Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 08. „Berlin wird Weltstadt.“

„Berlin muss Weltstadt werden“ riefen die Gründer in lautem Chor, und voll stürmischer Hast gingen sie ans Werk.
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Weltstadt Berlin, Georg Büchner, im ironischen Sinne, Mängel und Schattenseiten der Großstadt, Anwachsen der Auswüchse, norddeutsche Metropole
„Berlin wird Weltstadt“ – dieses „geflügelte Wort“ – um hier, gerade nicht mit Vater Homer, aber doch mit Herrn Georg Büchmann zu reden – läuft schon seit 1848 und länger. Es ward meist im ironischen Sinne gebraucht, um die Mängel und Schattenseiten der Großstadt anzudeuten, die in vielen Stücken hartnäckig eine Kleinstadt blieb. Berlin konnte mit Paris oder gar London keinen Vergleich aushalten, auch gegen Wien stand es zurück, und selbst Städte wie Hamburg oder Dresden wurden ihm oft als Vorbild empfohlen. Erst nach dem Kriege von 1866, als sich mit dem reißenden Anwachsen die Auswüchse, Beschwerlichkeiten und Gefahren der norddeutschen Metropole fühlbar machten, fing man an, mehr im Ernste und nicht ohne Seufzen zu sprechen: „Berlin wird Weltstadt.“ Aber nicht lange, und das Wort wurde lebhaft aufgenommen, mit vollem Nachdruck, mit begeistertem Pathos wiederholt, wie eine Parole ausgegeben und eifrig verbreitet. „Berlin muss Weltstadt werden“ riefen die Gründer in lautem Chor, und voll stürmischer Hast gingen sie ans Werk.

Einige von ihnen – und zwar gleich die bedeutendsten – traten schon vor dem deutsch-französischen Kriege auf die Bühne. Sie warteten nicht einmal das neue Aktiengesetz ab, aber sie wussten von ihren Freunden, den Manchesterleuten, daß es unterwegs war, und sie schnitten im Voraus ihre Gründungen darnach zu. Am 8. März 1870 erhob sich im Norddeutschen Reichstage der edle Graf Renard und fragte die Regierung: Wie steht’s? (nämlich mit dem Freigeben der Aktiengesellschaften.) Ihm antwortete Herr Delbrück: Wir sind schon dabei. – Die Gründer wurden mit dem Aktiengesetz überrascht, wie bei der Weihnachtsbescherung die Kinder, welche ihren Eltern einen Wunschzettel eingereicht haben.

Zu den Geistern, welche die Zeit sofort begriffen und sie gründlich, oder eigentlich „gründerlich“ auszubeuten verstanden, gehört in erster Reihe – Hermann Geber. Er steht ebenbürtig neben Heinrich Quistorp und J. A. W. Carstenn, und etwas hinter ihm steht – Herr Paul Munk.

Hermann Geber, ursprünglich ein grauer unscheinbarer Versicherungsmensch, verwandelte sich kurz vor der Wiedergeburt des deutschen Reiches in den farbenschillernden Falter eines Groß-Industriellen und General-Spekulanten. Er ist ebenso reich an „Ideen“ wie Quistorp, nur ist er darin weit glücklicher. Während Quistorp heute, gezwungener Maßen, auf seinen Lorbeeren ruht, beglückt Geber noch immer das dankbare Berlin mit seinen Schöpfungen.

Hermann Geber begann damit, daß er die verlassene Kaserne des Kaiser-Franz-Regiments in der Kommandantenstraße ankaufte, von einem gewissen – Fiskus. Fiskus ist ein alter wunderlicher Herr, der es z. B. liebt, möglichst billig zu verkaufen und möglichst teuer einzukaufen. Er verkauft oft, was er selber höchst nötig braucht, und was er dann hinterher zehnmal teurer wieder anschaffen muss. Er hat verschiedene kostbare Grundstücke in Berlin den Gründern überlassen, wofür er sich heute in großer Verlegenheit befindet. So findet er in der Stadt selber keinen Platz mehr für das neue Kriminal-Gerichtsgebäude und muss es – sehr bequem für das Publikum – draußen nach Moabit verlegen.

Also Geber kaufte von Fiskus, mit dem er öfter Geschäfte macht, die alte Franz-Caserne, die inzwischen das Ansehen einer Räuberhöhle angenommen hatte, und schuf daraus das sogenannte Industriegebäude, welches an dreißig Läden und zahlreiche Comptoirs und andere Geschäftslokalitäten enthält. Dazu erstand er noch, zum Theil in Verbindung mit Herrn Eduard Stahlschmidt, eine Anzahl benachbarter Grundstücke, legte sie nieder und erbaute die heutige Beuth-Straße, die in der Hauptsache gleichfalls aus lauter Läden und allerhand Geschäftsräumen besteht.

Im Februar 1870 schloss Hermann Geber mit Bankier Ferdinand Jaques, Kommerzienrat Hermann Egells, Geh. Kommerzienrat Moritz Plaut, Bankier Hermann Rauff und Justizrat Dr. Franz Hinschius – später sämtlich hervorragende Gründer – eine „Sozietät“, die „sobald als möglich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt“ werden sollte. Nachdem das Aktiengesetz Hals über Kopf fabriziert war, entstand noch während des Krieges, im September 1870, die „Berliner Zentral-Straßen-Aktien-Gesellschaft“, welche jene Grundstücke erworben hatte. Herr Geber profitierte als Verkäufer eine Summe, die er in übergroßer Bescheidenheit gelegentlich mit circa 250,000 Talern bezeichnen ließ, und ward selbstverständlich „Direktor“ der Gesellschaft, ließ sich auch noch zwei „Spezial-Direktoren“ unterstellen.

Das Aktienkapital, ursprünglich 1,200,000 Taler, ward fortwährend erhöht und schließlich auf vier Millionen(!) gebracht. 1872, am 30. April, bekanntlich dem Narrentage, „kreierte“ man gleichzeitig ½ Million „junger“ Aktien („erste Emission“) und 1½ Million „neuer“ Aktien („zweite Emission“). Zwischen der Dorotheen-, Friedrichs-, und Georgenstraße ward ein „zweites Industriegebäude“ in Aussicht genommen, und zu diesem Zwecke eine Reihe von Grundstücken, darunter wieder fünf vom Direktor Geber(!), zu mehr als hohen Preisen angekauft. Ohne diese Nachgründung hätten die Aktionäre vielleicht nur die Hälfte verloren, während sie jetzt etwa zwei Drittel eingebüßt haben. Die Aktien, im April 1872 etwa 125, stehen heute circa 35, wiewohl die der „zweiten Emission“ noch bis zum 1. Juli 1876 fünf Prozent „Bauzinsen“, also aus dem eigenen Säckel, erhalten. Der Häuserkomplex II. blieb bestehen wie er war, denn inzwischen ging der Gründungsschwindel zu Ende, und damit ging auch die Baulust aus. Die Grundstücke sind „bestens“ vermietet, rentieren sich indes selbstverständlich nicht. Ganz kürzlich aber hatte Herr Geber eine neue geniale Idee. Er etablierte zwischen diesen Häusern den – Stadtpark, und pflanzte, statt der Bäume und Sträucher, hier 72,000 (!!) Gasflammen an. Wir kommen auf dieses Meerwunder, das die Presse mit einstimmigem Hosianna! begrüßte, noch zurück. Wir verlassen einstweilen Herrn Geber und wenden uns zu Herrn Munk.

Herr Paul Munk stammt, wie so viele seiner Glaubensgenossen, die hier ihr Glück machten, aus dem Posenschen. Seit 1866 ist fast das halbe Großherzogtum Posen nach Berlin eingewandert, ist die Zahl der hiesigen Juden von 20,000 bis nahezu 50,000 gestiegen. Die Kinder Israel vermehren sich in Berlin ebenso heftig wie einst in Ägypten, und es sind durchgehends wohlhabende und reiche Leute; wirklich arme Juden kommen hier nicht vor. Das Klima von Berlin, wiewohl es ihm sehr an Ozon mangelt, bekommt den Nachkommen Abraham’s außerordentlich, und wenn man ihren 1800jährigen Schmerz stillen und sie heute in das Land zurückführen wollte, darinnen Milch und Honig fließt – sie würden sich schönstens bedanken.

Als Herr Paul Munk vor etwa acht Jahren in Berlin einzog, sollen, wie die Fama behauptet, fünf Taler für ihn eine unerschwingliche Summe gewesen sein: – heute bewohnt er die Beletage des Eckhauses am Pariser Platze. Er wohnt hier zusammen mit zwei Herzogen; der Herzog von Sagan wohnt neben ihm, und der Herzog von Ujest über ihm. Er wohnt bei seinem Freunde Pincuß zur Miete, besitzt aber selber mehrere Häuser in „feinster“ Stadtgegend und mehrere Villen vor den Thoren. Er ist sicher ein doppelter Millionär.

Herr Munk, ein Mann von gewandtem einnehmendem Wesen, ward zuerst viel in den Bureaux der Intendanturen, Ministerien und anderer Behörden gesehen, wo er stets etwas zu kaufen oder zu verkaufen wünschte. Dann wurde er „Direktor“ der am Kreuzberge belegenen Villenkolonie „Wilhelmshöhe“, die aber damals noch keinen rechten Anklang fand. Herr Munk bot die neuen Villen lange wie saueres Bier aus. Doch später begann sein Stern zu leuchten.

Unmittelbar, nachdem Herr Geber die „Zentralstraßen-Sozietät“ gebildet hatte, gründete Herr Munk, im März 1870, den „Aktienbauverein Passage“. Die „Passage“, in vieler Hinsicht ein Seitenstück zur „Zentralstraße“, ist eine glasbedachte Verbindung zwischen den Linden und der Behren- und zugleich Friedrichstraße, erfüllt mit Läden, Restaurationen, Concert- und anderen Sälen. Herrn Munk’s Verbündete waren: die Bankiers Meyer Cohn, Aron Hirsch Heymann, Salomon Gotthold Heymann, Maximilian Heymann, die Kaufleute Fr. Wilh. Beskow, Ernst Theodor Beskow, Hermann Reimann, Fabrikbesitzer Karl Egells, Rentier Georg Beer, Kommerzienrat Gustav Stobwasser, Kammerherr Louis von Prillwitz. Auch hier wurden die nöthigen Grundstücke zu enormen Preisen erworben, und die Gründer machten einen unverhältnismäßig großen Gewinn. Erster Direktor ward wieder der eigentliche Attentäter, Paul Munk, bis ihn, noch vor Vollendung des Baues, Herr Stobwasser ablöste.

1873, am 22. März, am Geburtstage des Kaisers, ward die „Passage“ eröffnet und dem Monarchen zu Ehren „Kaiser-Galerie“ genannt. Zwei Tage vorher erschien auf Einladung des „Aufsichtsrates“ der ganze Hof. Kammerherr von Prillwitz machte die Honneurs. Die Gründer und ihre Damen wurden dem Kaiser, der Kaiserin, den Prinzen und Prinzessinnen vorgestellt. Bilse konzertierte; es folgte das Souper und ein Ball. Auch die Vertreter der Presse erhielten einen kalten Imbiss. Jeder der 8 oder 9 „Aufsichtsräte“ hatte zu dem Feste 800 Taler beigesteuert. Das ist eben das Empörende, daß die Gründer – und nicht bloß hier – es wagten, sich an die ersten Personen des Reichs zu drängen, um so ihre unlauteren Zwecke zu verhüllen oder gar noch zu glorifizieren. Hätten der Kaiser, die Kaiserin und die Prinzen nur eine Ahnung gehabt von dem schwindelhaften Charakter dieser Gründung: sie würden selbstverständlich nie einen Fuß hierher gesetzt, jenen Leuten nie einen Blick geschenkt haben.

Wie „Zentralstraße“, so hatte auch „Passage“ eine noch blutigere Nachgründung im Gefolge. Die Gründer hatten privatim, zu ganz anderem Zwecke, „Meinhardt’s Hôtel“, Unter den Linden 32, angekauft und es, weit über den Werth, mit 500,000 Talern bezahlt. Als die Konjunktur zurückschlug, wussten sie nicht mehr, was sie damit anfangen sollten, fassten sich aber schnell und halsten das Grundstück der „Passage“-Gesellschaft auf, der sie es mit einem kleinen Aufgelde von etwa 137,000 Talern in Rechnung stellten. Dieses Taschenspielerstückchen kam in der nächsten Generalversammlung zur Sprache; etliche wirkliche Aktionäre erlaubten sich zu murren, aber sie wurden kurz und bündig zur Ruhe verwiesen, d. h. von den „Strohmännern“, welche die Gründer engagiert hatten, überstimmt. Der Ankauf von „Meinhardt’s Hôtel“ ward mit imposanter Majorität genehmigt.

Noch vor Vollendung des Baues, noch vor dem „Krach“ wurden jene Dinge ruchbar, und auf der „Passage“ ruhte von vorne herein ein Fluch. Nur mit Not gelang es, die Läden allmählich zu vermieten, nachdem man die zuerst in Aussicht genommenen Mieten bedeutend herabgesetzt hatte. Die Konzerte verunglückten; die Festsäle blieben leer; die großen Restaurants in den oberen Etagen fanden bald keinen Pächter mehr, und die durch alle Stockwerke gehenden „Banklokalitäten“ in der Behrenstraße konnten überhaupt nicht vermietet werden. Man verwandelte diese Räume in ein Hôtel von 60 Zimmern, aber man suchte vergebens nach einem Pächter. Auch für „Meinnhardt’s Hôtel“ fand sich Niemand, der den verlangten Pachtzins von 28,000 Talern zahlen wollte, und so sah die Gesellschaft sich genöthigt, die Bewirtschaftung selber zu übernehmen, wobei sie indes keine Seide spinnt. Nach der Bilanz von 1874 beträgt der „Saldo-Ertrag“ von „Meinnhardt’s Hôtel“ noch nicht 1 Prozent des Anlagekapitals.

In dem kostbaren Säulensaale der „Kaiser-Galerie“ nahmen am 22. April dieses Jahres die Aktionäre die magere Bilanz und den trostlosen Geschäftsbericht entgegen. Die große Restauration in der zweiten Etage ist nach dem Erdgeschoss verlegt, da sich aber auch hier kein Pächter fand, übernahm die Bewirtschaftung ein Konsortium, bei welchem sich die Passage-Gesellschaft zu Dreiviertel betheiligen mußte. Wenn wir die unklare Bilanz und die ebenso unklaren Notizen der Zeitungen recht verstehen, hat die Gesellschaft bei dieser Betheiligung pro 1873 – 18,750 Taler, pro 1874 – 25,000 Taler zugesetzt, auch von den früheren Pächtern das Inventarium und ein großes Weinlager übernehmen müssen. Von anderer Seite wird wieder behauptet, das Weinlager sei eigentlich eine Privatangelegenheit gewisser Herren Aufsichtsräte, und diese hätten sich inzwischen auch bereit finden lassen, es der Gesellschaft abzunehmen. – Genug, der Bericht verstimmte tief, und die zahlreiche Versammlung, welcher Herr Kommerzienrat Stobwasser präsidierte, zeigte sich sehr ungeberdig.

Da erhob sich am grünen Tische einer der Würdenträger und erklärte mit edlem Freimute, daß die Opponenten sich dem Aufsichtsrate gegenüber in einer Minderheit wie 1 zu 6 befänden, also sich doch nicht unnütz echauffieren möchten. Der gute Rath wirkte, und die Gemüter beruhigten sich. Zum ersten Male sollte eine Dividende verteilt werden; dafür betrug sie aber auch – ½ Prozent. Es ereignete sich hier der ungeheuerliche Fall, daß die Aktionäre die Dividende zurückwiesen und das halbe Prozent zu Abschreibungen, die auch der „Passage“ außerordentlich wohl thun würden, verwendet wissen wollten. Aber sie drangen nicht durch, denn das Statut dieser Gesellschaft überlässt in weiser Voraussicht die Bestimmung und Verteilung der Dividende dem Aufsichtsrate allein. Die Generalversammlung hat nicht mitzureden, und so empfängt denn jede Aktie ganze 15 Silbergroschen. Einst wurde das Papier mit circa 140 bezahlt; heute notiert es die Börse mit circa 20. Das Aktienkapital beträgt 2 Millionen Taler, wozu noch 1,366,000 Taler Hypotheken und Obligationen kommen – 221,000 Taler Prioritäten waren nicht mehr unterzubringen. Gegen „Passage“ gehalten, ist selbst „Zentralstraße“ eine höchst solide Gründung.

Wenn wir durch die Passage gehen, sehen wir sie stets von Menschen angefüllt, aber nur selten erblicken wir in den zahlreichen Läden einen Käufer. Den meisten Zuspruch hat noch Castan’s „Panoptikum“, ein sehr mäßiges Wachsfigurenkabinett, wo am Schaufenster stets der Räuber oder Mörder steht, der Berlin gerade mit seinem Ruhme erfüllt. In der „Kaiser-Galerie“ versammelte sich im vorigen Herbste die Winkelbörse, die früher ein paar Häuser weiter, an der Konditorei von Kranzler tagte, bis sie von der Polizei vertrieben wurde.

In derselben Passage lesen wir am Schwarzen Brett, daß die großen Festsäle, die großen Restaurants in der oberen Etage und das Hôtel von sechzig Zimmern in der Behrenstraße noch immer zu vermieten sind. Auch das Restaurant im Erdgeschosse hat noch keinen ständigen Pächter gefunden, sondern ist einem Kellner überlassen, der das Wagnis jedesmal nur auf vier Wochen übernimmt. Die großen kostbaren Räume in den oberen Stockwerken stehen sämtlich leer, und des Nachts gehen hier die gemordeten Aktionäre um und ringen wimmernd die Hände.

Der Leser würde irren, wenn er „Passage“ etwa für das Non plus ultra einer Gründung hielt. „Passage“ ist allerdings böse, aber noch weit böser ist der zwei Jahre später geborene Aktien-Bauverein „Unter den Linden“, und beide Kinder haben zum Vater denselben Herrn Paul Munk. „Lindenbauverein“ wurde an der Börse wie im Publikum ein „geflügeltes Wort“ und „Lindenbauverein“ wurde der Refrain vieler Theater-Couplets.

Parallel mit der Passage, und nur zwei Häuser weiter, sollte eine neue Verbindung zwischen den Linden und der Behrenstraße durchbrochen, und diesmal eine wirkliche Straße angelegt werden, eine „Prachtstraße“, wieder Laden an Laden, dazu mit einem Theater und einem „Riesenhôtel“. Die Gründer resp. ersten Zeichner waren außer Paul Munk: Bankier Emil Heymann, Rentier Georg Beer, Kaufmann Gustav Markwald, Bankier Edmund Helfft, Kommerzienrat und Ältester der Kaufmannschaft Wilhelm Herz, Konsul Friedrich Schillow und Seine Excellenz, der Staatsminister a. D. Gustav von Bonin, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags.

Diese acht Herren konstituierten sich unter dem Vorsitze der Excellenz von Bonin als „Lindenbau-Verein“ und kauften sieben Grundstücke an, resp. genehmigten sie den Ankauf. Vier der Grundstücke wurden angekauft von Paul Munk, der sie erst kurz vorher erworben hatte. Die Häuser Behrenstraße 57 und 56 überließ Munk der Gesellschaft mit einem Aufgelde von je 150,000 Talern, zusammen also – 300,000 Talern, die Häuser unter den Linden 17 und 18 mit einem Aufgelde von 1,150,000 Talern. Unter den Linden 17 und 18 sind gewissermaßen historische Häuser. Hier hatte Strousberg der Große seine Bureaux; hier wurde seine Zeitung, die „Post“, fabriziert. Munk, der zu Strousberg in vielfachen Beziehungen stand und ein Schüler und Jünger des „Kulturhelden“ genannt werden darf, hatte die beiden Grundstücke von diesem während des Krieges für 600,000 Taler erstanden und verkaufte sie jetzt dem „Lindenbau-Vereine“ für – 1,750,000 Taler(!!), Munk erhielt also zusammen ein Aufgeld von – 1,450,000 Talern(!!!). Aber selbstverständlich mußte er davon seinen Verbündeten abgeben. So zedierte er später von dem Kaufgelderreste: 85,000 Taler an Bankier Meyer Cohn, 85,000 Taler an Bankier Aron Hirsch Heymann, 85,000 Taler an Kaufmann Hermann Reimann und 55,000 Taler an Kommerzienrat Hermann Egells – bis auf Letzteren, lauter alte Genossen von der „Passage“ her. Diese Zessionen deuten gewisse, ziemlich durchsichtige Kulissengeheimnisse an, und ganz klar ist, daß die Gründung, so zu sagen, in der Familie vor sich ging. Meyer Cohn nämlich ist der Kompagnon und Schwager von Emil Heymann. Aron Hirsch Heymann ist der Vater von Emil Heymann. Gustav Markwald ist der Schwiegervater des gleich zu erwähnenden genialen Direktors Schweder. Hermann Reimann ist, wie wir hören, ein Verwandter von Konsul Schillow etc.

Die Aktien im Betrage von 2,400,000 Talern, wurden ohne Prospekt, durch die „Preußische Boden-Kredit-Aktienbank“ an der Börse „eingeführt“ und durch die geschickten Hände der Herren Richard Schweder und Wilhelm Paradies glücklich abgesetzt. Von den Vorgängen zwischen Munk und Genossen, von der kolossalen Gründerbeute hatte Niemand eine Ahnung, weder im Publikum noch an der Börse. Selbst Börsenleute, selbst gewiegte Makler und Bankiers hielten das Papier für gut und nahmen es in Posten (großen Summen) auf. Schweder kannte kein Erbarmen; er „beteiligte“ mit den Aktien Juden wie Christen, die besten Freunde und die eigenen Verwandten. Wir haben selber einen Oheim über ihn jammern hören. – Für den Vertrieb der Aktien berechnete die Preußische Boden-Kredit-Aktienbank sich die Kleinigkeit von 400,000 Talern.

In den Zeitungen ließen die Gründer verbreiten, wie sehr das Projekt „an Allerhöchster Stelle interessiere“, wie erbaut davon die Staats- und städtischen Behörden seien, während sich hinterher herausstellte, daß die Behörde sich gegen den Durchbruch, als eine unnütze und unschöne Unterbrechung der Linden, erklärt hatten. Fortwährend wurde auf den Einfluss des Herrn von Bonin „bei Hofe“ hingewiesen, einen Einfluss der nicht im Mindesten bestand. Nur bei dem Kronprinzen fand Herr von Bonin zuweilen Zutritt. Nach dem Kronprinzen wurde die neue „Prachtstraße“, die nie gebaut werden sollte, sondern nur auf den zahlreichen eleganten Zeichnungen des Hofbaurats Klingenberg existirt, bereits Friedrich Wilhelm-Straße genannt, und unter diesem Namen auch die Aktien dem Publikum empfohlen. Die „National-Zeitung“ und die „Börsen-Zeitung“ meldeten im redaktionellen Teile übereinstimmend: Der Bauverein „Unter den Linden“ hat mehrere Parzellen sehr vortheilhaft verkauft. Für ein Eckgrundstück sind 9000 Taler pro Quadratrute bezahlt worden. – Dieser Preis würde nur den Selbstkosten entsprochen haben, aber tatsächlich ist nie ein Fuß breit verkauft worden.

Die öffentliche Straße wurde nicht genehmigt, und der Aufsichtsrat beschloß, eine Privatstraße zu bauen. Aber da kam der Krach, und man ließ die Häuser stehen. Die zum 1. April 1873 sämtlich gekündigten Geschäfts- und Wohnungsräume blieben zum Theil lange leer und sind erst im letzten Jahre wieder vollständig vermietet worden, natürlich zu sehr herabgesetzten Preisen. Die Strousberg’schen Häuser Unter den Linden 17 und 18, welche den Actionären 1¾ Millionen Taler(!!) kosten, sind eigentlich bloß Baustellen, alte Ruinen, die im Sommer 1873 einzustürzen drohten und im Keller gestützt werden mußten. Die sieben Grundstücke stehen mit 3,462,000 Talern(!!!) zu Buch; die Aktien notieren etwa 15.

„Lindenbauverein“ war eine so mörderische Gründung, daß sie selbst den Unwillen professioneller Gründer erregte, die Börse empörte und einen Theil der Presse in Bewegung setzte. Verschiedene Lokalblätter geißelten Herrn Munk und Genossen und forderten sie auf, doch wenigstens einen Theil der Beute herauszugeben. Auf Antrag einer Anzahl von Actionären schritt auch die Staatsanwaltschaft ein, und die Voruntersuchung schwebte acht Monate, hatte aber nicht das geringste Resultat.

„Zentralstraße“, „Passage“, „Lindenbauverein“ – um heute nur diese zu nennen: so wurde Berlin Weltstadt. Allerdings dienen Zentralstraße und Passage zur Verschönerung der Stadt, aber sind sie es wohl wert, daß darum Tausende ausgeplündert, um ihr Vermögen, ihre Sparpfennige beraubt und teilweise an den Bettelstab gebracht werden mußten? – Nein und hundertmal nein! Zum Teufel mit solchen Verschönerungen!! Zentralstraße wie Passage haben eine Unzahl neue Läden geschaffen, an denen Berlin ohnedies Überfluss hat. In Berlin herrscht ein bedenklicher Schachergeist; jeder zehnte Mensch, gleichviel ob Mann oder Weib, ist hier Händler; in jedem Hause, selbst in den äußersten Vorstädten, giebt es einen oder mehrere Läden. Weitaus die Mehrzahl dieser Ladeninhaber, meistens Kleinhändler, arbeitet nur für die Miete, verteuert nur die Privatwohnungen; gut die Hälfte dieser Läden könnte ohne Schaden geschlossen werden, ja es wäre für die Bevölkerung ein Segen.