Vorrechte und Verhältnisse der Kinder.

So wie in den vereinigten Staaten von Nordamerika die Frauen als diejenigen geschützt und geschont werden, welche die einst mangelnde und jetzt bei Weitem noch nicht überflüssige Bevölkerung vermehren sollten, so ist dies auch nicht weniger mit der aufblühenden Jugend der Fall. Diese genießt dort eine weit größere und vollkommnere Freiheit als sonst irgendwo, ist namentlich weit weniger in Schulstuben eingepfercht und durchaus keiner so strengen Schuldisciplin unterworfen als in Europa. Hierzu kommt, daß auf dem Lande die Zeit des Schulunterrichtes sich blos auf die Wintermonate beschränkt; und doch ließt, rechnet und schreibt ein großer Theil der amerikanischen Bauern vortrefflich. Die meisten Kinder, auch der übrigen Stände wachsen ohne große Aufsicht empor; und doch erhoben sich aus ihnen jene vortrefflichen Generale, jene weisen Staatsmänner. Wenige Amerikaner verstehen und lernen eine andere als ihre Muttersprache; und doch ist ihr Vaterland in Verbindung mit allen Nationen der Erde. Man zwängt kein Geschlecht in strenge Formen; und doch wachsen die Knaben zu geschickten, anständigen und fleißigen Jünglingen, und die Mädchen zu züchtigen Jungfrauen, zu lieblichen Blumen empor. Woher dieses alles? Sollte etwa unsere Erziehung, so sehr und so lange auch an ihr gekünstelt wurde, auch nicht besser als jene einfache seyn, sollte sie vielleicht dieser gar nachstehen? Sollte das in unsern Schulen noch so häufig eingeführte Prügelsystem der freiern Entwickelung der Genies wohl gar entgegentreten, und das anhaltende Sitzen auf Körper und Geist zugleich nachtheilig einwirken? Ich wage dies nicht zu entscheiden.

Wahr ist es nun freilich, die amerikanische Jugend ist wild, vorzüglich die Knaben. Man klagt zwar auch über unsere Schulkinder, wenn sie das Jugendfeuer einmal ein wenig austoben wollen, aber doch sind die unsrigen gegen jene noch wahre Engel; und was noch auffallender ist, der Erwachsene muß sich viel, fast alles von jenen gefallen lassen. Eine ihnen widerfahrne leichte, oft selbst veranlaßte Unbilde, wissen sie entweder selbst zu rächen, oder die hohe Obrigkeit straft sie streng. Eine einzige, einem wilden Knaben, der dich neckt, gegebene Ohrfeige, bringt, wenn es gesucht wird, gewiß mehrere Wochen Gefängniß oder schwere Kosten. – Doch muß ich auch die bessere Seite der amerikanischen Kinder beleuchten. Ihre Späße sind selten sehr schädlich, sie sind ungemein freundlich und gefällig gegen alle, von denen sie höflich und freundlich angeredet werden. Sie gehen auf dem Lande Stundenweit mit dir um eine Farm, eine Wohnung dir anzudeuten; und auch in den größten Städten verläßt dich der Gebetene nicht eher, als bis er dich zurecht gewiesen. Niemand ist thätiger, und, außer den Spritzenleuten, nützlicher bei Feuern. Ich werde mehr hierüber sprechen, wenn ich erst einige Beispiele von ihrem Muthwillen aufgeführt habe, welche an sich zwar nur Knabenstreiche sind, aber in einem treuen Gemälde von Amerika nicht fehlen dürfen, weil dieselben, begünstigt durch die Landesgesetze doch in einem ganz andern Lichte erscheinen, als die, welche von europäischen Knaben ausgeführt werden.


Ich wohnte in Baltimore bei einem gewissen Weser, der dort ein Wirthshaus hatte, und nebenbei Eigenthümer eines Schiffchens war, mit welchem er und sein Vetter, der ein Seemann war, die Chesapeake Bay hinaufsegelte, um Holz, Victualien und andere Gegenstände zu holen, oder auf angekommene Passagiers-Schiffe Erfrischungen zu bringen. Dieses Schiffchen, ein kleiner Shlop, war gerade hinter seiner Wohnung an einem Wharfte befestigt. – Die wilden Knaben hatten dasselbe kaum ausfindig gemacht, als sie haufenweise herbeiströmten, es losmachten, die Seegel aufzogen, und Stundenlang damit im Hafen Spazierfahrten anstellten. Nun brachten sie es zwar stets glücklich wieder zurück, befestigten es auch an Ort und Stelle; aber es traf sich mehreremale, daß das Schiffchen gerade in der Zeit, da es von den Knaben in Beschlag genommen war, gebraucht wurde. Um nun solche Fälle für die Zukunft zu vermeiden, befestigte man das Schiffchen mit einer Kette an einen Pfahl. Aber auch diese war nicht fest genug; die Kinder wußten sie loszubringen, machten ihre Lustfahrt, brachten auch das Schiffchen glücklich zurück, konnten es aber der Kette wegen nicht wieder an dem Pfahle befestigen. Schnell erhob sich ein frischer Wind vom Lande, und das Schiffchen wurde weit hinaus in die Bay getrieben. Gut daß dieses nicht zu spät bemerkt wurde und man noch Zeit behiehlt, mit einem Boote nachzurudern, um es zurückzubringen. Der erboste Matrose, Wesers Vetter schwur jedoch, daß wenn er die Jungen wieder bei dem Schiffchen träfe, er ein Exempel statuiren, und einem den Hals brechen wolle. Er wolle unter sie fahren wie der Satan unter die Säue. Noch sprach er im Zimmer darüber, als der frische Landwind schon wieder eine Schaar um das Schiffchen versammelt hatte, die sich bemühte es abzulösen. Jetzt eilt er wüthend hin und stößt einen der arbeitenden Knaben nach dem andern unsanft weg. Doch dies bekam ihm schlecht; sämtliche Knaben fingen an, ihn mit Beinen zu stampfen, und obgleich der breitschulterige Matrose durch Faustschläge sie von sich abzuwehren wußte, so gab deren Rückzug erst Raum zu einem heftigen Tirailleur-Feuer, das mit Steinen nun von allen Seiten, durch die Stellenweise vertheilten Knaben, auf ihn geführt wurde. Es blieb ihm nichts übrig als schleunige Flucht, hohe Beulen und blaue Flecken die Fülle davon tragend. Das Schiffchen selbst konnte für die Folge nicht anders geschützt werden, als dadurch, daß es in einen Wharft gebracht wurde, welcher ins Innere eines verschlossenen Hofes ging.

Im Januar 1835 fiel bei ziemlicher Kälte tiefer Schnee in Philadelphia, bald aber wurde die Luft gelinder, und dies war für die lustige Straßenjugend von 8 bis 20 Jahren eine sehr willkommene Gelegenheit, sich durch Schneeballwerfen zu belustigen; stellenweise fanden sich ziemlich große Gesellschaften zusammen, die förmliche Treffen lieferten. Es konnte natürlich dabei auch nicht fehlen, daß mancher ganz unbefangen Vorübergehender etwas zufällig dabei ins Gesicht, oder auch muthwilliger und scherzhafter Weise auf den Rücken bekam. Gewöhnlich schüttelte sich der Getroffene und lachte. – Während einer solchen, in der Frontstreet gelieferten Bataille fuhr ein mit 4 Pferden bespannter Farmers-Schlitten, auf den sich nur ein einziger breitschulteriger Führer geladen hatte, an dem Kampfplatze vorbei. Die jungen muntern Streiter, als sie sahen, wie viel Platz noch auf dem wohlbespannten Schlitten war, hielten es nun für eine angenehme Abwechselung ihres Vergnügens, wenn sie auch ein wenig Schlitten führen, und hingen sich von allen Seiten und soviel ihrer nur hinaufgingen, an denselben. Der zahlreiche ungebetene Besuch ward jedoch dem Farmer bald lästig, er verbat sich denselben ernstlich, hielt an und hieß die Knaben absteigen. Dies Gebot blieb jedoch nicht allein erfolglos, sondern das Anhalten wurde sogar noch benutzt, und der Schlitten von innen und außen in einem Augenblicke so besetzt, daß keine Katze mehr hätte Platz in demselben finden können. Jetzt glaubte der Farmer ernstliche Maaßregeln ergreifen zu müssen, und fing an mit der Peitsche theils auf die Pferde, theils aber auch auf die Knaben ziemlich stark zu hauen.– Dies hatte nun zwar den erwünschten Erfolg, aber die von der Peitsche unsanft berührten Knaben schmetterten nun auf ihn, auf seinen Schlitten und auf seine Pferde, mit Hülfe sogleich herbeigeeilten Succurses, einen solchen dichten Hagel von Schneebällen, daß die Pferde sich bäumten, er selbst aber und sein Schlitten mit solch einer Schneemasse bedeckt oder vielmehr darunter begraben wurde, deren Gewicht wahrscheinlich mehr betrug als das der Knaben und der Lebensmittel, die er wahrscheinlich zu Markte gebracht hatte, zusammen. Er entkam nun zwar endlich mit Hülfe der wildgewordenen Pferde, jedoch so weit wie möglich mit Schneebällen verfolgt. Solche Dinge läßt die hohe Obrigkeit gewähren.

Daß die amerikanischen Kinder gern hohnnecken, ist schon erwähnt worden, daß sie dies aber vorzüglich gern an den Deutschen thun, ist nicht zu verwundern, da leider der Deutsche, vorzüglich in den großen Seestädten, in einer tiefen, von vielen nicht unverdienten Verachtung steht. Sollte man nun vor einem solchen Knaben, welcher bald den Spottnamen Dutchman (Holländer) wird hören lassen, vorbeigehen, so dulde man dies ja. Sollte jedoch dieser zum Schimpfwort gewordene Ruf sich wiederholen, so begnüge man sich Irishman – (Eurischman, Irländer) dafür auszusprechen; dies ist auch ein Name, mit dem ein ächter Amerikaner nicht gern beehrt wird, welchen jedoch der Knabe als Belohnung für Duchman ruhig aufnimmt, wenn es nur mit heiterer Miene ausgesprochen wird. Aber um Gottes willen lasse man sich nicht weiter mit ihnen ein; denn eine derbere Beleidigung mit Worten würde einen Hagel von Schimpfreden und einen Steinregen nach sich ziehen, da die beleidigten Knaben in der Regel sogleich Gehülfen finden.

Dann hüte man sich einen Knaben zu züchtigen, auch wenn man ihn allein hat. Geht er und sagt es seinem Vater, so schickt dieser gewiß einen Constabler zu, der dich ergreift, vor den Richter führt, welches dem Bemittelten Kosten, dem Unbemittelten aber Gefängniß auf eine ziemliche lange Zeit sicher zuzieht. – Die Negerbuben ahmen zwar den weißen auch gern im Muthwillen und in der Neckerei nach, aber diese armen Teufel sind weit plumper, und es bekommt ihnen in der Regel auch weit schlechter. Gewöhnlich ist eine Prügelsuppe der Lohn für ihre Geniestreiche, die auf sie ungestraft ausgeschüttet werden darf. Die armen Teufel! Darf der weiße Knabe ungeahndet die tollsten Streiche machen, so werden die schwarzen schon für die Versuche mitunter sehr empfindlich bestraft, und für sie ist kein Constabler, der zu Hülfe kommt, oder vor den Squire fordert.

Einen erfreulichen Anblick gewährte mir zuweilen ein irländischer, abgedankter Sergeant, welcher, obgleich dem Anscheine nach etwas verrückt, doch ein großer Knabenfreund war, der sich fast täglich die Freude machte, die Knaben in militairischen Evolutionen zu üben. Er stellte sie in der Point Baltimore, wo ich wohnte, in Reihe und Glied, und lehrte ihnen an Stöcken jeden Handgriff des Soldaten. Die Knaben hingen mit wahrer Wuth an ihm. – Wenn es ihm nur beliebte und er Lust hatte sich mit Soldatenspielen zu vergnügen, so brauchte er, besonders des Abends, nur zu pfeifen, und er hatte gleich 20 – 30 Knaben um sich, die ihm in allem was er angab vergnügt gehorchten und sich Stundenlang von ihm den großen Point hindurch führen ließen, immer richtig Schritt haltend. Sie brachten nicht selten eine Fahne und eine Trommel mit, und dieser große Kinderfreund, so verwirrt er auch aussah, wird gewiß nicht wenig beitragen, gute Miliz-Offiziere und einst tapfere Vaterlandsvertheidiger zu ziehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2