Persönlichkeit

Der Name *) deutet auf die Herkunft. An der Dommel, einem Nebenfluss der Maas, liegt das Doppeldorf Kleine Bruegel und Groote Bruegel nahe einem Städtchen, das heute Bree heißt und vordem in latinisierender Art Brida oder Breda genannt wurde. Dies Dorf ist die Heimat des Künstlers. Was sich aus der Herkunft ergibt, wird von einer unverdächtigen Überlieferung eigens hervorgehoben: Bruegel stammte von Bauern. Er war ein Sohn jenes zugleich arbeitsamen und sinnlichen Geschlechts, das sich wortlos über einen armen Boden beugte, die ungefügen Glieder gerne in schweren Tänzen bewegte und seinen derben Kirmesgenüssen nicht leicht ein Ziel setzte. Wir wissen nicht, wie und wann Bruegel zur Malerei gelangte. 1551 wurde er als Freimeister in die Lukasgilde aufgenommen. Setzen wir die normale Lehrzeit von sechs Jahren, so hätte Bruegel 1545 begonnen. Das normale Alter des eintretenden Lehrlings war 15 Jahre: wir hätten hier ein Mittel, das zweifelhafte Geburtsjahr zu erschließen. Es wäre allerdings geraten, Bruegels Geburt um ein kleines Stück hinter das Jahr 1530 zurückzuschieben. Dem Bauernsohn mochte der Zugang zur Kunst schwerer sein als dem rascheren Städter. Eine liebenswürdige Anekdote Manders erlaubt, die Grenze auch nach unten zu bestimmen. Bruegel hat nach der Erzählung des Biographen als Malschüler nach patriarchalischer Sitte im Meisterhause gelebt und häufig die kleine Tochter des Lehrers, die er nachmals zur Ehe nahm, auf seinen Armen getragen. Das Stückchen Romantik enthält eine nüchterne Chronologie. Marie Coeck kam ehestens 1540 zur Welt. Wir werden einen Altersunterschied von 15 Jahren allenfalls plausibel finden und Bruegels Geburt nicht hinter das Jahr 1525 zurückversetzen.

Bruegels erster Lehrer war Peter Coeck van Aelst. Coeck war Schüler des Bernaert van Orley, der bei Raffael in der Lehre gewesen war. Coeck hatte Italien bereist und sich ganz der Bewunderung der Renaissance und des Altertums hingegeben. Er steht mit seinem Lehrer und seinen Zeitgenossen Floris, Coxie, Lombard, Heemskerk auf der Linie jener Flamen, die man romanisants oder italianisants zu nennen pflegt. Coeck war ein literarisch und ästhetisch sehr versierter Mann. Er übersetzte den Bologneser Architekten Serlio, resümierte den Vitruv, schrieb über Perspektive, lieferte dem Antwerper Rathaus den reichen Renaissancekamin und galt dem Magistrat als Orakel des guten Geschmacks. Skizzen zu Vitraux und Tapeten zeigen einen ziemlich faden Dekorateur. Türkische Krokis, die zu Konstantinopel nach dem Leben gezeichnet wurden, sind sein bestes Vermächtnis; sie dienten lange allen Bibelmalern — auch Rembrandt — als Kostümvorlagen. Sicher hatte Bruegel bei Coeck, in dessen Werk


*) Sprich Bröchel mit weich gurgelndem ch.

11. Die großen Fische fressen die kleinen. Kupferstich des Peter van der Heyden nach einer Zeichnung von Bruegel, die nach einem Gemälde von Bosch gemacht wurde. 1557

Stätte jede Technik zu Hause war, reichlich Gelegenheit, eine gewandte Hand zu erwerben; vielleicht entstand damals seine Vorliebe für die Temperafarben, mit denen man in Coecks Atelier die dekorativen Entwürfe fertigte. Mehr als technische Förderung hat Bruegel dort schwerlich gehabt.

Coeck starb Ende 1550. Etwa ein Jahr vor seinem Tode war er nach Brüssel gezogen, um dem Hof nahe zu sein, der den arbiter elegantiarum der Antwerper Empfangsfestlichkeiten von 1549 gern beschäftigte. Seitdem stand Bruegel in unaufgeklärten Beziehungen zu Hieronymus Cock, der führenden Persönlichkeit in der niederländischen Chalkographie des 16. Jahrhunderts. Wir wissen nicht, ob Bruegel bei Cock noch förmlich in die Lehre ging, oder ob er mit dem Verlag sofort als freier Mitarbeiter liiert war. Jedenfalls war Bruegel in bildsamen Jahren abermals einem Manne ausgesetzt, der die Richtung seines Geschmacks von Italien empfangen hatte. Auch Cock war in Rom gewesen — auch er war enragierter .Raffaelit. Nach einigen Malversuchen hatte er sich frühzeitig der Tätigkeit des reproduzierenden Graphikers zugewandt. Im Jahre 1546 eröffnete er in Antwerpen die berühmte boutique aux quatre vents. Wer in Antwerpen ästhetische Prätensionen machte, verkehrte in diesem lebhaften, anregenden Hause. Mit dem Eifer des Kunsterziehers, der das Glück hat, einer Mode zu begegnen, gab Cock Stiche nach Raffael, Bronzino, Sarto, Giulio-Romano, Michelangelo, Tizian und anderen Italienern.

Er beschäftigte eine Reihe von Gehilfen. Unter ihnen war Bruegel. Wir wissen nicht, auf welchem Gebiete Cock den jungen Künstler verwandte; aber wir dürfen sicher sein, dass er nicht auf den Versuch verzichtete, Bruegel auf den Modegeschmack zu verweisen, der sich an der Art der Italiener orientierte. Eine Anregung Cocks mag Bruegel bewogen haben, die italienische Reise anzutreten, die seit Jan Gossart zur Tradition der Flamen gehörte. Bruegel scheint unmittelbar nach der Freisprechung aufgebrochen zu sein. Im Jahre 1553 weilte er in Rom; wir haben den Ausweis in zwei unzweideutig signierten Stichen. Aber der rassig-e Eigensinn des nordischen Bauern lehnte die Einflüsse ab, die vielen seiner Landsleute von den Kunstwerken der Italiener zuströmten. Bruegel verhielt sich zum Kulturbegriff Rom wie Jahrhunderte nach ihm Corot, der am Tiber mit einer hartnäckigen Ausschließlichkeit nach der Natur skizzierte — als ob er an den Ufern der Seine säße. Bruegel brachte ein dickes Skizzenbuch nach Hause, auf dessen Blättern er die milden Linien italienischer Landschaft und die leidenschaftlichen Vertikalen der Tiroler Alpen mit der ungebrochenen Unmittelbarkeit naiver Augen festgehalten hatte. Verzärtelte Zeitgenossen formten ein Epigramm, das halb als Malice gemeint war. Sie sagten, Bruegel habe Berge und Felsen verschlungen und sie zu Hause auf die Bildtafeln gespien. Wir erblicken in diesem doppelsinnigen Bonmot, das den unbedenklichen Naturalisten von der mit schlechtbegriffener Renaissanceästhetik gebändigten Gemeinschaft der Heiligen um Floris sondern sollte, das unfreiwillige Kompliment, das Bruegels Originalität, seine Ehrlichkeit, die Unbefangenheit seiner Künstlerschaft verdiente. Aber jener Witz enthielt eine Übertreibung. Unmöglich konnte der junge Meister ganz unberührt von dannen gehen. Schon Mariette nahm wahr, dass Bruegels erste landschaftliche Kompositionen Studium der tizianischen Landschaftskunst verraten. Unter den Händen Mathieu Cocks, des Bruders des Verlegers, war diese Kunst zur stereotypen Mache geronnen; er mag den Fahrenden an Tizians Art herangeführt haben, die Bruegels Anfängen unter allen italienischen Möglichkeiten am ehesten entsprach und noch in den Werken der Reife vernehmlich anklingt. Vielleicht, dass auch Michelangelos mächtig organisierte Bewegungen den jungen Meister ergriffen. Ein Kupferstich, den wir — so spät er herauskam — auf frühe Konzeptionen verweisen dürfen, lässt sich an, die Hauptfigur mit dem brüsk über den Bildrand herausfahrenden Bein zu einer fremdartig heroischen, verdächtig großartigen Architektur aufzubauen. Kann man sich Unwahrscheinlicheres denken als den flämischen Bauer, der in der Campine michelangeleske Posen stellt? (Abb. 2.) Aber es bliebe für das künstlerische Urteilsvermögen Bruegels und für die Tiefe seines Temperaments gleich charakteristisch, wenn er sich nur den beiden größten Italienern seines Zeitalters vertrauen wollte.

18. Jeder sucht seinen Profit. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden. Um 1558.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Bauern-Bruegel
08 Die Vorhölle, Bruegel 1561

08 Die Vorhölle, Bruegel 1561

09 Die dulle Griete, Bruegel 1564

09 Die dulle Griete, Bruegel 1564

10 Der Triumph des Todes, Bruegel 1564

10 Der Triumph des Todes, Bruegel 1564

11 Die großen Fische fressen die kleinen. Bruegel 1557

11 Die großen Fische fressen die kleinen. Bruegel 1557

12 Allegorie der Geduld, Bruegel 1557

12 Allegorie der Geduld, Bruegel 1557

13. Allegorie der Faulheit. Bruegel 1557

13. Allegorie der Faulheit. Bruegel 1557

14 Allegorie der Wollust, Bruegel 1558

14 Allegorie der Wollust, Bruegel 1558

15 Der Krämer wird von den Affen geplündert, Bruegel 1557

15 Der Krämer wird von den Affen geplündert, Bruegel 1557

16 Der Goldmacher, Bruegel 1559

16 Der Goldmacher, Bruegel 1559

17 Der Krieg zwischen den Kassenschränken und den Sparbüchsen, Bruegel 1563

17 Der Krieg zwischen den Kassenschränken und den Sparbüchsen, Bruegel 1563

18 Jeder sucht seinen Profit, Bruegel 1557

18 Jeder sucht seinen Profit, Bruegel 1557

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