Abschnitt 2

Die Überfahrt. 2


Je heftiger der Sturm, je lauter wurde ihr Gebet; fürchtend, der Allwissende möchte sie nicht hören: Die Thoren, sie vergaßen, daß auch in Sturm und Unwetter eine weise Vorsicht über uns waltet, unsre Schicksale bestimmt! – Ich habe stets Vertrauen zu ihr gehabt; habe oft zu ihr gebetet; aber ich wartete ruhig ab: was sie mir zusenden werde; und durch Vertrauen und geduldiges Fügen in ihre Schickungen habe ich Muth und Kraft gewonnen, auch das Schwere zu ertragen, was ihr weiser Wille über mich verhängte.


Während der drei Tage dieses Sturms war an warmes Essen nicht zu denken. Der Kapitain suchte diesem Mangel einigermaßen dadurch abzuhelfen: daß er Bier und Wein unter uns vertheilen ließ. Er tröstete uns auch mit der Versicherung: daß, da hier weit und breit keine gefährliche Stelle sey, wir furchtlos seyn konnten; insofern nur, die Masten nicht verloren gingen. Er gestand jedoch auch, daß man wohl zehnmal nach Amerika fahren könne, ohne einen solchen Sturm zu erleben.

Dieses Unwetter hatte uns übrigens tüchtig durchgeschüttelt; hatte unsere Kisten und Kasten so durcheinander geworfen und mit Wasser übergossen, daß es langer Zeit bedurfte, ehe alles wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Vieles hatte Schaden gelitten. Ich selbst hatte mich sehr zu beklagen. Mein ganz neuer Hut und mehrere Kleidungsstücke waren gänzlich verdorben und durch die Zerstörung meines Schnupftabacks hatte ich einen höchst empfindlichen Verlust erlitten. Allmählig kamen die armen Zagenden wieder aus ihren Löchern hervor. Ich glaubte sie würden das Fluchen ein wenig verlernt haben; aber ich irrte; die an ihren Sachen vorgefundenen Beschädigungen ruften die Flüche aus ihren nicht sehr fernen Schlupfwinkeln wieder hervor, welche nun gleich einem etwas verhaltenen Strom mit verdoppelter Gewalt hervorbrachen; jedes Gefühl des Dankes gegen die gütige, rettende Vorsehung unterdrückten.

Bald kehrte jedoch alles zu seinem Gleichgewicht, zu seiner alten, wenn auch nicht sehr angenehmen, Gestalt zurück.

Um das Ekelhafte, welches auf unserm Schiffe herrschte, zu vermehren, trat bald nach unserer Abreise von Bremen die Blatternkrankheit ein, und 5 bis 6 junge Männer litten mehr oder weniger daran; so wie wir überhaupt auf der ganzen Reise fortwährend Kranke hatten. Eine zweite sehr große Unannehmlichkeit war die Zeitunordnung bei Vertheilung des Kaffe und der Speisen. Sie wurde nicht von dem Schiffskoch, sondern von einem dazu angestellten Passagier besorgt. Dieser, an der Quelle sitzend, hatte selbst immer Vorrath und kochte nicht, wenn das Wetter nur etwas ungünstig war, oder wenn er lieber schlafen wollte. Den Kaffe erhielten wir früh immer ziemlich spät; und der Obersteuermann machte sich sehr oft das Vergnügen, gerade zu der Zeit, wenn die braune Brühe vertheilt werden sollte, den Eingang zum Zwischendeck, ohne vorherige Benachrichtigung, durch Wegnahme der Leiter zu sperren, unter welchem Wasser, Bier, Seilwerk und mehrere andere Dinge lagen. Jedem, welcher so wie ich, seit vielen Jahren gewohnt war, früh etwas Warmes zu genießen, mußte es recht wehe thun, oft bis zur Mittagsstunde nüchtern herum laufen und wegen Mangel an Trinkgeschirr den fertigen Kaffe unberührt lassen zu müssen.

Das Vorenthalten des Wassers veranlaßte oft komische Diebesscenen. Jeder suchte sich davon zuzueignen, wo er es nur konnte. Der Augenblick, wo der grobe Obersteuermann, oder sonst ein ihm ähnlicher Matrose, nicht auf dem Decke war, wurde stets zu kleinen Entwendungen benutzt; und wenn Wasser aus den Fässern im Raume heraus gepumpt wurde, wobei der Obersteuermann immer die Aufsicht führte, entwandte jeder so viel davon, als er nur konnte. Hierin war die ganze werthe Reisegesellschaft stets eines Sinnes; denn die Allgemeinheit des Vergehens schloß den Mund eines Jeden. Ich muß gestehen, daß ich einer der ärgsten und verwegendsten Diebe war; obgleich zum erstenmal in meinem Leben.

Noch einmal sollte unsern Eisenfressern im Zwischendeck das Fluchmaul, wenn auch nur auf eine kurze Zeit, ein wenig gestopft und der, von vielen in Winkel geworfene Rosenkranz wieder hervorgesucht werden. Schon hatten sich uns Spuren von der Annäherung an das Land gezeigt; Vögel, solche, die nicht tief in See gehen, Seegewächse und eine mildere Luft – Seeschwalben und Sturmvögel waren dagegen unsere steten Begleiter, und wir trafen oft mitten im Meere große Schwärme von Fischreihern an; – da umzog sich der Himmel auf einmal mit einem dicken, schwarzen Wolkenschleier, welcher sich immer tiefer und tiefer und fast bis auf unsere Masten senkte, und sich endlich in schweren Gewittern entladete. Feurige Schlangen durchzuckten zugleich die Lüfte, begleitet von einem dumpfen Donner. Starke, in Amerika so gewöhnliche Regengüsse stürzten auf uns herab. Ich habe in dem Sturm der Elemente immer etwas Erhabenes gefühlt und ich blieb, so lange das Gewitter währte, trotz des strömenden Regens auf dem Deck; wo auch der Kapitain und die Matrosen blieben; nachdem sie die Segel eingezogen hatten. Das war das einzige Gewitter wahrend meiner Seereise, welches mir gefährlich schien und wobei ich Donner hörte. Donner hört man nur bei sehr starken Gewittern und in einiger Nähe des Landes. In der That, die Schiffe schweben bei nahen Gewittern in großer Gefahr. Man hat häufig Beispiele, daß der Blitz in dieselben geschlagen hat; denn auf der endlosen Fläche bilden sie mit ihren, mit Eisen beschlagenen Masten, die einzigen Anziehungspunkte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1