Erfahrungen und Eindrücke. 1

Amerika wird sehr verschieden beurtheilt. Die Nachrichten, welche von dort herüber kommen, zeigen uns dasselbe bald als das Land der Glücklichen, wohin man nur gehen dürfe, um ohne Arbeit und Anstrengungen zu genießen; die goldnen Früchte zu brechen, welche überall entgegen winken; oder sie schildern es als ein Land, welches jedem Verderben und Untergang drohe, der es wage sich ihm anzuvertrauen.

Schwer ist es in diesem Widerstreit der Ansichten und Meinungen die Wahrheit herauszufinden. Es ist natürlich, daß diejenigen es herabsetzen, welche ihre Plane scheitern sahen, welche Noth und Elend, anstatt Wohlstand und Glückseligkeit dort eintauschten; daß dagegen andere, welche daselbst ihr Glück gründeten, oder zu gründen glaubten; welche hier den letzten Zufluchtsort fanden; oder die von der Größe und Erhabenheit der Landschaften, der Fruchtbarkeit des Bodens, durch den Anblick seiner großen und prächtigen Städte und ihrer Häfen und Schiffe; seiner Straßen, Kanäle und Eisenbahnen, seines blühenden Handels und wachsenden Gedeihens, zur Bewunderung hingerissen wurden, es mit den glänzendsten Farben hervorheben; die reizendsten Gemälde davon entwerfen.


Ich werde es dagegen so schildern, wie ich es fand; die Eindrücke, welche sich mir darboten, meine Beobachtungen treu wiedergeben. Nie soll mich das Urtheil anderer leiten oder bestimmen. Ich kann irren; und habe vielleicht oft geirrt; allein ich bin mir bewußt: nur meiner Ueberzeugung gefolgt zu seyn.

Das erste, was den Neuangekommenen unangenehm berührt, ist die Verachtung, welche ihm, besonders wenn er ein Deutscher ist, entgegentritt.

Der Irrländer, welcher hier einwandert, ist vielleicht roher, ungebildeter; allein er ist mit der Sprache des Landes vertraut und das giebt ihm über den Deutschen ein Uebergewicht.

Diese Geringschätzung der Deutschen traf auch mich, und mußte einen sehr unangenehmen Eindruck auf mich machen; meine Erwartungen sehr herabstimmen.

Freilich tragen viele der Deutschen die Schuld davon. Wie viele verließen ihr Vaterland, weil sie an Glück und Hoffnungen banquerot waren; weil sie die Ahndung der Gesetze fürchteten; oder weil es sie aussties. Sie hatten kaum genug, um ihre Ueberfahrt bestreiten zu können; und nun sind sie gelandet! – Aber wie wollen sie sich nur irgend einen Unterhalt verschaffen? – Jede Beschäftigung ist ihnen recht, wäre sie auch die niedrigste, schlechteste. Oder kann man annehmen, daß diejenigen, welche sich in der Heimath mit Lastern vertraut gemacht hatten, diesen hier sofort entsagen werden? – Gewiß nicht! – Sie fallen bald in ihre alten Gewohnheiten; betrügen, stehlen, saufen und spielen, so lange sie etwas haben; schwören für wenig Geld falsche Eide, und entehren ihr Vaterland und ihren Namen.

Man braucht einen falschen Zeugen. In Baltimore darf man nur auf den Pointmarkt gehen, um Hunderte zu finden, welche dort auf Arbeit warten und man wird hier ohne Schwierigkeit Leute genug finden, welche bereit sind, mit zu dem Squire zu gehen, um vor ihm alles zu bezeugen, was man nur haben will; durch einen Eid zu bekräftigen. Sie glauben sich mit ihrem Gewissen leicht abgefunden; denn nichts weiter wird von ihnen verlangt, als daß sie, wenn ihnen, die Eidesformel in englischer Sprache vorgelesen worden ist: mit ja – yes – antworten und die Bibel küssen.

Kaum ist ein Schiff mit deutschen Auswanderern angekommen, und sogleich sind Hunderte um dasselbe versammelt; theils um Nachrichten aus der Heimath zu erhalten, theils um Neuigkeiten zu erfahren, oder auch um sich der Ankömmlinge zu bemächtigen. Besonders drängen sich an sie die Eigenthümer kleiner Wirthshäuser, selbst Deutsche, welche in Baltimore in der Pointstraße ihr Wesen treiben und deren Häuser zum Theil wahre Diebeshöhlen sind. Jeder will die neu Angekommenen, welche doch in der Regel etwas mitbringen, haben; man reißt und zankt sich um sie; und jeder spannt sein Netz aus, um einen oder einige zu fangen. Es fallen dabei oft sehr unterhaltende, Lachen erregende Scenen vor. Die Amerikaner stehen dabei im Hintergrunde, sehen dem wunderlichen und lächerlichen Treiben zu; und lassen oft den Spottnamen: dutchmen, dutchmen! – hören.

Gewöhnlich liefert ein solches Schiff für den Friedensrichter und Konstabler gute Arbeit; denn immer giebt es Streitigkeiten, welche vor ihn gebracht werden, und die gewöhnlich zum Nachtheil der armen Fremdlinge ausfallen.

Und wie sollte dies anders seyn. Der Ankömmling, in eine neue Welt versetzt, mit allen ihn umgebenden Verhältnissen unbekannt, unkundig der Landessprache, der Gesetze und Gebräuche; wird verlegen, benimmt sich linkisch, und scheint so das Urtheil der Amerikaner über ihn und seine Landsleute zu rechtfertigen.

Aber die Deutschen selbst tragen oft die Schuld dieses ungünstigen Unheils durch ihre Mißgunst, ihren Brodneid gegen Landsleute; und man siehet selten zwei, die ein gleiches Gewerbe treiben und welche nicht die bittersten Feinde wären; wozu freilich auch Nahrungslosigkeit, Mangel und Noth beitragen mögen.

Diese Verachtung, welche die deutschen Einwanderer drückt, ist wohl auch der Grund, daß diejenigen, welche der englischen Sprache erst mächtig geworden sind, um jede Rückerinnerung an ihren deutschen Ursprung zu verwischen, in ihren Häusern nur englisch sprechen und ihre deutschen Namen in englische verwandeln; als: Löwe, in Lion; Schneider, in Tailor; Weber, in Weaver; Ludwig, in Lewis etc.

Die Art, wie die Amerikaner leben, sagt dem Deutschen wenig zu, und nicht leicht gewöhnt er sich an das wortkarge und ungesellige Betragen des Amerikaners. Er muß auf so manchen unschuldigen Lebensgenuß fast ganz Verzicht leisten. Die Woche verbringt er unter schweren Arbeiten; und der Sonntag, welchen er im Vaterland als einen Tag der Erholung und Freude kannte, ist in Amerika ein Tag der Langeweile und Trauer. Der Amerikaner gehet an Sonntag dreimal, früh, nachmittags und abends zur Kirche. Von Spaziergängen ins Freie weiß man hier nichts; und es giebt keine Veranlassung dazu; da für den Fußgänger nichts gethan ist und er weder gut unterhaltene Wege, noch irgend einen Platz findet, wo er sich ausruhen oder erholen könnte. Die Umgebungen großer Städte sind gewöhnlich baumlos und im Sommer verleitet Mangel an Schatten, im Winter aber heftige Kälte das Spazierengehen.

Musik ist in Amerika selten und gewöhnlich ist sie schlecht. Gesang hört man nicht, außer in den Kirchen, wo man ihn theilweise sehr schön findet. Die Theater habe ich selbst nicht besucht und kann daher über sie nichts sagen.

Der Amerikaner ist immer ernst. Er besucht zwar gern Kaffe- und Wirthshäuser, allein weniger um seine Gedanken umzutauschen, als um Zeitungen zu lesen und etwas zu genießen. Hier sitzt er hinter dem Tische, schaukelt sich mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Stuhle, und entfernt sich sehr oft wieder, ohne mit irgend Jemand, als dem Barkeeper – Kellner – gesprochen zu haben, von dem er ein oder zwei Gläser Wein, Rum, Wiski oder Bier fordert, diese schnell hinunterstürzt und sich dann entfernt. Manchmal unterbrechen jedoch den Ernst dieser Zusammenkünfte Lustigmacher, welche singen, tanzen, ohne dafür etwas zu erhalten. Dann werden sie umdrängt, ihre Späße werden belacht und dies ist das höchste gesellige Vergnügen des Amerikaners, der bei allem seinen Ernst gern lacht, und wenn er auch selbst nicht gern Lachen erregt, doch die sogenannten Lustigmacher gern hat. Barbierer, Wirthe, welche Spaßmacher sind, haben, wenn sie auch nicht immer die feinsten Späße machen, guten Zuspruch; obschon letztere sich selten damit abgeben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1