Abschnitt. 6

Bald stand ein ländlicher Gatten, so schön als er nur irgendwo zu finden war, und mit den besten Gemüsearten, Bäumen, Sträuchen und sogar Blumen verziert, fertig da. Er nahm so ziemlich den ganzen Raum ein, der zu Ende des vorigen Jahres noch von Bäumen hatte befreit werden können. Dann aber gebot der Indier noch mehr Bäume umzuhauen und noch mehr Wald zu lichten, um, wie er sich alles durch Zeichen merken ließ, in andern Jahren Felder anlegen zu können. Gewandt und geschickt handhabte David jetzt die Axt. Ein Baum fiel nach dem andern und immer freier und freier wurde der Platz. Jetzt fing er sogar schon an einzelne schöne, dick belaubte Parthieen als Schattenberger stehen zu lassen. Nur die nöthigen Arbeiten im Garten: das Behacken, Jäten etc. unterbrachen das Holzschlagen. Als der Sommer vorübergegangen war und der Herbst mit aller Pracht, die ihm hier eigen ist, eintrat, war ein großer Platz bereits klar und der Indier erklärte, es sey genug. Er nahm dann wieder mit seiner gewöhnlichen Riesenkraft mehrere Baumstämme aus einem hohen, von ihm aufgeschichteten Haufen und gebot mit seiner bedeutungsvollen, stillschweigenden Art, diese zu behauen, indem er andeutete, daß damit ein Gebäude aufgeführt werden müsse. David ergriff recht gern, schon der Abwechselung wegen, dieses neue Geschäft und ehe der Winter wirklich herankam, war eine hinreichende Zahl Stämme glatt behauen. Der Indier nahm sie darauf, einen nach dem andern, hieb selbst Fugen in ihre Ecken und in einem einzigen Tage hatte er mit seiner übermenschlichen Geschwindigkeit und Stärke eine schöne, große Scheuer aufgebaut, nebst einer Stallung, der nur noch die Schindeldachung fehlte. Die Schindeln dazu im Hause zu machen, als Winterarbeit, das deutete der auf die gewöhnliche Weise an. Jetzt hatte David zu eilen den Segen seines Gartens in einige bereits schirmende Gemächer der neuen Gebäude zu bringen. Er bekam nun keine zubereitete Speise mehr und war also genöthigt sich das, was er bedurfte, selbst zu kochen. Bereits war er schon mit vielen Nahrungsmitteln, als Frucht seiner eigenen Thätigkeit, versehen; alle Arten Gemüße hatte ihm sein Garten geliefert, und in dem neu erbauten Speicher hatte er auf einmal Kochgeschirr, Salz und mehrere Fäßchen getrockneten und gepökelten Fleisches gefunden. Auch ein ziemliches Fäßchen Cyder fehlte nicht, – und eines Morgens stand eine feine, blanke Kuh mit vollem Eiter vor seiner Thüre. Nur frisches Brod fand er in der Regel alltäglich auf seinem Tische, das einzige, womit ihm die Mühe der Bereitung noch erspart wurde. So sehr nun David während seines bereits länger als 1 ½Jahr dauernden Aufenthaltes in dieser jetzt umgeschaffenen Einöde begriffen hatte, daß Arbeit und blos Arbeit das Einzige war, was den traurigen Zustand der Einsamkeit ihm leichter machen konnte, so war ihm auch die jetzt gekommene Nothwendigkeit, immer mehr für sich selbst zu sorgen, jetzt sehr willkommen, um so mehr, da die rauhe Jahreszeit herannahete. Er trat endlich ein, der Winter, und dieser verging, trotz der Einsamkeit, bei nützlicher Arbeit und Gebet, – denn schon längst hatte David herzlich beten lernen, – schnell und nicht traurig. Der Frühling kam wieder, neue Arbeiten, bisher noch nicht geübt, mußten vorgenommen werden. Die große Strecke geklärten Landes wurde umgepflügt, wozu der ihm schon mehr zum Gehülfen als Aufseher gewordene Indier einen Pflug und ein schönes, junges Pferd zuführte, und dann mit Mais, Weitzen, Gerste, Hafer, Bohnen, Erbsen, Buchweitzen besäet. Auch das wohlriechende Unkraut, der Tabak, wurde auf einer großen Fläche gepflanzt. So kam endlich der 3te Herbst heran und alle Arbeiten in diesem Jahre waren David so von statten gegangen, als wenn 3 oder 4 unsichtbare Hände mit den seinigen verbunden gewesen wären. Ehe der 3te Winter herbeikam, wurde an dem starken Bache, bis wohin die Klärung des Waldes sich bereits ausgedehnt hatte, eine schöne Mühle in einem Umfange gebaut, daß sie für tausende von Menschen das nöthige Mehl liefern konnte. Dabei stand ein nettes Wohnhaus mit mehreren Zimmern und allen Meubels und Bequemlichkeiten versehen, welche letztere David, mit einer ihm selbst unbegreiflichen Geschicklichkeit, gefertigt hatte.

David war längst kein Gefangener mehr; seine früheren Wächter, die großen Hunde, waren zwar noch immer bei ihm, verwehrten ihm aber nicht mehr zu gehen, wohin er wollte und waren gegen ihn jetzt so demüthig und treuergeben, wie andere ihres gleichen ihrem Herrn. Aber wenn er eine Strecke in seinen Urwald hineindrang, so stieß er, er mochte auch eine Richtung wählen, welche er wollte, zuletzt immer auf solch dichtes Geheck von Dornen-Geflecht, daß es unmöglich war weiter zu dringen. Ein schönes, wohlangebrachtes, weitläufiges Grundstück stand da, auf dem alles wuchs, was zur Ernährung zahlreicher Menschen nothwendig war. Eine Herde trefflicher Rinder besaß er schon, sein Hof wimmelte von Federvieh, sein Wald von Schweinen, mehrere muntere Pferde weideten auf den weitläufigen Wiesen, aber nur er allein war der Nießbraucher von allen diesen Reichthümern, die in Scheuern und Ställen aufgestapelt werden mußten.


Dieses Gefühl machte es, daß der vierte Winter ihm fast trauriger verging als der erste, den er hier zugebracht. Großer Ueberfluß und Segen überall, aber keine Menschen, die denselben mit ihm theilen konnten. Alles zu schönster Bequemlichkeit, aber keine andern Gefährten, als sein unvernünftiges Vieh, das um ihn herumtrieb. Dem Indier nur ein Wort abzugewinnen, war ihm die ganzen 4 Jahre seines Aufenthalts nicht gelungen, obgleich seine Miene längst alles Furchtbare verloren und stets eine größere Freundlichkeit angenommen hatte. Welche Musik wäre für ihn der Ton einer menschlichen Stimme gewesen!

So kam das 4te Frühjahr seines jetzigen Aufenthaltes herbei und sollte auf ein wahrhaftes kleines Paradies scheinen. Da beschloß er sehnsuchtsvoll an einem schönen Frühlings-Abende einen Spaziergang in den Wald und traf endlich einmal auf eine Stelle, wo ihm zu weiterm Vordringen kein Hinderniß in den Weg trat. Fröhlich ging er immer tiefer hinein, als – wer beschreibt sein Entzücken – eine Fensenlinie sich ihm den Weg stellt. Wer war eiliger als er, diese zu überspringen, in der gewissen Aussicht, mit andern ihm gleichen Wesen zusammen zu treffen. Er hatte auch nicht weit zu gehen, als ein schönes, von Wirthschaftsgebäuden umgebenes Wohnhaus von Ziegelsteinen ihm entgegen schimmerte. Unfern von diesem Hause war unter dem Schatten von Sincamore-Bäumen eine Tafel aufgestellt, um die herum, auf Bänken und Stühlen, mehrere Menschen beiderlei Geschlechts schmausend in muntern Gesprächen saßen. Zwei schöne junge Weiber, die Gesellschaft leisteten, hatten Säuglinge an der Brust, und einige andere 2 und 3jährige Kinder tummelten sich in dem hohen Grase herum. Er selbst war, fast von allen unbemerkt, bis ganz in ihre Nähe gekommen als die jungen Männer ihn zuerst erblickten und mit dem Ausrufe: David! auf ihn zusprangen. Es war John und Nicolas, die hier mit den Ihrigen den schönen Abend genossen und die seit 4 Jahren alles Glückes, das ländliche Ruhe, Ueberfluß und innere Zufriedenheit geben können, theilhaftig waren. Sie wußten das Verbrechen nicht, das er einst an ihnen begehen wollte und empfingen ihn alle mit freudiger Herzlichkeit; obgleich das Gefühl von Beschämung und das Drückende seiner ehemaligen Schlechtigkeit für ihn die Freude dieses Wiedersehens minderte, so erhob doch diese Freude das Dankgefühl für die Macht, die ihn von seinem Verbrechen liebevoll zurückgehalten und ihn selbst durch eine lange aber doch gütevolle und gerechte Strafe, in einen bessern Menschen umgewandelt hatte. Nur einige Minuten des gegenseitigen Erstaunens und alle lagen sich herzlich in den Armen und alle fühlten die Wonne des Wiedersehens und der Hoffnung sich nicht wieder zu trennen. Die Weiber und die Kinder standen um die Gruppe und sahen verwundert zu, als sich die Gesellschaft, von allen unbemerkt, auf einmal noch um eine Person vermehrt hatte. Mitten unter ihnen stand die allen wohlbekannte Gestalt der mächtigen Alten aus dem Waldhäuschen. Aber sie war nicht mehr die bleiche, gelbe Indianerin oder die Dame, die mild ihnen lohnte, sie hatte sich in ein schönes, hohes, ehrfurchtgebietendes Wesen umgewandelt, aus dessen Augen ein überirdisches Feuer glänzte. Ein Ehrfurchts- und Dankgefühl drückte alle auf ihre Kniee nieder, doch sie winkte ihnen ernst und sprach:

„Nur dem Allmächtigen, nicht mir gebührt Anbetung. Die Macht die mir wurde und die ich anwendete zu euer aller Wohl, verdanke auch ich ihm. Mein Werk an euch ist vollendet, ich sehe euch froh, glücklich, und dich, auf David zeigend, gebessert und fähig Glück zu genießen. Ich eile jetzt fort aus diesen Gegenden, mein Werk ist hier vollbracht. Ich bin Dienerin des Höchsten, wie ihr. Mein Beruf ist vorzueilen der Civilisation, Punkte zu gründen, wo ein geeignetes Feld sich bietet und diese mit meinen Schützlingen zu besetzen. Das bisher wüste Land am Ohio wird bald zu einem blühenden Staate sich erheben, erfüllt mit glücklichen, frohen Menschen. Der Rücken seines Stromes wird bald von Schiffen wimmeln, die die Segnungen des einen Endes dieses zu hohem Ruhm und Glück bestimmten Landes, mit dem Platze verbinden wird, wo der Missippi seine Fluthen ins mexikanische Meer ergießt. Ihr selbst werdet, in treuem Vereine, alle die Freuden genießen, die Menschen beglücken können, und auch dir, David, werden sie nun nicht mehr entgehen. Was du dir bautest, was du dir mit Hülfe meiner dienstbaren Geister schafftest, ist dein Eigenthum und zu deinem Glück und Genuß bestimmt.“.

„Doch nun lebt wohl. Mein Geschick treibt mich fort. Ich muß weiter nach Westen, hin an die Ufer des Misouri, Missisippi und Illinois, zur Aufnahme neuer Völker. Lebt wohl, lebt wohl! Ich verlasse euch, doch mein Segen bleibt euch und wird euch beglücken.“

Sie verschwand; alle blieben lange in sprachloser Ehrfurcht stehen.

Und sie hatte richtig vorhergesagt. Die Gegend, in der sie lebten, hatte sich bereits belebt; überall waren schon neue Farmes entstanden und gediehen so schön, als wenn überall die Hülfe dienstbarer Geister sichtbar sey. Als David zu seinen Freunden gelangen konnte, hatten sich schon in der ganzem Umgegend neue und immer neue Anbauer eingefunden; und heute ist der Schauplatz dieser Erzählung einer der belebtesten Orte am Ohio; nicht weit davon liegt jetzt ein niedliches Städtchen.

David fand bald nachher eine schöne junge Gattin in der Tochter eines nachbarlichen Farmers. Freundschaft, Liebe, gegenseitige Gefälligkeiten schwanden nicht wieder aus dem Kreise dieser nachbarlichen Familien, die bald mit die reichsten und geehrtesten dieses so reißend schnell aufblühenden Staates wurden.

Und hiermit schloß der gute alte Held seine Sage in welcher meine Leser gewiß mehr Wahrheit als Dichtung finden werden. Man sagt, daß aus dieser Historie die pensilvanischen Gesetzgeber die Veranlassung genommen haben, ihre Gefängnisse so gut einzurichten und die Sträflinge in ihren Zuchthäusern auf eine Weise zu behandeln, daß diese selten anders als wirklich gebessert in die menschliche Gesellschaft zurückkehren, wogegen sie in andern Ländern, trotz einer schrecklichen, die Menschheit entehrenden Behandlung, in den Zuchthäusern erst zu Meistern unter den Sündern ausgebildet werden.

Trotz dem, daß ich fast in allen Häusern, wo ich einkehrte, nur sehr gastfreundliche, gütige Aufnahme genoß, mußte ich doch auch von der pensilvanischen Derbheit so manches verschlucken. Einmal fragte mich ein Farmer, nachdem er mir abgekauft hatte: „Aber wie kommts, daß du alter Kerl – ich war damals 46 Jahre alt, sah jedoch um 10 Jahre älter aus, – noch dein fernes Vaterland verlassen hast und herüber zu uns gekommen bist? Du magst schöne Streiche dort gemacht haben!“

Ein andermal bemerkte mir einer: „Ihr Deutschen glaubt halt, die Gold-Aigles – Goldstücke von 5 Dollars – wachsen hier auf den Bäumen und man brauche sie nur zu schütteln.“

Noch ein andermal sagte einer: „Es kommt so viel deutsches Gesindel zu uns herüber, daß wie es am Ende gar nicht mehr werden ernähren können. Der Congreß sollte Maßregeln ergreifen, wodurch das haufenweise Eindringen verhindert und erschwert würde.“ Hierüber sind auch in der That dem Congreß wiederholte Vorschläge gemacht worden, doch natürlich stets erfolglos, denn Amerika bedarf noch der deutschen Arme, um seine Kanäle und Eisenbahnen aufzubauen, seine Wälder niederzuhauen, seine gifthauchenden Moräste auszutrocknen und seine Einöden zu beleben. Es bedarf aber auch des deutschen Geldes, aller jener Sparpfennige und Erbschaftsgelder, jener Erlöse aus Gütern, Häusern, Geräthen, Betten und Kleinodien, die von Tausenden von Familien hier herübergebracht werden und hier sehr bald wie Wasser durch ein Sieb verlaufen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2