Das Leben in den amerikanischen Urwäldern.

Ich siedelte mich als neuer Einwanderer mit 3 deutschen Familien in einer Gegend an, die bei weitem noch nicht zu den entlegenen gehörte, da wir nach der Congreß-Stadt Washington, wohin die Erzeugnisse des dortigen Bodens gebracht werden, nur 4 ½ deutsche (22 engl.) Meilen hatten. Der Preis dieses Grundstücks mußte in solcher Lage sehr billig scheinen, denn ich bekam 150 Acker Land für 700 Dollars. Aber es waren weder Gebäude, noch die hier so nöthigen Befriedigungen darauf, und das Land zeigte nicht die geringste Spur von früherem Anbau. Das Erste, worauf wir bedacht seyn mußten, war der Aufbau von Häusern, da wir gar kein Obdach fanden, uns vor Sturm und Regen sichern zu können. Um dieses erste Bedürfniß nur einigermaßen zu befriedigen, bauten wir uns Hütten von zusammengeflochtenen Zweigen. Leider aber fanden wir diese bald unzureichend. Ein wolkenbruchartiger Regen schwemmte uns und unsere Hütten fast davon. Glücklicherweise fanden wir bald einen bessern Aufenthalt. Ein Blockhaus, das einige englische Meilen von unserm Platze leer stand, durften wir für wenige Dollars Miethzins beziehen. Es stand auf einem ungemein angenehmen Platze, auf dem Rücken einer ziemlich hohen Anhöhe, mitten in einer Anlage von vielen schönen, damals mit den schönsten saftigsten Früchten belasteten Apfelbäumen, über welche wir in so weit disponiren durften, als unser Appetit davon frisch zu genießen uns aufforderte. Dies kam uns und unsern Kindern trefflich zu statten. Auf der Rückseite des Hauses, einen etwas steilen Berg hinab, sprudelte unter grünem Gebüsch hervor eine herrliche eiskalte Wasserquelle und ergoß sich in einen Bach, der sich im Thale dahin schlängelte. Der Rand dieses Baches war mit Haselnußstauden, Sinckepin, Wallnußbäumen, von wilden Reben untermischt, eingefaßt, und die Kinder schwelgten in den eben reifenden süßen Früchten so verschiedener Art.

Die uns näher wohnenden Nachbarn warteten nicht, bis wir ihnen unsern ersten Besuch gemacht hatten, im Gegentheil, sie kamen selbst, die Bekanntschaft mit uns anzuknüpfen. Ganze Gesellschaften schön gekleideter Damen und Herren besuchten die neuen Ansiedler, und gewöhnlich brachte jede Dame einige Eier, ein Stück Butter, ein Stück Speck oder Rindfleisch, oder sonst etwas recht brauchbares mit; sehr selten kam eine ganz leer. Aber dies nicht allein; diesen Besuchen folgten in der Regel, von Sclaven herbeigeführt, ganze Pferdeladungen von Kartoffeln, Kohl, Kraut, Welschkornmehl etc. Wir wurden anfänglich so sehr gut und ganz freiwillig mit Lebensmitteln versehen, daß wir an nichts Mangel litten.


Leider wurden später meine Gefährten unbescheiden, und gingen, wenn ihnen einmal etwa Butter, Milch, Mehl oder Fleisch etc. zu fehlen anfing, sich das Nöthige zu holen. Dadurch glaubten sich die guten Nachbarn der Mühe überhoben, es herbeizuschaffen, gaben diesen zwar reichlich, aber ich, der ich nicht ging um zu holen, mußte bald darben.

Ich kann sagen, daß die Zeit, welche ich in diesem Blockhause zubrachte, demohnerachtet meine einzige glückliche in Amerika, ja eine der glücklichsten meines Lebens war. Hier war ich noch voll glänzender Hoffnung. Die herrliche freie Luft, die romantische Lage unserer Wohnung, das lustige Treiben meiner lieben Kinder um mich her, flößte mir Zuversicht und Muth ein. Die liebenswürdigen Menschen, die in unserer Nahe wohnten, ließen mich ahnen, daß nach vielen Leiden, Kummer und Unglück ein patriarchalisches idillisches Leben das Ende meiner Tage zieren würde. Nur ein Vorfall weckte mich, wenn auch nur auf eine kurze Zeit, aus meinen lieblichen Träumen.

Ich war einmal unten am Berge, unweit unseres Blockhauses, mit dem Reinigen meiner und meiner Kinder Wäsche beschäftigt – daß ich dies selbst that, darüber wird niemand sich wundern – während sämmtliche Kinder aus der Höhe unter den Obstbäumen spielten. Da erhebt mein jüngstes Kind ein durchdringendes Geschrei und ruft: Vater, Vater, eine Schlange. Ich eile schnell zu ihm hinauf und sehe, wie eine große Kupferschlange neben dem vor ihr wie fest gezauberten Kinde, in Ringel gewunden, den Kopf zischend und drohend emporbäumt. Glücklicherweise fand ich auf dem Wege dahin einen starken Stock, der zur Stütze unter dem Wäschseil diente. Ich ergriff ihn und schlage so glücklich auf die Schlange, daß sie sich zitternd wand und den drohenden Kopf sinken ließ. Aber ich war trotz allen wiederholten Schlägen nicht im Stande, sie gänzlich zu tödten, und fürchtend, daß ihr Giftzahn doch noch schädlich werden könne, hing ich sie an einen Baumzweig, wo sie sich, obgleich ihr das Blut aus dem offenen Maule tropfte, den ganzen Tag immer noch fortbewegte.

Der Biß dieser Schlange ist eben so gefährlich als der der Klapperschlange, und sie selbst ist weit gefährlicher als diese, weil sie sich nicht durch irgend einen Laut meldet. Bei dieser Gelegenheit wurden mir zwei merkwürdige Fälle von der Heftigkeit des Schlangengiftes erzählt.

Ein Holzhauer wird von einer Klapperschlange in den Finger gebissen, nimmt sofort das Beil und haut sich den Finger ab. Nach 14 Tagen ist die Wunde so weit geheilt, daß er wieder an seine Arbeit gehen kann. Die Neugierde treibt ihn, nach seinem Finger zu sehen. Er findet ihn richtig an Ort und Stelle, aber ganz schwarz geworden. Da begeht er die Unvorsichtigkeit, ihn anzufassen und daran zu riechen, worauf er sogleich todt niederstürzt.

Ein Farmer wird von einer Klapperschlange durch die Sohle seines Stiefels gebissen, er stirbt. Seine Gattin heirathet wieder, aber ihr zweiter Mann stirbt kurz nach der Trauung. Ein dritter und vierter haben das nämliche Schicksal. Dies erregt Aufmerksamkeit. Man bemerkt, daß sie die fast ganz neuen Stiefeln, worin der erste gebissen worden ist, alle getragen haben, und findet bei genauer Untersuchung, daß der Giftzahn darin stecken geblieben war.

Nach Verlauf von etwa 6 Wochen waren unsere Paläste von Baumstämmen mit Hülfe unserer gütigen Nachbarn so weit aufgebaut, daß wir sie beziehen und auf unserem eigenen Grund und Boden wohnen konnten. Zwar hatten sie noch keine Thüren, und wir mußten, um vor der Nachtluft geschützt zu seyn, wollene Decken davor hängen. An Dielen war nicht zu denken; einige Einschnitte in die Stämme, worein Glasscheiben geschoben, welche mit Lehm verklebt wurden, vertraten die Fenster. Das Haus selbst lag in einer schönen freien, ebenen Gegend inmitten des geklärten Landes das von einem prächtigen Waldkranze von 30 Acker umschlossen war. Dieses geklärte Land war hie und da mit Gruppen von Äpfel-, Pfirsich- und Kirschbäumen bedeckt. Sassafras-, Maulbeer- und Kastanienbäume standen überall herum, eben so eine große Zahl größerer und kleinerer Semenes-Bäume, von denen zwei der größten, mit Früchten schwer beladen, unser Dach beschatteten. Kellerhalsstengel, aus deren kleinen, rothen Früchten die dortigen gewissenlosen Essig-Fabrikanten einen beißend scharfen Essig brauen, waren tausendweis darüber verbreitet, was übrigens zur Zeit der Blüthe einen ungemein schönen Anblick gewährt. In dem Walde selbst gab es einen Reichthum von wilden Reben, Hickory, Wall- und Haselnüssen, Sinkepins, Semenes und andern Früchten. Der Boden war leider nur wenig grün, höchstens in der Nähe der Bäche sproßte einiges grüne Gras. Dafür aber streckte sich überall ein langes, dichtes, gelbes, binsenartiges Gras empor, welches selbst das hier herumschwärmende Vieh verschmähte.

Den Rest der schönen Jahreszeit konnte ich nur sehr unvollkommen von meiner Hütte aus genießen. Auf jene freundliche, heitere Zeit, die ich in dem Hause auf dem Berge verlebt hatte, folgte nun jene schrecklich einsame, traurige, die ich, durch brennende Schmerzen auf mein Lager gefesselt, in der schmutzigen Hütte verbringen mußte. Meine theuern lieben Kinder waren zwar um mich; aber ihre Nähe machte mich eher traurig als muthig. Wie konnte ich die Armen, die jetzt mit Schmutz aller Art zu kämpfen hatten, deren einst so nette feine Kleider, hier zerrissen und verfaulten, mit froher, heiterer Miene ansehen. Die Erheiterungen, die mir bis jetzt unsere lieben Nachbarn gemacht hatten, blieben, als das Bettelsystem einriß, gänzlich weg. Für mich war ihre Hülfe verloren, weil meine theuern Gefährten bettelnd umherzogen und holten. Sie kehrten zwar immer mit schweren Lasten von Lebensmitteln zurück, aber ich, der ich nicht fort konnte, erlangte selbst für Geld nichts von ihnen. Schwarze waren es, die allmählich anfingen, mir gegen Geld und Tausch Kartoffeln, Maismehl, Kürbisse, Kohl und Kraut zuzutragen, und durch diese wurde ihren Herren meine verlaßne traurige Lage bekannt, und, als man endlich erfuhr, daß ich von dem, was zusammengebettelt wurde, keinen Theil bekam, wurde mir, wenigstens so lange mein Fußleiden währte, von vielen Seiten Fleisch und Gemüße, sogar manche Leckerbissen freiwillig zugebracht; auch Salbe für meinen wunden Fuß, so daß, ehe die volle Strenge des Winters eintrat, derselbe geheilt war.

Einige Vorfälle mögen das Gemälde meines Lebens im Blockhause vervollständigen. Wir hatten inmitten unsers Zimmers einen großen eisernen Ofen, welchen wir aus Baltimore mitgebracht hatten,*) und der auch schon vor Eintritt des Winters zum Kochen der Speisen benutzt wurde. Die Asche ließ die Gattin meines Hausgenossen in einem Topfe vor der Thür erkalten, um sie dann als Dünger auf das bereits umgearbeitete Land zu streuen. Wir brannten aber größtentheils Hickory-Holz, welches sehr lange Kohle hält.

So traf es sich einmal, als wir noch keine Breterthüre hatten, und diese durch eine wollene Decke vertreten werden mußte, daß jener Topf dieser etwas zu nahe kam. Niemand war im Hause als ich allein, der ich auf mein Lager gefesselt war. Da schlug jener Teppich auf einmal in helle Flammen auf. Dies war genug, um mich für eine kurze Zeit die Schmerzen an meinem Fuße vergessen zu machen. Ich sprang auf, ergriff den brennenden Teppich, riß ihn los, schleuderte ihn ein Stück von der Thür weg, und erstickte mit beiden schadhaften Beinen darauf trampelnd die Flamme. Aber welche entsetzlichen Schmerzen hatte diese Arbeit für mich zur Folge! Kaum konnte ich mein Lager wieder erreichen, auf dem ich einige Zeit ganz bewußtlos liegen blieb.

In dieser für mich so traurigen Zeit machte mir einst ein Nachbar, Arnold, eine große Freude. Er schenkte mir 4 auf unserm Lande geschossene graue Eichhörnchen, die ich briet und mit meinen Kindern verzehrte. Wer diese Speise nicht gekostet hat, kann nicht urtheilen, welch ein köstlicher Leckerbissen sie ist. Sie schmecken viel feiner als Hühnerfleisch, und ich wundere mich nun, daß man das Fleisch dieser Thiere in Deutschland verachtet.

Als ich soweit wieder gesund war, daß ich in Schuhen hinken konnte, zerstreute ich mich so oft ich konnte dadurch, daß ich mit meiner Flinte in meinem Walde herumstrich. Aber so groß meine Mordlust auch war, so kann ich das dadurch vergossene Blut gewiß verantworten, denn es kann wohl in der Welt keinen ungeschicktern Schützen geben als mich. Ich hätte mir so gern manchmal ein Stück von dem noch nicht ganz ausgerotteten Wild, das in Eichhörnchen, Rebhühnern, Fasanen und Hasen bestand, geholt, aber alles Pulver und Blei, das ich auf sie verschoß, flog nutzlos in die Luft, und die Bestien von Fasanen und Rebhühnern ließen, als wenn sie mein Ungeschick schon hätten kennen lernen, mich oft so nahe kommen, daß ich sie hatte mit einem Stocke todtschlagen können. Dieser Versuche endlich müde, verschwanden auch meine letzten Freuden. Wohl legte ich mich zuweilen an den Forellenbach, der meine Besitzung bespülte, aber stets den Blick nach Osten, nach dem theuern Vaterlande gerichtet, voll wehmüthiger Sehnsucht, besonders wenn ich meine Kleinen bei mir hatte; wenn ich sie um mich herumspielen sah, die armen baarfüßigen, zerlumpten kleinen Wilden, denen ein solches Geschick bei der Wiege nicht vorgesungen wurde. Die Wonne, die noch immer die Nachläuferin des herrlichen indischen Sommers, die heitere reine Decemberluft, in mein Herz geflößt haben würde, zerschmolz durch den Anblick dieser Armen. Wie groß war der Unterschied zwischen sonst und jetzt. Wie schmuck, wie reinlich waren sie immer bekleidet, als ihre lebende Mutter sie noch unter Pflege hatte. Wie wurde fast jeder Tritt, jeder Schritt von ihr beobachtet. Jetzt mußten sie mit unbekleideten Füßchen durch Dornen und Stacheln gehen, eine Schlange konnte unter dem Laube lauschen, und ihren Giftzahn in die Unbeschützten senken. Sie hatten keine Hoffnung, die Geschicklichkeiten ihres Geschlechts zu lernen, und ich, der mißgestimmte Hoffnungslose konnte ihnen vielleicht nur Lesen oder Schreiben beibringen. Sie konnten nicht lernen noch begreifen, daß ein allweiser, gütiger, rettender Vater über ihnen schwebe, ein Vater, der schon in seinem weisen Rathe beschlossen hatte, sie in ihr Geburtsland zurückzuleiten, woraus ihr irdischer sie mit grausamer, unbesonnener Liebe geführt hatte. Kurz ihre Nähe brachte mir keinen Trost mehr, sie brachte mir nur Verzweiflung.

Einst kam ich hinkend von einer solchen Excursion zurück, und hörte aus dem Blockhause ein jammerndes Geschrei. Mir ahndete nichts Gutes, und ich war froh, meine Kinder bei mir gehabt zu haben. Als ich in das Blockhaus trat, sah ich meinen Gefährten am Boden liegen. Er war die auf den Speicher führende Leiter hinaufgestiegen, hatte eine Sprosse versehen und war herabgestürzt. Ein starker Schmerz in der Seite und eine sogleich eintretende Geschwulst ließ uns befürchten, er habe eine Rippe gebrochen. Ich und seine herbeigeeilte Frau hatten Mühe, ihn auf sein Lager zu bringen. Gut, daß Essig im Hause war, gut, daß mir einfiel, daß warme Aufschläge davon ihm vielleicht nützlich seyn könnten. Sie wurden gemacht, und er erhielt, freilich erst nach Tagen, Linderung und endliche Heilung.

Wäre dieser Mann lange krank geworden, unser Elend hatte den höchsten Grad erreicht. Wir alle hätten einen Arzt, der weit entfernt wohnte, nicht bezahlen können; und wäre er gestorben, er, der Vater von 5 Kindern, wir hätten ihn, wie ein Stück Vieh, in irgend ein Loch begraben müssen.

Nur auf kurze Zeit, wenn mich nach meiner Wiederherstellung meine Nachbarn etwa zur Jagd abriefen, vergaß ich mein und der meinigen Elend. Ich schlenderte mit ihnen mit ungeladener Flinte, die mir jedoch auf meine Entschuldigung immer geladen, aber auch von ihnen selbst losgeschossen wurde, da ich mein Ungeschick nicht offen zur Schau tragen wollte. Von der Jagdbeute wurde mir freilich selten ein Antheil.

Bei der Gastfreundschaft die in Amerika herrscht, wird es nicht verwundern, daß auch ich, der ganz Fremde, nicht selten auch an reichern Tischen speißte. So bekam ich einst eine Einladung nach Clarcksburg, etwa 3 Stunden von meiner Wohnung, zu einem gewissen Böhme, der Maurer-Bruder war, und auch mich als solchen hatte kennen lernen. Ich wurde in seinem reichen Hause – er besaß eine große Lederfabrik – sehr gut ausgehalten, und er ließ mich mit einem Vorrath von Lebensmitteln in seinem Geschirr nach Hause bringen.



*) In keiner Miethswohnung in Amerika finden sich Öfen, sondern blos Kamine, von denen jedoch immer nur eine sehr unvollkommene Wärme ausgeht, und deren Feuerung, sie möge durch Holz- oder Steinkohlen geschehen, in großen Städten immer sehr kostspielig ist. Die Miethsbewohner müssen sich also, wenn sie jenem Übelstande ausweichen wollen, selbst Öfen kaufen, wovon das Stück 12 bis 20 Dollars kostet, weil sie dort alle von Eisen sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 2