Hoffnung und Zweifel.

Bis hierher war mir die Heiterkeit des Geistes ungestört geblieben, welche ich nach Empfang einiger Hülfe aus Europa wieder gewonnen hatte. Ich war völlig gesund und voll schwärmerischer Hoffnungen wegen meiner Zukunft; und leicht wurden die Zweifel, welche ich über die Güte des Landes, das Gelingen meiner Plane hegen konnte, durch W**, – den gebornen Bauer – beschwichtiget.
Zwar wurden meine Geldmittel von Tage zu Tage schwächer; aber ich wußte, daß ein Wechsel von 300 Thalern noch zurück war, der sich zwar verirrt zu haben schien, welchen ich aber aufzufinden möglichst bemüht war. Nach Eingang dieses Wechsels sollte die erste Anzahlung an die Verkäufer gemacht, etwas Vieh gekauft und ein kleiner Handel angefangen werden.

Aber jetzt zeigten sich fast bei allen an verschiedenen Theilen des Körpers Geschwüre; bei den Kindern auf dem Kopfe, bei Erwachsenen an den Füßen. Ich blieb ziemlich lang davon befreiet; aber mochte das Klima endlich auch einwirken, oder mochte die ungewohnte Arbeit, das Lehmtreten mit bloßen Füßen, schuld seyn, mein linker Fuß fing an zu schwellen, ob ich schon, außer den großen Schmerzen, welche ich empfand, äußerlich nichts daran bemerkte. Ich schämte mich um so mehr, die einmal angefangene Arbeit einzustellen, da man mich schon genug über meine ungeschickte Handhabung der Axt verspottet hatte, und trieb das Wesen so lang, bis einer meiner Füße aufbrach und am Knorren sich eine eiternde Wunde zeigte. Die Schmerzen die mir diese verursachte hinderten mich bald, auch nur aufzutreten, und so sah ich mich genöthiget, meine ganze Zeit auf dem Bette zuzubringen. Zugleich fehlte mir zum Verband der eiternden Wunde alles; und mußte ein Hemde zerrissen werden, um die böse Wunde nur nicht ganz offen zu lassen und um das einzige Pflaster, welches ich hatte, ein wenig Schweinefett, darauf festzuhalten. Da mir meine Gefährten alle Hülfe versagten, so mußte ich zum Wasser und Feuerplatz kriechen; wenn ich kochen, oder Wasser haben wollte. Meinem Schmerzenlager nahte sich täglich drohend der Hunger; denn ich konnte mir keine Lebensmittel verschaffen. Und wenn mich auch eine gütige Vorsehung vor demselben oft wie durch ein Wunder schützte, – gewöhnlich kamen Schwarze und überließen mir für Geld und gute Worte einige Lebensmittel; – bestand meine und meiner Kinder Nahrung doch nur aus den gröbsten Speisen, als: Welschkornmehl, Kraut, Kartoffeln ohne Fleisch, oft ohne Schmalz, sehr oft ohne Salz.


Ich muß hier die Güte rühmen, mit welcher unsere edelmüthigen Nachbarn uns gleich nach unserer Ankunft entgegenkamen. Sie besuchten uns häufig; aber nie mit leeren Händen; und versorgten uns so reichlich mit Lebensmitteln, daß wir an nichts Mangel litten. Aber meine Gefährten waren Leckermäuler, gingen, wenn irgend ein Bedürfniß eintrat, in die Hauser, um es sich zu erbetteln, und kamen gewöhnlich, reich beladen, wieder zurück. Nun blieben aber die gütigen Unterstützungen, welche unsre Nachbarn früher in unser Haus gebracht, und wovon ich auch meinen Theil erhalten hatte, nebst ihren Besuchen aus; da ihnen das mit Zudringlichkeit abgefordert wurde, was sie sonst freiwillig gegeben hatten. Während um mich her besser gelebt wurde, als ich dies auch in guten Tagen je gekonnt hatte, mußte ich und meine armen Kinder mit den gröbsten Nahrungsstoffen vorlieb nehmen. Man hütete sich wohl zu gestehen: daß wir an dem Erbettelten nicht Theil haben sollten, aus Furcht, dadurch zu verlieren.

Unterdeß wurde mein Fuß immer schlimmer und schlimmer; ich fand kein Mittel, welches meine Schmerzen hätte lindern können. Fast noch mehr als meine Körperleiden, schmerzte mich aber der Zustand meiner armen Kinder. Zwar hielt ich darauf, daß sie täglich gewaschen, daß ihre Wäsche wöchentlich gewechselt wurde, aber ich konnte nicht verhindern, daß die Kopfgeschwüre immer bösartiger; und meine Lage immer verzweifelter wurde.

Doch eben jetzt, wo ich an jeder Rettung verzweifeln mußte, nahte sich mir Hülfe. Mehrere unserer Nachbarn hatten endlich Kenntniß von meiner elenden Lage erhalten; sie kamen, mich zu sehen und mir Hülfe zu bringen. Ihre Güte versorgte mich mit Lebensmitteln, gab mir Pflaster für meine wunden Füße. Zwar erhielt ich dadurch keine Hilfe, meine Schmerzen wurden nur vermehrt; allein der Gedanke, ich sey nicht ganz verlassen, beruhigte mich, entriß mich der dumpfen Verzweiflung, welche mich ergriffen hatte.

Edle Menschen, die ihr mir, den aus weiter Ferne zu euch gekommenen Fremdling, uneigennützig Trost und Hülfe brachtet, ihr Maurerbrüder, Böhm und Paul; ihr Nicholes, Dowzen, Cromvel, Jessowe, Dorze, Moser, Williams, empfangt hier meinen aufrichtigen, tiefgefühlten Dank; möge er zu euch dringen; möchtet ihr für die mir erzeigte Liebe und Freundschaft belohnt werden! – Aber ihr seyd es bereits durch das Gefühl einer schönen und edlen That. Nie werde ich eure Wohlthaten vergessen! –

Selbst Schwarze kamen und erbarmten sich meines Zustandes. Auch ihnen danke ich; möge es ihnen dafür wohl gehen. –

Diesen immer häufiger werdenden gütigen Besuchen verdankte ich endlich die Erlösung von meinen Fußleiden; nachdem es mir von Anfang September bis Anfang December unsägliche Schmerzen verursacht hatte. Mein Freund Dowzen schickte mir die schwarze Sclavin eines entfernten Freundes zu. Sie besichtigte meinen Fuß, brachte mir bald darauf eine blecherne Büchse voll grüner Salbe, und gleich bei dem ersten Auflegen derselben spürte ich Besserung. Nach Acht Tagen war mein Fuß heil; und ich konnte ohne Schmerzen umhergehen.

Unterdessen war der December herbeigekommen und der Winter trat mit einer furchtbaren, hier aber gewöhnlichen Strenge ein. Der Schnee fiel in Massen herab; schmolz zwar anfangs wieder und erweichte den Boden so, daß man keinen Tritt thun konnte, ohne bis an die Knorren in die Erde zu treten; aber bald gefror er zu harten, festen Massen.

Meine Hülfsmittel waren indeß aufgezehrt. Bei meiner Lage war mir nicht möglich gewesen, mit vorsichtiger Sparsamkeit Haus zu halten. Es blieb mir kein Ausweg und ich wendete mich noch einmal an den Mann, an welchen ich empfohlen war. Ich bat ihn zugleich, seine Antwort an das 2 ½ Stunde entfernte Postamt – Office – Dowzensvill, zu adressiren. Aber es vergingen Wochen und keine Antwort erfolgte. Mein Geld drohte völlig zur Neige zu gehen und nun wurden mir auch die Augen über den Werth unseres Besitzthums geöffnet.

Mein Nachbar, Nicholes, bewies mir bis zur Ueberzeugung, daß wir uns nicht darauf ernähren könnten; und da er in Erfahrung gebracht hatte, daß noch nichts darauf angezahlet worden sey; rieth er mir, es sofort zu verlassen. Er wollte mir von allen seinen Nachbarn schriftliche Zeugnisse bringen, welche die Wahrheit seiner Behauptungen darthun würden.

Allein diese Aufklärungen kamen mir gerade jetzt sehr zur unrechten Zeit. Meine theuren Gefährten hatten bereits manchen Baum umgeschlagen; ich, der Unterzeichner des Vertrags mußte natürlich dem Verkäufer für alles haften; fürchten, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden; allein, was konnte ich thun, wie mich entfernen, da ich kein Geld hatte und der Winter mit seiner furchtbaren Strenge fortfuhr. In dieser Noth machte mir mein Nachbar Moser den Vorschlag, mich nach Fredrikstown zu wenden und mir dort durch Unterricht in der französischen Sprache Unterhalt zu verschaffen. Er wollte mich dahin bringen; und ich ging in den Vorschlag ein. Doch die anhaltende Strenge des Winters verzögerte die Ausführung. Alle Wege lagen unter tiefen Schnee und waren unfahrbar. Meine wenige Baarschaft schwand immer mehr. Der Januar 1836 verging, ohne daß irgend eine Verbesserung meiner Lage eingetreten wäre. Die Nachbarn wußten mich gesund und ihre Hülfe blieb aus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1