Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 02. Der Tanz um das Goldene Kalb.

„Das Capital hat kein Vaterland!“
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Tanz um das Goldene Kalb, Feldzug gegen Frankreich, Begeisterung und Opfermut, Börse, vaterlandsloser Charakter, Börsenzinsen
Niemand – auch unsere lorbeergekrönten Feldherren nicht – Niemand ahnte und konnte ahnen die beispiellos schnellen und gewaltigen Erfolge, womit der Feldzug gegen Frankreich begann. Aber von vornherein war das deutsche Volk voll Hoffnung und Vertrauen, und es zeigte eine Begeisterung und einen Opfermut, die wahrlich an die Zeit der Befreiungskriege erinnerten. Ganz anders die Börse. Dank ihrem „internationalen“, das heißt vaterlandslosen Charakter wusste die Börse sich vor Angst und Zweifel nicht zu lassen. Noch hatte der Kampf nicht einmal angefangen, da ließ die Börse schon konsolidierte preußische Staatsanleihe, also ein Papier, das nur mit dem preußischen Staate selber fallen kann, und das heute mit circa 105 notiert wird, bis aus 80 stürzen!! In Folge dieses Börsenfiebers wurden auch die jeden Augenblick einlösbaren Noten der Preußischen Bank im Klein- wie im Groß-Verkehr vielfach zurückgewiesen, und das Silber- und Gold-Agio (Aufgeld) erstieg eine unsinnige Höhe.
Einmütig bewilligte der Reichstag die Mittel zur Führung des Krieges, die 120 Millionen-Anleihe des norddeutschen Bundes, und der Reichskanzler legte dieselbe zu dem sehr bescheidenen Kurse von 88 auf. Aber was geschah?! – Die Zeichnungen fielen höchst kläglich aus; an der Berliner Börse wurden ganze drei Millionen gezeichnet. Die Börse traute dem norddeutschen Bunde nicht; außerdem fanden die Börsen-Matadore den Subskriptionspreis von 88 noch nicht niedrig genug, und überhaupt grollten sie dem Reichskanzler, daß er dem preußischen Finanzminister, und nicht ihnen, das „Geschäft“ übertragen hatte. Es schien den Herren, daß nichts zu „verdienen“ sei; man intriguierte sogar gegen die Anleihe, und daher rührt der Misserfolg.

Am 4. August lag die Anleihe zur Subskription auf, und am selben Tage erstürmte der Kronprinz von Preußen die Linien von Weißenburg. – Ach, wäre dieser glänzende Sieg doch schon bekannt gewesen, um wie viel „patriotischer“ hätte sich dann die Börse bewiesen! Gewiss, die Anleihe wäre voll gezeichnet; nein, zehnmal überzeichnet worden! Wie lüstern schielten die Herren jetzt nach dem noch unbegebenen Rest der Anleihe! Aber der Finanzminister sagte: Mit nichten! und gab diesen Rest zu weit höherem Course der preußischen Seehandlung ab, die trotzdem ein gutes „Geschäft“ machte, denn wie bekannt, ging die norddeutsche Bundes-Anleihe bald über Pari (100).

„Das Capital hat kein Vaterland!“ – dies ist die wahre Gesinnung, der offne Wahlspruch der Börse, und demgemäß handelte auch einer ihrer Angehörigen, der Banquier G ........ in Berlin, indem er, noch während wir mit Frankreich im Kriege lagen, flott auf die französische Anleihe zeichnete. Erst der Staatsanwalt und die Anklage auf Landesverrat konnte ihn zum Bewußtsein seiner preußischen Staatsangehörigkeit bringen.

Es folgten die Siege von Wörth und Spicheren; es kam der Tag von Sedan – und nun war Niemand „patriotischer“, Niemand von Jubel so voll und so toll wie die Börse. Während unsere Soldaten den Feind vor sich hertrieben. trieb die Börse die Kurse in die Höhe; während die französischen Gefangenen Deutschland überschwemmten, überschwemmte die Börse den Markt mit ausländischen Papieren. Zunächst führte sie die amerikanischen Eisenbahn-Prioritäten ein, immer eine nach der andern, die seitdem so berüchtigt gewordenen Alabama–Chattanooga, Oregon und California, Georgia Aid, Port Royal, Peninsular, Rockford Rock Island etc. etc., schließlich sechsundzwanzig an der Zahl. Diese famosen Prioritäten fanden in Amerika selber keine „Nehmer“. Folglich mußte Deutschland damit beglückt werden, wo sie in der Hauptsache auch wirklich untergebracht sind. Zum Kurs von 70 (namentlich in Berlin und in Frankfurt am Main) eingeführt, stehen sie heute durchschnittlich etwa 15 bis 20, weil sie fast alle keine Zinsen mehr zahlen; viele werden gar nicht mehr notiert, da sie völlig unverkäuflich sind, denn die betreffenden Bahnen haben Bankrott gemacht, oder sie liegen unvollendet in Ruinen da. Auf diesem Wege sind an 100 Millionen Taler ins Ausland geflossen, und nicht viel weniger dem deutschen Publikum aus der Tasche gestohlen worden. Aber die Lockpfeife der Börse klang auch gar so süß! Die Prioritäten versprachen einen Zinsgenuss von acht bis zwölf Prozent; sie konnten und mußten noch bedeutend im Kurse steigen; sie wurden dem Kapitalisten als eine feste Anlage empfohlen, und von diesem sehr häufig mit den sogenannten amerikanischen Bonds, den Schuldverschreibungen der nordamerikanischen Union verwechselt, also für ein Staatspapier genommen, das sich inzwischen bewährt hatte.

Nach den amerikanischen Prioritäten debütierte die Börse mit einer Sorte von Aktien, gegen welche selbst die Strousberg’schen Fabrikate solide genannt werden müssen. Es handelte sich um Eisenbahnen, von deren Existenz bisher Niemand in Deutschland eine Ahnung gehabt hatte, wie Lüttich–Limburg, Schweizer Union, Tamines–Landen. Schon der Einführungskurs (18 bis 24) ließ auf den eigentlichen Werth der Ware schließen; aber eben dieser niedrige Kurs verführte zum Kaufen „Das Effekt ist so billig, daß es steigen muss!“ ließen die beteiligten Bankhäuser austrompeten, und auch der kleine Mann, auch Hausknechte und Wäscherinnen gaben ihre Sparpfennige für Schweizer Union und Tamines–Landen her. Dazu hatten die Papierchen noch einen besonderen Ausputz: Sie, die nie einen Heller Dividende gegeben und nie einen geben werden, sie wurden trotzdem mit vier Prozent Zinsen gehandelt, und zwar dem vollen Nennwert nach. 24 oder gar 18 Taler wurden angeblich mit 4 Talern, 100 Taler also mit 16 bis 24 Prozent verzinst. Das sind die sogenannten „Börsenzinsen“ – natürlich eine bloße Fiktion. Der glückliche Besitzer zahlt die enormen Zinsen an sich selber, aus seiner eigenen Tasche. Diese federleichten Aktien wurden nun zu reinen Spielpapieren, auch in der Hand des Privatmannes, denn Jeder wollte an ihnen nur verdienen, die übermäßigen Zinsen einstreichen und außerdem womöglich noch am Kurse profitieren. Wirklich wurden Lüttich–Limburg und Schweizer Union bis auf 35 hinaufgetrieben, aber heute stehen sie nur 10* und respektive 7, während Tamines–Landen glücklich bei 3* (sage drei!) angelangt sind. Man sieht, die Börse kann Alles brauchen, und sie versteht es, in ihren Netzen Groß wie Klein einzufangen.

Trotz der Menge von fremden Effekten, die sämtlich unter die Leute gebracht wurden, verspürte man doch Mangel, und man diesem abzuhelfen, beschloß man, neue Papiere zu machen. Man schuf „neue Werte“; man legte sich aufs Gründen.

Noch tobte der Krieg, da begannen schon die Gründungen emporzuschießen, wenn auch noch schüchtern und scheu, wie die ersten Gräschen im März. Noch im Jahre 1870 erblickten, Dank dem eben fertig gewordenen Aktiengesetz, in Preußen vierunddreißig neue Aktiengesellschaften das Licht der Welt. Die meisten davon kamen natürlich aus Berlin, und fast alle fanden Eingang an der Berliner Börse. Doch dies war nur ein kleines Vorspiel. Das eigentliche Drama begann 1871, erreichte seinen Höhepunkt 1872 und fand den Abschluß erst in der zweiten Hälfte 1873, erst viele Monate nach dem Wiener „Krach.“ Auch nach dem „Großen Krach“ fuhr man in Berlin noch munter zu gründen fort. Und darum ist es nöthig, schon jetzt eine viel verbreitete und von mehreren Seiten eifrig genährte Ansicht zu berichtigen: als ob nämlich die Berliner Börse im Gründen hinter ihrer Wiener Schwester zurückgeblieben wäre. Just das Gegentheil! In Berlin ist weit mehr gegründet, und dabei mindestens ebenso viel gesündigt worden wie in Wien.

Kaum war der Friede geschlossen, als die Börse ihren Freudentanz begann, den verzückten rasenden Tanz um das Goldene Kalb. Es tanzten die „großen Häuser“ vor; es tanzten die „kleineren Häuser“ nach, und an die Meister und Lehrer schloss sich ein großer tagtäglich wachsender Schwarm von Jüngern und Anhängern, darunter Leute jedes Standes und jeder – Religion. Man tanzte von früh bis spät; man tanzte mit Schreien und Jauchzen durch Monde und Jahre. Nur ein paar Mal brach der wüste Reigen jäh ab. So Ausgang 1871, Frühling 1872 und Spätherbst 1872. Die Tänzer erbleichten und erbebten plötzlich; sie hielten den Atem an und lauschten, aber es blieb still. Der Himmel schien noch immer blau, und so tanzte man weiter. Als nun im Mai 1873 das Ungewitter endlich in Wien losbrach, da wollte man in Berlin die grausen Donnerschläge nicht hören, die den ganzen Himmel überflutenden und die Erde lies aufwühlenden Blitze nicht sehen, sondern man versuchte auch jetzt noch fortzutanzen. Aber der Boden wankte – die Tänzer stürzten nieder und viele standen nicht mehr auf.

Die fünf Milliarden nebst Zinsen, welche Fürst Bismarck, unter Assistenz des Herrn Gerson-Bleichröder, von Thiers und Favre erstritt, betrachtete die Börse von vornherein als ihr Eigenthum, indem sie meinte, diese fabelhafte Summe müsse ihr direkt oder indirekt zufließen. Dazu verkündete sie einen unendlichen Aufschwung in Handel und Wandel, ein unendliches Steigen der Preise von Grund und Boden. Nach der Behauptung der Börse und der mit ihr verbündeten „Volkswirte“ waren wir Alle, vom Kaiser bis zum Bettler, plötzlich reich geworden, das Nationalvermögen hatte sich verzehnfacht, und um dieses kolossale Plus nicht brach liegen zu lassen, mußten damit neue Unternehmungen ins Leben gerufen, mußten „neue Werte“ geschaffen werden.

Und es geschah also. Während der beiden Jahre 1871 und 1872 wurden in Preußen zusammen etwa siebenhundertachtzig Aktiengesellschaften gegründet. Um diese Zahl gehörig zu würdigen, muss man wissen. daß von 1790 bis 1870, das heißt in achtzig Jahren, zusammen nur circa dreihundert solcher Gesellschaften entstanden sind. Während der beiden Jahre 1871 und 1872 kam also in Preußen auf jeden Tag durchschnittlich eine Gründung. Diese siebenhundertachtzig Aktiengesellschaften wurden zum größten Teile in Berlin gegründet oder doch mitgegründet und fast alle an der Berliner Börse eingeführt, während die Zahl der Gründungen und Emissionen in Österreich-Ungarn für denselben Zeitraum nur gegen vierhundert beträgt. Somit ist der Beweis geführt, daß die Gründungsepidemie in Berlin weit ärger gewütet hat als in Wien.

Zu den Firmen, welche sich mit Gründungen befassten, gehören in erster Reihe folgende: S. Bleichröder und Diskonto-Gesellschaft, Berliner Handelsgesellschaft, G. Müller u. Comp., und H. C. Plaut, S. Abel jun., Jakob Landau, Julius Alexander, Delbrück, Leo u. Comp., F. W. Krause u. Comp., Platho u. Wolff, Ries u. Itzinger, Robert Thode u. Comp., A. Paderstein und Eduard Mamroth, Soergel, Parrisius u. Comp. und Norddeutsche Grund-Kreditbank, Meyer Ball, Karl Coppel u. Comp., Meyer Cohn, Feig u. Pincus, Hirschfeld u. Wolff, Joseph Jacques, Moritz Löwe u. Comp. etc.

Diese Firmen vollbrachten, einzeln oder in Gruppen vereint, die Kreuz und Quer, mit- und durcheinander die größten und wuchtigsten Gründungen. S. Bleichröder und Diskonto-Gesellschaft, die bekanntlich einen Weltruf und Verbindungen über die ganze Erde haben, gründeten häufig in Verbindung mit dem Hause Rothschild und der Österreichischen Kreditanstalt, mit Wilhelm Behrens in Hamburg, Wilhelm von Born in Dortmund. Mewissen und Freiherr Abraham von Oppenheim in Köln etc., und diese Gründungen erstrecken sich nicht nur über ganz Deutschland, sondern auch über Österreich-Ungarn, Russland, Schweiz, Italien, Frankreich etc. Bei der „Zentralbank für Handel und Industrie“, die deshalb in Börsenkreisen auch die Bezeichnung „Repräsentationsbank“ erhielt, beteiligten sich wohl ein paar Dutzend Bankhäuser und Bankinstitute in Berlin, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, München, Wien, Pest, Hamburg, Mailand und Rom – und man könnte hiernach fast auf den Gedanken kommen, daß solche Gründung doch ein äußerst schwieriges und mühsames Werk ist. Berliner Gründer waren in der Regel auch in der Provinz überall mit tätig, wo sie in Verbindung mit den Eingeborenen eine Unzahl von Gründungen, und darunter die bösesten, verübten. So namentlich in Stettin, Breslau, Görlitz, Grüneberg, Posen, Magdeburg, Hannover, Erfurt, Mühlhausen, Leipzig, Dresden und Chemnitz.

Ferner zeichneten sich durch die Menge der Gründungen folgende Banken aus, von denen merkwürdiger Weise die meisten soeben selber gegründet waren: Deutsche Unionbank, Zentralbank für Handel und Industrie, Berliner Bank, Berliner Bankverein, Berliner Wechslerbank, Deutsche Bank, Zentralbank für Genossenschaften, Allgemeine Depositenbank etc. Sie haben alle viel gesündigt und viel zu verantworten, aber sie waren noch lange nicht die schlimmsten. Als solche, als eigentliche Gründerbanken, die das Gründen gewerbsmäßig und zum Theil fast ausschließlich betrieben, kennt und nennt man Gewerbebank H. Schuster und Compagnie, Zentralbank für Bauten, Preußische Bodenkreditaktienbank und Vereinsbank Quistorp. Der besseren Übersicht halber wollen wir diese Gründerbanken schon jetzt skizzieren:

Die Gewerbebank H. Schuster und Compagnie ist sehr berühmt geworden durch die Lasker’schen „Enthüllungen“ am 7. Februar 1873; weit berühmter, als sie es eigentlich verdient. Sie tat sich 1864 mit einem bar eingezahlten Capital von zweihundertfünfzigtausend Talern auf, ging aus konservativen Kreisen hervor und betonte als ihren Zweck „die Hebung des Kredits von Handwerkern und Fabrikanten.“ Gewiss ein höchst ehrenwerter Zweck und ein Institut, das einem wahrhaften Bedürfnisse entsprach! Zu den Gründern gehörte der frühere Chefredakteur der „Kreuzzeitung“, der damalige Justizrath Herr Wagener, später Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat und vortragender Rat beim Staatsministerium. Die Bank scheint auch mehrere Jahre hindurch ein ganz solides Geschäft betrieben zu haben, bis sie dem Gründungsschwindel verfiel und ihr Capital von ursprünglich einer Viertel Million rasch auf sechs Millionen erhöhte. Der persönlich haftende Gesellschafter, Herr Schuster, gründete mit zwei Aufsichtsräten der Bank, den Herren Oder und Wagener, unmittelbar nach Ausbruch des neuen Aktiengesetzes die famose „Pommersche Zentralbahn“, deren Aktien, mit hundertzwei und einhalb an der Börse eingeführt, heute 4 Brief stehen, das heißt mit vier zu haben sind, aber auch dafür noch keinen Käufer finden. Das überaus kunstvolle Gewebe dieser Gründung, bei welcher das Gesetz ein Dutzend Mal in der ergötzlichsten Weise umgangen ist, enthüllte, als die Krisis bereits heranzog, eben Herr Lasker. Der Fall „Schuster-Oder-Wagener“ machte, weil er der erste war, der zur öffentlichen Sprache kam, ein gewaltiges Aufsehen, und namentlich die Berufsgenossen der Attentäter, die Gründer und ihre Helfershelfer, wussten sich vor Entrüstung und Abscheu nicht zu lassen. An der Börse aber witzelte man ganz laut: Herr Wagener verdiene sein Schicksal, weil er es so billig gemacht habe – um lumpige vierzigtausend Taler, die er noch mit Oder und Schuster teilen müsse. – In der Tat war Herr Wagener ein bloßer Dilettant, nicht wert, den eigentlichen Gründern die Schuhriemen aufzulösen, und neben der „Pommerschen Zentralbahn“ hat die Gewerbebank Schuster noch eine ganze Reihe ähnlicher Gründungen vollführt, über die man bisher kein Wort verlor.

Da ist die „Schlossbrauerei Schöneberg“, sind die „Norddeutschen Eiswerke“ (vormals Bolle), und da ist der Bauverein „Tiergarten Westend“, von der Börse gleich bei der Einführung „Sumpfend“ getauft – lauter Gesellschaften, deren unglückliche Aktionäre heute über die Urheber Ach und Weh schreien. Dazu hatte die Gewerbebank H. Schuster und Compagnie über das ganze Land, vorzugsweise in den Mittel- und Kleinstädten, ein Netz von Filialen und Agenturen ausgeworfen, und in diesen Maschen fingen sich, angelockt durch das Aushängeschild „Gewerbebank“, ehrliche Land- und Handwerksleute, die ihr gutes Geld gegen buntbedrucktes Papier eintauschten, mit dem sie nun die Tabakspfeife anzünden können.

Eine der größten Blasen, die aus dem Hexenkessel emporstiegen, war die „Zentralbank für Bauten“, die zum Verfasser Herrn Eduard Mamroth hat. Sie erwarb und verkaufte Häuser und Baustellen, baute und übernahm Bau-Ausführungen, lieh Baugelder, handelte mit Baumaterialien, und betrieb daneben noch „Bank- und Handelsgeschäfte jeder Art“. Aber daran nicht genug, sie legte sich auch aufs Gründen; sie gründete in Berlin und außerhalb, sie gründete Eisenwerke und Eisengießereien, eine „Zentralfaktorei für Baumaterial“ und nicht weniger als vier Zweigbaugesellschaften: Ostend, Südend, City und Cottage. Nach zehnmonatlichem Bestehen verteilte die „Zentralbank“ bereits eine Dividende von dreiundvierzig Prozent – wie das gemacht wird, werden wir später erfahren – und in Folge dessen ging der Kurs im April 1873, kurz vor dem Krach, bis auf vierhundertzwanzig hinauf. Von dieser wahnsinnigen Höhe stürzte er in den nächsten sechs Monaten bis unter fünfzig. – Ein Gutsbesitzer hatte sein Gut verkauft und kam mit einem Barvermögen von zweihundertfünfzigtausend Talern nach Berlin, um hier als Rentier zu leben. Er ließ sich überreden, sein Kapital in der „Zentralbank“ anzulegen und kaufte zum Kurse von vierhundert für achtzigtausend Taler Aktien, die ihm also dreihundertzwanzigtausend Taler kosteten. Den Rest mit siebenzigtausend Talern schoss der Bankier bereitwilligst zu und behielt die Aktien als Unterpfand in Verwahrung. Der Kurs begann zu sinken und sank ohne Aufhören; der Bankier verlangte Deckung, und da diese nicht geleistet werden konnte, ließ er die Aktien im Wege der Exekution an der Börse verkaufen. Der ehemalige Gutsbesitzer hatte in noch nicht einem halben Jahre sein ganzes Vermögen verloren und war dem Bankier auch noch zwanzigtausend Taler schuldig. – So ging es mit der „Zentralbank für Bauten“, aber mit den Tochtergesellschaften ging es noch schlechter: Ostend, im Frühjahre 1873 auf hundertachtzehn, notiert jetzt fünfzehn; Südend, damals hundertsechsundzwanzig, jetzt neun, und Cottage, damals sechsundneunzig, heute eins, schreibe Eins. Wie schnell auch der Ruhm der Welt schwindet, noch schneller schwinden an der Börse die Kurse!

Die „Preußische Bodenkreditaktienbank“ besteht seit 1869 und hatte ihrem Namen entsprechend den Zweck: die Förderung des Realkredits, besonders durch Gewährung und Vermittelung von Hypotheken. Spekulationsgeschäfte waren ihr durch die Statuten ausdrücklich verboten. Als Direktor fungierte Herr Jachmann, Landrat außer Dienst und Gemahl der bekannten Sängerin und späteren Schauspielerin Johanna Wagner. Die Bank war an der Börse ziemlich unbekannt, bis sich Herr Richard Schweder ihrer annahm. Dieser kam von der „Diskontogesellschaft“, wo er nur eine bescheidene Stellung bekleidet hatte, und verstand es, sein Talent dermaßen geltend zu machen, daß ihn Herr Jachmann zum Mitdirektor erhob, ja bald vor ihm völlig in den Hintergrund trat. Herr Schweder wurde die Seele und das eigentliche Haupt der „Preußischen Bodenkreditaktienbank“. Als die Gründungsperiode anfing, ging sein Ehrgeiz darauf los, sich an der Diskontogesellschaft, die ihn nicht zu würdigen verstanden, zu rächen, und ihr womöglich den Rang abzulaufen. Wenn ihm dies auch nicht ganz gelang, so ward er ihr doch ein furchtbarer Nebenbuhler. Er ließ rasch hinter einander eine stattliche Zahl von Gründungen aufmarschieren, die alle an der Börse großen Anklang fanden und ihn dort zu einem gesuchten, vielumworbenen Manne machten. Wie ein Feldherr stand er an seinem Platze, neben ihm sein Adjutant, Herr Paradies, Beide mit Bleistiften bewaffnet und umdrängt, umflutet von Hunderten, die an dem auf den Markt gebrachten neuen „Effekt“ Alle „beteiligt“ sein wollten, Alle heißhungrig nach „Albertinenhütte“ (heutiger Kurs fünfzehn Brief) oder nach „Lindenbauverein“ (heute siebenzehn) oder nach „baltischen Waggons“ (heute eins Brief) schrieen. Daneben vermehrte Herr Schweder fortwährend das Capital der Bank, gab immer wieder neue Aktien mit immer höherem Agio aus, und diese Aktien wurden zu einem Hauptspielpapier der Börsenjobber.

Plötzlich fiel es Herrn Schweder ein, daß solche Spekulationsgeschäfte doch eigentlich gegen die Statuten der Bank verstießen, und um sein Gewissen zu entlasten, schuf er flugs eine andere Gründerbank, die sogenannte „Preußische Kreditanstalt“. Nun sah man das rührende Schauspiel, wie beide Banken, Mutter und Tochter, zärtlich Arm in Arm wandelten und gleichzeitig, gemeinschaftlich oder jede für sich, rechts und links neue Gründungen ausstreuten. Dieses schöne Paar war noch viel enger zusammengewachsen als die weiland so angestaunten siamesischen Zwillinge. Beide, Mutter und Tochter, hatten nur Einen Kopf, nämlich den Direktor Schweder, und beide hatten nur Eine rechte Hand, nämlich den Prokuristen Paradies. Herr Schweder und Herr Paradies blieben die Mignons der Börsenritter, bis sie im Frühjahre 1873 ihr letztes Kind, die Dannenberger’sche oder eigentlich, Liebermann’sche Kattunfabrik, in die Welt setzten. Die Börse geriet in Aufruhr; man umdrängte und verfolgte Herrn Paradies, aber diesmal nicht mit Bitten und Schmeicheleien, sondern mit Drohungen und Vorwürfen. Man überschüttete ihn mit Verbalinjurien und machte Miene, zu Realbeleidigungen überzugehen. Da erhob Herr Paradies seine Rockschöße und entfloh. Er lief durch den langen Saal der Fondsbörse und durch den langen Saal der Warenbörse in das Kündigungszimmer der letzteren und rettete sich hier vor den wutschnaubenden Verfolgern, welche die „Stücke“, mit denen man sie bei „Dannenberger“ „beteiligt“ hatte, um jeden Preis wieder los werden wollten. Der Dannenberger’sche oder richtiger Liebermann’sche Kattun, der in der Wäsche arg einlief und keine Spur von Farbe hielt, kostete der „Preußischen Bodenkreditaktienbank“ Ruf und Ansehen, und damit verlor sie auch jeden sittlichen Halt. Sie übertrug das ganze Sündenregister und wälzte alle Verluste auf die „Preußische Kreditanstalt“; sie wurde zu einer wahren Rabenmutter und trennte sich mit einem gewaltigen Schnitte von der Tochter, die seitdem ohne Kopf und ohne Hände, ein ungestalteter blutiger Rumpf, in einem dunkeln Winkel der Börse liegt.

Herr Schweder zog sich, nicht ganz freiwillig, ins Privatleben zurück, und ihm blieb der Trost einer – Million, die er, vorher ein armer Commis, in zwei bis drei Jahren verdient hatte.

Mit seinem Rückzuge sanken die von ihm bis zu zweihundertachtzig hinaufgetriebenen Aktien der Bank bis fünfundfünfzig und tiefer. Herr Paradies und Herr Jachmann folgten ihrem genialen Freunde bald nach, und auch sie gingen selbstverständlich nicht mit leeren Taschen. Zur Ehre des Herrn Jachmann sei’s gesagt: er war dem ganzen Gründungstreiben fremd geblieben – denn er verstand nichts davon. Er hatte immer nur seinen Namen unterschrieben, und dafür außer dem festen Gehalte eine Tantième bezogen, gegen welche das Jahreseinkommen z. B. des Reichskanzlers eine bloße Bagatelle ist. Noch muss hervorgehoben werden, daß die „Preußische Boden-Kreditaktienbank“ nicht bloß, wie andere Aktiengesellschaften, einen gewöhnlichen „Aufsichtsrat“, sondern ein – „Kuratorium“ hat, das die Direktion in ihrer Tätigkeit kontrollieren soll, daß also Herr Schweder seine statutenwidrigen Gründungen jahrelang unter den Augen des hohen „Kuratoriums“ beging, und daß an der Spitze desselben stand und noch heute steht: Seine Excellenz der Wirkliche Geheime Rath und Staatsminister a. D. Herr von B...., zugleich Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Mitglied des deutschen Reichstags. Außerdem fungiert nach Paragraph 56 der Statuten bei dieser Bank auch ein Staatscommissarius, der den Geschäftsbetrieb zu überwachen, aber, wie es scheint, sich auch nicht veranlasst gesehen hat, den Schöpfungsdrang des Herrn Schweder irgendwie zu zügeln. Erst unter Leitung der gegenwärtigen Direktion ist das Institut zu seiner ursprünglichen Bestimmung und zu einer soliden Tätigkeit zurückgekehrt, und seitdem hat sich auch der Kurs der Aktien wieder um das Doppelte gehoben.

Herr Schweder war groß, aber Herr Quistorp war noch größer. Erinnert jener an einen unverantwortlichen Premierminister, so ist dieser einem absoluten Monarchen zu vergleichen. Wie Napoleon Bonaparte schuf auch Heinrich Quistorp Alles selber und allein, und gewissermaßen Alles aus – Nichts. Nachdem er zunächst in seiner Vaterstadt Stettin und, wenn wir nicht irren, dann in England Schiffbruch gelitten, kam er ohne Mittel, ohne Bekanntschaften nach Berlin. Sein erster „Versuch“ war die Villencolonie „Westend“, belegen an der Chaussee nach Spandau, noch hinter Charlottenburg, auf einer kahlen sterilen allen Winden preisgegebenen Anhöhe. Hier steckte er Straßen ab, denen er die lieblichsten hochpoetischen Namen gab, wie Ahorn-Allee, Akazien-Allee, Platanen-Allee etc., und baute in jeder Allee ein oder gar zwei Häuser, zugleich aber auch ein Restaurant ersten Ranges, ein großartiges Casino und eine Wasserkunst. Trotzdem wollte sich kein Käufer, nicht einmal Mieter finden, und die luftigen Villen, bei deren Anblick man einen leichten Rheumatismus verspürte, wurden Jahre lang nur von Quistorp und seinen Freunden bewohnt. Anfangs 1870 gründete die „Westendgesellschaft Quistorp u. Comp.“ die „Vereinsbank Quistorp u. Comp.“ in Charlottenburg. Diese patriarchalische Ackerbürgerstadt, wo der Berliner „Sommer-wohnt“, sah sich plötzlich mit einer Bank beglückt, die hier jedoch schlechterdings nichts zu thun fand und deshalb bald nach Berlin wanderte. Damit beginnt Quistorp’s eigentliche Wirksamkeit. Er hatte es verstanden, für sich zu werben, er hatte bis zu den höchsten Kreisen hinauf Gönner und Freunde gefunden. Die in Charlottenburg wohnende Königin Wittwe, deren Frömmigkeit, Wohltätigkeit und Gutmütigkeit bekannt war, unterstützte ihn reichlich; auch andere Mitglieder der Königlichen Familie sollen ihm ansehnliche Summen vorgestreckt haben. Er wusste sich bei den Behörden, bei hochstehenden und einflussreichen Personen einzuschmeicheln, und namentlich gelang es ihm, auch bei der „Preußischen Bank“ Fuß zu fassen; er warb gewisse „Volkswirte“ und Literaten zu seinem Privatgebrauch an und bewog etliche Beamte, aus dem Staatsdienst in den seinigen überzutreten.

Hinter der Universität in einem philosophischen Winkel, kurz zuvor „Hegelplatz“ getauft, baute er sich und der Bank ein stolzes Palais und ließ von hier aus in rastloser Aufeinanderfolge an dreißig Gründungen und Emissionen in die Welt gehen: Feilen-, Tabaks-, Papier-, Waggon-, Fass-, Werkzeug-, chemische, optische und andere Fabriken, Bau-, Fuhr-, Pferde-Eisenbahn-, Brauerei-, Dampfschiffs-, Bergbau- und Hüttengesellschaften, die zum Theil in Berlin, zum Theil über ganz Deutschland saßen. Quistorp betonte, daß die „Vereinsbank“ die Gründungen nur „kommissionsweise“ betreibe, also selber nicht weiter dabei beteiligt sei und daß die jedesmaligen Verhältnisse von ihr genau geprüft würden, also eine unsolide Gründung gar nicht möglich sei. Von jeder Neu-Gründung bezog die „Vereinsbank“ Agio, so daß sie für 1871 nicht weniger als fünfzehn Prozent, 1872 sogar neunzehn Prozent Dividende verteilte. Alle diese Gesellschaften wurden mit der „Vereinsbank“ verknüpft, indem man den Actionären der letzteren immer ein Bezugsrecht auf die neue Emission einräumte und solches von ihnen auch stets benutzt ward, so daß sich zuletzt ein industrieller Rattenkönig gebildet hatte, in dessen Mitte Herr Heinrich Quistorp saß. Aber dieser Mann verstand’s, sich dermaßen als „Biedermeier“ aufzuspielen, daß er nicht nur das Publikum, sondern sogar die Börse berückte. Die Börse, welche sonst Niemandem, nicht einmal sich selber traut, glaubte an – Quistorp. Während sie Herrn Schweder nur eine glückliche Hand nachrühmte, hielt sie Quistorp für den leibhaftigen Bruder Grund-Ehrlich. Die „Ouistorp’schen Werte“ fanden ein ganz besonderes Ansehen, eine außerordentliche Zugkraft; sie wurden von den Bankiers in der besten Absicht ihren solidesten Kunden als „hochfeine“ Kapitalanlage empfohlen und mit Vorliebe von dem schlichten Bürgersmanne genommen. Selbst nach dem „Großen Krach“ behaupteten sie noch eine Zeitlang ihren Nimbus, und als endlich auch die „Vereinsbank“ fiel, glaubte man in gewissen Kreisen, das Ende der Welt sei gekommen.

Herr Heinrich Quistorp ist unter den Helden der Gründerperiode einer der merkwürdigsten, und wir werden noch öfter Gelegenheit haben, uns mit ihm zu beschäftigen.


* Dieser Artikel ist schon im Dezember geschrieben, während die genannten Kurse seit Neujahr durch Hinzuschlagen der Börsenzinsen wieder um vier Prozent höher notieren. Sie sind übrigens nur nominell, d. h. die betreffenden Effekten werden kaum noch gehandelt.