Der Bauer Veit

Eine Fabel aus der Vorzeit
Autor: Herausgeber: H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel, Erscheinungsjahr: 1830
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Fabeln aus der Vorzeit, Sagen, Märchen, Berggeist, Überlieferungen, Volksmund, Volkserzählungen, Rübezahl
Aus: Hallisches patriotisches Wochenblatt auf das Jahr 1830. Zur Beförderung nützlicher Kenntnisse und wohltätiger Zwecke herausgegeben von H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel.
31. Jahrgang, Band 1. 1830
Einen Bauer, Namens Veit, hatten böse Nachbarn durch ungerechte Prozesse um Hab und Gut gebracht. Sein Vieh war verkauft, sein Hüttchen verschuldet, und er besaß nichts mehr, als ein Paar gesunde Arme, die aber nicht hinreichten, ihn, seine Frau und seine Kinder zu ernähren und seine Schulden zu bezahlen. Traurig saß er da in einem Winkel des Stübchens, ihm gegenüber seine Ann mit dem kleinsten Kinde an der Brust; die übrigen standen umher, und nagten blass und abgezehrt an harten Brotrinden. Nach langem Schweigen sagte die Frau: lieber Mann, du weißt, ich habe noch einige reiche Vettern im Gebirge. Gehe hin, stelle ihnen unsre Not vor, und bitte sie, dass sie uns 100 Thaler auf Zinsen leihen, damit wir uns wieder Vieh anschaffen und unsre Nahrung, wie zuvor, treiben können. Gewiss, sie werden es tun, wenn sie hören, dass wir ohne unsre Schuld so arm geworden sind.

Dem Manne gefiel dieser Vorschlag. Er machte sich sogleich auf und wanderte in das Gebirge zu den reichen Vettern. Als aber diese sein Anliegen hörten, begegneten sie ihm hart, kränkten ihn mit bittern Vorwürfen, und wiesen ihn an der Tür ab, ohne ihm nur einen Bissen Brot anzubieten.

Voller Verzweiflung trat Veit seinen Rückweg an. „Ach! seufzte er, was wird meine arme Frau sagen, wenn ich mit leeren Händen zurückkomme! Und die hungrigen Kinder, die nach Brot schreien! — Ich ertrage den Jammer nicht.“ Er warf sich unter einen Baum und sann nach, ob er nicht irgend ein Rettungsmittel ausfindig machen könnte. Da fiel ihm plötzlich der Gedanke ein: ich will Rübezahlen *) ansprechen. Er ist zwar ein böser Schalk, der nicht viel mit sich scherzen lässt; aber er tut doch manchmal auch Gutes. Wenn es recht schlimm geht, so kann er mir doch nur das Leben nehmen; und dessen bin ich ohnehin überdrüssig.

*) Rübezahl, ein von der Phantasie und dem Aberglauben erdichteter Berggeist, welcher, der Sage nach, vormals im Riesengebirge, welches Schlesien von Böhmen und Mähren scheidet, hauste. Sein Gebiet hatte auf der Oberfläche des Gebirges nur wenige Meilen im Umfange, aber im Innern erstreckte es sich tief und weit. Hier, in den unterirdischen Gegenden hauste er gewöhnlich und nur zuweilen, nach Jahrhunderten einmal erhob er sich aus den Tiefen der Erde, um eine Zeitlang über derselben sein Wesen zu treiben. Da zeigte er sich, je nachdem ihn die Laune anwandelte, bald als wohltätiger Freund, bald als neckender Geist.

Gedacht, getan. Veit sprang auf und rief mit lauter Stimme: „Rübezahl! Rübezahl!“

Gleich stand der Geist in Gestalt eines Köhlers mit rußigem Gesicht und einem langen, fuchsroten Barte vor ihm. In der Hand hielt er eine große Stange, die er mit drohender Gebärde gegen Veit aufhob, wobei er sagte: „Verwegener! Was erfrechst du dich, mich bei meinem Spottnamen zu rufen? Weißt du nicht, das Niemand ungestraft dies tut?“

„Verzeiht, Herr Geist, ich wusste wohl, dass Ihr es nicht gern hört, wenn man Euch so nennt: aber ich kannte Euren rechten Namen nicht, und mich trieb die Not, Euch zu rufen. Ich bitte, seid so gut, und leiht mir 100 Thaler auf Zinsen. Nach drei Jahren zahle ich Euch Kapital und Zinsen, so wahr ich ehrlich bin.

„Narr! bildest du dir ein, dass ich Geld auf Zinsen verleihe? Geh zu den Menschen, deinen Brüdern, die werden dir schon helfen!“

„Ach! leider, ich bin da gewesen, aber sie sind nicht brüderlich gesinnt.“ Nun erzählte Veit umständlich die Geschichte seiner Verarmung und die schlechte Aufnahme, die er bei seinen reichen Vettern erfahren hatte.

Dies machte Rübezahls Mitleid rege; auch schien ihm der Einfall, von einem Geiste Geld leihen zu wollen, so sonderbar, dass er sich vornahm, den Wunsch des armen Bauers zu erfüllen. „Komm,“ sagte er, „und folge mir.“ Sie gingen seitwärts tief in den Wald hinein, und kamen in ein abgelegenes Tal, in dessen Hintergrunde ein hoher Fels hervorragte, der unterhalb mit dichtem Gebüsche bewachsen war. Als sie sich hier mühsam durchgedrängt hatten, kamen sie an den Eingang einer finstern Höhle, in welche Veit mit Herzklopfen hineintrat. Um ihn her war alles düster und grausig, und in der Ferne hörte er ein Brausen, wie von wildem Wasser. Am Ende des langen schmalen Ganges eröffnete sich ein geräumiger Platz, wie ein großer Saal, den ein hüpfendes blaues Flämmchen erhellte. Beim Schimmer dieses Flämmchens erblickte Veit in der Mitte eine Braupfanne voll harter Thaler. Das Herz im Leibe lachte ihm, als er die blanken Thaler sah. Rübezahl sagte: „tritt hinzu, nimm so viel du brauchst, und gib mir dann eine Handschrift darüber, wenn du anders schreiben kannst.“ Veit sagte: „ja, ich kann schreiben; und nun zählte er, ohne sich weiter nötigen zu lassen, gerade hundert Thaler, auch nicht Einen mehr, in seinen Schoß, und steckte sie in die Tasche.“

Unterdessen hatte Rübezahl Tinte, Feder und Papier herben geholt, und schien gar nicht darauf zu achten, wie viel Geld Veit nähme. Dieser schrieb den Schuldbrief, und überreichte ihn dem Geiste, der ihn dann in einen eisernen Kasten schloss. Hierauf wurde Veit mit folgenden, Worten entlassen: „geh hin in Frieden; aber vergiss nicht, dass du mein Schuldner. bist. Merke dir den Eingang zu diesem Felsen, und bringe nach drei Jahren Kapital und Zins zurück. Ich bin ein strenger Gläubiger, sorge also, dass du Wort halten kannst.“ — Veit versprach das mit einem treuherzigen Handschlag und ging.

Als er ins Freie kam, sah er sich auf allen Seiten um, damit er die Gegend wieder finden könnte; und dann eilte er fröhlich nach Hause. Vor der Tür schrieen ihm schon die Kinder entgegen: Vater, bringst du uns Brot? Uns hungert so sehr! Er nahm sie freundlich bei der Hand und trat mit ihnen in die Stube. Da erwartete die Frau ihn mit banger Ungewissheit; bald aber merkte sie an seinen Mienen, dass er ihr gute Nachricht zu geben hatte. Er grüßte sie herzlich und sagte: „deine Vettern sind brave Leute, sie haben mich gut aufgenommen und mir den gewünschten Vorschuss gegeben. Geschwind koche den Kinderchen einen Brei, hier ist ein Säckchen mit Grütze und Hirse, die ich unterwegs gekauft habe.“ Die, Frau tat sich nicht wenig zu gute auf ihre reichen Verwandten, und freute sich über ihren glücklichen Einfall, sie um Hilfe anzusprechen. Veit aber sagte: „der Vetter, welcher mir das Geld lieh, er mahnte uns zum Fleiße, dass wir ihm zur bestimmten Zeit Kapital und Zinsen bezahlen könnten. Wohlan! lass uns tätig sein und unsere Kräfte anstrengen.

Von Stunde an dachte Veit und seine Frau darauf, wie sie das geborgte Geld am besten anwenden könnten. Veit kaufte Vieh und ein Stück Acker; dies bewirtschafteten sie im ersten Jahre so gut, dass sie im folgenden Jahre noch ein anderes dazu kaufen konnten. Den Gewinn von beiden legten sie im dritten Jahre aufs neue an, um ihr Gütchen zu vergrößern. Es war ein besonderer Segen in Rübezahls Gelde; denn alles, was Veit unternahm, gelang ihm. Am Ende des dritten Jahres, als der Tag der Zahlung kam, stand Veit des Morgens früh auf, weckte Weib und Kinder, sagte ihnen, sie sollten ihre beste Kleidung anziehen, und zog auch selbst seinen Sonntagsrock an. Dann ließ er seinen Hans anspannen, nahm den schweren Geldbeutel, worin Kapital und Zins schon abgezählt war, setzte sich mit seiner ganzen Familie auf den Wagen, und fuhr nach dem Gebirge zu. Als sie an einen Hohlweg kamen, ließ Veit halten, stieg mit Frau und Kindern ab und sagte: Hans, fahre du die Anhöhe hinan und warte; wir wollen zu Fuß durch das angenehme Tal gehen und auf der andern Seite wieder zu dir kommen. Die Frau wunderte sich, dass sie einen Umweg machen sollten; aber Veit sagte ihr mit wenigen Worten: ich habe das Geld nicht von deinem Vetter, dort am Ende des Tales wohnt der Vetter; es ist Rübezahl. Ben diesem Namen erschraken Alle; denn sie hatten viel Böses von dem Geiste, gehört. Veit rühmte ihn, und suchte sie zu beruhigen, aber vergebens; sie stellten sich um ihn her, wollten ihn zurückhalten, und baten flehentlich, er möchte umkehren. Indessen riss er sich mit Gewalt los und ging fort. Er fand den Felsen und das Gebüsch bald wieder, arbeitete sich durch und suchte den Eingang zu der Höhle; dieser war aber verschwunden. Er klopfte, er klimperte mit dem Gelde, er rief den Geist; — doch der Geist ließ sich nicht hören und sehen. Endlich sah Veit sich genötigt, zurückzukehren. Seine Frau und seine Kinder freuten sich herzlich, als, sie ihn von fern erblickten; er aber war missmutig, dass er seinen Zweck nicht erreicht hatte, setzte sich nieder und dachte nach was nun zu tun sei. Es fiel ihm ein, den Geist bei seinem Spottnamen zu rufen, wie das vorige Mal. Er tat es. Alle fingen aufs neue an zu zittern und zu beben, und ein Kind rief ängstlich dort, dort hinter jenem Baume steht der schwarze Mann! Veit eilte hin, sah aber nichts. Kurz, alle Mühe, den Geist herben zu rufen, war verloren, und sie mussten sämtlich ihren Rückweg antreten. Indem sie gingen, erhob sich ein sanfter Wind in den Wipfeln der Bäume, der die herbstlichen Blätter herabschüttelte und sie vor sich hin trieb. Die Kinder hatten ihr Spiel damit und haschten darnach. Eins ward darunter ein Blatt Papier gewahr und lief hinterher; der Wind aber führte es immer weiter. Endlich warf der Knabe seinen Hut darauf, und so bekam er es. Freudig zeigte er seinen Fund dem Vater. Dieser schlug das zusammengelegte Blatt aus einander und erstaunte nicht wenig, als er seinen Schuldbrief sah. Das Blatt Papier war oben etwas eingerissen und darunter stand geschrieben: zu Dank bezahlt. Mit Entzücken rief Veit: „Freuet euch! Unser Wohltäter hat uns gesehen und gehört. Er weiß, dass ich ehrlich bin, und hat mir meine Schuld geschenkt. Hier ist die quittierte Handschrift.“

Nun setzten sie vergnügt ihren Weg fort und kamen zu ihrem Fuhrwerk. Als sie in den Wagen stiegen, sagte Veit zu seiner Frau: „wie wäre es, wenn wir heute noch deine geizigen Vettern besuchten, da wir schon auf der Hälfte des Weges sind.“ Die Frau war es zufrieden, und so fuhren sie hin. Veit stieg vor dem Hause ab, wo man ihn vor drei Jahren so hart abgewiesen hatte und klopfte an die Tür. Da kam ein ganz unbekannter Mann heraus, von dem sie erfuhren, dass die reichen Vettern ausgewirtschaftet und vor Kurzem Haus und Hof verlassen hätten, und in die weite Welt gegangen wären. Auf diese Nachricht fuhren sie nach Hause zurück.

Veit nahm immer mehr an Wohlstand zu, blieb aber auch redlich und arbeitsam, und half Notleidenden nach Vermögen, da er selbst erfahren hatte, wie wohl es tut, Hilfe in der Not zu finden.

Rübezahl - Moritz Schwind

Rübezahl - Moritz Schwind