Abschnitt. 4

Aber ein ganz anderes Loos hatte sich der unmenschliche David bereitet. Die Arme auf den Rücken geschnürt, sein Bündel übergeworfen, mit Stößen von dem Kolben seiner eigenen Flinte, war er durch den furchtbar aussehenden Indier in den Wald getrieben worden. Hier mußte er auf ungebahntem Wege, durch Dornen, Nesseln und Gebüsch den finstern Wald entlang den Weg gehen, den der Wilde ihm andeutete und wenn er ermatten wollte, wurde er durch frische Kolbenstöße angetrieben. Erst am späten Abende dieses Tages, als sie an einer Eiche angekommen waren, an deren Fuße ein Stück Maisbrod und ein Krug Wasser stand, hielt der Wilde, packte ihn bei den gebundenen Händen, schnitt die Bande durch und befestigte, ehe er sich noch rühren konnte, seine Arme über den Ellenbogen so fest an dem Stamme des Baumes, daß an ein Loskommen nicht zu denken war. Dann bückte er sich, gab ihm in die eine Hand den Wasserkrug und in die andere das Stück Brod, pfiff schneidend und siehe zwei große Bluthunde kamen herbei und legten sich zu Davids Füßen, er selbst aber, der Indier, verlor sich in das Dickicht. So stehend mußte nun David die Nacht in Gesellschaft dieser ihn stets mit Flammenaugen anblickenden Wächter zubringen. Die fest geschnürten Bande schnitten schmerzlich in seine Arme. Der Wasserkrug, den er in seiner Hand hielt, war bald geleert und das Brod entfiel ihm, ehe er es noch halb verzehrt hatte und wurde augenblicklich eine Beute der Hunde. Hunger, Durst, furchtbare Ermüdung und quälende Schmerzen der Bande peinigten ihn unendlich diese grausenvolle Nacht hindurch, in welcher erst am Morgen ein matter Schlummer die müden Augenlieder schloß, der jedoch alle Augenblicke durch die furchtbaren Schreckbilder seiner Phantasie, durch entsetzliche Träume gestört wurde. Der helle Morgen kam endlich träg zurück und mit seinem ersten Strahle auch der Wilde, der ihm abermals ein Stück Brod reichte und zugleich den Wasserkrug bot. Vom Heißhunger und von Durst gequält, verschlang David beides, während jener sich bequem im Grase herumwälzte. Kaum hatte er sein ärmliches Mahl beendet, als der Wilde seinen Tomohawk aufnahm, die Fessel zerschnitt, die ihn an den Baum befestigt hatte, sie aber augenblicklich wieder an die Knöchel seiner Arme legte. Dann deutete er ihm an vorwärts zu gehen, immer fort durch den ungebahnten Urwald, auf pfadlosem Wege, wohin überall die zwei Bluthunde folgten. Ohngefähr zwei Stunden mochte dieser Weg sich gestreckt haben, als ebenfalls der Ohio mit seinen Silbersfluthen vor ihnen lag, an dessen Ufer ein Boot sie erwartete. Der Wilde gebot David durch Zeichen hineinzusteigen, verwehrte dem Todmüden nicht, sich darin niederzulegen, sprang selbst mit beiden Hunden nach, und gab mit einem Fußstoß gegen das Felsenufer dem Boote einen solchen Stoß, daß es mit der Schnelligkeit einer Kanonenkugel gegen das jenseitige Ufer schoß. Nur wenige Minuten hier angelangt, und der kaum ein wenig Ruhende wurde wieder aufgetrieben, und der Weg ging ebenfalls in den das Ufer bedeckenden Wald. Bald jedoch gelangten sie an einen kleinen freien Platz, in dessen Mitte ein Blockhäuschen stand. Hier hinein zu treten wurde David von dem Wilden angedeutet, und ihm, darin angelangt, die Bande von den Händen geschnitten und er sogleich von seinen Begleitern verlassen. Obgleich durch Hunger und Müdigkeit ungeheuer erschöpft, bedurfte es doch wenig Zeit, das Innere des Hauses zu erspähen. Es bestand nur aus leeren Wänden, 2 Klötzen, der eine etwas höher, der andere kleiner, sollten wahrscheinlich Tisch und Stuhl vertreten. Auf erstem stand ein Maisbrod und ein Krug Wasser, ein Haufen Stroh lag in einem Winkel. Der nun von seinen Banden befreite David fühlte in diesem Augenblicke nichts als Hunger, Durst und Müdigkeit. Er nahm Brod und Wasser vom Tische, legte es auf den Fußboden und stürzte sich auf das armselige Strohlager. Doch die Müdigkeit war größer als die übrigen Forderungen der Natur. Kaum hatte er einen Schluck Wasser getrunken und wenige Bissen Brod gegessen, als er in einen tiefen Schlaf versank, von dem er erst erwachte, als sich schon eine tiefe Dämmerung auf den Wald gesenkt hatte. Auch jetzt trieb ihn der Hunger, der jetzt heftig geworden war, wieder nach der Nahrung, wovon er die Ueberreste gierig verschlang und bald darauf, noch an allen Gliedern gelähmt, wieder fest einschlief; gegen Morgen erwachte er, fand seinen Wasserkrug wieder gefüllt und das gestern aufgezehrte Brod durch frisches ersetzt. Zwar schmerzte ihn noch heftig die Stelle, wo die Bande tief in das Fleisch eingeschnitten hatten, aber doch fühlte er, daß die gewaltige Müdigkeit aus seinen Gliedern verschwunden war. Er nahm sein Brod zur Hand und trat aus dem Hause, um zu sehen, wo er sich eigentlich befinde und ob nicht irgendwo ein Weg zur Flucht vorhanden sey. Aber kaum war er 5 Schritte von diesem Häuschen, das übrigens ganz dicht von Wald umringt war, weg, als er auf einmal die Hunde, seine gestrigen Wächter und Begleiter, wie wüthend auf sich losspringen sah, die sogleich an ihm hinaufsetzten, ihr scharfes Gebiß in seine Waden senkten, und ihn sofort nöthigten, eilig zur Hütte zurückzukehren. Er fühlte dabei eine solche Kraft und Gewalt dieser Thiere, daß ihm seine Unfähigkeit zu widerstehen, nur allzuklar wurde. Er sah sich also genöthigt, in dem Hause zu bleiben, in dessen Innern sich kein lebendes Wesen sehen ließ. Einsam und mit erwachenden Gewissensbissen über das, was er früher im Leben auf seinen Kriegszügen gethan und an seinen guten, treuen Gefährten zu thun beschlossen hatte, brachte er nun ganze lange Tage auf seinem ärmlichen harten Lager zu, aller Arbeit, Bewegung und Zerstreuung ermangelnd, wo der Schlaf ihn floh und Kummer und Sorgen gleich giftigen Schlangen in seiner Nähe haußten.

Zwar ward alle Tage sein Brod erneuert und sein Wasserkrug frisch angefüllt, aber dies war auch das einzige, was ihm zukam, und zwar das Brod von ungemein knappen Portionen, so daß er seinen Hunger kaum zu stillen vermochte.


Wochen und Monate vergingen in dieser traurigen Einsamkeit, in welcher er nichts Lebendes sah, als die furchtbaren Wächter, die Hunde, die ihm höchstens erlaubten sich 3 oder 4 Schritte von der Wohnung zu entfernen und ihn stets mit schlimmen Bissen bezahlten, wenn er wagen wollte nur einen weiter zu gehen. Er versuchte endlich die Qual der verzweiflungsvollen Langenweile durch Selbstmord zu endigen, aber auch hierzu fehlte jedes Mittel. Ach hätte er nur wenigstens das Gezwitscher der Vögel hier gehört, aber alle schienen seine Nähe zu fliehen, selbst kein Frosch, kein Heimchen ließ sich nächtlich hören und nur etwa hie und da streckte eine Kupfer- oder Klapperschlange ihren Kopf zu seiner Thüre herein. Gern hätte er in diesen willkommene Werkzeuge seines Todes gesucht, sie ließen sich aber nicht von ihm erreichen, sie flohen, sobald er sich ihnen näherte. So furchtbar ihm nun der wilde Indianer geworden war, der ihn in diese traurige Einöde gebracht hatte, so war er doch fast freudig überrascht, als derselbe eines Morgens in seine Hütte trat. Er trug eine große Axt in seiner Hand und winkte ihm, herauszukommen. Und indem er selbst sogleich zwei Hiebe auf einen der großen in der Nähe der Hütte stehenden Bäume mit solcher Kraft trieb, daß derselbe prasselnd in das Gezweig hineinstürzte, gebot er David ein gleiches zu thun; dieser gehorchte auch augenblicklich. Freilich wurde es seinen durch langes Nichtsthun gelähmten Gliedern schwer die Axt zu schwingen, freilich gehörten anfänglich hunderte von Schlägen dazu, ehe er das vollendete, was der Indier mit zweien, vollbracht hatte. Letzterer stand einige Zeit dabei, ohne über seine schwerfällige Arbeit Ungeduld zu verrathen und verließ ihn endlich, durch Zeichen andeutend, daß er mit mehreren Bäumen in der Nähe so fortfahren möge. Er fühlte, trotz der erforderlichen Anstrengung, eine wahre Herzenserleichterung ?ber dieser Arbeit und ehe der Mittag herankam, lehnten bereits 3 bis 4 der in der Nähe stehenden größten und stärksten an den nahestehenden Bäumen. Obgleich die Hunde immer drohend dabei in seiner Nähe geblieben waren und fast aussahen, als wenn sie ihn zur Arbeit antrieben, so ging er doch, als seine Ermüdung zu groß geworden war, in seine Wohnung zurück und fand auf seinem Baumstumpfe zu seiner Freude nicht allein ein warmes, frisch duftendes Stück Maisbrod, sondern auch zugleich, zum erstenmale seit er hier wohnte, eine kleine Ecke schöner, süßer Butter daneben. Beides mundete ihm nach gethaner Arbeit vortrefflich und das eiskalte Wasser, was neben jenem in dem Kruge stand, schmeckte wie der beste Nektar. Er legte sich ein wenig auf sein Strohlager und nachdem er hier auf die ungewohnte Ermüdung geruht, griff er wieder rasch und muthig nach der Axt, die Nachmittags schon geschickter und schnelles gehandhabt wurde. Die Hunde sahen ihn dabei zwar immer mit ihren blutglühenden Augen an, legten sich jedoch schon in einer größern Entfernung wachend nieder. Er arbeitete nur mit kurzen Unterbrechungen, so lange der Tag es ihm gestattete, und kehrte erst am Abende in die nahe Hütte zurück. Eine hübsche Zahl Bäume, die ihre hohen Nachbarn am förmlichen Umsturz verhindert hatten, waren jedoch bereits schon von ihren Wurzeln getrennt. Auch zum Abendimbiß fand er sein Mahl mit demselben, ihm am Tage gewordenen Leckerbissen, der Butter vermehrt, welches er mit Wohlbehagen genoß und sich dann müde auf sein Lager warf, wo er sanfter als längst vorher entschlief. Am andern Morgen erwachte er erst, als der abermals eintretende Indier ihn aus dem Schlummer störte, dessen Miene jedoch, wie es schien, schon etwas von ihrer Furchtbarkeit verloren hatte. Er deutete auf das daliegende Brod zum Frühstück, wartete ruhig bis dies vollendet war, winkte ihm dann wieder zur Arbeit, auf die Bäume umher zeigend, und machte ihm deutlich, daß er mit der abgebrochenen Arbeit fortfahren möge, welchem Gebot David ohne Zögerung Folge leistete. Er selbst aber machte sich an die abgeschlagenen und noch an ihren Nachbarn lehnenden Bäume, nahm einen nach dem andern weg, und trug ihn mit solcher Leichtigkeit auf eine Stelle, als ob es gewichtlose Spazierstöckchen wären. David konnte sich nicht enthalten, diesem Geschäft einige verwunderungsvolle Aufmerksamkeit zu schenken, welches der Riese auch lächelnd duldete, und ihn, als er in kurzer Zeit sein eignes Werk vollendet hatte, wieder verließ. David arbeitete aber so fleißig fort, als er nur konnte, und ehe der Mittag herkam hatte er schon das Vergnügen, eine ziemliche Zahl Bäume von ihren Wurzelstämmen gelöst zu haben. Erst da verließ er sein Werk und fand mit Freuden in seiner Hütte sein Mittagsmahl, neben der Butter noch mit einem kleinen Kruge schöner, fetter Milch vermehrt, die ihm nicht allein trefflich mundete, sondern ihn auch hoffen ließ, daß bei größerem Fleiße und erlangter größerer Geschicklichkeit sich wahrscheinlich auch sein Schicksal mehrfach verbessern werde. Diese Hoffnung ließ ihn sogar die bisher immer gehaltene Mittagsruhe vergessen, und er eilte, sobald er sich gesättigt, wieder an sein Werk das er, mit immer vermehrter Kraft und Geschicklichkeit begann und durchführte. Am Abend dieses Tages lag schon eine bedeutend große Zahl durchgehauener am Boden, und als er in die Hütte zurückging, fand er auch eine neue Anerkennung seines Fleißes, denn ein warmer Reisbrei duftete ihm entgegen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2