen sie nicht bestattet haben, ist selbstverständlich. Für die rückkehrenden wendischen Flüchtlinge müssen sie bei der Hochsommerzeit durch die Verwesung so zahlreicher Körper weithin eine unerträgliche Belästigung gebildet haben. Es ist naheliegend, dass sie alle in einem Massengrabe beigesetzt worden sind, etwa in der Art, dass man die Körper übereinander türmte und den Leichenhügel dann mit Zweigen und reichlich Erbe bedeckte, um den Leichengeruch fern zu halten, so dass eine erhebliche Bodenerhöhung entstehen musste. Sollte etwa ein auf dem Höhenrücken der Insel befindlicher flacher künstlicher Hügel unmittelbar dem Querwall der Burg gegenüber dieser Bestattungsort sein? Man denke an das Ende des wendischen Fürsten Wartislaw, der vor den Toren der Burg Malchow von den Sachsen gehängt wurde, oder an den Hängetod der Gefangenen vor der Ribeschen Burg Gläsin durch Heinrich den Löwen von Mecklenburg. Allen drei Fällen wäre der Ort der Exekution unmittelbar vor dem Tor der Befestigung gemeinsam. Eine Nachgrabung vermag allein Auskunft zu geben und würde wertvolles anthropologisches Material liefern. In den letzten Jahrzehnten sind von Fischereiangestellten um die Insel herum des öfteren menschliche Schädel mit dem Netz ans Tageslicht befördert: Handelt es sich dabei etwa um abgehauene Köpfe der wendischen Besatzung oder um Schädel von ertrunkenen Dänen? Leider ist nichts erhalten.

Überhaupt schreit die ganze Burganlage förmlich nach systematischer, fachmännischer Untersuchung. Sie ist die größte, best erhaltene in Mecklenburg und ist außerdem zeitlich vollkommen gesichert. Nach Auflösung der Kommission für die Erforschung des römisch-germanischen Grenzwalles (Limes) nach Erfüllung ihrer Aufgabe hat sich ganz neuerdings eine, neue Gesellschaft erster Fachleute zur Erforschung der ostdeutschen Burgwallanlagen mit Unterstützung durch das Reich gebildet. Vielleicht will es ein günstiger Stern, dass gerade die Burgwallinsel des Teterower Sees die erste Anlage ist, die die Ehre hat, der deutschen Forschung grundlegende Auskunft über wichtige, bis dahin noch kaum erforschte Gebiete der Altertumskunde zu geben. Teterows Ruf, der bis dahin mehr auf dem Gebiet des Idyllischen sich ausbreitete, würde damit auch in der großen wissenschaftlichen Welt erklingen — im übrigen würde bei großzügiger, wissenschaftlicher Untersuchung, die sich naturgemäß auf längere Zeit erstrecken würde, und die Veröffentlichung der Ergebnisse in ersten Fachblättern dem wirtschaftlichen und Verkehrsleben Teterows sicherlich nicht von Schaben sein.

Wer die Reize des alten Burgwalles im Teterower See voll auf sich einwirken lassen will, lese erst den Bericht des alten Saxo und die Erläuterungen Lischs (Jahrbücher für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 26. Jahrgang, 1861) und gehe dann auf den Burgwall: er wird mit doppeltem Genuss die Eigenheiten der wundervollen Landschaft auf sich einwirken lassen und die Ereignisse aus dem Sommer 1171 vor seinen geistigen Augen vorüberziehen sehen.