Abschnitt 1

Die Überfahrt. 2


Ich erlaube mir aus meinem Seeleben einige interessante Erscheinungen und Vorfälle auszuheben.


Der Himmel trübt sich; hunderte von Delphinen – Schweinfischen – umschwärmen mit lustigen Sprüngen das Schiff; zahllose Schwärme kommen herbei, um die fröhliche Gesellschaft zu vermehren. Alles betrachtet die gewandten muntern Geschöpfe.

So war es, als der Schiffszimmermann die scharfe Harpune ergriff, an das Vordertheil des Schiffes trat, und sie in die Seite eines dieser das Schiff umschwärmenden, mannsgroßen, Delphine schleuderte. Er war glücklich getroffen; die Harpune saß fest; und der Fisch sollte herauf gezogen werden; doch er sträubte sich gewaltig. Noch zwei Männer kamen dem Zimmermann zu Hülfe, man wollte ihn empor ziehen; doch kaum hob man ihn ein wenig aus seinem gewohnten Element, als er noch eine mächtige Anstrengung machte und mit Zurücklassung eines Stück Fleisches sich von dem Eisen losriß. Er entfloh, einen weiten blutigen Streifen hinter sich zurücklassend. Der Zimmermann betrachtete ärgerlich den Theil der Beute, der an dem Eisen zurück geblieben war, nicht ahnend, daß die Geister der Tiefe, welche er eben eines ihrer Unterthanen berauben wollte, schon für ihn selbst in ihrem Reiche ein Grab bereitet hatten.

Nach Untergang der Sonne giebt es auf dem Meere einzig schöne Erscheinungen, aus und mit welchen die Phantasie interessante Gemälde zusammensetzt; vorzüglich, wenn eine schwache Dämmerung sich über die Meeresfläche verbreitet. Eine jener wunderschönen Erscheinungen hatten wir, nachdem wir schon die kalten und nebeligen Regionen von Newfoundland verlassen hatten. Die weiche, amerikanische Luft, wehte lieblich zu uns herüber. Die Strahlen der untergehenden Sonne bildeten ein herrliches, nur diesem Himmel eignes Gemälde, dem eine warme Phantasie Ordnung und Bedeutung gab. Ueber uns schwebte ein reines dunkles Blau; am westlichen Horizonte aber zeigte sich ein vollständiges, von goldnen Rahmen eingefaßtes Gemälde. Eine weite Flur prangte mit Baumgruppen, welche goldne Blätter und Früchte trugen. Auf den vielfarbigen Wiesen weideten Heerden von Kameelen, Lämmern und andern Thieren. Paläste mit purpurrothen Dächern prangten im Hintergrunde. Eine paradiesische Landschaft schwebte in unbestimmten Zügen vor uns. Der große Maler hatte sie an sein prachtvolles Himmelszelt gezeichnet.

Indeß blähte ein guter Wind unsere Segel und unser Schiffchen flog vogelschnell durch die ruhigen Wellen dahin. Muntere Gesänge ertönten; Heiterkeit und Frohsinn herrschte durch die ganze, fast hundert Köpfe starke Menschenmenge. Es gab keinen Traurigen, keinen der sein Lager suchte.

Aber bald sollte diese Heiterkeit verstummen. Der Himmel trübt sich, Nebelschleier ziehen herauf, verdunkeln, bedecken ihn. Der Wind erhebt sich, wird heftig und immer heftiger, und geht endlich in Sturm über. Es blitzt und Donnerschläge erschüttern die Luft. Alles zieht sich zurück, den Seeleuten den Platz auf dem Verdecke überlassend.

Der Sturm saust und braust durch die Segel, zerreißt das Takelwerk; das Schiff steigt und fällt, von der Macht empörter Wogen hoch emporgehoben und zurückgeschleudert. Da ertönt durch das Geheul des Sturms, das Getöse der Elemente ein schrecklicher Ruf: der Zimmermann ist über Bord gefallen! –

Er war in dem Dunkel der Nacht vom Mast herabgestürzt, nur von erstem Steuermann bemerkt. Dieser, ein träger, roher Mann, wähnt, es sey ein Geräth herabgefallen und sagt mit seiner langsamen, dehnenden Stimme: „Kapitain, es fiel etwas über Bord.“ Der Kapitain eilt nun sogleich an die bezeichnete Stelle und hört den Unglücklichen noch um Hülfe schreien. Man wirft ihm Seile zu; doch er kann sie nicht erfassen, und wenig Minuten darauf hat das Meer sein Opfer verschlungen.

Man beklagt den guten freundlichen Mann und bedauert seinen Verlust. Aber der Gewittersturm legt sich; ein schöner Morgen geht auf; und schon ist der Unglückliche vergessen.

Einmal bildete der Horizont eine Menge von halbbogenförmigen Streifen, deren Tiefe im reinsten Lichte glänzte; und die, je höher sie hinauf stiegen, erst im reinsten Gold, dann hell- und dunkelroth strahlten; zuletzt sich in ein liebliches Blau verloren. Ein andermal schien ein dichter Wald, von Wolken gebildet, uns ganz nahe zu liegen.

Einen Sturm zu beschreiben, dürfte vielleicht überflüssig seyn. Fast jeder, welcher eine weite Seereise machte, hat einen starken oder schwachen erlebt. Es fehlt daher nicht an Schilderungen desselben. Wir hatten fast in jeder Woche einen, und ich war so daran gewöhnt, daß selbst ein sehr heftiger mich nicht mehr schrecken konnte. Und welche interessanten, furchtbarschönen Scenen boten sich dann meinen Blicken dar. Berghohe Wogen wälzten sich auf unser kleines Schiffchen, hoben es bald hoch empor, bald stürzten sie es in einen Abgrund. Freilich giebt es starke Stöße dabei, und der Ungeübte, der sich während eines solchen Unwetters auf dem Deck befindet und sich nicht festbindet, ist in nicht geringer Gefahr über Bord geworfen zu werden. In einem solchen furchtbaren Unwetter, welches drei Tage und Nächte ununterbrochen forttobte, hatte sich alles unter das Deck verkrochen; ich war der einzige Reisende, der wenigstens den ersten Tag desselben es oben abhielt; und ich würde auch länger ausgehalten haben, wenn ich nicht zu sehr durchnäßt gewesen wäre, oder mich hätte umkleiden können. War der Anblick auf dem Deck erhaben und großartig, so war er unter dem Deck in der That theils niederschlagend, theils belustigend. Die Menschen, die bisher nur geflucht hatten, waren auf einmal umgewandelt. Hier lagen einige ruhig auf ihren Lagern; dort beteten andere still oder laut; hier stießen einige laute Seufzer aus, während andere weinten und jammerten. Ich suchte ein Stück schwarzes Brod hervor, übergoß es mit Wasser, zog einen derben Schluck aus der Rumflasche und gab mir einen Schwung, um in mein Bett zu kommen. Er gelang glücklich, trotz allem Schwanken des Schiffs. Ich aß mein Brod, empfahl dem Herrn des Lebens mich und die lieben Meinen und versuchte zu schlafen. Es würde mir auch gelungen seyn, wenn ich nicht daran durch die Ausbrüche der Verzagenden verhindert worden wäre.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1