Der Baumfriedhof bei Misdroy. Nach alten Chroniken.

Aus: Die schönsten Sagen und Märchen der Insel Usedom und Wollin
Autor: Bearbeitet und herausgegeben von William Forster, Erscheinungsjahr: 1895

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Überlieferungen, Chroniken, Dokumente, Naturereignisse, Sturmflut,
Vor vielen, vielen Jahren, als noch heidnische Völker an den Ufern der Nord- und Ostsee wohnten, da lebte in der Gegend, wo das heutige Misdroy liegt, ein gewaltiger Seeräuber, mit Namen: Jan van der Düne.

Überall, wohin er sein Schiff, den „Sturmvogel“, lenkte, verbreitete seine Ankunft Angst und Schrecken. Friedliche Küstenbewohner brandschatzte er, und gaben sie ihm ihr sauer verdientes Gut nicht freiwillig, so erschien er mit einer Hand voll Seeräuber und nahm, was ihm gefiel, ohne erst lange zu fragen.

Aus diesem Grunde war Jan überall gefürchtet. Außer dem „Sturmvogel“, mit dem er alle Meere befuhr, besaß er noch zwei Unterschlupfe. Einer befand sich auf der Insel Rügen, unweit des Königsstuhles bei Stubbenkammer, den zweiten hatte er sich im Walde, nahe dem jetzigen Misdroy erkoren. Hierher kam selten ein Wanderer. Das Ufer, an dem die schaumgekrönten Wellen der Ostsee brandeten, ward ängstlich gemieden; denn allerlei abenteuerliche Gerüchte schreckten die Schiffer ab, hier zu landen.

Hier wurden noch immer Wodan Menschenopfer dargebracht und mancher Seemann, der, vom Sturm überrascht, an dieser Küste Schutz suchte, blieb auf Nimmerwiederkehr verschwunden.

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Inhaltsverzeichnis
Fromme Pilger versuchten das Heidenvolk zum heiligen Gottesglauben zu bekehren. Weither kamen die frommen Gottesmänner gezogen aus dem herrlichen Thüringerland, dort fand das Christentum schon früh seinen Eingang. Und ihre Mühe, ihre redliche Sorge um das himmlische Heil ihrer Mitbrüder ward von Erfolg gekrönt. Bald stürzte man die Heidenaltäre an der Ostsee und verehrte in den heiligen Hainen Gott den Schöpfer aller Dinge und Jesu Christ, seinen eingeborenen Sohn.

Nur dorthin, wo sich die bewaldeten Hügel an der Küste der Ostsee erhoben, dorthin drang der neue Glaube nicht, denn Jan van der Düne wehrte sich krampfhaft gegen das Vordringen des Evangeliums. Und seine Genossen, die Gefährten seiner kühnen Seefahrten und Strandräubereien, folgten seinem Beispiel.

Nun lebte zu Kammin, im Kloster des heiligen Johannes, ein frommer Streiter Gottes. Fast täglich gelangte Kunde von den Gräueltaten der beutegierigen Seeräuber zu seinen Ohren und deshalb beschloss der fromme Mönch, den stillen Frieden seines Klosters zu verlassen und hinüber über den Bodden zu segeln.

Zwischen dem Bodden und der Ostsee lagen weite Strecken Moorwiese. Gefährlich war es, diese zu überschreiten, nur ein schmaler, sicherer Pfad führte hindurch. Wer von diesem Pfad abwich, der versank unrettbar in dem weichen, schwarzen Moor. Jedoch alle diese Schrecknisse hielten den jungen Priester von seinem Unternehmen nicht ab.

Er entdeckte sich dem Abt von St. Johannis. Wohl erschrak dieser über das Vorhaben des Mönches, sich allein an jenen verrufenen Strand zu begeben aber Pater Ludolfus blieb fest bei seinem einmal gefassten Entschlusse.

Nach der Frühmesse berief Abt Servacius die Mönche nach dem Hochaltar. In schweigendem Ernst umstanden die düstern Mönchsgestalten Pater Ludolfus, der, in Andacht versunken, vor dem Allerheiligsten kniete.

Der Abt segnete ihn, der als Apostel der heiligen Glaubenslehre ausziehen wollte, ein. Zuletzt ergriff Abt Servacius ein aus schneeigem Elfenbein geschnitztes Kruzifix und überreichte dieses dem Knienden.

„Nimm hin, mein Sohn, das Zeichen unseres Glaubens, ziehe aus getrosten Mutes, die heilige Glaubenslehre zu predigen. Gott und der Heiland sind mit Dir. Unsichtbar umschweben sie Dich! Ziehe aus, dem heiligen Glauben neue Streiter zu gewinnen!“

Als nun der blonde Ludolfus im heiligen Gotteseifer Arme und Augen gen Himmel erhob und das Gelübde der Treue bis in den Tod ablegte, da blieb kein Auge tränenleer.

Bald hernach stand das Klosterschiffchen, bemannt mit zwei Knechten, am Ufer. Ludolfus nahm Platz. Mit seiner Linken hielt er das Kruzifix umklammert, mit der Rechten winkte er den Brüdern ein letztes Lebewohl. Hellglänzende Sonnenstrahlen beleuchteten dies schöne Bild, sie umwoben das Haupt des fortziehenden Mönches wie mit einer Strahlenkrone. Die Klosterknechte tauchten die Ruder ein, dahin schwamm das Boot.

Bald verhüllte sich die Sonne hinter Wolkenschleiern, kurze Windstöße fegten über die See, schaumgekrönte Wellen schossen empor und das Schiffchen schwebte bald hoch auf einem Wogenkamm, bald sank es tief hinab wie in einen Abgrund. Schwarzes Gewölk zog am Himmel herauf, aus dessen Schoß grelle Blitze hervorbrachen. Der sich steigernde Sturm heulte mit dem Donner um die Wette. Angst und Furcht erfassten die Herzen der Klosterknechte; nur Pater Ludolfus blickte unentwegt und furchtlos in das Aufbrausen der Elemente. Jetzt stand das Unwetter über der See. Nur noch zitternd bewegten die Knechte die Ruder, sodass das Schiffchen in einem tollen Wirbel auf den wild empörten Wogen dahintrieb.

„Rette uns, Pater Ludolfus, rette uns! Schon öffnen sich die Wogen, uns zu verschlingen!“

„O, Ihr Kleingläubigen, wisst Ihr nicht, dass Christus unser Herr den wildempörten Wassern Stillschweigen gebot, und trockenen Fußes über das Meer dahinschritt!“

„Hilf uns, wir versinken!“ flehten sie in ihrer Todesangst. Da hob Pater Ludolfus das Bild des gekreuzigten Heilandes zum grollenden Himmel auf und, o Wunder über Wunder, die Wasserwogen sänftigten sich, kein Blitz zerriss mehr das Firmament und der Donner schwieg. Mit heiliger Scheu betrachteten die Klosterknechte den jungen Mönch, auf dessen Antlitz fromme Ergebung in Gottes Willen ausgeprägt lag. Jetzt betete er.

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Über die Moorwiesen wanderte ein einsamer Mann. Er kannte weder Weg noch Steg, doch sein Schutzengel war mit ihm und geleitete ihn sicher durch die Schrecken des schwarzen Moores, die, versteckt unter einer üppig grünen Wiesenfläche den harmlosen Wanderer anlocken, um ihn, sobald er dem lieblichen, grünen Schimmer traut, hinab zu ziehen in die unergründliche Tiefe.

Bald lag der bewaldete Strand der Ostsee vor Pater Ludolfus Blicken.

Auf den Wellen schaukelte sich der „Sturmvogel“ und vom Ufer schwebten leichte, bläuliche Rauchwölkchen empor, ein Zeichen, dass Jan van der Düne daheim war.

„So treffe ich ihn! Gott stehe mir nun bei! Gib meinen Worten Gewalt und Macht über sein trotzig Herz!“

Auf versteckten Waldwegen näherte sich der unerschrockene Pater dem Schlupfwinkel des Seeräubers.

Auf dem Wodanberg* (jetzt Gosanberg), wo Jan einen Opferaltar für seinen Heidengott errichtet, begegnete der Mönch einigen Gefährten des Seeräubers. Mit frischem Grün bekränzten sie den Opferaltar, seitwärts standen schon die Opfertiere, geschmückt mit Kränzen und goldenen Zierraten.

Heiliger Zorn erfasste den Mönch, als seine Augen dies Ärgernis sahen. Mit seinen Händen, die plötzlich eine übernatürliche Kraft durchströmte, stieß er die Opfersteine um und befreite die Opfertiere.

Sprachlos vor Staunen ließen ihn anfangs die Heiden gewähren, dann aber rotteten sie sich zusammen und auf ihn eindringend, schrien sie wild:

„Wer bist Du, der es wagt, unsere Opfersteine zu zerbrechen, zittre Mönch. Jan van der Düne wird Deinen Frevel nicht ungestraft dahingehen lassen!“

Doch anstatt Furcht zu zeigen, rief Ludolfus: „Ja, führt mich hin zu Eurem Gebieter, allein, um ihn zu treffen, kam ich hierher!“

„Du sollst ihn sehen, doch zittre, Dein Tod ist gewiss. Jan van der Düne lässt seine Götter nicht verspotten!“

Man versuchte dem kühnen Mönch die Hände zu binden, doch mit einer hoheitsvollen Bewegung wies er die hänfenen Fesseln zurück.

„Gutwillig folge ich Euch, binden lasse ich mich nicht!“

Und wirklich, zum Erstaunen der Seeräuber beschritt der Mönch als Erster den schmalen Pfad, der hinab nach der Bucht führte.

Dabei sprach er mit seinen Begleitern und ermahnte sie, die reine Gotteslehre anzunehmen und den Gräueln der Heiden abzuschwören; doch nur Gelächter, Schimpf und Hohn ward ihm als Antwort. Dies alles ertrug Ludolfus geduldig. Aus seinen blauen Augen leuchtete es voller heiliger Begeisterung, so schritt er leicht, als schwebte er, den ziemlich steilen Abhang hinab.

Am Strande hatte die See Dünensand angeschwemmt. Im Laufe der Jahrhunderte waren daraus hohe Berge entstanden, die wie ein Schutzwall die Ansiedelung des Seeräubers umgaben.

Jan van der Düne war von schlanker Gestalt, gewachsen wie die Tannen seines Heimatlandes. Er stand am Strand und schaute, die Augen mit der Hand bedeckend, dem seltsamen Zug entgegen, der von dem Wodansberg herabschritt.

„Ha — wen bringt Ihr mir da? Hab' lange keinen Langrock mit geschorenem Kopf gesehen!“ spottete er dem Pater entgegen.

„Gott grüße Dich!“ erwiderte dieser sanft.

„Was scheert mich solcher Gruß?“ höhnte Jan aufs neue. „Sag, bringst Du mir eine Kunde? sonst geh, geh, ich mag die Kuttenleute nicht sehen!“

„Und dennoch komme ich zu Dir. Der liebe Heiland sendet mich, Dein hartes Herz zu erweichen und es dem heiligen Christenglauben zu öffnen!“

Inzwischen verbreitete sich die Kunde von dem, was oben auf dem Berge geschehen. Dunkle Zornesröte überzog Jans bärtiges Gesicht. Ungezügelte Leidenschaft leuchteten aus seinen Augen und ingrimmig sprang er auf den Pater zu. „Hund von einem Christen, wie wagst Du es, Deine Hand gegen meine Götter zu erheben. Wodan, der Mächtige, der Herrscher über Land und Meer, wird Dich verderben!“

„Dein Heidengott kann mir nichts anhaben, denn ich stehe hier im Namen des einzig wahren Gottes Himmels und der Erden!“ entgegnete mild der Mönch.

„Dein Gott wäre mächtiger als Wodan, der Beherrscher der Welt?“ spottete Jan. „Sieh, wie wenig Macht Dein Gott hat, mit diesem Schwert haue ich Dir Ohren und Hände ab und sende Dich so verstümmelt in Dein Kloster zurück! Dein Gott wird Dir nicht helfen können!“

„Rühre mich nicht an! Nicht um Meinetwillen, denn an meinem Leben ist mir wenig gelegen, sondern um Dein ewiges Heil nicht zu verscherzen. Gehe in Dich, schwöre die falschen Götter ab und knie hier nieder, den Heiland anzubeten!“

Jan lachte übermütig auf.

„So gewiss, wie sich hier diese Sandberge nicht bewegen können, um mich, meine Gefährten, sowie jene hohen Bäume unter ihrem feinen Sand zu begraben, so gewiss werde ich niemals Deine Lehre annehmen. Wodan ist der höchste Gott, ihm allein gebührt die Ehre. Seit langer Zeit hat der Opferstein kein Menschenblut gesehen, heute Abend, sobald die Sonne im Westen sinkt, soll Dein Blut die Opfersteine röten! Auf, nehmt ihn gefangen!“

Von allen Seiten eilten Seeräuber herbei, diesen Befehl auszuführen, doch ehe des Ersten Hand ihn berühren konnte, kniete der Pater in den weichen Dünensand nieder, hob das Elfenbeinkreuz gen Himmel und rief mit starker, das Rauschen des Meeres übertönender Stimme: „Herr! Herr! Hilf, Hilf mir! Zeige, dass Du der Herr bist über alle Welt!“

Bei des Paters Worten erhob sich ein heftiger Wirbelsturm. Weit über die See kam er daher geschnoben und mit Blitzesschnelle bewegten sich die Sandhügel, die Luft verfinsterte sich. Sandwolken verdeckten das helle Licht der Sonne, die Erde erzitterte in ihren Grundfesten und als nach kurzen Minuten das Sonnenlicht siegreich durch die Sandwolken drang, da waren die Sandhügel von ihrer Stelle gewichen und unter ihnen lagen der Seeräuber mit seinen Gefährten und die hochgewachsenen Waldbäume begraben. Von letzteren ragten nur die hohen Laubwipfel hervor. Sie bezeichnen heute noch die Stelle, wo einst vor vielen hundert Jahren der gefürchtete Seeräuber Jan van der Düne sein schreckliches Ende gefunden.

Pater Ludolfus lebte noch lange Jahre im Kloster des heiligen Johannes zu Kammin. Von weit und breit strömte das Volk herbei, um sich von dem wundertätigen Gottesmann taufen zu lassen.

014 Bildliche Darstellung der 10 Gebote. Holzschnitt ca. 1490. München, Kupferstichsammlung. Schr. 1846

014 Bildliche Darstellung der 10 Gebote. Holzschnitt ca. 1490. München, Kupferstichsammlung. Schr. 1846

028 Taufzeremonien in Nürnberg 1600-1681. Gleichzeitiges Kupfer. Nürnberg, Germanisches Museum

028 Taufzeremonien in Nürnberg 1600-1681. Gleichzeitiges Kupfer. Nürnberg, Germanisches Museum

029 Tracht eines Geistlichen 1586. (Petrus Hypodemander) Holzschnitt von Jacob Lederlein nach Philipp Röhnlein

029 Tracht eines Geistlichen 1586. (Petrus Hypodemander) Holzschnitt von Jacob Lederlein nach Philipp Röhnlein

001 Paradies und Hölle. Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert. Dresden, Kupferstichkabinett

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