Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 03. Gründer und Gründer-Praktiken.

Auch ein armer Sünder kann unter Umständen noch Humor zeigen, den Galgenhumor.
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Galgenhumor der armen Sünder, Henkerswitz, Scheidewasser, Höllensteine, Schmarotzertierchen, Gründungsobjekte
„Die Woche fängt gut an!“ sagte Jener. Er sagte so am Montag, und da wurde er aufgeknüpft. – Bekanntlich nennt man diese Art von Laune den Galgenhumor. Auch ein armer Sünder kann unter Umständen noch Humor zeigen, aber nie und nimmer der Henker. Der hat höchstens Witz. Und genau in demselben Falle befindet sich die Börse. Auch ihren Angehörigen ist der Humor, als ein Produkt des Gemüts und des Herzens, versagt: aber dafür machen sie in Witz. Sie reißen Witze, die wie Scheidewasser schmecken und wie Höllenstein brennen. Als die Gründungen florierten, sang die Börse, während sie Leimruten legte, mit solchem Henkerswitz:

„Erst kommt der Erfinder,
Dann kommen die Gründer oder die Schinder;
Beide brauchen sie Rinder,
Und wenn’s gut geht, machen sie Kinder.“
Die Rinder sind – mit Respekt zu sagen – das liebe Publikum, während die Kinder hier den Vorgang andeuten, welchen sonst nur das Tierleben auf der untersten Stufe zeigt. Nach Art der ekelhaften Schmarotzertierchen vermehrten sich auch die Gründer und die Gründungen mit reißender Schnelligkeit. Eine heute geborene Bank oder dergleichen gründete morgen schon lustig selber; oder sie „emittierte“ immer wieder „junge Aktien“; sie kam aus dem „Jungen“ nicht heraus. Wir lassen einstweilen „Kinder“ und „Rinder“ bei Seite, und betrachten zunächst „Erfinder“ und „Gründer“.

Schon das obige Verslein verrät, daß Beide nicht immer dieselben, sondern häufig verschiedene Personen waren. Der „Erfinder“ hatte die Idee, der „Gründer“ übernahm die Ausführung. Jener war meistens ein Schlaukopf, dieser nicht selten ein bloßer Taps. Dafür wurde der „Erfinder“ oft mit einem Trinkgelde abgespeist, während der „Gründer“ eine Million für sich in Anspruch nahm. Der Erfinder wusste zu finden und zu erfinden: sein Auge sah lauter Gründungsobjekte, und wo es schlechterdings gar nichts sah, da half die Phantasie ihm aus. Die damals entstandene „Neue Börsenzeitung“ entwarf davon eine artige Schilderung, die etwa so lautete:

Im einsamen Thale entdeckt der „Erfinder“ einen verlassenen Schornstein, und aus dieser Ruine macht er flugs eine – Maschinenfabrik. Auf dem Berge sieht er eine Windmühle, ein altersschwaches Gehäuse mit lahmen Flügeln – und sofort ist ein Mühlen-Etablissement auf Actien fertig. Am Ufer eines Baches stolpert er über einen umgestülpten Kahn – und ein „Lloyd“, ein binnenländischer „Lloyd“ lässt seine Dampfer hin- und herfliegen. Und wie beginnt die Geschichte jener Verblend-Ziegelei auf Aktien?

„Es war einmal ein Thonlager ..... etc.“ Des Erfinders Phantasie macht aus einem Zimmermann, der Balken ausschält ein Lieferungsgeschäft für Baumaterial; aus dem verwegenen Knaben, der eine Rakete steigen lässt, eine chemische Fabrik. Und – nehmt Eure Wäscherinnen in Acht! Lasst sie nicht allein über die Straße gehen, sonst macht sie der Erfinder zu einer Aktien-Wäscherei.

Es wurde öffentlich und insgeheim, durch Zeitungsinserate und unter der Hand nach Gründungsobjekten gesucht; es wurde förmlich Jagd gemacht auf schon bestehende Fabriken, Berg- und Hüttenwerke, Brauereien etc.; und natürlich in erster Reihe auf altrenommierte Etablissements. Der Inhaber einer bekannten großen Färberei und „Garderobe-Reinigungsanstalt“ in Berlin erhielt so viele Anfragen und Anerbietungen, daß er seine ablehnende Antwort: er sei nicht geneigt, sich gründen zu lassen – bald nicht mehr geschrieben, sondern nur noch lithographiert versandte. Wohl die härtesten Anfechtungen hatte Borsig, der „Lokomotivenkönig“, zu bestehen. Man bot ihm verschiedentlich für seine großartigen Werke geradezu fabelhafte Summen – bis zwölf Millionen Taler, wie eine Version lautet, und man würde ihm überhaupt jeden Preis gegeben haben, den er nur gefordert hätte; aber er war ehrliebend und auch wohl klug genug, um sich nicht verblenden zu lassen. Viele andere Fabrikherren dagegen bewiesen sich weniger prüde, und so verwandelten sich viele solide, wohlberufene Privatgeschäfte in lauter faule und anrüchige oder doch zweifelhafte Aktiengesellschaften; z. B. Maschinenfabriken von Egells, Webers, Eckert und Freund, Porzellan-Manufaktur von Schumann, Lampenfabrik von Stobwasser, Ofenfabrik von Dankberg, Kammgarnspinnerei von Schwendy, Wagenbauerei von Neuß, Tabakshandlung von Brunzlow und Sohn etc. etc.

Herr Egells verkaufte sein Etablissement sogar zwei Mal, zum zweiten Male natürlich zu einem höheren Preise, worauf der erste Käufer oder das erste „Gründungs-Komité“ die Hülfe des Richters anrief. Durch solche Umwandlungen zeichneten sich wieder aus Herr Schweder von der „Preußischen Bodenkreditaktienbank“ und Herr Quistorp. Herr Schweder „gründete“ die Glasfabrik „Albertinenhütte“, die Nähmaschinenanstalt Pollack. Schmidt und Comp. in Hamburg, die Maschinenfabrik von Wöhlert, das Bergwerk „Redenhütte“, das Soolbad Salzungen etc. Herr Quistorp „gründete“ die chemische Fabrik von Schering, die Fabrik für Wasser- und Gasanlagen von Mattison und Brandt, die Feilenfabrik von Schaaf, die Papierfabrik Wolfswinkel, das Fuhrgeschäft von Gebrüder Besckow, die Brauerei von Scholtz in Breslau, das Tabaksgeschäft von Prätorius, die Schraubenfabrik von Ludewig, die Holzhandlung von Gebrüder Sarau in Potsdam, die Brillenfabrik von Emil Busch in Rathenow, die Böttcherei von Wunderlich in Zwickau etc. Alle diese Geschäfte wurden ihren Inhabern um Summen abgekauft, welche Jene noch kurz vorher sich nicht hatten träumen lassen, und nun als Aktiengesellschaften mit einem so riesigen Capital belastet, daß eine Rentabilität in Zukunft unmöglich war.

Gewisse Verkäufer, wie Wöhlert und Andere, ließen vor Freude über die ungeheuere Kaufsumme, welche ihnen zugefallen; Beträge bis 50,000 Taler und mehr unter ihre früheren Beamten und Arbeiter verteilen. Verschiedenen dieser „gegründeten“ Fabrikherren dagegen war beim Essen der Appetit gewachsen, und um ihre Muße ordentlich auszunutzen, gingen sie selber unter die Gründer, mit denen sie nun brav wetteiferten. So taten z. B. Egells, Stobwasser, Schering, Webers, Schwendy etc.

Auch die Etablissements und Geschäfte zweiten und dritten Ranges kamen an die Reihe. Auch sie wurden entweder aufgesucht, oder sie suchten selber nach Gründern umher. Ihre Besitzer waren zuweilen verschuldet, oder sie standen gar schon auf der Kippe, oder sie trachteten doch, den günstigen Zeitpunkt wahrzunehmen. Sie traten mit einem Bankhause oder mit einem namhaften Gründer direkt in Verbindung, oder sie übertrugen die Vermittelung einem Agenten, der sich nun von beiden Teilen eine erkleckliche Provision ausbedingte. Wollte der Besitzer oder der Agent die Gründung selber in die Hand nehmen, so mußte er Verbündete und Patrone gewinnen, die man an der Börse kannte und respektierte. Es mußten Namen angekauft werden, und diese waren nicht billig. So bot man dem Chef eines Bankhauses, wenn er den ihm vorgelegten Gründungsprospekt mit unterzeichne, die runde Summe von 10,000 Talern. Aber er entgegnete mit vornehmem Lächeln, daß seine Unterschrift um diesen Preis noch nicht zu haben sei.

Wie es Gründerbanken gab, so gab es auch eine ganze Anzahl von Personen, die das Gründen als Beruf erfassten und dabei so gut fuhren, daß sie bald die öffentliche Aufmersamkeit auf sich zogen. In einer Posse, die damals auf der Kroll’schen Bühne erschien, fragt der Vater seinen Sohn: „Was willst Du werden?“ „Gründer!“ ruft der kleine Bursche, zum Entzücken des Publikums, das wütend Beifall klatschte. – Von diesen professionellen Gründern hatten manche ihr besonderes Fach. Der Eine gründete hauptsächlich Bauvereine, der Zweite Brauereien, der Dritte Banken, der Vierte Maschinenfabriken, der Fünfte Berg- und Hüttenwerke, und so fort. Die Mehrzahl freilich trieb ihre Kunst sonder Auswahl und Beschränkung auf allen möglichen Gebieten. Manche genossen den Ruf besonderer „Feinheit“ und „Gerissenheit“, oder sie hatten doch lauter Erfolge aufzuweisen, so daß man sich bei neuen Unternehmungen eifrig um sie bemühte, sie zum Gelingen der Gründung für unentbehrlich hielt. Andere wieder verstanden es, sich bald hier bald dort einzudrängen; oder man ließ sie zu, um ihnen den Mund zu stopfen, damit sie das Projekt nicht etwa befehden und schädigen möchten. Endlich bildeten die Gründer verschiedene Cliquen, die gewöhnlich zusammenhielten, und wo der Eine dafür sorgte, daß der Andere nicht vergessen wurde. Gewisse Gründer und Gründercliquen werden wir bei Gelegenheit vorführen.

Der Gründungsprozess selber war mehr oder weniger verzwickt und weitläufig. Wir wollen ihn an einem Beispiele illustrieren. Aus den zahllosen Gründungen jener Tage greifen wir Eine heraus, die wohl als Muster der Gattung gelten darf. und verändern nur die Namen. – Fabrikbesitzer Flau und Gründer Hecht sind durch einen Aufspürer oder Agenten einander zugeführt worden. Flau will seine Fabrik verkaufen, die einen reellen Werth von 250,000 Talern haben mag. In Anbetracht der Zeitverhältnisse und der eigentümlichen Umstände fordert und erhält er aber dafür 400,000 Taler. Das heißt, er erhält sie einstweilen noch nicht. Er überlässt die Fabrik für diesen Preis dem Gründer Hecht mittelst eines sogenannten Schlussscheins, der in der Regel nur eine einseitige Verpflichtung enthält und die Gültigkeit des Abkommens auf einen gewissen Zeitraum beschränkt. Während der nächsten vier oder sechs Wochen steht die Fabrik für die genannte Summe zur Verfügung Hecht’s; Flau darf sie nicht anderweit veräußern, wohl aber ist Hecht befugt, von dem Vertrage, sobald es ihm beliebt, ohne jedes Reugeld zurückzutreten. Den Schlussschein in der Tasche, verständigt sich Hecht mit seinen Kameraden und Geschäftsfreunden; die Rollen des Gründungscomités, der ersten Zeichner, des Aufsichtsrats und Vorstandes werden verteilt, und es beginnt jetzt, um dem Gesetz in der Form zu genügen, eine Reihe von Komödien. Als „Gründungskomité“ treten Hirsch und Wolf auf. Sie schließen eine offene Handelsgesellschaft, die sie etwa „Cyklop“ nennen, und verlautbaren vor einem Notar das Statut oder den Gesellschaftsvertrag. Als Gegenstand des Unternehmens geben sie den Erwerb einer Maschinenfabrik oder dergleichen an – der Zweck der Gesellschaft wird gern so unbestimmt und vieldeutig wie nur möglich ausgedrückt, damit man hinterher aus ihr Jedes und Alles machen kann. Noch an demselben Tage kaufen sodann Hirsch und Wolf die Maschinenfabrik von vormals Flau; sie erwerben sie von Hecht für den soliden Preis von Einer Million Taler, nachdem sie vorher im Statut das Aktienkapital auf 1,200,000 Taler festgesetzt haben. Der Überschuss von 200,000 Talern soll als „Betriebskapital“ dienen, um der Fabrik noch einen höheren Aufschwung zu geben. Noch an demselben Tage findet, wieder unter Zuziehung eines Notars, die erste sogenannte „konstituierende Generalversammlung“ des „Cyklop“ statt. Es sind anwesend: Hecht, Hirsch und Wolf, dazu noch Fröhlich und Selig, und Grün und Gelb; zusammen also sieben Personen.

Diese Sieben sind die ersten „Aktionäre“ des „Cyklop“, die „ersten Zeichner“, welche das Aktienkapital von 1,200,000 Taler aufbringen, das heißt, wie man sehen wird, bloß auf dem Papier. Hecht zeichnet 300,000 Taler, Hirsch und Wolf je 200,000 Taler, Fröhlich und Selig je 150,000 Taler, und Grün und Gelb je 100,000 Taler. Macht zusammen wie oben. Die sieben Aktionäre und ersten Zeichner genehmigen einstimmig das ihnen vorgelegte Gesellschaftsstatut, und ebenso einstimmig genehmigen sie den Erwerb der Fabrik von vormals Flau für 1,100,000 Taler, sowie die Zahlung dieser Summe an Hecht. Darauf wählen diese Sieben denn „Aufsichtsrat“ der Gesellschaft, der nach dem Gesetze mindestens aus drei Personen bestehen muss. Es werden mit großer Majorität: Fröhlich und Selig zu Mitgliedern und Wolf zum Präsidenten des Aufsichtsrats gewählt. Mit derselben überwältigenden Majorität wird Hecht zum ersten Direktor des „Cyklop“, und Hirsch zu seinem Stellvertreter ernannt. Die fünf Würdenträger nehmen an dem langen Tische des Vorstandes Platz, und auf den Bänken der Aktionäre sitzen nur noch – Grün und Gelb. Der amtierende Notar aber hat den Verlauf der Generalversammlung protokolliert und gehörig überwacht; er hat die Versammelten mit seinem juristischen Rate unterstützt, und namentlich darauf gesehen, daß die verschiedenen Genehmigungen, Versicherungen und Wahlhandlungen in vorschriftsmäßiger Form geschahen.

Nach diesem öffentlichen Schauspiele, zu dem freilich auch nur die Akteure, keine unbetheiligten Zuschauer zugelassen werden, macht man das Weitere hinter den Kulissen ab, und zwar so heimlich, daß es noch kein Staatsanwalt und kein Richter hat erforschen und erweisen können. Indem Flau nicht direkt, sondern zunächst an Hecht, und dieser wieder an das Gründungskomité verkauft, ist eine Mittelperson gewonnen und so dem Gesetze eine Nase gedreht; denn „es ist ein unanfechtbarer Rechtsgrundsatz, daß Jeder verkaufen und kaufen darf, zu welchem Preise er wolle, und daß es auch Niemanden etwas angeht, was der Verkäufer mit der Kaufsumme mache.“

Die gesammten 1,200,000 Taler Aktien werden dem Bankhause Gebrüder Israel, das gleichfalls zu den Gründern gehört, aber von den offiziellen Verhandlungen sich fern gehalten hat, zum Vertriebe übergeben. Die Zeichnungen der sogenannten ersten Zeichner sind bloße Scheinzeichnungen; Gebrüder Israel schießen die zehn Prozent des Grundkapitals vor, die nach dem Gesetze mindestens eingezahlt werden müssen, und darauf geschieht die Eintragung des „Cyklop“ in das Handelsregister. Binnen einigen Wochen oder Monaten ist es den Gebrüder Israel gelungen, die Aktien zum Theil über, zum Theil unter Pari (100) abzusetzen, das heißt dem Publikum aufzudrängen. Sie bringen von dem Erlös ihre Provision in Abzug, welche etwa 16? Prozent oder 200,000 Taler beträgt, und führen den Rest von 1,000,000 Taler an den Direktor des „Cyklop“, Herrn Hecht ab, welcher nun die Teilung des Raubes vornimmt.

Grün und Gelb sind bloße Statisten gewesen und erhalten jeder 10,000 Taler, zusammen also 20,000 Thlr.
Fröhlich und Selig haben größere Ansprüche, weil sie höhere Summen zeichneten und außerdem als Aufsichtsräte fungieren; auf sie entfallen je 20,000 oder zusammen 40,000 „
Hirsch und Wolf endlich sind die beiden Intimusse von Hecht, mit denen er stets zusammengeht, und die ihn nächstens bei Gründungen, wo Einer von ihnen die Hauptrolle spielt, in gleicher Weise zuziehen und „beteiligen“. In Anbetracht dessen, in Erwägung ihrer Zeichnungen und mit Rücksicht aus ihre einflussreichen Stellungen als Präsident des Aufsichtsrats und resp. stellvertretender Direktor erhalten Wolf und Hirsch je 50,000 oder zusammen 100,000 „
Hecht zahlt also an seine Verbündeten 160,000 Thlr.
und da er von Gebrüder Israel 1,000,000 „
empfangen, bleiben noch 840,000 Thlr.
Hierin stecken die Kaufsumme für Flau mit 400,000 Thlr. und das Betriebskapital mit 200,000 Thlr., gleich 600,000 „
so daß Hecht selber etwa 240,000 Thlr.

profitieren würde. Es ist jedoch sicher anzunehmen, daß er auch mit Flau ein geheimes Abkommen getroffen hat und an diesen nicht 400,000 Taler voll, sondern höchstens 350,000 Taler zahlt. Ähnlich verhält es sich mit dem „Betriebskapital“ von 200,000 Talern, dessen Schicksal ganz in den Händen des Direktors Hecht und seines Stellvertreters Hirsch ruht und das in der Regel schon im ersten Geschäftsjahr der neuen Gesellschaft wegzuschmelzen pflegt, wie der Schnee im April. Was Wunder, wenn die mit 100 an der Börse eingeführten Aktien des „Cyklop“ schnell auf ein Sechstel des Nennwerts sinken?! Was Wunder, wenn nach einem Jahre der „Cyklop“ bereits um seine Existenz ringt, zu einer Anleihe schreiten muss, oder gar in Konkurs gerät, und die Aktionäre auch nicht einen Heller mehr retten?!!

Der Leser aber darf überzeugt sein, daß diese Vorgänge und diese Zahlen keinem bloßen Phantasiegebilde entnommen sind, sondern auf Thatsachen beruhen, die sich hundertmal wiederholt haben, und bei dem Gründungstreiben überhaupt die Regel bildeten. Jene Summen sind durchaus nicht übertrieben, sondern die Gründer haben in vielen Fällen noch weit größere Beute-Anteile davon getragen; ja es ist, namentlich bei Banken und Bergwerken, mehrfach vorgekommen, daß überhaupt gar kein oder doch nur ein eingebildetes, in Wahrheit völlig wertloses Gründungsobjekt vorhanden war, das aber trotzdem die Aktionäre mit Millionen bezahlt haben.

Man gestatte uns, noch einen Augenblick zum „Cyklop“ zurückzukehren um daran einige Erläuterungen zu knüpfen. Herr Hecht konnte die Gründung nicht allein vollführen Er bedurfte dazu der anderen Personen als seiner Gehilfen. Um die Posse der „konstituierenden Generalversammlung“ in Szene zu setzen, um den obligaten „Aufsichtsrat“ und „Vorstand“ wählen zu können, sind mindestens sieben bis zehn Schauspieler nöthig. Dieses müssen Leute von Vermögen oder Credit sein, sonst vertreibt kein namhaftes Bankhaus die Aktien, sonst findet das „Effcet“ an der Börse keinen Anklang und überhaupt kaum Aufnahme. Selbstverständlich giebt sich nun aber zu solchem Diensten Niemand umsonst, Niemand aus bloßer Gefälligkeit her – am wenigsten ein Geldmann, sondern wer beim Gründen hilft, verlangt auch seinen Anteil. Und mit Recht. Denn jeder Mitgründer trägt eine moralische wie eine gesetzliche Verantwortlichkeit, die ihm Geld und Freiheit kosten kann, Achtung und Ehre meistens gekostet hat, und wenn er als „erster Zeichner“ auftritt, übernimmt er auch immer ein Risiko. Selbst wo er nur zum Schein zeichnet, wo z. B. das angeworbene Bankhaus für ihn die Einzahlung leistet, bleibt er demselben doch verhaftet, falls die Gründung verunglückt, oder die Aktien nicht abgesetzt werden. Daher sind alle die Personen, welche je beim Gründen irgend wie Paten standen, dafür auch bezahlt worden, und in der Regel überreichlich. Auch pflegten sich die „ersten Zeichner“, gleichviel ob wirkliche oder nur Scheinzeichner, außerdem noch gewisse einträgliche Vorrechte nach der Zukunft hin zu wahren, z. B. für den Fall der Ausgabe neuer Aktien, worauf wir seiner Zeit näher eingehen.

Verkaufte der Besitzer direkt, oder unternahm er selber die Gründung, so hatte er natürlich seine Helfershelfer abzufinden und stellte dem gemäß die Verkaufssumme oder das Aktienkapital so hoch wie nur irgend angänglich. „Lieber etwas mehr Capital!“ war fast überall die Losung, und die Vorstände gewisser Aktiengesellschaften, die nachher in Konkurs gerieten oder zur Liquidation (Auflösung) schreiten mußten, suchten sich dann mit der Behauptung zu entschuldigen: „das Aktienkapital sei zu klein gewesen“ (!). Man tat es in der Regel nicht unter einer Million, da man sonst nicht die Gründungsspesen herausschlug, und weil es sonst auch nicht recht lohnte, damit an die Börse zu kommen. Weil man bloß „gründete“, um zu gründen, mußte man die Leitung der Fabrik oder der Bank etc. oft in den Händen des Verkäufers lassen. So heißt es in dem Prospekte der „Märkisch-Schlesischen Maschinenbau- und Hüttenaktiengesellschaft, vormals F. A. Egells“: „Die Mitwirkung der früheren Besitzer ist für das neue Unternehmen gesichert.“ Und in der Ankündigung der so berüchtigt gewordenen „Thüringer Aktiengesellschaft für Fabrikation von Eisenbahnmaterial, Erfurt-Gotha“ – eingeführt durch die Bankhäuser Rauff und Knorr und S. Frenkel, die beide noch eine Reihe ähnlicher Gründungen leisteten – liest man: „Der bisherige Chef der Fabrik in Erfurt, Herr Julius Unger, eine technische Autorität für Eisenkonstruktionen, ist für die Oberleitung des neuen Unternehmens gewonnen, dem damit die Erfahrungen und Verbindungen des alten zu Gute kommen.“ Der Verkäufer oder Vorbesitzer, der nicht selten ja der eigentliche Gründer war, ließ sich in vielen Fällen zum Präsidenten des Aufsichtsrates oder zum Direktor der neuen Aktiengesellschaft ernennen. Als solcher bezog er dann einen Ministergehalt und eine vielleicht noch höhere Tantième und verfuhr im Übrigen nach Willkür und Belieben. Entweder er tat gar nichts und ließ die Dinge gehen, wie sie wollten, oder er tat zu viel, begann zu bauen und zu vergrößern, schaffte die teuersten Maschinen an, experimentierte in der kostspieligsten Weise und verschwendete in Materialien und Löhnen – lauter Dinge, vor denen er sich früher wohl gehütet hatte.

Um bei einer Gründung vorsichtig und sicher zu gehen, um sich gegen Verluste und Rückschläge zu decken und um das Risiko möglichst zu teilen – bildete man wohl auch nicht bloß ein Konsortium (Genossenschaft), sondern mehrere hintereinander. Der interessanteste Fall dieser Art ist der folgende. Herr A., ein in Geschäften sehr gewandter und darin auch stets äußerst glücklicher Mann, verband sich im November 1871 mit guten Bekannten zur Gründung eines „artistischen“ Unternehmens. Nachdem die Zeichnungen geschehen, verkaufte das erste Konsortium die Aktien an ein zweites Konsortium zum Kurse von 75, worauf sie ein drittes Konsortium zum Kurse von 85 übernahm, und sie einem vierten Konsortium zum Kurse von 93 überließ. Dieses endlich führte die Aktien an der Börse ein zum Kurse von – 110 und schlug sie zu diesem Preise auch wirklich los. Der Leser schüttelt verwundert den Kopf. Aber er wird sich erst recht wundern, wenn er hört, daß der geschickte Herr A. allen vier Konsortien angehörte. In der Tat, Herr A. trat viermal hintereinander zugleich als Verkäufer und als Käufer, als „Geber“ und als „Nehmer“ auf, und verdiente natürlich jedesmal doppelt, nach rückwärts wie nach vorwärts hin. – Übrigens war die Gründung trotz alledem keine eigentlich unsolide. Nein, sie ist vielleicht die solideste der ganzen Periode. Denn die Gesellschaft hat seit drei Jahren regelmäßig zehn Prozent Dividende verteilt, und ihre Aktien stehen selbst heute, wo die Börse an der galoppierenden Schwindsucht darnieder liegt und die Mehrzahl aller Effekten am Kurse fast neun Zehntel eingebüßt hat, circa – 120! Die Moral von der Geschichte aber mag der Leser selbst herausfinden.