Rettung in letzter Noth.

Da trat der Tag endlich ein, wo ich gar nichts mehr hatte; kein Geld, keine Lebensmittel. Das letzte Welschkornmehl war zum Frühstück verkocht worden. Wo ich Mittagsbrod hernehmen sollte, wußte ich nicht. Aber auch in dieser, in der verzweiflungsvollsten Lage, verließ mich die gütige Vorsehung nicht.

Ich sah kein anderes Auskunftsmittel, als meine Nachbarn um Hülfe anzusprechen. Aber welchen wohl zuerst? –


Noch dachte ich darüber nach, als ich vor der Thür Pferdegetrappel unter dem Knistern des Schnees vernahm. Ich trat heraus und da ist mein alter Wohlthäter, mein Nachbar, Nicholes, welcher meine Noth zufällig erfahren hat und mir einen starken Sack mit Welschkorn, ein großes Stück Schweinfleisch bringt. So war ich wieder für einige Zeit versehen. Ich hatte dem Manne gerne die Hände geküßt; ich wußte nicht, wie ich ihm mündlich genug danken sollte. Aber er sah die Thränen aus meinen Augen stürzen; drehte sein Pferd und sprengte in Gallopp davon.

Habe Dank für deine Güte! – Du, edler Mann, entrissest einen Vater dem stechenden Schmerz, seine Kinder nicht, oder nur mit Bettelbrod sättigen zu können. Gott gebe dir dafür eine gute Stunde, entferne von dir jeden Schmerz, jedes Leiden! –

Meine damalige Lage überzeugte mich, daß der Arme, welcher sich schämt den Bettelstab zu ergreifen, der unglücklichste ist.

Möchten dies Reiche doch beherzigen. Wie oft geben sie dem zudringlichen Armen eine Unterstützung, die dieser verschwendet, welche aber dem bescheidenen, seine Noth still tragenden, dem ruhig und mit Hingebung leidenden auf lange Zeit Hülfe und Trost gewährt hätte. Ehe ich jedoch in der Erzählung meiner Schicksale fortfahre, glaube ich dem Leser noch einiges aus unserm Leben im Blockhause zu Besten geben zu müssen.

Ehe die Strenge des Winters eintrat, hatten wir Thauwetter, mit Regengüssen vermischt, die die schützende Lehmbekleidung von unserer Hütte wegschlemmten. Das Wasser drang von allen Seiten in unsere elende Wohnung, und verwandelte den Fußboden in ein Kothmeer. Wir waren genöthiget, mitten durch das Wohnbehältniß einen Graben zu ziehen, um dem Wasser freien Abzug zu verschaffen. Bald darauf trat aber ein furchtbarer Frost ein, verhinderte uns, den durch Thau und Regenwetter entstandenen Schaden auszubessern und Wind und Kälte drang von allen Seiten in unsere elende Wohnung. Gottlob, daß wir einen guten Ofen und Holz genug hatten! – Aber so furchtbar wir auch feuerten – der Ofen glühte fortwährend – konnten wir doch nur ganz in seiner Nähe einige Wärme verspüren.

An jeder Ecke gefror das Wasser in wenig Minuten; ja selbst Wasser, welches wir Abends auf den noch heißen Ofen gesetzt hatten, war früh gefroren.

Die Geräthschaften in unserm Zimmer bestanden aus 3 aus ungeschälten Baumästen zusammen gezimmerten Bettstellen, auf denen 40 Menschen, groß und klein, schliefen; aus einer Bank und drei zerbrochenen Stühlen. Die Bettstellen ersetzten zum Theil die fehlenden Stühle; und die Stelle der Tische vertraten unsere Kisten, auf welchen gegessen, gearbeitet und auch wohl geschrieben wurde. Eine Leiter führte mittelst einer in der Dicke angebrachten Oeffnung, welche mit keiner Thür verschlossen war, zu dem Speicher; und mußte, wenn die Kälte heftiger wurde, mit einem starken Teppich bedeckt werden. Es half dies jedoch nur wenig; denn alle Wärme zog durch die Löcher, welche in den Seiten des Speichers für den Rauch hatten offen gelassen werden müssen, der aus dem zu kurzen, das Dach nicht erreichenden Ofenrohr kam.

Mitbewohner unsres Hauses waren: zwei Schweine, ein großer Hund, ein Hahn, sechs Hühner und eine Katze, welche mit zahllosen Mäusen genug zu thun hatte.

Die Sorge für die geistige Unterhaltung in den langen Winterabenden mußte ich übernehmen. Ich wollte anfangs Unterricht ertheilen und die Kinder in der Religion, in rechnen, der englischen und deutschen Sprache unterrichten; da ich aber als Protestant den Kindern die 10 Gebote nach dem lutherischen Katechismus lehrte, so legten mir die rechtgläubigen Katholiken das Handwerk bald; gerade, als ich in der Bibel bis zum babylonischen Thurmbau vorgeschritten war. Man fühlte jedoch die dadurch in der Abendunterhaltung entstandene Lücke bald, und man drang in mich, alles das zum Besten zu geben, was mein Gedächtnis noch von Mährchen, Ritter-, Räuber- und Geistergeschichten aus früheren Jahren behalten hatte. Dann vermehrte sich unsere Gesellschaft gewöhnlich durch Zuspruch aus dem andern Hause, und jung und alt saß auf Stühlen, Bänken, Bettstellen und Kisten mit gespannten Ohren und offenen Mäulern. War eine Geschichte beendiget, dann unterhielt man sich darüber, machte allerhand Bemerkungen und ließ mir so Zeit, mich auf eine andere zu besinnen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1