Eheversprechen und Unschuld.

Einer jener unglücklichen Familienväter, die verlockt durch den falschen Wahn, in Amerika Glück und Reichthum und Alles leicht zu finden, was ihm auch die größten Bemühungen in Europa nicht verschaffen konnten, sieht sich kurz nach seiner Ankunft in jenes Eldorado bald in die schrecklichste Lage versetzt. Hunger und Kummer ward ihm statt der gehofften Fleischtöpfe Egyptens, und da der Bettelsack, der den armen Kindern bald aufgebürdet werden mußte, nicht so hinreichend gefüllt nach Hause gebracht werden konnte, daß dessen Inhalt alle hätte sättigen können, so mußte endlich zu dem Mittel geschritten werden, das so viele deutsche Familien als letztes Rettungsmittel dort ergreifen müssen: die Kinder wurden verbunden, d. h., der Knabe bis zum 21., das Mädchen bis zum 18. Jahre als Sclaven an gewisse Familien abgegeben, die für diese Abtretung eine bedungene Summe bezahlten.

Eines dieser Kinder, ein bildschönes zwölfjähriges Mädchen, kam in das Haus eines reichen Kaufmanns, und fand an der welkenden Gattin desselben zwar eine Frau, die auf alle Weise für sie sorgte, sie dagegen aber auch sehr mit Grillen und vieler Arbeit plagte. Trotz dem wuchs das Kind zu einer glänzenden Schönheit empor. Der Hausherr wurde natürlich bald auf den Unterschied zwischen der dahin welkenden Lilie und der aufblühenden Rose aufmerksam, und als letztere sich in ihrer höchsten Pracht entfaltet, das 18te Jahr erreicht, und mit demselben zugleich ihre Freiheit erworben hatte, fing er an mit einer Zudringlichkeit, die dem unschuldigen unerfahrnen Mädchen für Liebe galt, sich ihr zu nahen. Während nun die Frau vom Hause sie mit Launen plagte, überhäufte sie der Herr mit Liebkosungen, Schmeicheleien und Geschenken, und es konnte nun nicht fehlen, daß die letztern den Sieg über das Pflichtgefühl davon trugen. Der wohlaussehende rüstige Mann hatte gar bald ihr Auge und ihr Herz gewonnen.


So vorsichtig nun auch das angeknüpfte verbrecherische Verhältnis vor der Gattin verborgen wurde, so traten doch bald Umstände ein, welche über eine schreckliche Entdeckung, die bald erfolgen mußte, nicht mehr im Zweifel ließen. Es zeigten sich nämlich unzweideutige Spuren des vertrauten Umgangs. Wie gewöhnlich folgte nun auf die verbotenen süßen Genüsse große Angst und Verlegenheit. Der Hausherr war zu sehr Amerikaner, um seine Gattin nicht zu fürchten, und das Mädchen längst schon zu sehr von Furcht vor ihr eingenommen, um nicht mit Schrecken an die Möglichkeit einer voreiligen Entdeckung zu denken. Gut daß der Reichthum des Mannes ein Auskunftsmittel möglich machte. Er rieth nämlich dem Mädchen, den ersten besten, gut aussehenden pensylvanischen Bauerbuben (ein jeder unverheiratheter Mann heißt im pensylvanischen Deutsch ein Bube) von dem sie wisse, er sey unverheirathet, anzureden, ihn an das ihr gegebene, d. i. nicht gegebene, Eheversprechen zu erinnern, von ihm zu verlangen, daß er sie sofort heirathe, er aber dagegen 1000 Dollars zum Brautschatz ungekürzt erhalten solle.

Wozu ist nicht ein Weib zu bringen, wann es in Verlegenheit ist. Auch konnte das Mädchen den Vorschlag um so lieber annehmen, da es schon seit einiger Zeit einen schönen breitschulterigen Bauerbuben, der alle Wochen sich mit seinem vierspännigen Wagen an jener Stelle der Market Street aufstellte, wo die Sixt Street (die 6te Straße) dieselbe durchkreuzt, und Butter, Eier, Geflügel, Potatoes (Kartoffeln) und Gemüße daselbst feil hatte. Dieses jungen Menschen Figur hatte ihr stets sehr gefallen, und sie hatte immer zuerst bei ihm angefragt, wenn sie beauftragt war, in Begleitung des Hausnegers Einkäufe zu besorgen. Dabei mag er wohl scherzweise manchmal den Wunsch ausgesprochen haben, eine so schöne Gattin zu besitzen wie sie sey. Heute geht sie allein, gerade auf ihn zu, erinnert ihn an das ihr gegebene Eheversprechen, macht ihm Vorwürfe, daß er es noch nicht erfüllt, bedeutet ihn zugleich fest und bestimmt, daß sie nun nicht länger warten wolle, und daß er sich noch heute mit ihr trauen lassen müsse. Auch sähe sie den Grund der Zögerung nicht ein, da sie tausend baare und bereit liegende Dollars besitze, und sie doch auch, wie ihr ihr Spiegel sage, nicht häßlich sey.

Dies letztere war dem jungen Manne auch in der That schon längst kein Geheimniß, und er ist heute um so erfreulicher davon betroffen, da der Glanz dieser Schönheit durch die gewählteste Kleidung, den Wohllaut ihrer Stimme und durch das Klingen mit Dollars um vieles noch erhöhet wurde. Das Ganze kam ihm zwar höchst unerwartet, aber die Nothwendigkeit in die er sich versetzt sah, war für ihn keineswegs eine unangenehme; er erklärte sich deshalb bereit, in ihr Begehr ohne Zögerung einzuwilligen und sich mit ihr trauen zu lassen, auch sie auf seiner Eltern Gut zu bringen, wenn sie ihm nur die 1000 Dollars Brautschatz zuvor überliefern wolle.

Das Mädchen eilt nach Hause, erhält von dem Herrn ohne Weigerung die versprochene Summe, packt schnell ihre Habseligkeiten zusammen, und eilt zu dem Bauer, welcher, als er den wohldurchzählten Packt Bankzettel in der Hand hielt, nun keinen Augenblick zögerte, sich mit ihr zum ersten besten Prediger zu begeben, um sie sich antrauen zu lassen,*) sie und ihre Sachen gleich darauf in seinen wohlverwahrten Wagen zu verpacken, und sofort nach seiner Heimath abzureisen.

Vater und Mutter sind nicht weniger erstaunt, als sie ihren Sohn in so unerwarteter Gesellschaft zurückkehren sehen; heißen jedoch nach Anhörung der Sache sein Benehmen auf alle Weise gut, verbieten ihm aber auch streng, seine Gattin vor der Hand für etwas anders, als für seine Schwester anzusehen. Das Weibchen wird übrigens von der Familie aufs Beste behandelt, verdient dieses aber auch, denn sie unterzieht sich freiwillig und gegen die Gewohnheit amerikanischer Frauen, einer Menge von Geschäften, greift die ihr ungewohnte Landarbeit sehr geschickt an, und wird in Kurzem der Liebling der ganzen Familie.

Sichtbarer und immer sichtbarer wird nun aber auch ihr Zustand und die Zeit ihrer Entbindung rückt immer näher. Diese kommt endlich herbei; alle mögliche Hülfe wird ihr geleistet und alles gethan, was zu ihrer und ihres Kindes Pflege erforderlich ist.



*) Der Prediger in Amerika hat weder Pflicht noch Recht, bei der Trauung nach weiter etwas als nach den Namen zu fragen; ist der Mann allem Anschein nach über 21, und das Mädchen über 18 Jahre alt, also beide unbedingt mündig, so sind weder Eltern noch Vormünder etwas dagegen einzuwenden berechtigt. Dies ist nun freilich auch der Grund, daß wohl in keinem Lande Bigamie so häufig ist, als in den Freistaaten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2