Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 05. „Subscription“ und „Einführung“.
Das war aber auch wieder Hokuspokus, um den Kurs zu treiben und das Publikum lecker zu machen.
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Das Wirkliche hinter den Kulissen, bloßer Hokuspokus, die Menge zu verblenden, in den rosigsten Farben malen, Gewinn über Gewinn verheißen
Wie viel Stadien hat nicht erst ein Friedens- oder Allianzvertrag zu durchlaufen; wie viel Konferenzen und Verhandlungen sind vorher nöthig! Welche Mühe kostet nicht das Einstudieren eines Schauspiels; wie viel Vorbereitungen und Zurüstungen sind notwendig, bevor es wirklich zur Aufführung kommt! Welche Kämpfe finden selbst zwischen Mitarbeiter und Redakteur, oft wegen eines einzigen Journal-Artikels statt! Von alledem erfährt das Publikum so gut wie nichts; was ihm geboten wird, sind vollendete Thatsachen, fertige Produkte. – Mit den Gründungen verhielt es sich noch ganz anders. Hier geschah alles Wesentliche und Wirkliche hinter den Kulissen. Alles war bereits abgekartet und eingefädelt, und was an die Öffentlichkeit trat, war bloßer Hokuspokus, allein darauf berechnet, die Menge zu verblenden und einzufangen.
Mit dem „Prospekt“, welcher von der glücklich erfolgten Gründung Kunde gab, die neue Aktiengesellschaft in den rosigsten Farben malte und den Actionären Gewinn über Gewinn verhieß – war die Einladung zur Subscription verbunden. An dem und dem Tage und an den und den Orten wurde das Actiencapital, ganz oder teilweise, zur Zeichnung aufgelegt, dem Publikum zum Pari-Kurse (100) oder darüber angeboten. Und nun herbei, Ihr guten Leute, die Ihr Geld im Beutel habt und Willens seid, es sicher und mit Vorteil anzulegen! Versäumt ja die Stunde nicht. Sie bedeutet Euer Glück und sie kehrt nicht wieder. Und sie kamen in hellen Haufen; sie versperrten die Straße; sie belagerten das Haus, und als die Türen sich endlich öffneten, quoll der Strom herein, und in einem Augenblick waren die ausliegenden Bogen mit Unterschriften bedeckt. Der Eine zeichnete 100 Taler, der Andere 500, der Dritte 1000, der Vierte 3000, der Fünfte 10,000 Taler. „Drei-, fünfmal überzeichnet!“ „Kolossal überzeichnet!!“ meldeten noch an demselben Abend die Zeitungen im Chor. „Die Zeichnungen müssen erheblich reduziert werden!!“
Das war aber in der Regel Alles bloßer Hokuspokus. Nichts weiter als ein von den Gründern in Szene gesetztes Spektakelstück. Jene Leute, welche sich an der Zeichnungsstelle drängen und stoßen, sind Commis und Ausläufer von verbündeten oder befreundeten Geschäftshäusern oder gemietete Dienstmänner, welche man heute in Paletot und Zylinder gesteckt hat, und zu ihnen gesellen sich Müßiggänger und Neugierige. Hin und wieder verirrt sich auch wohl ein Privatmann; getäuscht von dem Treiben, zeichnet er eine Summe und erhält sie, trotz aller „Reduktionen“, unvermeidlich und – voll.
Die „Neue Börsen-Zeitung“, die sich überhaupt des Publikums gegen die Börsianer ritterlich annahm, beleuchtete den „Subskriptions-Humbug“, wie sie ihn nannte, wiederholt und kritisierte ihn scharf. Sie tadelte namentlich die „Diskontogesellschaft“, welche in zwei Fällen, bei Gelegenheit der Ungarischen Eisenbahn-Anleihe und der Aachener Diskontogesellschaft, den Subskribenten „die Türen bloß der Formalität wegen geöffnet hatte, um sie dann gleich wieder zu schließen“. Aber etliche herzhafte Leute, fügte das Blatt hinzu, hätten sich nicht wie Narren heimschicken lassen, wären so energisch aufgetreten, daß man ihnen noch ein „Pöstchen aus dem Privatschatz“ abgelassen.
Das war aber auch wieder Hokuspokus. Bloße Reklame für die beiden Papiere, um den Kurs zu treiben und das Publikum lecker zu machen. – Der Privatmann beteiligte sich nicht wohl schon an den Subskriptionen, und wenn er’s dennoch tat, zeichnete er nicht selber, sondern ließ durch seinen Bankier zeichnen. Die Bankiers aber hatten es nicht nöthig, sich an der Zeichnungsstelle zu drängen: sie gaben ihre Order einfach schriftlich und vorher mittelst der Post auf.
Wirkliche Überzeichnungen kamen nur ausnahmsweise vor, und dann geschahen sie von Börsenspekulanten, welche ohne Rücksicht auf die Gründung selber, deren eigentlichen Werth sie ebensowenig wie das große Publikum kannten und zu beurtheilen vermochten, ein besonderes Vertrauen hatten zu der „starken“ und „glücklichen“ Hand der Gründer. Aber von jeder netten Gesellschaft mußten die Zeitungen eine „sehr erhebliche“ oder gar eine „kolossale“ Überzeichnung vermelden, und laut besonderer Bekanntmachung wurde dann stets eine „Repartition“ vorgenommen. Immer waren die Gründer so edeldenkend, in erster Reihe die kleinen Zeichnungen zu berücksichtigen, den sonnenklaren Prosit zunächst den minder wohlhabenden Leuten zu gönnen.
Inmitten dieser regelmäßigen „Überzeichnungen“ und obligaten „Reduktionen“ mußte es umsomehr auffallen, als plötzlich Herr Richard Schweder von der Preußischen Boden-Kreditaktien-Bank dem Publikum einen nicht „subskribierten Rest“ F. Wöhlert’scher Maschinenbau-Aktien von 750,000 Talern nachträglich offerierte und freundlichst zu „Nachanmeldungen“ einlud. Obgleich man sich mitten in der Schwindelperiode befand, machte diese Gründung, dargeboten von den Herren Karl Braun-Wiesbaden, Stadtrat Pohle, Geheimen Kommerzienrat F. W. Krause, bald hernach geadelt, und Gustav Markwald, Schwiegervater des genialen Direktors Schweder, doch ein rauschendes Fiasco. Das Aktienkapital betrug die Kleinigkeit von drei und ein Viertel Millionen Taler, und gewisse Vorgänge hinter den Kulissen waren ruchbar geworden. Als das „erste Geschäftsjahr“ zu Ende ging, erschien in „Salsig’s Börsenblatt“ ein „Eingesandt“, welches konstatierte, daß die Gesellschaft, die im „Prospekt“ 120 Lokomotiven alljährlich versprochen, wirklich geliefert habe 40, und überhaupt fertig stellen könne höchstens 50. Auch wurde bemerkt, „daß die Verwaltung einen recht starke Frost und Schneefall herbeisehne“, weil dann die Aufnahme der Inventur1) über das im Freien herumliegende Material unmöglich sei. Diesem „Eingesandt“ ist nirgends widersprochen, wohl aber erzählte man sich laut, daß der Vorbesitzer, Commerzienrat F. Wöhlert, an der neuen Aktiengesellschaftswirtschaft seine offene Schadenfreude habe und sie mit beißenden Witzen begleite.
Keine Gründung machte größeres Furore als „Vereinigte Königs- und Laura-Hütte“. Laut Bekanntmachung erhielten die Zeichner von 200 bis 2000 Talern eine Aktie à 200 Taler, von 2200 bis 8000 Taler zwei Aktien, die höheren Summen nur fünf Prozent. Hier mag tatsächlich eine Überzeichnung stattgefunden haben. Die Gesellschaft verteilte 1871 bis 1873 – 12¼, 29 und 20 Prozent Dividende. Die Aktien wurden an der Börse ein wildes Spielpapier, und der Kurs stieg unaufhörlich bis zum Wiener Krach, wo er etwa 270 stand. Aber was für „Hände“ waren auch hier tätig, und was für „Hände“ halten die Gesellschaft noch heute, nachdem sie für 1874 wahrscheinlich keine Dividende mehr geben wird, und der Kurs bis auf 100 gesunken ist, über Wasser! Wir nennen nur: Gerson-Bleichröder, inzwischen geadelt, Wilhelm Behrens und Baron von Westenholz in Hamburg, Jakob Landau und Heinrich Heimann in Breslau, Geheimräte Krienes und von Carnall, Graf von Hatzfeld-Wildenburg und Altenburgischer Minister von Gerstenberg, Fabrikbesitzer a. D. Karl Egells und Herr W. von Kardorff-Wabnitz, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags, einen Hauptredner der freikonservativen Partei, eine Autorität in allen Finanz- und volkswirtschaftlichen Fragen, sowie auf dem Gebiete der Gründungen. Hut ab vor diese „Händen“!
Auf die „Subskription“ folgte die Einführung an der Börse. In vielen Fällen, namentlich als der Schwindel in üppigster Blüte stand, und die Börse jedes Papier, ohne es weiter zu prüfen, willig aufnahm, sah man von „Prospekt“ und „Subskription“ ganz ab und brachte die neuen Aktien gleich zu Markte. Ein paar Tage vorher erschien im redaktionellen Teile der Zeitungen eine ziemlich gleichlautende Notiz, welche die Gründung kurz, aber natürlich in günstiger Weise skizzierte und der Welt verkündete, daß am nächsten Dienstag das große Haus Itzig Meyer u. Comp. mit den Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ debütieren werde.
Unterm 10. Februar also wie der Schwindel bereits stark zu Ende ging, brachte der „Berliner Börsenkurier“ einen Artikel, worin er die beiden Verfahren „Subskription“ und „Einführung“ gegen einander abwog, und die bloße „Einführung“ als „nicht reell“ bezeichnete. Wenn schon, so ungefähr führte er aus, der „Prospekt“ gemeinhin keinen Glauben verdiene, und auch die „Subskription“ eine etwas undurchsichtige Operation bleibe, so böten beide doch dem Publikum immer einen gewissen Anhalt, während die „Einführung“ den Gründern Gelegenheit gebe, selbst „ein gänzliches Fiasko zu kaschieren“. Der „Börsenkurier“ forderte daher namentlich die „ersten Häuser“ auf, sich dieses unberechtigten Modus der „Einführung“ möglichst bald zu entschlagen, oder doch wenigstens vorher, „durch Publikation eines detaillierten Prospekts, ihrer Pflicht gegen das Privatkapital“ zu genügen.
Wieder der reine blanke Hokuspokus. Für das Publikum hatten „Subskription“ wie „Einführung“ genau dieselbe Bedeutung; beides waren Schauspiele, die die Gründer mit ihren Helfershelfern aufführten, um dadurch die Menge erst aufmerksam zu machen und zum Kaufen der neuen Aktien zu verlocken. Alle solche Enthüllungen und Ausplaudereien der Börsenblätter, solche Schutzreden für das arme liebe Publikum und solcher Appell an die Respektabilität der „ersten Häuser“ sind weiter nichts als: „Sand in die Augen!“ Ja, meistens ist damit noch eine geschickte Reklame für irgend ein „erstes Haus“ und dessen neueste Operation“ verbunden, und es werden unter der Maske sittlicher Entrüstung bloß wieder neue Sprenkel gelegt.
Wir kommen jetzt zur „Einführung“.
Itzig Meyer u. Comp., welche die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ vertreiben sollen, haben sich zunächst mit einem „Konsortium“ umgeben. Die Mitglieder desselben sind nicht zu verwechseln mit den „ersten Zeichnern“, welche, wie man weiß, in der Regel bloß zum Scheine gezeichnet haben. Nein, dieses Konsortium ist ganz ernsthaft gemeint; es ist für Itzig Meyer u. Comp. eine Art von Rückversicherung, wie sie Lebens- und Feuerversicherungsgesellschaften eingehen, um sich ihrerseits wieder den Rücken zu decken und das große Risiko zu verteilen. Solch Konsortium besteht aus zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Personen, die sich aus Bankiers, Maklern, Speculanten und anderen Börsianern zusammensetzen. Sie übernehmen die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“, in Posten von 5000, 10,000, 20,000 oder gar 100,000 Taler, zu einem bestimmten Kurse, welcher der Konsortialkurs heißt, und im vorliegenden Falle etwa 70 betragen mag. Zu diesem Preise dürfen Itzig Meyer u. Comp. von ihren Konsortial-Verschworenen nötigenfalls die Abnahme der Aktien verlangen, brauchen aber, wenn sie nicht wollen, dafür kein Stück zu liefern und geben vorläufig auch kein Stück aus den Händen.
Der Erfolg der „Einführung“ hängt zunächst davon ab, ob auch der richtige Zeitpunkt gewählt ist. Die überaus nervöse und sensitive Börse muss sich bei guter Laune befinden; sie darf nicht etwa „verstimmt“ oder „matt“ oder gar „flau“ sein, sonst wird die Einführung besser aufgeschoben, oder sie fällt ins Wasser. Der bewusste Dienstag kommt, und die Börse hat ein vortreffliches Aussehen. „Ganz Israel strahlet und glänzet vor Lust.“ Der große Augenblick ist da, und der Chef oder der Bevollmächtigte des hochrenommierten Hauses Itzig Meyer u. Comp. tritt auf, umgeben von den Konsortial-Verschworenen, die sein Gefolge bilden – wie jener Schwarm von Klienten, mit welchen Pompejus oder Julius Cäsar auf dem Forum erschien. Auch für „Volk“ ist gesorgt. Das Volk oder den „Mob“ bilden die Jobber der untersten Classe, welche von der Hand in den Mund leben und sich mitunter durch fettglänzende Röcke und zerrissene Hosen bemerklich machen. Sie sind die öffentlichen Ausrufer, und sie heißen, in Erinnerung an die ausgestorbenen Berliner Eckensteher, die Nante’s der Börse.
Die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf Itzig Meyer u. Comp.; das ganze Geschäft pausiert eine Weile, und mit großem Geräusch gehen die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ in Szene. Der Einführungskurs ist mit Rücksicht auf das „große Haus“ Itzig Meyer u. Comp. 102½; blos Pari (100) würde seinem Ansehen nicht recht entsprechen. „Leimsiederei“ wird heftig begehrt und fast ebenso heftig gekauft. Aber von wem? Einstweilen nur von den Konsortial-Verschworenen, ihren Freunden, Anhängern und Agenten. Ein dicker Nante mit außerordentlich entwickelter Nase schreit: „Ich nehme Leim mit 103;“ – „Leim mit 103!“ brüllt der Janhagel ihm nach. Jedermann im Saale weiß, daß die Nante’s weder „Leim“ wollen, noch „Leim“ bekommen, daß sie nur von Itzig Meyer u. Comp. mit ein paar Stücken „beteiligt“ sind, und dafür ihre Ausruferdienste tun. Niemand im Saale lässt sich durch die armen Kerle täuschen, aber ihr Geschrei macht doch Effekt, hallt in den Börsenberichten der Zeitungen wieder; sie nützen zwar nicht viel, aber sie könnten gegen das Papier schreien und doch Schaden anrichten: darum sind sie angeworben, und sie dünken den Gründern ebenso nöthig und unentbehrlich, wie einem großen Schauspieler oder einer berühmten Sängerin die – Claqueurs. Der Kurs von „Leim“ geht heute bis auf 105; morgen ist er vielleicht schon 107 und übermorgen 110. Die Konsortial-Verschworenen kaufen und lassen kaufen zu diesen Kursen, daher sie der Makler notieren muss, und wenn es auch nur Scheinkäufe sind: der Makler erhält trotzdem seine Courtage oder Gebühr. Allmählich finden sich wirkliche Käufer, nach und nach wird, durch Zeitungsberichte und durch Empfehlungen der Bankiers, das Publikum herangezogen; und nun schwankt der Kurs von „Leim“ zwischen 112 und 98, bis die Aktien glücklich untergebracht sind, wo er dann sofort oder doch sehr bald einen jähen Sturz, bis etwa 70 oder 60, zu erfahren pflegt. Außer den unglücklichen Actionären kümmert sich fortan kein Mensch mehr um „Leim“. Itzig Meyer u. Comp. aber verrechnen sich mit den Konsortial-Verschworenen. Der Mittelkurs, zu welchem die Aktien durchschnittlich „begeben“ sind, stellt sich auf
105 Prozent.
Davon ab:
Courtage an die Makler, Bonifikationen an die Bankiers, Douceurs, Gratifikationen und andere Spesen, zusammen 15 „
Bleiben 90 Prozent.
Der Kurs, zu welchem die Konsortial- Verschworenen „Leim“ übernahmen, war 70 „
Mithin haben sie verdient 20 Prozent,
was bei einem Pöstchen von 5000 oder 10,000 Talern schon ein hübsches Sümmchen ausmacht, und bei einem Posten von 50,000 oder gar 100,000 Talern eine sehr anständige Summe. Auch die „Nante’s“ halten ihren Schmaus. Der dicke Chorführer ist mit 10 Stück Aktien à 200 Taler „beteiligt“, so daß er 400 Taler einstreicht, während den Andern nur je 5 Stück zugeschrieben sind, auf jeden von ihnen also ein Konsortialgewinn von 200 Talern entfällt. Davon fristen die armen Schlucker nun wieder eine Zeit lang ihr Leben, aber es giebt unter ihnen auch feine anschlägige Köpfe, und Einer oder der Andere arbeitet sich wohl rasch empor und spielt bald an der Börse eine wichtige Rolle.
Wie schon gesagt, werden den Konsortial-Verschworenen selber keine Stücke ausgehändigt. Itzig Meyer u. Comp., die den Kurs halten und daher alles Material, was etwa angeboten wird, wieder aufnehmen, könnten sonst leicht in die Lage kommen, „Leim“ von ihren eigenen Helfershelfern zu hohem Kurse zurückkaufen zu müssen. Werden die Aktien aber nicht abgesetzt, dann sind die Verschworenen verpflichtet, die gezeichneten Posten zu dem verabredeten Konsortialkurs zu beziehen, was sie natürlich nicht gern und in der Regel nicht gutwillig thun. Ein solcher Fall ereignete sich unter Anderem bei Gründung der Dannenberger’schen oder eigentlich Liebermann’schen Kattunfabrik. Herr Richard Schweder, der den „Krach“ wohl schon in den Gliedern verspürte, hatte die „Einführung“ der Aktien verzögert und verzögert, bis er endlich ganz plötzlich damit herausrückte. Er machte ein gründliches Fiasko, und sein Adjutant, Herr Paradies, mußte es ausbaden. Die Konsortial-Verschworenen, die bei so vielen Gründungen mit Herrn Schweder Hand in Hand gegangen waren und jedes Mal so hübsch verdient hatten, wiesen jetzt „Kattun“ mit Entrüstung und Abscheu zurück, und als es zum Prozesse kam, gab der Richter, in Erwägung der eigentümlichen Umstände, ihnen Recht, und die „Preußische Boden-Kredit-Aktien-Bank“ mußte den ganzen „Kattun“ für sich behalten.
Allerdings war die „Einführung“, ohne „Subskription“ und ohne „Prospekt“, ein bequemeres und kürzeres Verfahren, aber es gehörten dazu auch starke und kraftvolle „Hände“, zumal der Einführungskurs fast regelmäßig nicht unbedeutend über Pari (100) gesetzt wurde, was dann sofort die Schweißhunde der Börse, die Fixer herbeilockte – jene ehrlichen Leute, welche ein Geschäft daraus machen, auf das Fallen der Kurse zu spekulieren und die Kurse unter Aufbietung jedes Mittels herunterzureißen, wofür sie freilich zuweilen arg bluten müssen. Des bessern Verständnisses wegen folge hier ein Beispiel. Die Aktien der „Produkten- und Handelsbank“ – eine Schöpfung, zu der auch Wiener Gründer extra nach Berlin gekommen waren – wurden mit 116 eingeführt. Weil aber diese Aktien nicht voll, sondern nur mit 40 Prozent eingezahlt waren, betrug der Einführungskurs tatsächlich 140. Gewiss eine kolossale Unverschämtheit, da die Bank noch gar nichts getan hatte, noch nicht einmal eingerichtet war!
So dachten auch die Fixer, und sie begannen die Aktien zu werfen, ein Pöstchen nach dem andern in blanco zu verkaufen; das heißt, ohne es zu haben. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Gründer hielten fest, nahmen die Blanco-Abgaben bereitwilligst auf und drückten den Fixern Zoll um Zoll die Gurgel zu. Als der Ultimo, der letzte Tag im Monat und damit der Zeitpunkt der Lieferung kam, mußten die Fixer sich mit einem Verlust von 7 Prozent „decken“, und die Gründer, als die alleinigen Besitzer des Materials, hätten ihnen eine noch weit höhere Buße diktieren können. Solche Strangulierung aber nennt man an der Börse eine Schwänze.
Der Einführungsmodus war das beste Mittelchen für die Agiotage oder den Kurswucher, welcher sich nicht wesentlich von der sogenannten Halsabschneiderei unterscheidet. Herr Richard Schweder führte noch im Januar 1873 die Aktien der Kohlenzeche „Louise Tiefbau“ mit 115 ein, während heute der Kurs 50 steht und höchst wahrscheinlich noch viel tiefer sinken wird. Die famose „Dortmunder Union“, gegründet von den Herren Miquel und von Hansemann in Berlin, Wilhelm von Born in Dortmund, Abraham von Oppenheim in Köln, Rothschild in Frankfurt etc., – erschien an der Börse mit 110, wurde dann bis 228 hinaufgetrieben und steht jetzt circa – 20!!!
Wie die „großen Häuser“ die wuchtigsten Gründungen vollführten, so waren sie auch die eigentlichen Meister des Agiotagespiels, bei dem sie Millionen einstrichen. Rothschild, Bleichröder, Hansemann, Jakob Landau und Wilhelm Behrens in Hamburg, denen sich wieder Herr von Kardorff und Graf Hatzfeld zugesellten, komponierten die „Deutsche Reichs- und Continental-Eisenbahnban-Gesellschaft“, mit einem Grundkapital von zehn Millionen Taler. Die 40procentigen Interimsscheine wurden mit 55 bis 65 Talern untergebracht, während sie heute etwa mit 22 Talern bezahlt werden!! Das Stärkste aber leistete doch die „Diskontogesellschaft“ mit den Herren von Hansemann und Miquel an der Spitze. Wenn der Schlichte Menschenverstand darauf schwört, daß 2 × 2 = 4 ist, so bewies die „Diskontogesellschaft“, daß an der Börse eine höhere Rechenkunst gilt. daß hier 2 × 2 sowohl 5 wie 3 sein kann, je nach den Umständen und Zeitverhältnissen.
Wie die „Preußische Boden-Kredit-Aktien-Bank“ sich eine Filiale in der berüchtigten „Preußischen Kredit-Anstalt“ zulegte, so schuf auch die „Diskontogesellschaft“ ein Tochter-Institut, die seitdem ebenso anrüchige „Provinzial-Diskontogesellschaft“, mit einem Grundkapital von zehn Millionen Taler. Die Aktien, worauf 40 Prozent eingezahlt, kamen an die Börse mit circa 125 und gingen bei solcher Einzahlung bis etwa 150. Von diesem Kurs wurden die fehlenden 60 Prozent abgezogen, und somit 40 Taler mit 65 bis 90 Taler bezahlt!! Damals waren nach der Rechnung der Diskontogesellschaft 2 × 2 = 5. Inzwischen sind auf die Aktien noch 20 Prozent nachgezahlt, aber trotzdem werden sie gegenwärtig nur mit circa 75 notiert. Von diesem Kurs gehen ab die fehlenden 40 Prozent, und es werden demnach 60 Taler mit etwa 35 Talern bezahlt!! Das aber bedeutet, daß bei der Diskontogesellschaft 2 × 2 heute nur 3 ist.
Mit dem „Prospekt“, welcher von der glücklich erfolgten Gründung Kunde gab, die neue Aktiengesellschaft in den rosigsten Farben malte und den Actionären Gewinn über Gewinn verhieß – war die Einladung zur Subscription verbunden. An dem und dem Tage und an den und den Orten wurde das Actiencapital, ganz oder teilweise, zur Zeichnung aufgelegt, dem Publikum zum Pari-Kurse (100) oder darüber angeboten. Und nun herbei, Ihr guten Leute, die Ihr Geld im Beutel habt und Willens seid, es sicher und mit Vorteil anzulegen! Versäumt ja die Stunde nicht. Sie bedeutet Euer Glück und sie kehrt nicht wieder. Und sie kamen in hellen Haufen; sie versperrten die Straße; sie belagerten das Haus, und als die Türen sich endlich öffneten, quoll der Strom herein, und in einem Augenblick waren die ausliegenden Bogen mit Unterschriften bedeckt. Der Eine zeichnete 100 Taler, der Andere 500, der Dritte 1000, der Vierte 3000, der Fünfte 10,000 Taler. „Drei-, fünfmal überzeichnet!“ „Kolossal überzeichnet!!“ meldeten noch an demselben Abend die Zeitungen im Chor. „Die Zeichnungen müssen erheblich reduziert werden!!“
Das war aber in der Regel Alles bloßer Hokuspokus. Nichts weiter als ein von den Gründern in Szene gesetztes Spektakelstück. Jene Leute, welche sich an der Zeichnungsstelle drängen und stoßen, sind Commis und Ausläufer von verbündeten oder befreundeten Geschäftshäusern oder gemietete Dienstmänner, welche man heute in Paletot und Zylinder gesteckt hat, und zu ihnen gesellen sich Müßiggänger und Neugierige. Hin und wieder verirrt sich auch wohl ein Privatmann; getäuscht von dem Treiben, zeichnet er eine Summe und erhält sie, trotz aller „Reduktionen“, unvermeidlich und – voll.
Die „Neue Börsen-Zeitung“, die sich überhaupt des Publikums gegen die Börsianer ritterlich annahm, beleuchtete den „Subskriptions-Humbug“, wie sie ihn nannte, wiederholt und kritisierte ihn scharf. Sie tadelte namentlich die „Diskontogesellschaft“, welche in zwei Fällen, bei Gelegenheit der Ungarischen Eisenbahn-Anleihe und der Aachener Diskontogesellschaft, den Subskribenten „die Türen bloß der Formalität wegen geöffnet hatte, um sie dann gleich wieder zu schließen“. Aber etliche herzhafte Leute, fügte das Blatt hinzu, hätten sich nicht wie Narren heimschicken lassen, wären so energisch aufgetreten, daß man ihnen noch ein „Pöstchen aus dem Privatschatz“ abgelassen.
Das war aber auch wieder Hokuspokus. Bloße Reklame für die beiden Papiere, um den Kurs zu treiben und das Publikum lecker zu machen. – Der Privatmann beteiligte sich nicht wohl schon an den Subskriptionen, und wenn er’s dennoch tat, zeichnete er nicht selber, sondern ließ durch seinen Bankier zeichnen. Die Bankiers aber hatten es nicht nöthig, sich an der Zeichnungsstelle zu drängen: sie gaben ihre Order einfach schriftlich und vorher mittelst der Post auf.
Wirkliche Überzeichnungen kamen nur ausnahmsweise vor, und dann geschahen sie von Börsenspekulanten, welche ohne Rücksicht auf die Gründung selber, deren eigentlichen Werth sie ebensowenig wie das große Publikum kannten und zu beurtheilen vermochten, ein besonderes Vertrauen hatten zu der „starken“ und „glücklichen“ Hand der Gründer. Aber von jeder netten Gesellschaft mußten die Zeitungen eine „sehr erhebliche“ oder gar eine „kolossale“ Überzeichnung vermelden, und laut besonderer Bekanntmachung wurde dann stets eine „Repartition“ vorgenommen. Immer waren die Gründer so edeldenkend, in erster Reihe die kleinen Zeichnungen zu berücksichtigen, den sonnenklaren Prosit zunächst den minder wohlhabenden Leuten zu gönnen.
Inmitten dieser regelmäßigen „Überzeichnungen“ und obligaten „Reduktionen“ mußte es umsomehr auffallen, als plötzlich Herr Richard Schweder von der Preußischen Boden-Kreditaktien-Bank dem Publikum einen nicht „subskribierten Rest“ F. Wöhlert’scher Maschinenbau-Aktien von 750,000 Talern nachträglich offerierte und freundlichst zu „Nachanmeldungen“ einlud. Obgleich man sich mitten in der Schwindelperiode befand, machte diese Gründung, dargeboten von den Herren Karl Braun-Wiesbaden, Stadtrat Pohle, Geheimen Kommerzienrat F. W. Krause, bald hernach geadelt, und Gustav Markwald, Schwiegervater des genialen Direktors Schweder, doch ein rauschendes Fiasco. Das Aktienkapital betrug die Kleinigkeit von drei und ein Viertel Millionen Taler, und gewisse Vorgänge hinter den Kulissen waren ruchbar geworden. Als das „erste Geschäftsjahr“ zu Ende ging, erschien in „Salsig’s Börsenblatt“ ein „Eingesandt“, welches konstatierte, daß die Gesellschaft, die im „Prospekt“ 120 Lokomotiven alljährlich versprochen, wirklich geliefert habe 40, und überhaupt fertig stellen könne höchstens 50. Auch wurde bemerkt, „daß die Verwaltung einen recht starke Frost und Schneefall herbeisehne“, weil dann die Aufnahme der Inventur1) über das im Freien herumliegende Material unmöglich sei. Diesem „Eingesandt“ ist nirgends widersprochen, wohl aber erzählte man sich laut, daß der Vorbesitzer, Commerzienrat F. Wöhlert, an der neuen Aktiengesellschaftswirtschaft seine offene Schadenfreude habe und sie mit beißenden Witzen begleite.
Keine Gründung machte größeres Furore als „Vereinigte Königs- und Laura-Hütte“. Laut Bekanntmachung erhielten die Zeichner von 200 bis 2000 Talern eine Aktie à 200 Taler, von 2200 bis 8000 Taler zwei Aktien, die höheren Summen nur fünf Prozent. Hier mag tatsächlich eine Überzeichnung stattgefunden haben. Die Gesellschaft verteilte 1871 bis 1873 – 12¼, 29 und 20 Prozent Dividende. Die Aktien wurden an der Börse ein wildes Spielpapier, und der Kurs stieg unaufhörlich bis zum Wiener Krach, wo er etwa 270 stand. Aber was für „Hände“ waren auch hier tätig, und was für „Hände“ halten die Gesellschaft noch heute, nachdem sie für 1874 wahrscheinlich keine Dividende mehr geben wird, und der Kurs bis auf 100 gesunken ist, über Wasser! Wir nennen nur: Gerson-Bleichröder, inzwischen geadelt, Wilhelm Behrens und Baron von Westenholz in Hamburg, Jakob Landau und Heinrich Heimann in Breslau, Geheimräte Krienes und von Carnall, Graf von Hatzfeld-Wildenburg und Altenburgischer Minister von Gerstenberg, Fabrikbesitzer a. D. Karl Egells und Herr W. von Kardorff-Wabnitz, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags, einen Hauptredner der freikonservativen Partei, eine Autorität in allen Finanz- und volkswirtschaftlichen Fragen, sowie auf dem Gebiete der Gründungen. Hut ab vor diese „Händen“!
Auf die „Subskription“ folgte die Einführung an der Börse. In vielen Fällen, namentlich als der Schwindel in üppigster Blüte stand, und die Börse jedes Papier, ohne es weiter zu prüfen, willig aufnahm, sah man von „Prospekt“ und „Subskription“ ganz ab und brachte die neuen Aktien gleich zu Markte. Ein paar Tage vorher erschien im redaktionellen Teile der Zeitungen eine ziemlich gleichlautende Notiz, welche die Gründung kurz, aber natürlich in günstiger Weise skizzierte und der Welt verkündete, daß am nächsten Dienstag das große Haus Itzig Meyer u. Comp. mit den Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ debütieren werde.
Unterm 10. Februar also wie der Schwindel bereits stark zu Ende ging, brachte der „Berliner Börsenkurier“ einen Artikel, worin er die beiden Verfahren „Subskription“ und „Einführung“ gegen einander abwog, und die bloße „Einführung“ als „nicht reell“ bezeichnete. Wenn schon, so ungefähr führte er aus, der „Prospekt“ gemeinhin keinen Glauben verdiene, und auch die „Subskription“ eine etwas undurchsichtige Operation bleibe, so böten beide doch dem Publikum immer einen gewissen Anhalt, während die „Einführung“ den Gründern Gelegenheit gebe, selbst „ein gänzliches Fiasko zu kaschieren“. Der „Börsenkurier“ forderte daher namentlich die „ersten Häuser“ auf, sich dieses unberechtigten Modus der „Einführung“ möglichst bald zu entschlagen, oder doch wenigstens vorher, „durch Publikation eines detaillierten Prospekts, ihrer Pflicht gegen das Privatkapital“ zu genügen.
Wieder der reine blanke Hokuspokus. Für das Publikum hatten „Subskription“ wie „Einführung“ genau dieselbe Bedeutung; beides waren Schauspiele, die die Gründer mit ihren Helfershelfern aufführten, um dadurch die Menge erst aufmerksam zu machen und zum Kaufen der neuen Aktien zu verlocken. Alle solche Enthüllungen und Ausplaudereien der Börsenblätter, solche Schutzreden für das arme liebe Publikum und solcher Appell an die Respektabilität der „ersten Häuser“ sind weiter nichts als: „Sand in die Augen!“ Ja, meistens ist damit noch eine geschickte Reklame für irgend ein „erstes Haus“ und dessen neueste Operation“ verbunden, und es werden unter der Maske sittlicher Entrüstung bloß wieder neue Sprenkel gelegt.
Wir kommen jetzt zur „Einführung“.
Itzig Meyer u. Comp., welche die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ vertreiben sollen, haben sich zunächst mit einem „Konsortium“ umgeben. Die Mitglieder desselben sind nicht zu verwechseln mit den „ersten Zeichnern“, welche, wie man weiß, in der Regel bloß zum Scheine gezeichnet haben. Nein, dieses Konsortium ist ganz ernsthaft gemeint; es ist für Itzig Meyer u. Comp. eine Art von Rückversicherung, wie sie Lebens- und Feuerversicherungsgesellschaften eingehen, um sich ihrerseits wieder den Rücken zu decken und das große Risiko zu verteilen. Solch Konsortium besteht aus zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Personen, die sich aus Bankiers, Maklern, Speculanten und anderen Börsianern zusammensetzen. Sie übernehmen die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“, in Posten von 5000, 10,000, 20,000 oder gar 100,000 Taler, zu einem bestimmten Kurse, welcher der Konsortialkurs heißt, und im vorliegenden Falle etwa 70 betragen mag. Zu diesem Preise dürfen Itzig Meyer u. Comp. von ihren Konsortial-Verschworenen nötigenfalls die Abnahme der Aktien verlangen, brauchen aber, wenn sie nicht wollen, dafür kein Stück zu liefern und geben vorläufig auch kein Stück aus den Händen.
Der Erfolg der „Einführung“ hängt zunächst davon ab, ob auch der richtige Zeitpunkt gewählt ist. Die überaus nervöse und sensitive Börse muss sich bei guter Laune befinden; sie darf nicht etwa „verstimmt“ oder „matt“ oder gar „flau“ sein, sonst wird die Einführung besser aufgeschoben, oder sie fällt ins Wasser. Der bewusste Dienstag kommt, und die Börse hat ein vortreffliches Aussehen. „Ganz Israel strahlet und glänzet vor Lust.“ Der große Augenblick ist da, und der Chef oder der Bevollmächtigte des hochrenommierten Hauses Itzig Meyer u. Comp. tritt auf, umgeben von den Konsortial-Verschworenen, die sein Gefolge bilden – wie jener Schwarm von Klienten, mit welchen Pompejus oder Julius Cäsar auf dem Forum erschien. Auch für „Volk“ ist gesorgt. Das Volk oder den „Mob“ bilden die Jobber der untersten Classe, welche von der Hand in den Mund leben und sich mitunter durch fettglänzende Röcke und zerrissene Hosen bemerklich machen. Sie sind die öffentlichen Ausrufer, und sie heißen, in Erinnerung an die ausgestorbenen Berliner Eckensteher, die Nante’s der Börse.
Die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf Itzig Meyer u. Comp.; das ganze Geschäft pausiert eine Weile, und mit großem Geräusch gehen die Aktien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ in Szene. Der Einführungskurs ist mit Rücksicht auf das „große Haus“ Itzig Meyer u. Comp. 102½; blos Pari (100) würde seinem Ansehen nicht recht entsprechen. „Leimsiederei“ wird heftig begehrt und fast ebenso heftig gekauft. Aber von wem? Einstweilen nur von den Konsortial-Verschworenen, ihren Freunden, Anhängern und Agenten. Ein dicker Nante mit außerordentlich entwickelter Nase schreit: „Ich nehme Leim mit 103;“ – „Leim mit 103!“ brüllt der Janhagel ihm nach. Jedermann im Saale weiß, daß die Nante’s weder „Leim“ wollen, noch „Leim“ bekommen, daß sie nur von Itzig Meyer u. Comp. mit ein paar Stücken „beteiligt“ sind, und dafür ihre Ausruferdienste tun. Niemand im Saale lässt sich durch die armen Kerle täuschen, aber ihr Geschrei macht doch Effekt, hallt in den Börsenberichten der Zeitungen wieder; sie nützen zwar nicht viel, aber sie könnten gegen das Papier schreien und doch Schaden anrichten: darum sind sie angeworben, und sie dünken den Gründern ebenso nöthig und unentbehrlich, wie einem großen Schauspieler oder einer berühmten Sängerin die – Claqueurs. Der Kurs von „Leim“ geht heute bis auf 105; morgen ist er vielleicht schon 107 und übermorgen 110. Die Konsortial-Verschworenen kaufen und lassen kaufen zu diesen Kursen, daher sie der Makler notieren muss, und wenn es auch nur Scheinkäufe sind: der Makler erhält trotzdem seine Courtage oder Gebühr. Allmählich finden sich wirkliche Käufer, nach und nach wird, durch Zeitungsberichte und durch Empfehlungen der Bankiers, das Publikum herangezogen; und nun schwankt der Kurs von „Leim“ zwischen 112 und 98, bis die Aktien glücklich untergebracht sind, wo er dann sofort oder doch sehr bald einen jähen Sturz, bis etwa 70 oder 60, zu erfahren pflegt. Außer den unglücklichen Actionären kümmert sich fortan kein Mensch mehr um „Leim“. Itzig Meyer u. Comp. aber verrechnen sich mit den Konsortial-Verschworenen. Der Mittelkurs, zu welchem die Aktien durchschnittlich „begeben“ sind, stellt sich auf
105 Prozent.
Davon ab:
Courtage an die Makler, Bonifikationen an die Bankiers, Douceurs, Gratifikationen und andere Spesen, zusammen 15 „
Bleiben 90 Prozent.
Der Kurs, zu welchem die Konsortial- Verschworenen „Leim“ übernahmen, war 70 „
Mithin haben sie verdient 20 Prozent,
was bei einem Pöstchen von 5000 oder 10,000 Talern schon ein hübsches Sümmchen ausmacht, und bei einem Posten von 50,000 oder gar 100,000 Talern eine sehr anständige Summe. Auch die „Nante’s“ halten ihren Schmaus. Der dicke Chorführer ist mit 10 Stück Aktien à 200 Taler „beteiligt“, so daß er 400 Taler einstreicht, während den Andern nur je 5 Stück zugeschrieben sind, auf jeden von ihnen also ein Konsortialgewinn von 200 Talern entfällt. Davon fristen die armen Schlucker nun wieder eine Zeit lang ihr Leben, aber es giebt unter ihnen auch feine anschlägige Köpfe, und Einer oder der Andere arbeitet sich wohl rasch empor und spielt bald an der Börse eine wichtige Rolle.
Wie schon gesagt, werden den Konsortial-Verschworenen selber keine Stücke ausgehändigt. Itzig Meyer u. Comp., die den Kurs halten und daher alles Material, was etwa angeboten wird, wieder aufnehmen, könnten sonst leicht in die Lage kommen, „Leim“ von ihren eigenen Helfershelfern zu hohem Kurse zurückkaufen zu müssen. Werden die Aktien aber nicht abgesetzt, dann sind die Verschworenen verpflichtet, die gezeichneten Posten zu dem verabredeten Konsortialkurs zu beziehen, was sie natürlich nicht gern und in der Regel nicht gutwillig thun. Ein solcher Fall ereignete sich unter Anderem bei Gründung der Dannenberger’schen oder eigentlich Liebermann’schen Kattunfabrik. Herr Richard Schweder, der den „Krach“ wohl schon in den Gliedern verspürte, hatte die „Einführung“ der Aktien verzögert und verzögert, bis er endlich ganz plötzlich damit herausrückte. Er machte ein gründliches Fiasko, und sein Adjutant, Herr Paradies, mußte es ausbaden. Die Konsortial-Verschworenen, die bei so vielen Gründungen mit Herrn Schweder Hand in Hand gegangen waren und jedes Mal so hübsch verdient hatten, wiesen jetzt „Kattun“ mit Entrüstung und Abscheu zurück, und als es zum Prozesse kam, gab der Richter, in Erwägung der eigentümlichen Umstände, ihnen Recht, und die „Preußische Boden-Kredit-Aktien-Bank“ mußte den ganzen „Kattun“ für sich behalten.
Allerdings war die „Einführung“, ohne „Subskription“ und ohne „Prospekt“, ein bequemeres und kürzeres Verfahren, aber es gehörten dazu auch starke und kraftvolle „Hände“, zumal der Einführungskurs fast regelmäßig nicht unbedeutend über Pari (100) gesetzt wurde, was dann sofort die Schweißhunde der Börse, die Fixer herbeilockte – jene ehrlichen Leute, welche ein Geschäft daraus machen, auf das Fallen der Kurse zu spekulieren und die Kurse unter Aufbietung jedes Mittels herunterzureißen, wofür sie freilich zuweilen arg bluten müssen. Des bessern Verständnisses wegen folge hier ein Beispiel. Die Aktien der „Produkten- und Handelsbank“ – eine Schöpfung, zu der auch Wiener Gründer extra nach Berlin gekommen waren – wurden mit 116 eingeführt. Weil aber diese Aktien nicht voll, sondern nur mit 40 Prozent eingezahlt waren, betrug der Einführungskurs tatsächlich 140. Gewiss eine kolossale Unverschämtheit, da die Bank noch gar nichts getan hatte, noch nicht einmal eingerichtet war!
So dachten auch die Fixer, und sie begannen die Aktien zu werfen, ein Pöstchen nach dem andern in blanco zu verkaufen; das heißt, ohne es zu haben. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Gründer hielten fest, nahmen die Blanco-Abgaben bereitwilligst auf und drückten den Fixern Zoll um Zoll die Gurgel zu. Als der Ultimo, der letzte Tag im Monat und damit der Zeitpunkt der Lieferung kam, mußten die Fixer sich mit einem Verlust von 7 Prozent „decken“, und die Gründer, als die alleinigen Besitzer des Materials, hätten ihnen eine noch weit höhere Buße diktieren können. Solche Strangulierung aber nennt man an der Börse eine Schwänze.
Der Einführungsmodus war das beste Mittelchen für die Agiotage oder den Kurswucher, welcher sich nicht wesentlich von der sogenannten Halsabschneiderei unterscheidet. Herr Richard Schweder führte noch im Januar 1873 die Aktien der Kohlenzeche „Louise Tiefbau“ mit 115 ein, während heute der Kurs 50 steht und höchst wahrscheinlich noch viel tiefer sinken wird. Die famose „Dortmunder Union“, gegründet von den Herren Miquel und von Hansemann in Berlin, Wilhelm von Born in Dortmund, Abraham von Oppenheim in Köln, Rothschild in Frankfurt etc., – erschien an der Börse mit 110, wurde dann bis 228 hinaufgetrieben und steht jetzt circa – 20!!!
Wie die „großen Häuser“ die wuchtigsten Gründungen vollführten, so waren sie auch die eigentlichen Meister des Agiotagespiels, bei dem sie Millionen einstrichen. Rothschild, Bleichröder, Hansemann, Jakob Landau und Wilhelm Behrens in Hamburg, denen sich wieder Herr von Kardorff und Graf Hatzfeld zugesellten, komponierten die „Deutsche Reichs- und Continental-Eisenbahnban-Gesellschaft“, mit einem Grundkapital von zehn Millionen Taler. Die 40procentigen Interimsscheine wurden mit 55 bis 65 Talern untergebracht, während sie heute etwa mit 22 Talern bezahlt werden!! Das Stärkste aber leistete doch die „Diskontogesellschaft“ mit den Herren von Hansemann und Miquel an der Spitze. Wenn der Schlichte Menschenverstand darauf schwört, daß 2 × 2 = 4 ist, so bewies die „Diskontogesellschaft“, daß an der Börse eine höhere Rechenkunst gilt. daß hier 2 × 2 sowohl 5 wie 3 sein kann, je nach den Umständen und Zeitverhältnissen.
Wie die „Preußische Boden-Kredit-Aktien-Bank“ sich eine Filiale in der berüchtigten „Preußischen Kredit-Anstalt“ zulegte, so schuf auch die „Diskontogesellschaft“ ein Tochter-Institut, die seitdem ebenso anrüchige „Provinzial-Diskontogesellschaft“, mit einem Grundkapital von zehn Millionen Taler. Die Aktien, worauf 40 Prozent eingezahlt, kamen an die Börse mit circa 125 und gingen bei solcher Einzahlung bis etwa 150. Von diesem Kurs wurden die fehlenden 60 Prozent abgezogen, und somit 40 Taler mit 65 bis 90 Taler bezahlt!! Damals waren nach der Rechnung der Diskontogesellschaft 2 × 2 = 5. Inzwischen sind auf die Aktien noch 20 Prozent nachgezahlt, aber trotzdem werden sie gegenwärtig nur mit circa 75 notiert. Von diesem Kurs gehen ab die fehlenden 40 Prozent, und es werden demnach 60 Taler mit etwa 35 Talern bezahlt!! Das aber bedeutet, daß bei der Diskontogesellschaft 2 × 2 heute nur 3 ist.