6. Wirkung der gewöhnlichen Wasser- und der Mineral-Bäder.

Die Wirkung der Wasser - Bäder ist verschieden nach der Beschaffenheit des Wassers an sich, nach dem Temperatur-Grade und nach der Art und Dauer des Bades, und nach der eigentümlichen Körper-Beschaffenheit des Badenden. Die unmittelbare Wirkung des gewöhnlichen warmen Bades besteht außer der Reinigung der Haut in der Vermehrung der Lebens-Tätigkeit, des Umlaufes der Säfte, der Einsaugung und Absonderung auf der Haut und in den Lungen, in der Förderung des tierisch-chemischen Lebens-Prozesses. Das warme Wasser-Bad wirkt somit reinigend, erweichend, auflösend, und zerteilend und erregend, je, nach dem Grade der Wärme, und der Dauer desselben, und nach den besondern Gesundheits-Verhältnissen des Badenden.

Die Wirkung des kalten Bades ist verschieden, je nachdem es als ganz kaltes zu 7 bis 15 Grad Reaumur, als mehr als kühles zu 16 bis 23 Grad Wärme genommen wird, verschieden nach der Dauer des Bades, nach der, Erregbarkeit des Badenden und seiner Gewohnheit, öfters kalt zu baden.


Im Allgemeinen entzieht das kalte Bad dem Körper die natürliche Wärme, man fühlt eine Kälte und eine eigentümliche Erschütterung des Körpers; ähnlich der elektrischen, ein Überlaufen der Haut, (Gänse-Haut) eine Beengung der Brust; die Haut blasst ab, und die sonst sichtbaren Gefäße derselben verschwinden; man fühlt einen Drang zum Wasser machen. Durch die Verminderung der übermäßigen Wärme, und durch Kühlung des Blutes, durch die eigentümliche Einwirkung der Kälte etc. beruhigen die kalten Bäder und stärken die Nerven; sie erstarken die erschlafften Fasern, bringen die Gefäße zu stärkerer Zusammenziehung, vermehren dadurch den Umlauf der Säfte, und heben Stockungen derselben, sie geben den geschwächten Teilen Halt und Ton, und machen das Haut-Organ weniger empfindlich für den Einfluss der Atmosphäre und der Witterung, je nachdem die Dauer und die zweckmäßige Anwendung der kalten Bäder und nach den besondern Gesundheits-Umständen des Badenden.

Ist die Wirkung des einfachen Wasser-Bades auf Erhaltung, auf Stärkung der Gesundheit, auf Hebung und Heilung krankhafter Zustände eine wohltätige und große, so ist die Wirkung, und der kunstgemäße Gebrauch der Mineral-Bäder noch wohltätiger, und in Hebung von Krankheiten noch heilsamer.

Diese Bäder bestehen aus uns bekannten Mineralteilen, und sind geschwängert noch mit anderen uns unbekannten Stoffen — mit dem Brunnen- Geiste, und der Erd-Wärme etc.

Im Mineral-Wasser wird durch die Haut und durch die Lungen nicht nur Luft und Wasser, sondern auch die darin enthaltenen feinsten Stoffe in den Körper aufgenommen und durch den animalisch chemischen Prozess darin verdauet. Die Mineral-Wasser, innerlich und äußerlich, durch die Brunnen- oder Bade-Kur genommen, wirken eigentümlich als Nahrungs- und als Heil-Mittel, reinigend, auflösend, zerteilend, befördern sie den Umlauf und Wechsel der Säfte, befördern die Ab- und Aussonderung durch die Haut und Lungen, durch die Urin-Wege, durch den Darm-Kanal; sie eröffnen die feinen verstopften Gefäße in den verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers, erweichen verhärtete Organe und führen sie zur normalen Tätigkeit zurück, sie wirken eigentümlich erregend und reihend auf die Nerven- und übrigen Systeme des menschlichen Körpers, sie beleben und erhöhen die Lebenstätigkeit derselben, so wie sie unter Umständen die krankhaft erhöhte Reizbarkeit der Nerven Herabstimmen, vermindern; sie vermögen die Reitz-Empfänglichkeit und Tätigkeit des Nerven- und der übrigen Systeme, in normale Harmonie unter sich zu versetzen, und durch ihr eigentümliches Wirken so die Gesundheit zu erhalten, zu stärken, und die verlorne wieder herzustellen.

Die Mineralbäder stärken somit die Gesundheit, und heilen die Krankheiten; nach Umständen schwächen sie aber auch, und machen krank, wie jedes wirksame Medikament.

Sie wirken eigentümlich und verschieden, je nach der eigentümlichen Wirkungskraft des Mineral-Wassers, je nach der Beschaffenheit, und dem besondern Gesundheits- oder Krankheits-Zustande des Kuranten. Ein und dasselbe Mineralwasser oder Bad stärkt den einen, löset auf, und führet ab, wahrend es den andern schwächet, und zur Verstopfung führet.

Das Gewicht und die Beschaffenheit der Mineralien bestimmt die Wirksamkeit der Mineral-Wasser nicht allein; die Chemie, die Angabe ihrer mineralischen Stoffe in Quantität und Qualität, die Analyse, die Zersetzung dieser Wasser durch Feuer und Reagentien, vermag nicht ihre wahre Wirksamkeit zu bestimmen: nur die Anwendung derselben auf den gesunden und kranken Körper, rein nur die ärztliche Beobachtung und Erfahrung entscheidet über die Wirksamkeit dieses oder jenes Mineralwassers. Pfäffers und Gastein, unsere schwächsten Mineralwasser, in Bezug des Quantums ihrer mineralischen Bestandteile, wirken auffallend auf den gesunden und besonders auf den kranken menschlichen Körper; sie sind die kräftigsten, heilsamsten Heilquellen in Europa. Obwohl sie so gar wenige Mineralteile enthalten, dass ihre Anwesenheit in dem naturwarmen Wasser kaum in Anschlag zu bringen ist; vermag die in unserer Zeit so außerordentlich perfektioniere Chemie doch nicht, ein Pfäffers- oder Gastein-Wasser zu machen, zu destillieren, das jenem Naturwasser in der Wirkung ähnlich oder gleich kommt.

Diese und auch andere Mineralwasser enthalten daher noch andere wirksame Bestandteile, Gasarten, elektrisch-galvanische Kräfte, unwägbare Stoffe, etc. welche die Chemie weder zersetzen noch bisher auffinden konnte. Bestehen sie nun in dem Brunnen-Geiste der Alten; in dem magnetischen, galvanischen, elektrischen Fluidum, in der magnetischen Erb-, in der Tellur-Wärme?

In die geheimnisvolle Werkstätte, ins Verborgene der Natur dringt kein menschlicher Geist und vergebens bemühen wir uns, diese Natur-Wasser künstlich darzustellen!

Die Mineral-Wasser sind daher in Bezug auf ihre heilkräftiges Wirkung nicht nach der mehr oder weniger von Mineralteilen, sondern nach denn eigentümlichen, auf analitischem Wege nicht zu erforschenden, innerlichen Mischung und Qualität, nach der erfahrungsmäßigen Einwirkung auf den gesunden und kranken Körper zu würdigen.

Den Wert der chemischen Analyse der Mineral-Wasser im Allgemeinen, und die großen Verdienste der Chemiker desfalls dankbar anerkennend, kann ich jedoch meinen Zweifel über die Richtigkeit und Untrüglichkeit ihrer Analysen, da solche Analysen über ein und dasselbe Mineral-Wasser, von mehreren Chemikern unternommen, so sehr differieren, nicht verbergen und ich lasse ihren praktischen Wert dahingestellt. Das beste Mineralbad ist daher nach obiger Ansicht jenes, das in dem einzelnen Falle und unter den bestehenden besondern Gesundheits- und Krankheits-Verhältnissen des Einzelnen gerade als das passendste und heilsamste sich in der Tat erweiset und wie in einem einzelnen so in vielen Fällen als solches erprobet. Über diese Tatsache sind alle rationellen Ärzte, die auf dem Wege der Erfahrung — dem allein wahren der Kunst, die Krankheiten zu heilen, vorangehen, einerlei Überzeugung; und Hufeland und andere sagen wahr: „nicht von der Quantität, sondern von der innigen und feinen Mischung, in denen die Kunst umsonst die Natur nachzuahmen sucht, hängt die Wirkung der Mineral-Wasser ab.“

Der Besuch der Bade - Orte und Gebrauch der Brunnen- und Bade-Kuren wirkt, abgesehen von der Einwirkung des Mineralwassers, auf den Gesunden und Kranken mehr oder weniger wohltätig und heilsam;

a) durch die Entfernung vom Hause, vom Amte, vom Geschäfte, von gewohnter Umgebung, von Haus-Sorgen und widrigen Berührungen;

b) durch die Reise, vermehrte Bewegung, Luft-Züge durch dieselbe; Klima-Veränderung;

e) durch den größeren Genuss und den täglich längern Aufenthalt in der gesunden, die Lebenstätigkeit der Organe eigentümlich ansprechenden Land- und Waldluft.

Jeder fühlt diesen Unterschied der Stadt- und Landluft; wer berechnet aber die Stoffe, welche die, besonders während des Bad-Gebrauchs tätige Haut und Lungen bei dem längeren Aufenthalte auf einer von der Sonne beschienenen Wiese, deren balsamische Kräuter und Gräser vor wenigen Stunden abgemäht wurden, oder in dem Birken-, Fichten-, Buchen- und Tannenwalde — aufsauget und einatmet; wer berechnet ihre heilsame Wirkung auf die Lungen und übrigen Organe?!

d) Durch Veränderung der Lebensweise, in Bezug auf Ernährung des Körpers und des Geistes, des Getränkes, der Speisen, ganz anderer Beschäftigung, und der gewöhnlich stärkeren Leibesbewegung; durch den Einfluss einer anderen ungewöhnlichen, meistens frohen, heitern, gemischten Gesellschaft, in der wir günstigerweise unsere Stellung in der Stadt-Gesellschaft, den angenommenen Ernst und die Zurückhaltung — übersehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Bade- und Brunnenarzt