Abschnitt. 1

Als nach beendigtem Revolutions-Kriege an sämmtliche Krieger die ihn mitgefochten hatten, an dem damals noch uncultivirten Ohio große Ländereien, welche inzwischen nicht sehr Viele annahmen, vertheilt wurden, beschlossen 3 junge Leute, sich darauf anzusiedeln, und begaben sich in Gesellschaft, versehen mit ihren Flinten, Ranzen und einigen Lebensmitteln, auf den Weg.

Die Straße über Lancaster nach Pittsberg, die sie einschlagen mußten, war damals noch nicht mit den zahlreichen hübschen Städtchen und schönen Landhäusern, wie heutigen Tages, bedeckt. Nur hier und da lauschte aus einer Waldung ein einzeln stehendes Blockhaus hervor; auch die Wirthshäuser waren noch nicht so häufig, und manche Nacht mußte im Freien und ohne andere Nahrung zugebracht werden, als die etwa ihre Flinten in den Wäldern erbeutet hatte. Dann wurde auf gut soldatisch ein lustiges Feuer angezündet, und von dem erlegten, an den eisernen Ladestöcken gebratenem Wilde, ein köstliches Mahl bereitet.


Pittsburg konnte etwa noch eine Tagereise entfernt seyn, als sie sich einmal auf einem Fußpfade von der Hauptstraße verloren, von dem sie endlich keinen Ausgang finden konnten. Wo sie sich auch hindrehten, der Wald schien immer dichter und dichter zu werden, sie waren also genöthigt, sich dem Zufall in die Arme zu werfen, und konnten höchstens die Sonne zur Führerin wählen. Aber die Sonne dieses Tages ging hinter den hohen Baumgipfeln unter, und eben so die Sonne des zweiten, dritten, vierten bis sechssten Tages, und noch war kein Ausweg zu finden. Gut, daß frische Bäche und Quellen ihnen überall aufstießen, und hier, wo nur ein schmaler Fußpfad andeutete, daß menschliche Wesen einst dagewesen waren, Wild in Ueberfluß lebte.

Am siebenten Tage ihres Herumirrens, als die Sonne kaum ihre Mittagshöhe erreicht hatte, umzog sich der Himmel mit einer Wolkenmasse, die sich immer schwärzer und tiefer auf die Baumgipfel herabsenkte. Bald fielen einzelne große Regentropfen auf die dicken Laubhallen über ihnen, doch ehe sich diese in einen jener großen Regen verwandelten, die hier gewöhnlich sind, befanden sie sich vor einem hohen Felsen, an dessen Fuße ein silberklarer Bach dahinrieselte. Felsen selbst hatte, etwas erhöht über den Bach, leicht zugänglichen Absatz, der durch ein überhängendes Felsenstück geschirmt wurde, und von diesem Abhang aus konnte man zu einer Höhle gelangen, die trocken und deren Fußboden mit weichem Sande bedeckt war. Bei dem furchtbar herannahenden Unwetter freuten sie sich ungemein über die gemachte Entdeckung.

Ein munteres Feuer loderte bald in dem durch das überhangende Felsenstück geschützten Eingange der Höhle, und ein feister fetter Truthahn gereinigt und abgeputzt, ward darauf herumgedreht. Da kam aber auch das Unwetter mit der furchtbarsten Wuth herauf. Unter grausen Blitzen, und Donnern stürzte ein gewaltiger Regen herab, und nicht lange, so war der schöne klare, rieselnde Bach zu ihren Füßen in einen weit aus seinem Bett getretenen Schlammstrom verwandelt, der mit abgerissenen Baumzweigen und ganzen Stämmen bedeckt, schäumend daherbraußte. Die ganze Natur war in der furchtbarsten Empörung.

Dem schrecklichen Unwetter zu entgehen, zogen sich unsere 3 Verirrte mit dem bereits fertigen Braten tief in die schützende Höhle zurück, als plötzlich ein angstvoller Hülferuf vom Bache herauf ertönte und die Jünglinge an den Eingang der Höhle lockte. Da sahen sie ein menschliches Wesen mit bereits ermattender Anstrengung gegen den Strom kämpfen, der unter ihren Füßen in ungestümer Wuth dahintobte. Es war für zwei der Jünglinge, wir wollen sie John und Nicolaus nennen, genug, um sich ohne lange Ueberlegung in das reißende Gewässer zu stürzen. Es gelang ihnen, das schon sinkende Weib nach kurzer gemeinschaftlicher Anstrengung zu retten. Sie nahmen die Gerettete auf, und trugen sie in die schützende Grotte, empfangen von dem lauten Gelächter und Spott ihres dritten Gefährten, David, da die Kleidung und Gestalt derselben andeutete, daß es ein altes Indianerweib sey, das von Wasser triefend besinnungslos und nur noch schwach athmend vor ihnen lag. Dieser Spott und dieses Gelächter hinderte dieselben jedoch nicht, alles mögliche zu thun, die Arme wieder zu beleben. Sie flößten ihr die geringen Ueberreste aus ihrer Branntweinflasche ein, suchten sie durch das Bedecken mit ihren eigenen noch trocknen Kleidungsstücken zu erwärmen, und so gering auch die Hülfreichung war, die sie ihr schaffen konnten, so gelang es doch, sie bald ins Leben zurückzubringen. Sie blickte mit matten Augen um sich, und als ob sie etwas vermißte, stieß sie ein lautes Jammergeschrei in indischer Sprache aus. Bald jedoch, wie ein wenig zur Besinnung gekommen, klagte sie in gebrochenem Englisch über einen erlittenen großen Verlust und erzählte weinend, sie sey ausgegangen, für ihren todtkranken Enkel Kräuter und Blüthen zu suchen; und dieser wäre gewiß verloren, wenn ihr die gefundenen durch das Wasser weggeschwemmt und nicht wieder zu erlangen wären, denn sie müßten, um wirksam zu seyn, gerade in der Mittagsstunde gesammelt und noch vor Mitternacht angewendet werden. Den nächsten Tag jedoch erlebe ihr Enkel nicht mehr ohne diese Hülfe. Sie versuchte sich zu erheben um nachzusehen, ob das Bündel, worin jene Kräuter gepackt wären, noch sichtbar sey, aber ihre Schwäche erlaubte ihr dieß noch nicht und sie sank matt und kraftlos auf ihr Sandlager zurück.

Der menschenfreundliche John eilte jedoch an den Eingang und sah in einiger Entfernung am jenseitigen Rande des angeschwollenen Gewässers, an einem stumpfen Baumast, ein Bündel hangen, mit welchem der Strom spielte und es alle Minuten wegzuführen drohte. Ob nun gleich das Wetter noch mit gleicher Stärke forttobte, John vor Nässe und Frost zitterte, so zögerte er des Zweckes wegen doch keinen Augenblick, sich noch einmal in die Fluthen zu stürzen und jenes Bündel herbeizuschaffen. Die Alte schien erfreut, als sie es aus seinen Händen empfing, ohne jedoch große Dankbarkeit darüber zu äußern. Nicolaus billigte sein Benehmen, David jedoch fluchte über seine Thorheit, daß er sich noch einmal in die brausenden Gewässer gewagt, blos um einer alten elenden Indianerin einen Gefallen zu thun, durch deren Sippschaft vielleicht so mancher ehrliche weiße Krieger den Tod gefunden habe.

Einige Zeit ruhte die Alte noch. Unterdeß hatte das Wetter ausgetobt; der Sturm hatte sich gelegt, und nur ein schwacher Regen fiel noch auf die Bäume herab. Man hatte sich mit der dampfenden Speise erquickt und gesättigt. Auch die Alte hatte von einem ihr durch Nicolaus angebotenen saftigen Stück einige Bissen gegessen und schien so ziemlich erholt. Es war noch nicht sehr spät am Tage. Die Indierin erhob sich von ihrem Lager und lud nun die Krieger ein, ihr in ihren etwa noch eine gute Wegstunde entfernten Wigwam zu folgen, wo sie ein gutes Mooslager, Maisbrod und getrocknetes Fleisch von Wildpret finden sollten; auch versprach sie, daß sie ein guter Führer nächsten Tages auf den rechten Weg bringen solle. Die Einladung wurde freudig angenommen, und selbst David, der bis jetzt nur spottend und brummend den Dienstleistungen zugesehen hatte, verweigerte nicht Gesellschaft zu leisten. Man macht sich also ohne lange Zögerung auf den Weg. Aber kaum war man einige hundert Schritte von dem bequemen Ruheplatz entfernt, als die Alte immer langsamer und langsamer zu gehen anfing und endlich, sich niedersetzend, mit schwacher klagender Stimme erklärte, sie könne nicht weiter. Dieß war nun freilich eine sehr unangenehme Erklärung für alle, und David that den Vorschlag, sie ihrem Schicksal zu überlassen und das schöne Obdach, das ihnen die noch nicht sehr entfernte Höhle darbot, wieder aufzusuchen. Damit stimmten jedoch die beiden andern um so weniger überein, da das alte Weib erklärte, daß dadurch nicht etwa blos ihr eigenes schwaches und elendes Leben, sondern auch das ihres geliebten Enkels verloren gehen müsse. Sie entschlossen sich also kurz und benutzten einige, durch den Sturm herabgerissene Baumzweige, um daraus, trotz aller Mißbilligungen Davids, eine Art Trage zu flechten, worauf sie die Alte legten, ihr und ihre eigenen Bündel neben sie, und so den Weg mit ihr fortsetzten. Aber sie waren nicht weit gekommen, als sie eine ungeheure Schwere an ihr fühlten. Die kleine, magere, ausgetrocknete Alte hatte eine Last, wie der größte Riese. John und Nicolaus, die bisher dieses Geschäft ganz allein verrichtet hatten, sahen sich bald genöthigt ihre Bürde abzusetzen, um ein wenig zu ruhen. Sie schlugen dabei vor, daß David sie theilweise, einen um den andern, ablösen möge. Dieser aber verweigerte dieß ganz, sogar auch nur noch eines der Bündel auf sich zu nehmen, um wenigstens nur etwas die Last zu erleichtern. Er schlug vielmehr abermals vor, lieber die Alte ihrem Schicksal zu überlassen und zu ihrem Ruheplatz zurückzukehren, der ja doch wohl wieder würde aufzufinden seyn. Man wisse ja auch nicht, ob man nicht vielleicht zu Indiern kommen könne, die den Dienst, den man einem ganz unnützen Gliede ihres Stammes erwiesen, vielleicht durch Mord und Qualen vergelten könnten. Demohngeachtet ließen beide menschliche Jünglinge sich von dem einmal angefangenen Werke nicht abschrecken, nahmen alle ihre Kräfte zusammen und kamen endlich, nach wohl anderthalbstündiger Bemühung, nach öfterm Absetzen und Ruhen und nachdem die Dämmerung schon eintrat, auf einem freien Platze an, an dessen Rande ein kleines, aber niedliches und keinesweges einem indianischen Wigwam gleichendes Haus, ihnen in die Augen fiel. Kaum auf diesem Platze angekommen, kam Bewegung in die, fast auf dem ganzen Wege sprachlos gebliebene, scheinbar halbtodte Indierin. Leicht wie ein Reh sprang sie von der Trage herab und eilte mit den Schritten eines jungen flüchtigen Mädchens nach dem Hause zu. Bei den, durch ihre getragene Last fast ganz gelähmten und erschöpften Jünglingen konnte der Zorn kaum Platz vor dem Erstaunen finden. Beschämung vor dem spottend lachenden David, der ihnen ihre Thorheit jetzt vorhielt, und wirklich auch eintretender Verdacht einer vorzüglichen Hinterlist dieses so schändlichen, äffenden Weibes, waren die ersten Gefühle, deren sie fähig wurden. Sie wollten eben eine ernste Berathung beginnen, was hier anzufangen, als sie die Thüre des Hauses knarren hörten und als sie sahen, daß ein anständiger Mann im mittlern Lebensalter und von der Tracht eines wohlhabenden Farmers heraustrat, welcher ihnen in gutem Englisch zurief, näher zu kommen und in sein Haus einzutreten. Das Ansehen des Mannes, der Klang der wohlgesprochenen Muttersprache verscheuchten auf einmal allen Verdacht, und sie folgten ohne Zögerung der Einladung desselben. Auch das Innere des Hauses hatte keinesweges das Ansehen einer indischen Wohnung. Es war bequem, mit einfachen, aber gut gearbeiteten Meubles versehen, einige Schildereien hingen an den wohlgeweißten Wänden und in dem mit grauen Marmor eingefaßten Kamine brannte ein lustig loderndes Feuer. Neben dem ältlichen Manne waren zwei junge allerliebste Mädchen in zierlicher reinlicher Kleidung mit gegenwärtig, die ihnen entgegenkamen und freundlich die Hände boten. Man rückte den ganz durchnäßten sogleich Stühle an das warme Kamin und beeilte sich, durch ein erwärmendes Getränk das erloschene Feuer ihres Blutes wieder anzufachen und ließ bald darauf ein erquickendes kräftiges Abendbrod folgen, wobei die Mädchen die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit selbst und ihr wahrscheinlicher Vater ungemein traulich war. John und Nicolaus fühlten sich sogleich in dieser kleinen liebenswürdigen Familie wie zu Hause. David behielt jedoch etwas Fremdes und Gezwungenes, ob er sich gleich die dargebotenen Lebensmittel trefflich schmecken ließ. Die Fragen nach der alten Frau jedoch wurden mit einem lächelnden, geheimnißvollen Schweigen beantwortet.

Erst spät suchte man, trotz aller Ermüdung den Schlafplatz, der ihnen sämmtlich in einer Kammer über dem Hause und in reinlichen Betten angewiesen wurde. Während John und Nicolaus durch die Anstrengung des Tages bald sanft entschlummerten und süße Träume von den lieblichen Mädchen sie umgaukelten, durchkreuzten Davids Hirn so manche Gedanken und er fand nur erst spät die gewünschte Ruhe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2