Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 07. Baugeschichten.

Bei gewissen Leuten steigert sich mit dem Essen der Appetit. Von „falschen Propheten“, und „Wölfen in Schafskleidern“.
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schimpfworte und Beleidigungen, Gründer und Börsianer, Förderer des Gemeinwohls, Wohltäter der Gesellschaft, falsche Propheten, Wölfe in Schafskleidern
Nicht nur die Bücher und die Menschen, auch die Worte und die Namen haben ihre Schicksale. Nach dem Kriege von 1866 wurde in Berliner Kreisen der Zuruf „Benedek“ zu einem Schimpfworte, und ebenso gilt heute die Bezeichnung „Gründer!“ bereits als eine Beleidigung, welche der Injurienrichter ahndet. Niemand will sich noch Gründer nennen lassen, Niemand ein Gründer gewesen sein. Aber ursprünglich war es anders. Die Gründer, bürgerliche wie adelige, Börsianer wie Private, traten mit ihrem vollen Namen, mit allen Titeln und Würden auf; frei und selbstbewusst traten sie vor das Publikum und gaben sich als die Förderer des Gemeinwohls, als die Wohltäter der Gesellschaft. In dieser Eigenschaft wurden sie von der Presse gefeiert, und umstrahlt von diesen Nimbus, fanden sie bei dem Volke Glauben. Es waren wieder einmal, wie vor 1800 Jahren, die „falschen Propheten“, die „Wölfe in Schafskleidern“, und wie Wölfe fraßen sie unter der Herde. – Auf dem Programm der Gründer stand obenan: Abhilfe der Wohnungsnot, und die ersten Gründungen waren höchst ehrbare – „gemeinnützige Baugesellschaften“.
Den Reigen eröffnete Herr David Born, ein kleiner „Volkswirt“. 1871, im wunderschönen Monat Mai, erließ er einen Aufruf: „Ein Großgrundbesitzer hat mir ein Areal von 40 Morgen zu einem sehr billigen Preise zur Verfügung gestellt. Aber nur einer Baugesellschaft will der Besitzer den billigen Preis und außerdem günstige Bedingungen stellen; dagegen stellt er die Anforderung, daß keine Fabriken, keine hochstöckigen Mietshäuser und Proletarierwohnungen gebaut werden dürfen.“ Herr David Born forderte namentlich Beamte, Pensionäre, Lehrer, Künstler, Literaten etc. auf, sich mit ihm zu vereinigen, „um gemeinschaftlich Wohnhäuser und die dazu passenden Gärten vermittelst einer Summe zu erwerben, welche die jetzt zu zahlende jährliche Miete nicht übersteigt“. – Das klang verlockend genug, und schnell kam eine Gesellschaft zu Stande, welche sich „Landerwerb und Bauverein auf Aktien“ nannte. Sie begann ihre Tätigkeit mit dem bescheidenen Kapitale von 10,000 Talern und verteilte nach sechs Monaten bereits die kolossale Dividende von – 40 Prozent. Das heißt: pro rata, nach Verhältnis des Zeitraums und der nur teilweisen Einzahlung; tatsächlich erhielt jede Aktie 4 Taler. Nun wurde das Capital rasch auf 400,000 Taler erhöht, und ungleich größere Terrains wurden zugekauft.

Im nächsten Jahre verteilte man an Dividende noch 8½ Prozent, wieder pro rata, und diese Dividende floss zur Hälfte aus den Zinsen des eigenen, noch nicht verausgabten Kapitals. 1873 und 1874 gab es keine Dividende mehr. Auch dieses anscheinend so solid begonnene Unternehmen artete in Spekulation und Schwindel aus. Die heutige Kolonie Friedenau (welch idyllischer Name!) besteht in der Hauptsache noch aus Baustellen und aus etwa 45 fertigen Häusern. Von diesen befinden sich wieder die wenigsten in eigentlichen Privathänden, respektive werden die wenigsten von dem eigenen Besitzern regelmäßig (Sommers wie Winters) bewohnt; die meisten Häuser enthalten Mietswohnungen und gehören Speculanten und Börsianern. Die noch unverkauften ausgedehnten „Bauländereien“ sind von der Gesellschaft als Äcker oder Weiden verpachtet; die mit Hülfe der ersten Dividende von 40 Prozent bis auf 200 hinaufgetriebenen Aktien stehen heute circa – 17.

Herr David Born, welcher seit jener Gründung sich „Direktor“ nannte, schied schon im ersten Geschäftsjahre, nach Verteilung der grandiosen Dividende, aus; oder aber er wurde ausgeschieden, vom Aufsichtsrate, dem er, wie es scheint, unbequem ward, da er gegen gewisse Verletzungen des Statuts opponierte. Er „dirigierte“ nun eine in der Nachbarschaft entstandene neue Baugesellschaft, den „Lichterfelder Bauverein“. Dieser brachte es nur bis auf 9 Prozent Dividende, und die mit 90 Talern eingezahlten Aktien, die einst 120 standen, gelten heute circa 14. Die Bilanz für 1874 schließt mit einem Verluste von 328,000 Taler(!), entstanden durch „Abschreibungen“. Man hat nämlich gefunden, daß der Preis, mit welchem die Ländereien zu Buch stehen, dem heutigen Werte nicht mehr entspricht, und deshalb die Taxe um ein Drittel herabgesetzt. Wer weiß, was die „Bauländereien“ im künftigen Jahre wert, welche neue Abschreibungen dann nöthig sein werden! Glücklicher Weise belasten die Gesellschaft keine Hypotheken mehr, und so muss für die Aktionäre doch immer eine Kleinigkeit übrig bleiben.

Der edle Großgrundbesitzer, welcher Herrn David Born und Genossen mit Bauterrain unter die Arme griff, war Herr J. A. W. Carstenn in Lichterfelde, und er hatte solcher Anfälle von Edelmut noch verschiedene. So lieferte er einem dritten, in derselben Gegend entstehenden Vereine, der „Land- und Baugesellschaft Lichterfelde“, gleichfalls ein ungeheures Areal und ließ es sich sehr anständig bezahlen. Daneben bedang er sich als Trinkgeld noch 10 Prozent vom Reingewinne, der 1872 an 400,000 Taler, also für ihn gegen 40,000 Taler ergab. Die Aktionäre erhielten 25 Prozent Dividende und hätten 69 Prozent erhalten können, die sie auch verlangten und einklagten; doch das Gericht wies sie ab. 1873 betrug die Dividende nur 5 Prozent, 1874 bereits 0. Die Aktien, einst 155, stehen heute 24 Brief. Das Terrain ist mit 500,000 Talern belastet, und während der Bauverein Lichterfelde Abschreibungen vornimmt, stellt sich bei der Baugesellschaft Lichterfelde der Buchpreis der Quadratrute mit jedem Jahre noch höher.

Bei gewissen Leuten steigert sich mit dem Essen der Appetit, und so gründete Herr Carstenn denn noch in Verbindung mit den Herren Richard Schweder, Paul Munk, Gustav Markwald und noch einigen Anderen den „Berlin-Charlottenburger Bauverein“, dessen Actien im Februar 1873 mit 110 an die Börse kamen. Diesen Aufschlag rechtfertigte der „Prospekt“, indem er pro 1872 eine Dividende von nahe 13 Prozent feststellte, welche aber nur den Gründern zu gute kommen konnte; denn Aktionäre waren noch gar nicht vorhanden, und nachdem man sie eingefangen hatte, gab es keine Dividende mehr.

Der „Berlin-Charlottenburger Bau-Verein“ hat Großartiges geleistet – im Abstecken von Straßen und Plätzen. Eine unabsehbare Riesenstraße zieht sich von Steglitz bis Charlottenburg. Sie heißt die „Kaiserstraße“, ist über eine halbe Meile lang, breit und prächtig – nur fehlen ihr noch die Häuser und die Baugründe sind einstweilen hier, wie in dem Gewirr der Quer- und Nebengassen, als Viehweide verpachtet. Auch die beiden „Baubureaux“ in Berlin und in Wilmersdorf sind geschlossen; trotzdem hat die „Verwaltung“ im letzten Jahr über 11,000 Taler Unkosten verursacht. Ein Rätsel, das nur „Aufsichtsrat“ und „Direktion“ zu lösen vermögen. Aber Beide verbergen sich jetzt wie Adam und Eva nach dem Sündenfall.

Herr A. W. Carstenn hatte sich als Bauspekulant schon in Hamburg und Umgegend versucht, und ließ sich nach 1866 in Lichterfelde bei Berlin nieder. Er war ein Mann von Scharfblick und Kombination; er witterte, daß die Hauptstadt des Norddeutschen Bundes wachsen und sich ausdehnen müsse; er begann rings um Berlin zu kolonisieren und trieb die Baustellen-Ausschlächterei und den Baustellen-Handel en gros. Bei diesem Geschäft gewann er Millionen, und mit den Millionen überfiel ihn ein anderes Gelüste. Er hatte mit Generalen und Baronen gegründet, und der Umgang mit der Aristokratie ist verführerisch. Er hatte sich die Regierung durch den Bau der neuen Kadettenhäuser bei Lichterfelde verpflichtet, und so konnte es ihm nicht fehlen. Eines Abends ging er noch als A. W. Carstenn zu Bette, und am Morgen stand er auf als – Herr von Carstenn-Lichterfelde. Im Altertum wurden die Gründer – siehe: Herakles, Kekrops, Theseus, Kadmos – unter die Götter versetzt; heute werden sie – siehe: Bleichröder, Hansemann, F. W. Krause, A. W. Carstenn – in den Adelstand erhoben. Andere Gründer, welche dies nicht durchsetzen konnten, machten aus der Not eine Tugend und kauften sich – einen adligen Vater. Sie suchten und fanden einen freidenkenden, aber armen Edelmann der sie, gewöhnlich gegen Zahlung einer mäßigen Jahresrente, adoptierte, ihnen seinen Namen verlieh. Auch dieser Talmi-Adel wird von der Gesellschaft respektiert und bewundert.

Von der riesigen „Kaiserstraße“ des Herrn von Carstenn geht’s über oder um Charlottenburg nach dem lustigen Plateau „Westend“, zu Herrn Heinrich Quistorp. „Westend“, eine künstliche, unwirtliche Schöpfung, war der „erste Versuch“ Quistorp’s, mit dem er im Jahre 1868 debütierte, aber ziemlich abfiel. Erst in der Schwindelperiode konnten Beide durchschlagen. Herr Quistorp verteilte pro 1871 plötzlich 16 Prozent Dividende, und vermehrte das Aktienkapital, das bis dahin, wenn wir nicht irren, nur 100,000 Thlr. betrug, mit einem Schlage um 1,100,000 Thlr. Die neuen Aktien wurden zu dem bescheidenen Kurse von 150(!) ausgegeben und dann bis aus circa 225 hinaufgetrieben. Von Herrn von Schäfer-Voit ward ein großes „Bauterrain“ von 450 Morgen zugekauft und „Neu-Westend“ benannt, sowie das am Spandauer Bock belegene „Schloss Ruhwald nebst Park“. Herr Quistorp, der sich mit einem Stabe von Literaten, „Volkswirten“ und Naturwissenschaftern umgab, ließ durch diese Herren „Westend“ als die natürlichste, gesündeste und anmutigste Kolonie von der Welt anpreisen. „Schloss Ruhwald“ ward bereits als die künftige Residenz eines preußischen Prinzen bezeichnet, und von diesem Schlosse bis zum Schlosse in Berlin eine fortlaufende Straße in Aussicht gestellt – „die schönste und einzig große Avenue“, gegen welche die Kaiserstraße des Herrn von Carstenn eins bloßes Kind blieb, denn die Entfernung beträgt gut fünf Viertel Meilen.

Ungleich manchem Gründer, der mit der Grammatik auf gespanntem Fuße lebt, schreibt Herr Quistorp einen „gebildeten Stil“; ist er ein pompöser Schriftsteller. Wie Napoleon Bonaparte, mit dem wir ihn schon früher in Parallele stellten, veröffentlichte auch Heinrich Quistorp über seine Thaten und Erfolge regelmäßige Bülletins, die als charakteristische Beiträge zur Zeitgeschichte wohl verdienten gesammelt zu werden. Vor uns liegt der Jahresbericht vom 14. Januar 1873, in welchem Herr Quistorp den Actionären von „Westend“ – neun Monate vor dem Konkurse der Gesellschaft – noch goldene Berge verspricht. Fast noch interessanter ist die Bilanz pro 1872, die der „Aufsichtsrat“, unterzeichnet von den Regierungsräten a. D. A. Bühling und W. Jungermann und Kaufmann A. Reinicke, publiziert. Nach dieser Aufstellung erhielten die Aktionäre 17 Prozent Dividende oder zusammen 204,000 Taler, der „Aufsichtsrat“ 15 Prozent Tantième oder 43,200 Taler – ein hübsches Douceur für eine nur nominelle Mühewaltung, die beiden Gesellschafter Quistorp und Scheibler gleichfalls 15 Procent Tantième oder 43,200 Taler. Außerdem aber hat sich der „erste Gesellschafter“ (Quistorp) an „Provisionen“ für Verkäufe von Bauparzellen noch 33,786 Taler berechnet. Man sieht also: Aufsichtsrat und Gesellschafter beanspruchten circa zwei Fünftel des Reingewinns, während auf die Gesamtheit der Aktionäre wenig mehr als drei Fünftel entfiel, und Quistorp allein bezog ein Sechstel des Ganzen, in einem Jahre von einer einzigen Gesellschaft über 55,000 Taler.

Aber der geniale Gründer hatte an „Westend“ nicht genug – er schuf noch eine zweite „Baugesellschaft“. Unmittelbar nachdem Herr Quistorp das Capital von „Westend“ um 1,100,000 Taler vermehrt hatte, gründete er den „Deutschen Zentralbauverein“, für den er gleichfalls eine Aktiensumme von 1,200,000 Taler in Anspruch nahm. Dieser war ehemals eine „Genossenschaft“ gewesen, aber, wie Quistorp im „Prospekte“ sich ausdrückte, das „Experiment eines humanen Princips“ geblieben und wurde nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der „Deutsche Zentralbauverein“ sollte nicht Villen, sondern kleine und mittlere Wohnungen bauen und außerdem einem schreienden Bedürfnisse abhelfen, nämlich „die baulichen Ausführungen der Westend-Gesellschaft gegen eine der Sache entsprechende Provision mitleiten“, während die Westend-Gesellschaft wieder seine, des „Deutschen Zentralbauvereins“ Bauterrains „kommissionsweise parzellieren und von den ihm übertragenen Bauten eine entsprechende Rückprovision beziehen“ sollte. Man merkt, wie erfinderisch Herr Quistorp war, um den eigentlichen Zweck seiner Gründungen festzustellen, und wie innig er die verschiedenen Gesellschaften miteinander verknotete – eine Verknotung, die später immer eine nach der anderen in den Konkurs riss und ein Monstreverfahren herbeiführte, bei dem sowohl dem Konkursrichter wie dem Massenverwalter seit Jahr und Tag die Haare zu Berge stehen. Bei beiden Baugesellschaften hatte Quistorp dieselben Verbündeten und Gehilfen: außer den schon Genannten noch die Herren Stadtrath Holtz, Apotheker H. Augustin, Dr. med. E. Wiß und Andere. Der „Volkswirt“ Wiß hatte kurz vorher im Feuilleton der „National-Zeitung“ einen Bandwurm von Artikel über Wohnungsnot, Wohnungsreform etc. losgelassen, die alle in dem Satze gipfelten: das einzige Rettungsmittel sei die Kolonisation. Zum Dank für diese Reklame machte ihn Quistorp zum „Vorsitzenden des Aufsichtsrats“, und nun ging der „Deutsche Zentralbauverein“ ins Zeug mit Ankäufen, Parzellierungen und Bauausführungen. Das erste Geschäftsjahr schloss am 1. Juli 1873 mit einer Dividende von 15 Prozent, aber nur 10 Prozent kamen zur Auszahlung, während „Aufsichtsrat“ und „Direktion“ das Ihrige natürlich voll eingestrichen haben werden. Im Juli 1873, mitten im „Krach“, rückte Herr Quistorp noch mit dem Antrage heraus, „das Aktienkapital sukzessive auf vier Millionen Taler zu erhöhen“, was auch beschlossen wurde. Aber es blieb beim Beschlusse. Schon nach drei Monaten brach der „Deutsche Zentralbauverein“ zusammen, mit einer Million Unterbilanz. Die Grundstücke, welche mit mehreren Millionen zu Buch standen, sind bei der gerichtlichen Taxe auf ein Fünftel oder noch tiefer herabgesetzt. Die Masse wird kaum die Schulden decken – über zwei und eine halbe Million Taler; die Aktionäre haben Alles verloren.

Doch Herr Quistorp ist nicht außer Fassung zu setzen. Mitten im Konkurse gründete er kürzlich eine neue Gesellschaft: „Westend-Berlin“. Wieder eine Illustration zum Aktiengesetze! Inzwischen arbeitete er auf einen Accord hin und gewann dafür die Mehrzahl der Gläubiger. Allein das Gericht verweigerte die Bestätigung des Accords – ein Fall, der sich höchst selten ereignet. Der Gerichtshof versagte die Bestätigung wegen der eigentümlichen Manipulationen des Gemeinschuldners. Herr Quistorp hatte z. B. Grundstücke erstanden und sie zunächst der „Westend-Gesellschaft“ und dann wieder, Namens dieser, dem „Deutschen Zentralbauverein“ verkauft, jedesmal natürlich zu höherem Preise. Der Accord ist nicht genehmigt, aber Herr Quistorp wird die höheren Instanzen anrufen, und vielleicht hat dieser Mann seine Rolle noch lange nicht ausgespielt.

Unter dem Aushängeschilde, zu colonisiren, für die unteren und mittleren Stände billige Wohnungen herstellen zu wollen etablirten sich noch zahlreiche Baugesellschaften, von denen wir einige hier folgen lassen:

Mittelwohnungen, bei Weißensee, eine halbe Meile vor dem Tore; gegründet von A. Busse u. Comp. Aufsichtsräte: Geh. Admiralitätsrat Dr. Gäbler, Fabrikbesitzer G. Schöpplenberg etc. Pro 1873 ward auf gebaute, aber noch nicht verkaufte Häuser eine künstliche Dividende von 2 Prozent verteilt. Pro 1874 nichts. Ein großer Theil der Wohnungen ist unvermietet geblieben. Die mit 80 Taler eingezahlte Aktie gilt etwa 10.

Johannisthal, eine Meile vor der Stadt, gegründet von der Norddeutschen Grundkreditbank, Geh. Admiralitätsrat Dr. Gäbler etc. Vorstand: Baumeister Jonas. Verteilte pro 1873 eine Dividende von 5 Prozent. Die mit 102½ aufgelegten Aktien sollen sich größtenteils noch in erster Hand befinden und werden heute mit circa 10 notiert.

Berlin-Tempelhof, gegründet von Max Löwenfeld, Hirschfeld u. Comp. und dem vielgenannten Herrn Heinrich Reh, Mitgründer der famosen „Sozietätsbrauerei“, deren Aktien heute 7 Brief stehen. Berlin- Tempelhof zahlte für das erste Geschäftsjahr“ 7½ Prozent „Bauzinsen“ und wird zur Zelt gleichfalls mit 9 Brief notiert. Für ein Darlehn von 15,000 Taler soll die Gesellschaft 10,000 Thaler Damno (Verlust) bezahlt haben.

Belle-Alliance, gegründet von Hermann Geber, Jos. Jaques, Walter Bauendahl etc. Aufsichtsrat: Justizrat Hinschius. Die Aktien wurden mit 103 aufgelegt, genießen bis zum 1. Juli 1875 sechs Prozent „Bauzinsen“ und stehen deshalb einstweilen noch circa 40.

Friedrichshain, gegründet von den Direktoren Dr. Otto Hübner und Dr. Wilhelm Abegg, den Stadtverordneten Romstädt und Ullstein, Stadtbaurat Gerstenberg, den Bankiers Gebrüder Guttentag und Julius Samelson etc. Die mit 103 aufgelegten Aktien werden bei Verkäufen zum Nennwerte in Zahlung genommen und stehen aus diesem Grunde noch circa 40. Pro 1874 ward endlich eine Dividende von 2 Proz. verteilt, die aber auch ziemlich künstlicher Natur ist.

Deutsch-holländischer Bau-Verein, gegründet von Rittergutsbesitzer Klau, Dr. Otto Hübner, Direktor Sulzer, Geh. Oberfinanzrat A. Geim, Martin Frege. Justizrat G. Wolff, Rechtsanwalt Munckel etc. Späterer Aufsichtsrat: Dr. Ed. Wiß. Für das vom Gutsbesitzer Klau zusammengekaufte „Bauterrain“ wurde die Kleinigkeit von 5 Millionen Talern bezahlt. Nach einer 1873 erschienenen Broschüre sollen die Gründer 3½ Millionen Taler verdient haben. Wir glauben aber, daß es mehr gewesen ist. Bei der letzten Generalversammlung, am 23. März d. J., zeigte sich der Aufsichtsrat in zwei Heerlager gespalten, angeführt von den Herren Justizrat G. Wolff und Rechtsanwalt Munckel, die einander scharf bekriegten. „Hie Wolff! Hie Munckel!“ scholl es wild durch einander, und der Gutsbesitzer Klau, der sich noch im Besitze von Einer Million Aktien befindet, kam hart ins Gedränge. Die vorgelegte Bilanz, welche mit 126,000 Talern Verlust abschließt (wir schätzen ihn höher) wurde nicht genehmigt und dem Aufsichtsrate keine Decharge erteilt. Die Prioritäts-Aktien, welche noch bis 1883 (!) 6 Prozent feste Zinsen erhalten sollen, stehen zur Zeit circa 25.*)

Wie schon mehrfach betont, bauten die Baugesellschaften nur dem Namen nach, und zu bauen war auch nie ihre eigentliche Absicht. Sie gründeten und handelten mit Baustellen. Seit dem „Krach“ liegt dieser Schacher darnieder, und wir hoffen, für immer. Nur eine unverhältnismäßig geringe Anzahl von Wohnungen ist hergestellt, und diese Wohnungen sind nicht billig, sondern teuer. An und für sich teuer, wegen der großen Selbstkosten, und doppelt teuer mit Rücksicht auf die entfernte Lage. Die „Kolonisation“, für welche so viel Reklame gemacht wurde, hat keinen Anklang gefunden, hat sich überhaupt nicht als Bedürfnis erwiesen. Selbst wenn die Kommunikation bestände, die nicht besteht – Pferde- und Lokomotivbahnen – wäre das Wohnen in so weiter Entfernung für die arbeitenden Klassen zu zeitraubend und zu kostspielig. Es tut aber auch gar nicht Not; es bietet sich in der Stadt selber noch zureichendes Unterkommen. Von den zahllosen Baugesellschaften befinden sich schon viele in Konkurs oder in Liquidation (Auflösung), und die andern werden allmählich nachfolgen. Lebensfähig dürften nur äußerst wenige sein.

Unter den Schöpfungen der Schwindelperiode sind mit die schwindelhaftesten die Baugesellschaften. Es ist schwer zu sagen, welches die faulsten sind, und der Raum gestattet nicht einmal, alle die anzuführen, welche als „oberfaul“ gelten oder als solche bereits zusammengebrochen sind. Wir wollen zum Schlusse nur noch einige nennen:

Thiergarten-Westend, gegründet von Herm. Geber, R. A. Seelig, Gewerbebank H. Schuster etc. Kurs circa 3.

Hofjäger, gegründet von Hermann Geber, R. A. Seelig, Julius Alexander, Baumeister Nicolaus Becker etc. Aufsichtsrat: Justizrah Hinschius. Kurs circa 10.

Charlottenburg, gegründet von Jean Fränkel, Lindner, Karl Sachs, Bürgermeister Bullrich etc. Mit 105 an der Börse eingeführt, heute 6.

Nieder-Schönhausen, gegründet von Jean Fränkel, Max David, Weißbier-Direktor E. Gericke etc. Mit 102 an der Börse eingeführt, heute?

Residenz-Baubank, gegründet von Robert Herbig, Karl Dankberg, Baumeister Wuttke und Heinrich Enders etc. 3000 Interimsscheine à 40 Taler, zusammen also 120,000 Taler, verfielen wegen rückständiger Einzahlung. Die Besitzer trugen lieber diesen Verlust, als daß sie die restierenden 60 Taler nachschossen, denn die Vollaktie von 100 Talern stand – 10 Brief. Heute?

Allgemeine Bau- und Handelsbank. Von dem Aktienkapitale wurde über ein Drittel, circa 362,000 Taler, wegen nicht rechtzeitig geleisteter Einzahlung für verfallen erklärt. Der 40procentige Interimsschein kam an die Börse zum Kurse von 106; heute steht die Vollaktie 25.

Nordend, einst 140; heute?

Immobilienbank. Kurs?

(Der „Verfasser“ dieser drei Baugesellschaften war Dr. Max Mattner, welcher sich seitdem Baron Mattner von Bibra nennt.

Nordbaubank, gegründet von Karl Aulig, Maurermeister Ströhmer, Dr. Heinrich Ebeling etc. Aufsichtsrat Rechtsanwalt: Meyn. Der Kurs, im März 1873 bis auf 209 getrieben, ist heute 0. Die Generalversammlung beschloß, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Das Gericht lehnte die Einleitung des Konkurses ab, weil es an Masse fehlte.

Westend-Potsdam-Baubank, gegründet von demselben Aulig und Genossen. Cours 0. Das Bureau ist geschlossen; das Mobiliar wurde gerichtlich abgepfändet. Aufsichtsrat Aulig und Direktor Fischer sind spurlos verschwunden.

Die in Berlin ansässigen und an hiesiger Börse gehandelten Bau- und Baumaterialiengesellschaften haben zusammen ein Aktienkapital von, schlecht gerechnet, 100 Millionen Talern in Anspruch genommen, welches zum weitaus größten Teile nun verpufft, für die Aktionäre verloren ist. Dazu kommt das Agio (bis 150!), mit welchem die Aktien eingeführt wurden, die Kurssteigerung (bis 400!!), die sie in der ersten Zeit erfuhren. Die Baugesellschaften, welche mit Hypotheken belastet sind, müssen alle untergehen, denn in der Regel übersteigen die Hypotheken weit den eigentlichen Werth des „Bauterrains“. Diese Hypotheken befinden sich noch vielfach in den Händen der Gründer, welchen also das gegründete Objekt wieder anheimfallen wird, und schließlich werden die „Bauländereien“ von den ehemaligen Besitzern, von den Gärtnern und Bauern, um ein Billiges zurückgekauft werden. Binnen wenigen Jahren werden die im zweimeiligen Umkreise von Berlin abgesteckten Straßen und Plätze spurlos verschwunden sein; über die „Kaiserstraße“ wird wieder der Pflug gehen, und aus dem „Bismarck“- oder „Moltke-Platz“ wird der Schäfer wieder seine Hammel weiden. Aber wie viele Ernten sind inzwischen verloren gegangen, welche Kräfte haben seither gefeiert! – Das ist der volkswirtschaftliche Segen der Baugesellschaften und der Gründungen überhaupt.

Der Baustellenwucher hat seine Früchte bereits getragen, und der Häuserschacher wird vielleicht noch schlimmere bescheren. Während der Schwindelperiode hat in Berlin etwa die Hälfte der Hausbesitzer gewechselt, über 8000. Die neuen Wirte haben fast alle zu teuer gekauft oder zu teuer gebaut, als daß sie das gegenwärtige Fallen der Mieten verschmerzen könnten. Der hiesige Grundbesitz, schon vor dem Schwindel mit vier Fünftel des Wertes verschuldet, ist jetzt weit höher belastet. Nach den Aufstellungen des Stadtgerichts wurden an Hypotheken mehr eingetragen als gelöscht:

im Jahre 1869 9 Millionen Taler
im Jahre 1870 10 Millionen Taler
im Jahre 1871 20 Millionen Taler
im Jahre 1872 79 Millionen Taler


Diese neuen Hypotheken sind meistens Restkaufgelder, die im Laufe der nächsten Jahre fällig werden, und deshalb prophezeien verschiedene Stimmen einen „Häuserkrach“




1) Wir entnehmen diese Daten unter Anderem dem soeben erschienenen 4. Teile von „Salings’s Börsenpapiere“, 4. Auflage, bearbeitet von C. A. Frenzel, einem Handbuche, das über Industrie-Gründungen, und namentlich über die Baugesellschaften sehr interessante Aufschlüsse gibt.

Ein berliner Baumeister des 18. Jahrhunderts

Ein berliner Baumeister des 18. Jahrhunderts