Die Überfahrt. 1

Endlich am 4. Mai Nachts um 12 Uhr begünstigte der Wind unsere Abfahrt. Er wurde auch sogleich benutzt und wir gingen unter Segel. Ermüdung ließ mir es nicht bemerken; und als ich früh aufs Verdeck kam, bot sich mir zum erstenmal der Anblick der weiten öden Wasserfläche dar, welche die fast ausmündende Weser bildete; nur noch einen schmalen Strich Landes von weitem gewahrend. Der Tag war trübe und traurig, aber ein frischer Wind blähte die Segel; das Schiff glitt rasch und gewandt durch die ein wenig gekräuselten Wellen. Alle waren froh gestimmt; doch unsere gute Stimmung wurde durch den Anblick der hervorstehenden Masten des vor kurzem gescheiterten Schiffes sehr getrübt.

Schon den Tag nach unserer Abfahrt trat ein zwar nicht ungünstiger Wind ein; allein da er von der Seite kam, fing das Schiff an sehr zu schwanken. Hier trat nun schon jene Leidensperiode ein, der kein Schiff entgehen kann, das Neulinge trägt. Die Seekrankheit wurde allgemein. Das Zwischendeck verwandelte sich auf einmal in ein Hospital. Alles brach, ächzte und klagte. Auch meine Kinder bekamen diese Krankheit. Ich selbst blieb ganz davon verschont und konnte den Krankenwärter machen. Aber ich beging hierbei wiederholt eine Unklugheit, welche ich später sehr zu bereuen Ursache hatte. Nur zu oft habe ich mich ähnlicher Unvorsichtigkeiten anzuklagen gehabt. Ich hatte mich mit manchen Erquickungen, unter andern mit Wein, Zitronen, trocknem Obste und dergleichen versehen. Die armen Kranken, denen ich mehrfach davon mitgetheilt hatte, fingen bald an, sich etwas auszubitten, und mein Wein bekam zu viel Abnehmer. Unter meiner Bettstelle hatte eine Familie ihr Lager aufgeschlagen, wovon der Mann längere Zeit sehr krank war, und dessen Frau sich täglich Wein, Kirschen u. s. w. ausbat. Meine Chokolade war ihm ein treffliches Stärkungsmittel; meine braunschweiger Wurst war das Einzige, was er noch genießen konnte. Da sich mehrere solcher Gäste fanden, so war es natürlich, daß das, was ich für die ganze Reise berechnet hatte, bald abnahm. Als es gänzlich damit zur Neige gekommen war, war der arme Kranke zwar noch nicht gesund; aber da ich nun nichts mehr bieten konnte, so öffneten sie ihren eignen Vorrath. Sie hatten sich mit einem hübschen Fasse von gutem Rheinwein, Würsten und andern Lebensmitteln versehen und während ich und meine Kinder indeß mit der Schiffskost vorlieb nehmen mußten, lebte unter unserm Lager alles in Ueberfluß. Eine Flasche Wein, die ich mir einmal ausbat, mußte ich mit 50 Kreuzern bezahlen. Doch so geht es in der Welt! –


Auf den anfangs günstigen Wind, der uns übrigens bald nach dem Kanal trieb, folgte erst Windstille, bei welcher fast alle wieder gesund wurden, mit welcher wir aber nicht vorwärts kamen; dann gänzlich widriger Wind. Wir mußten bis zum Ekel gerade vor Dover kreuzen und mehrere Tage blieb uns diese Stadt in Gesicht. Unterdessen entwickelte sich der Charakter der Gesellschaft in der ich lebte, immer mehr; Flüche, Verwünschungen, waren an der Tagesordnung. Unreinlichkeit, Gestank und Schmutz wurden, nebst ihren häßlichen Begleitern – den Kleiderläusen – heimisch. Zwar hielt der sehr brave Kapitain, Martens, möglichst auf Reinlichkeit; zwar ließ er alltäglich unsere Höhlen mit Essig räuchern, aber wie konnte er Unreinlichkeit bannen; unsere Plagegeister, die Läuse, entfernen.
Länger als zwölf Tage wurden wir in Kanal herum getrieben. Anfänglich hatten wir die Erlaubniß, uns aus den Fässern Wasser nach Belieben zu pumpen. Da sich aber unsere Schiffahrt so ungemein verzögerte; da von den unbesonnenen Menschen das Trinkwasser bis zur Verschwendung verbraucht wurde; setzte uns der Kapitain, bedenklich, ob wir mit unserm Vorrath ausreichen würden, auf Rationen und zwar auf ziemlich knappe. Auf den Mann wurde täglich ohngefähr 1 Quart hergegeben, womit nebst Thee und Kaffe wir unsern Durst stillen sollten. Meine Kinder wollten aber immer trinken und ich habe, so lange, bis ich mich daran gewöhnte, oft wirklich Qualen des Durstes gelitten, welche durch den steten Genuß gesalzener Speisen noch vermehrt wurden.

Bei der langdauernden Fahrt im Kanal, kamen wir einigemal in große Gefahr, mit andern Schiffen zusammen zu stoßen, vorzüglich in dunkeln Nebelnächten. Einmal kam uns eines so nahe, daß es fast in unser Takelwerk kam. Die Gefahr bei solchem Zusammentreffen ist sehr groß. In dem Kanal hatten wir mehrere Besuche von kleinen Schiffen, welche bei uns anlegten und uns Fische, Brod, Gemüse und andere Erquickungen brachten. Ich kaufte selbst noch einiges englisches Weißbrod, das ungemein schön und wohlschmeckend war, und welches größtenteils meinen Kindern zum Besten kam.

Die Kost auf unserm Schiffe war übrigens gut und reichlich, und mundete mir, bei der guten Gesundheit, deren ich genoß, trefflich. Sie bestand aus Reis, Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Graupen und Sauerkraut; das Salzfleisch von Rind und Schwein war trefflich. Hierzu das steinharte, doch kräftige Schwarzbrod, und früh und Abends Kaffee und Thee. Spashaft war es zu sehen, wie des Mittags sich alles zum Kessel drängte; wie, nachdem man sich beim Verteilen des Fleisches erst um die Knochen gestritten hatte, jetzt keiner genug von dem Gemüse bekommen konnte, Um einige Bissen mehr oder weniger wurde gezankt, gestritten. Es war eine wahre Abfütterung, wenigstens könnte das Vieh nicht gieriger über sein Futter herfallen, als hier die Menschen. Endlich wurde nach langem Herumtreiben das Ende bei Kanals erreicht. Nun bot sich unsern Blicken nichts als die weite, traurige Oede des Meeres dar; da wir bisher, ausgenommen in der Nordsee, noch immer Land gesehen hatten. Es ist ein eigenes, in der That nicht sehr angenehmes Gefühl, welches den Menschen befällt, wenn er sich auf einer unermeßlichen Wasserfläche allein siehet, entfernt von aller menschlichen Gemeinschaft und Hülfe; außer der, welche ihm ein zerbrechliches Schiff gewährt. Das Schiff bildet für ihn ein enges bewegliches Gefängniß, schwebend über einem Abgrund, bewohnt von vielleicht Tausenden ihm noch unbekannten Wesen, deren Raub er durch einen leichten Zufall werden kann. Ein unbewachter Augenblick kann ihn über Bord stürzen; eine Fahrlässigkeit, ein Blitz, kann das Schiff entzünden, ein Sturm kann es zertrümmern. An Rettung ist kaum zu denken. Oft vergehen mehrere Tage, ehe nur von weitem ein Segel sich zeigt.

Nur wenn man in die Nähe der Azoren kommt, belebt sich das Meer ein wenig wieder. Alle Schiffe aus und nach Ostindien und Amerika kommen bei ihnen vorbei.

Wenn sich ein Schiff von weitem zeigt, wird alles aufmerksam. Der Kapitain wie der Steuermann greifen nach dem Fernrohr. Jeder Matrose, jeder Reisende ist neugierig, gespannt auf dessen Annäherung. Man fühlt sich weniger einsam, man weiß, daß andere menschliche Wesen uns nahe sind. Es war übrigens eine traurige, langweilige Reise, die wir machten. Auf Windstille folgten widrige Winde, und auf diese oft Stürme. Doch gab es auch schöne Naturerscheinungen, deren Andenken mich noch ergötzt. Unbekannte Fische, welche unsere Neugierde erregten. Stürme, eben so großartig und erhaben für den Starken, als furchtbar und entmuthigend für den Schwachen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1