Abschnitt. 3

Ein wunderlieblicher Morgen erweckte sie wieder, und schon beim Erwachen bemerkten sie, daß abermals ihr Tischchen so trefflich besetzt war wie immer. Sie nahmen rasch das gute fertige Mahl ein und machten sich wieder auf den Weg, dessen Ende sie, nach den Aeußerungen ihrer Gönnerin, nun nahe glaubten. Auch waren sie an diesem Morgen kaum eine Wegstunde gegangen, als der Wald sich öffnete und der prächtige Ohio-Strom, von den Strahlen der Morgensonne vergoldet, vor ihren Augen lag. An der Stelle, wo ihr Hündchen sie aus dem Walde geführt hatte, lag am Ufer befestigt ein niedliches Schiffchen mit Seegel und Mast, in welches ihr Führer sogleich sprang. Sie folgten ihm ohne Zögerung und augenblicklich löste sich das Schiffchen vom Ufer los, das Seegel spannte sich fest, ein frisches Lüftchen schwellte es und pfeilschnell schoß es, ohne zu wanken, nach dem jenseitigen Ufer, wo es sich an einer freien, mit grünem Rasen und Blumen bedeckten Stelle anlegte und den Reisenden bequeme Gelegenheit zum Aussteigen darbot. Sie folgten auch hier wie überall ihrem lustigen, treuen Führer, der sie auf einem gebahnten Wege noch eine kleine Strecke weiter führte, wo eine ganz neue Verfensung ihnen zeigte, daß sie nun wieder in von Menschen bewohnten Gegenden wandelten. Ein schönes zweistöckiges Ziegelhaus und eine kirchartige Schweitzer-Scheuer überragten und schimmerten roth hinter einer Gruppe von Aepfel-, Pfirsich- und Kirschbäumen hervor, die eben in schönster Blüthe standen. Ihr Hündchen sprang eine Strecke die Verfensung hinab und bald zu einer Lattenthür hinein, die in derselben angebracht war, und von da auf einem schönen, mit Sand chaussirten Wege, der breit genug war, um mit Wagen befahren zu werden, nach dem Hause. Um das Haus selbst herum bemerkten sie einen, mit den schönsten Küchengewächsen vor kurzem erst frisch bepflanzten Garten, dessen schöne, gerade, grasfreie Gänge mit herrlichen, eben knospenden Rosen und blühenden Fruchtsträuchen besetzt waren. Sie folgten nun ihrem kleinen Führer an das Haus und in das offenstehende Wohnzimmer, welches sie glänzend rein und mit einfachem, aber neuen Geräthe besetzt fanden. Auf einem in der Mitte stehendem Tische fanden sie einen Zettel, und wer beschreibt ihre Verwunderung und Freude, als sie in schöner, deutlicher Schrift darauf lasen:

„Dies ist das Land, das der Congreß dem John „B. als Eigenthum übergeben hat, Freundeshände haben es ihm wirthbar gemacht, und alles, was er darauf findet, ist sein Eigenthum.“


„Auch Nicolaus N. wird sein Land gleich vorbereitet finden und ist ebenfalls unbeschränkter Herr „von allem was sich darauf befindet.“

Und was sich auf John's Lande fand, war nicht wenig. Mehrere Acker waren mit Mais, Waitzen, Roggen, Gerste, Hafer, Erbsen und Bohnen besäet und standen im schönsten Flor; auf schönen Wiesenstücken, die durch besondere Verfensungen geschützt waren, weideten 20 Stück Rindvieh, 6 Pferde und eine Schafheerde. Der Hof war mit allen Arten Federvieh bedeckt, und in dem Walde tummelten sich eine Anzahl halb wilder Schweine, kurzbeinig und braun von Farbe. Bei diesen Herrlichkeiten von außen hätten sie bald vergessen nach dem zu sehen, was in dem Hause selbst noch sich befinden könne. Alle Zimmer waren mit einfachen, doch netten Möbels besetzt, aus einem Schranke im Hause schimmerte die herrlichste, feine, weiße Wäsche, in einem andern waren feine Staats- und auch leichte, dem Klima angemessene, Sommerkleider aufgehängt. Aus einer Speisekammer dufteten ihnen eben aus dem Ofen gekommene, schöne, weiße Brode entgegen. In mehrern Fässern war eingepöckeltes Schweine- und Rindfleisch und eine Anzahl schöner Schinken und Speckseiten hing an der Decke. Mehrere lange Kisten waren mit dem feinsten Mehle angefüllt. Von der Speisekammer aus kam man in den Keller, wo einige Fässer des herrlichsten alten Cyders lagen.

In dem oberen Raume waren mehrere schöne, freundliche Schlafgemächer, mit 6 zweimännnischen Betten mit den trefflichsten Matratzen und dem feinsten Leinenzeuge, und auf dem Speicher lagen mehrere hohe ausgedroschene Getraidehaufen. Kurz überall, wo man hinsah, fand man eine höchst wohleingerichete, zwar ganz neue, aber mit Vorräthen so gut wie eine längst bestehende Wirthschaft versehen.

Nachdem sich beide an den vieles Herrlichkeiten sattgesehen, eilten sie nun nach Nicolaus Land, das, wie sie schon wußten, unmittelbar an John's grenzte. Sie fanden hierin nichts weniger als auf John's Lande und beide Besitzungen schienen ganz nach einem Plane angelegt zu seyn.

Sie genossen mehrere Tage die Freude, sich in ihren herrlichen Settlements umzusehen und entdeckten überall neue Reichthümer und alles so wohl vorbereitet, daß ihnen die erste Zeit ihres Aufenthalts, die sonst für jeden neuen Ansiedler eine so schwere ist, fast ohne Arbeit vergehen konnte. Das einzige, was diesem Paradiese zu fehlen schien, waren Menschen, denn nachdem sie mehrere Tage in ihrem Eigenthum und in der Nähe herumgestrichen waren, hatten sie noch keine Spur davon bemerkt. Alle Ländereien umher bestanden aus Military Lands, solchen Ländereien, die vom Congreß zur Belohnung für die Revolutions-Krieger bestimmt und deren Eigenthümer noch nicht angekommen waren. Als sie aber immer neue Streifereien, hinter Nicolaus Gute, längs dem Ohio hinauf, in einer größern Strecke machten, waren sie ungemein erfreut, abermals auf ein Verfensung zu stoßen, hinter welcher sie in nicht sehr großer Entfernung hübsche ländliche Gebäude erblickten. Sie müßten keine geborenen Amerikaner gewesen seyn, wenn sie nicht sogleich über die Befriedigung gesetzt und nach den Häusern, vor welchen einige junge Leute mit ländlichen Arbeiten beschäftigt waren, zugegangen wären. Diese kamen ihnen auch sogleich, über den hier noch so seltenen Besuch erfreut, entgegen, begrüßten sie mit fröhlichem Händedrucke und führten sie ins Wohnhaus. Hier sollten sie noch ein Wunder erleben. Unter den darin befindlichen Personen erkannten sie sogleich wieder den Farmer mit seinen beiden schönen Töchtern, die sie im Waldhause getroffen hatten. So sehr sie nun auch über dieses unerwartete Zusammentreffen verwundert waren, so äußerten sie doch, schon an so manches Unerklärliche gewöhnt, nichts darüber.

So freundlich überhaupt in dem größten Theile von Amerika jeder Fremde, der ein einzeln stehendes Farmhaus besucht, empfangen wird, so übertraf die Aufnahme, die sie hier fanden, doch wirklich alle Erwartung, vorzüglich bei dem Vater und den beiden jungen Töchtern. Sie waren nicht Fremde, sie waren alte gute Bekannte. Denn es traf sich so sonderbar, daß letztere dreie Nachts zuvor einen sehr freundlichen Traum gehabt hatten, in welchem ihnen die Jünglinge erschienen waren, ganz kenntlich in Kleidung und Gestalt, wie dieselben an diesem Tage bei ihnen einkehrten. Eine enge, genaue Bekanntschaft, ein fast tägliches gegenseitiges Zusammentreffen, war die nächste Folge dieses ersten Besuchs. Und 8 Monate darauf, nachdem die Erndte bereits eingescheurt war und der Winter allmählig anfing mit rauhem Hauche das Grün des umherliegenden Urwaldes mit allerlei Farben zu coloriren, rollten über die holprige Straße daher eine Anzahl Wagen mit jungen Reutern begleitet, die nach der 8 englische Meilen entfernten Kirche fuhren, wo John und Nicolaus, jeder mit einer jener lieblichen Landblumen durch den dortigen Prediger verbunden wurden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2