Abschintt. 2

Die Sonne hatte bereits schon ihren täglichen Weg am Horizont begonnen, als die Gefährten erst erwachten, welche sich seit vielen Tagen zum erstenmale wieder durch weiche sanfte Ruhe gestärkt fühlten. Sie eilten sich anzukleiden und in das Wohn- und Speisezimmer herabzukommen, in welchem sie bereits zwar ein reichliches Frühstück serviert, aber keine Bewohner fanden. Sie brauchten jedoch nicht lange zu warten. Eine Thür öffnete sich und hereintrat eine Frau, in welcher sie sofort ihren gestrigen Schützling, die alte Indianerin, erkannten, ob sie gleich in ganz veränderter Gestalt erschien. Ihre Kleidung war heute die einer alten wohlanständigen Dame in Haustracht und ihr gestern fast absterbendes Gesicht hatte heute einen Schein von Munterkeit und Gutmüthigkeit, wovon es gestern keine Spur gezeigt hatte. Ihr Auge glänzte von einem Feuer, das man fast überirdisch nennen konnte. – Ihr habt mir gestern, so wendete sie sich an John und Nicolaus, einen großen Dienst erwiesen, oder wenigstens den Willen gezeigt, mir ihn zu erweisen. Ihn zu lohnen ist meine angenehme Pflicht. Hier nehmt Dieses, – indem sie jedem einen schweren Beutel reichte – doch dieß nicht allein sey euer Lohn, ihr werdet weiter noch die Spuren meiner Erkenntlichkeit finden. Dir, so wendete sie sich an David, bin ich nichts schuldig, dir lohne ich nichts und schade dir nichts.

Ihr alle werdet bald das Ziel eurer Wanderung erreicht haben. Folgt sorglos diesem Führer, – indem sie auf ein kleines, lustig um sie herumspringendes Hündchen zeigte – er wird euch sicher leiten. Doch fürs erste erquickt euch noch durch Speise und Trank. Und ehe noch die Jünglinge etwas darauf erwiedern konnten, entfernte sie sich schnell durch dieselbe Thür, durch die sie hereingekommen war.


Das erste was man that, war jetzt, die Schnur der Beutel aufzuziehen, und wer beschreibt den freudigen Schreck der Zweie, als sie ihn mit spanischen Goldstücken angefüllt fanden. David hingegen sah mit neidischem Zorn darauf. Er würgte, als man sich an die wohlbesetzte Tafel setzte, die guten Speisen grollend hinunter und war kaum fähig ein Wort hervorzubringen.

Da sich weder die lieben Mädchen von gestern, noch ihr Vater, noch sonst Jemand im Zimmer, noch im Hause sehen ließ, und da das zum Führer gegebene Hündchen viel Ungeduld zeigte, so zögerte man auch nicht länger mit der Abreise. Der Tag war herrlich, Wald und Flur köstlich erfrischt. Es war gerade in der Zeit des blüthen- und wonneduftenden Frühlings, der in Amerika leider so kurz ist. Die dunkelgrüne Walddecke über ihnen perlte noch überall von Tropfen, die der gestrige Regen und der Morgenthau auf den Blättern zurückgelassen hatte. Aus dem frischen Grün schimmerten die vielfarbigen Blüthen der Fruchtbäume des Waldes hervor, und der Boden war mit dem herrlichsten Teppich schöner, bunter Blumen bedeckt. In den Zweigen der Bäume tummelte sich zahlloses Gefieder und ließ sein unharmonisches Concert erschallen, wobei der Spottvogel mit eingeübter Stimme aller Lied schäkernd nachäffte. Heiterkeit und Frohsinn erfüllte das Herz des John und Nicolaus, Groll, Habsucht und Tücke das des David. Einsilbig und heillose Plane brütend, ging er neben ihnen her und stimmte nicht ein in die lustigen Gesänge, die seine Gefährten durch den Wald erschallen ließen.

So gingen sie rasch fort, bis die Sonne ihre Mittagshöhe erreicht hatte und senkrecht durch die Bäume auf ihre Häupter fiel. Da beugte ihr kleiner Führer vom Pfade ab in den Wald hinein, rufte sie bellend nach, und auf einem kleinen, von Bäumen freien Platze sahen sie auf hohem grünen Rasen ein Zelt von Leinwand aufgeschlagen, in dessen Innern sie einen wohlbesetzten Tisch bereit fanden.

So unerwartet es ihnen auch vorkam, hier in dieser Einöde auf einmal so wohl bedient zu werden, so waren sie doch seit gestern an Sonderbarkeiten gewöhnt und langten, ohne viele Complimente gegen den unsichtbaren Wirth, nach den auf dem Tische in reichem Maaße befindlichen Speisen. Sie ließen es sich trefflich schmecken, nur der fortschmollende David schien jeden Bissen hinabzuwürgen, und der Freudebringer, der Wein, der in zwei gefüllten Flaschen mit auf dem Tische stand, flößte John und Nicolaus frohe Heiterkeit ein, während er bei David einem ganz andern Dämon Eingang verschaffte.

Nach Beendigung des guten Mahles, an dem das lustige Hündchen reichlichen Antheil hatte, beschlossen sie, die liebliche Kühle im Zelte und das weiche, den Boden bedeckende Gras zu benutzen, und ein wenig Mittagsruhe zu halten. Ihr Hündchen selbst ging ihnen mit seinem Beispiele vor und streckte seine niedlichen Glieder auf den von Blumen duftenden Boden. Nicht lange, so waren John und Nicolaus in den sanftesten Schlummer gesunken, den Müdigkeit, Frohgefühl und ein gutes Gewissen nur geben können.

David jedoch saß wachend neben ihnen. Neid, Habsucht und die Gier nach ihren goldgefüllten Beuteln, hatte sich schon seit frühem Morgen in seine unbewachte Seele geschlichen, und der böse Feind, im Bunde mit diesen Aufregungen, flößte ihm den Gedanken an Meuchelmord ein. Kaum war dieser in seinem Innern laut geworden, als er auch seine Flinte ergriff, um ihren Kolben auf Johns Haupt zu schmettern. Im Nu aber fühlte er seine Arme mit einer unwiderstehlichen Gewalt ergriffen, sie wurden ihm auf den Rücken gezogen, und ehe er sich nur umsehen konnte, fest darauf zusammen geschnürt. Als der Schreck ihm erlaubte aufzublicken, sah er einen riesenmäßigen Indianer mit Tomahawk, Bogen und Pfeil furchtbar drohend hinter sich stehen. Auf den Schrei des Entsetzens erwachten die Gefährten und wollten nach ihren von David etwas auf die Seite gelegten Gewehren greifen; allein ein bloßer Schwung mit dem Tomahawk des Indianers hatte die Folge, daß sie steif und wie gelähmt auf dem Rasen liegen blieben; dieser aber trieb David, nachdem er ihm sein Bündel über die Schultern gehangen und sich der Flinte desselben bemächtigt hatte, mit Kolbenstößen zum Zelte hinaus, ohne auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Sogleich sprangen die nun wieder Bewegung gewinnenden Gefährten auf und wollten ihre Gewehre abfeuern, um den Gefangenen zu retten. Aber der Eingang des Zeltes war wie mit einem unsichtbaren Stahlnetz umzogen, und es war ihnen nicht möglich, die Hähne ihrer Gewehre aufzuziehen, sie konnten nur noch sehen, wie sich der Indier und David in das Dunkel des Waldes verloren und endlich spurlos verschwanden.

Erstaunt und erschrocken sahen sie um sich. Ihre eigenen Sachen lagen noch unberührt in einem Winkel des Zeltes. Die übrig gebliebenen Speisen standen noch auf dem Tische, und selbst aus einer halb voll gebliebenen Weinflasche war sichtbar kein Tropfen heraus. Das bisher ruhig gebliebene Hündchen hob sich behend und sprang bald wieder lustig und wedelnd um sie herum. Die Ahndung, die sie gehabt, daß sie unter der Aufsicht und unter der Leitung einer höhern, übermenschlichen Macht seit gestern stünden, wurde ihnen nun gewiß. Auch zweifelten sie nicht, daß David durch sein Benehmen den Zorn jener Macht auf sich gezogen habe und diese durch einen dienstbaren Geist ihn zu Qual und Strafe ziehe. Sie beeilten sich deshalb diesen Ort zu verlassen, wozu auch das vorauseilende Hündchen sie aufzufordern schien.

Die Hoffnung, daß diese Macht jenen Unedlen zur Strafe ziehe, sie selbst aber merklich begünstige, verscheuchte bald ihren Schauder und das unheimliche Gefühl; sie schritten daher muthig und fröhlich durch die Waldesschatten dahin, bis die Sonne sich immer tiefer und tiefer gesenkt hatte. Da stießen sie auf ein am Wege liegendes kleines Breterhäuschen, in dessen offene Thüre ihr kleiner Führer bellend hineinhüpfte und schnell znrückkehrend Zeichen von sich gab, ihm nachzukommen. Sie traten ein und fanden das Innere recht artig für Reisende ausstaffirt. In der Mitte stand ein Tisch mit dampfenden Speisen und weißem, frischen Brode besetzt. Eine hohe Kaffeekanne dampfte in einer Ecke, daneben eine Schaale mit fettem Rahm, auch zwei hohe Tassen hatte man nicht vergessen. Der Schein einer von der Decke herabhängenden Lampe ließ das Gold des Weines, den Inhalt zweier großen crystallenen Flaschen, glänzend hervorschimmern. Zwei Feldstühle waren an den Tisch geschoben und in einem Winkel des Hauses lagen zwei elastische Matratzen, mit schneeweißen Kopfkissen und leichten wollenen Decken. Alles kündigte deutlich die zarte, liebreiche Vorsorge des gütigen, wunderbaren Wesens an, das sie in seinen Schirm genommen hatte. Sie folgten auch, ohne weitere Einladung, dem deutlich sichtbaren Willen desselben, und wenn auch ein Schauder über die Nähe von etwas Uebermenschlichem sie befiel, so schwemmte doch bald der feurige Labetrunk diesen hinweg. Nachdem sie ihr herrlich mundendes Mahl eingenommen hatten, strecken sie die müden Glieder auf die schwellenden Matratzen und entschlummerten sanft und ruhig unter dem Conzert der Nachtvögel und Heimchen des Waldes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2