Was sucht und was findet der Einwanderer in Amerika? –

Zuerst Freiheit. Er glaubt sich im Vaterlande beschränkt; er verläßt die Heimath, Eltern, Verwandte, Freunde; alles was ihm theuer war, um in einem andern Welttheile die Güter zu erlangen, welche er hier vermißte. Es ist wahr, der Bürger der Nordamerikanischen Staaten kann über alles völlig frei urtheilen und schreiben; er nimmt an der Verwaltung des Landes theils selbst, theils durch seine Abgeordneten Antheil; er wird nur von Seinesgleichen gerichtet; er entrichtet an den Staat keine, oder nur geringe Abgaben; allein diese Güter werden dem Ankömmling entweder spät, oder gar nicht zu Theil; und was die Freiheit im Leben, im Gewerbe und von Abgaben betrifft; so wird diese durch andere drückende Verhältnisse aufgewogen. Der Einwanderer wird bald finden: daß er in Deutschland derselben wahren Freiheit genoß und daß er einen Schatten anstatt der Juno umarmte.

Oder findet er Gleichheit? – Ja! vor dem Gesetz; sonst giebt es in Amerika einen sehr stolzen, bedrückenden Adel; ich meine den Geldadel.


Es werden keine Abgaben an die Staaten als Ganzes entrichtet; aber mehrere und oft sehr drückende an die Provinz, den Ort in welchem man lebt. Diese örtlichen Abgaben belaufen sich oft hoch und werden mit der größten Strenge eingetrieben. Die einzelnen Staaten haben sehr bedeutende Schulden und würden, wollte man sie zusammenrechnen, sich mit der Schuldenlast manches europäischen Staates vergleichen lassen.

Gewerbefreiheit herrscht überall und der Bürger der vereinigten Staaten darf jedes Handwerk treiben, jede Beschäftigung mit voller Freiheit anfangen. Auch hat diese Freiheit für die Staaten die segensreichsten Folgen gehabt. Aber dieselbe Freiheit wird dem Handel, besonders dem Detailhandel, wegen der zu großen Concurrenz, die sie gestattet, nachtheilig.

Wie wenig Viele das finden, was sie dort suchen, wird die Geschichte einiger Einwanderer lehren.

Ich trat einmal in einer Seitenstraße Philadelphias in den sehr reinlichen Laden eines Barbierers. Ein Mann, ungefähr 50 Jahre alt, mit silbergrauem Haar, tritt aus einem Nebenzimmer und heißt mich niedersetzen. Bald erkennen wir uns als Landsleute.

Er erkundiget sich: wie mir das Land gefalle und wie es mir gehe. Ich konnte nicht in Lobeserhebungen ausbrechen. Gewiß, erwiedert er, Sie haben nicht das erduldet, was ich schon erlitten habe. Doch hören Sie!–

Ich bin ein Elsasser und nicht weit von Straßburg geboren. Ich lebte glücklich; und war ich auch nicht reich, so war ich doch geachtet und lebte in angenehmen Verhältnissen. Da kam mir eine jener verführerischen Schriften in die Hände, von denen Sie vielleicht auch einige gelesen haben, und Tag und Nacht quält mich der Gedanke an das Glück, welches jenseits des Meeres zu finden seyn sollte. Ich will meine neun Kinder diesem Glück zuführen und ich fasse den Entschluß auszuwandern. Alle Bitten meines guten Weibes, meiner Kinder, alle Vorstellungen meiner Freunde und Bekannten sind vergebens. Ich biete mein Haus, mein Hausgeräthe zum Verkauf aus und werde alles um einen niedrigen Preis los. Mit 11 Personen gehe ich nun nach Havre de grace. Hier muß ich einige Zeit liegen bleiben, da nicht sofort ein Schiff abgehet. Ich kann mich auf das Beste zur Seereise einrichten, und verlebe einige Wochen in der heitern Seestadt angenehm. Endlich finde ich eine Gelegenheit. Ein Dreimaster nimmt mich für 100 Franken für den Kopf auf. Doch muß ich für Beköstigung selbst sorgen. Obschon der größte Theil meines Vermögens verschwunden ist, kann ich doch bis hierher nicht klagen; noch bin ich voll von Hoffnungen. Aber kaum habe ich mit den Meinigen das Schiff betreten, so erkrankt eines meiner jüngsten Kinder, ein liebliches Mädchen von 5 Jahren. Uns übrige überfällt die Seekrankheit, und das mir so theure Kind unterliegt bald aus Mangel an Pflege; und findet sein frühes Grab in den Wogen. –

Meine Gattin weint und jammert über diesen unersetzlichen Verlust. Meine Augen bleiben zwar trocken; aber noch schmerzt die Wunde, die mir dieser Verlust schlug, welche erneuete Verluste nicht haben heilen lassen.

Gleich nach unserer Abfahrt von Hâvre haben wir mit widrigen Winden zu kämpfen, so daß wir nicht vorwärts kommen; und als wir endlich die Azoren erreicht haben, überfällt uns ein heftiger Sturm und wirft uns an die spanische Küste zurück.

Als wir unsern Weg wieder fortsetzen können und etwas vorwärts gekommen sind, werden wir von einem neuen Sturm überfallen und seitwärts getrieben. So verzögert sich das Ende unserer Reise und unsere Vorräthe gehen zur Neige. Was wir auf 100 Tage berechnet haben, ist am 80sten fast aufgezehrt. Widrige Winde und dann Windstillen treten ein und noch ist das Ende unserer Irrfahrten nicht abzusehen. Unsere Vorräthe sind nun aufgezehrt und wir müssen uns an den Kapitain wenden; allein die seinigen sind auch zur Neige gegangen und wenn er uns auch einige abläßt, so müssen wir sie doch sehr theuer bezahlen.

Meine Kasse schwindet immer mehr und als wir nach einer Irrfahrt von 125 Tagen endlich bei Philadelphia landen, besitze ich nur noch einen Napoleonsd'or.

Hier miethe ich eine kleine Wohnung, suche mich mit meiner, noch 8 Köpfe starken Familie, so gut es geht einzurichten; denn meine Kasse erlaubt mir nicht das selbst Unentbehrliche anzuschaffen. Kisten und Kasten müssen Bettstellen, Tische und andere Hausgeräthschaften vertreten.

Ich erinnere mich eines vor mir ausgewanderten Bekannten. Ich will ihn aufsuchen; denn ich hoffe: er wird mir wenigstens mit Rath an die Hand gehen können; allein Niemand will ihn kennen. Endlich finde ich einen seiner Bekannten und höre: – daß er längst verstorben ist.

Meine kleine Kasse schwindet immer mehr. Frau und Kinder erkranken. Meine Noth steigt aufs Höchste. Ich muß etwas zu verdienen suchen; ich laufe überall nach Arbeit herum; aber vergeblich. Ich will die Gassen kehren, aber alle Stellen sind besetzt. Ich melde mich bei der deutschen Gesellschaft; erhalte eine kleine Geldunterstützung; aber weiter kann oder will man nichts thun. Endlich gelingt es mir doch: Holzsäger zu werden. Ein ärmliches Brod; da ich der Arbeit ungewohnt, kaum den dritten Theil der Arbeit vollbringe, welche ein darin Geübter leicht verrichtet. Aber ehe ich noch so den Meinigen im Schweiße meines Angesichts ein kümmerliches Brod erwerben kann, erliegt die Gattin dem Hunger, dem Frost und den nagenden Sorgen und stirbt; das jüngste Kind folgt ihr bald nach; und ein älteres überlebt nicht lange die vorausgegangene Mutter.

So hatte meine unkluge Hartnäckigkeit mehrere der Meinigen dahin gerafft; und ich selbst unterlag bald der schweren Arbeit, den nagenden Vorwürfen des Gewissens, und erkrankte schwer. Jetzt bleibt mir nichts übrig als meine Kinder betteln zu lassen; aber der armselige Erlöß füllt nur halb die jungen Magen. Ich selbst bin ohne ärztliche Hülfe an das Krankenlager gefesselt, an Körper und Seele heftig leidend. Jede Hoffnung ist verschwunden und ich bin der Verzweiflung nahe, als ein Arzt, ein rettender Engel, zu mir tritt. Zuerst sucht er mich herzustellen; dann verwendet er sich aber bei mehrern seiner Freunde für mich und rettet mich und die Meinigen vom Hungertode. Dann sorgt er, meine noch übrigen 6 Kinder in gute Familien als Verbundene unterzubringen. So schwer es mir auch wird, mich von denen zu trennen, welche mir so theuer sind; so kann ich doch die Scenen des Jammers nicht noch einmal erneuern wollen und willige ein.

Alle verlassen mich. Mehrere kommen in entfernte Orte.

Allein und verarmt stehe ich da.

Unter der Obhut des gütigen Retters, des menschenfreundlichen Arztes, erhole ich mich nach und nach. Er forscht nach: mit was ich wohl mein Brod verdienen könne; hört: daß ich Barbier sey; verschafft mir einen Laden, – Barbierstube – welcher eben leer stehet, unterstützt mich mit dem Nothwendigsten und Dank dem edlen Menschenfreunde! – noch befinde ich mich in demselben; und so sehen Sie mich hier.

Ich fragte, wie er sich jetzt in seiner Lage befinde. Er erwiderte: ich nähre mich wohl, esse mich satt; aber ich habe Schulden, die Frau und drei Kinder verloren, sehe die übrigen von mir gerissen; kenne ihr Schicksal nicht; sie sind nicht mehr die Meinigen. Allein stehe ich, und hier – er zeigte auf die Brust – nagt der Wurm. Seine und meine Augen waren feucht geworden.

Kaum vermochte ich meiner eignen Rührung Herr werden. Ich glaubte die Geschichte meiner Schicksale gehört zu haben, und tief erschüttert verließ ich den Laden. Einer meiner Schiffsgefährten, ein rheinländischer Bauer, zeichnete sich durch sein gutes Betragen aus. Er fluchte nicht, zankte nicht mit Frau und Kindern, war friedlich und ließ lieber etwas über sich ergehen, als daß er Zank angefangen hätte. Aber schon auf dem Schiffe schien ihn ein unglückliches Geschick zu verfolgen. Er bekam ein sehr bösartiges Geschwür an der einen Hand, welches ihm unendliche Schmerzen verursachte. Gut daß ein Arzt, Herr Mirus, von Naumburg, gebürtig, sich seiner annahm; ehe wir landeten, war seine Hand geheilet. In Philadelphia trennte ich mich von ihm. Er wollte tiefer in das Land hinein, auf Pittsburg zu gehen, um an den Ohio zu gelangen. Als ich später in die Nähe von Pittsburg kam, erfuhr ich, daß die Frau gestorben und er genöthiget worden war, seine Kinder in verschiedenen Häusern zu verbinden.

Jetzt ist er Tagelöhner.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1