Die Reisekasse ist leer.

Am folgenden Tage, Morgens gegen 11 Uhr, kamen wir in Hannover an. Hier war ich genöthiget, ein anderes Fortkommen zu suchen; denn mein Fuhrmann wollte von hieraus einen andern Weg einschlagen. Der gute Erfolg, den meine Bitten in Bremen und Nienburg bei den dortigen Logen gehabt hatten, machte mir Muth, die hier befindliche Loge um eine Unterstützung anzusprechen. Ich war in den Gasthof zum wilden Mann gewiesen worden und man hatte mir gesagt: daß ich dort am leichtesten Gelegenheit nach Braunschweig finden werde. Nun führte der Weg dahin mich bei der großen Loge vorbei; ich fragte daher bei dem Kastellan an, ob ich auf eine Unterstützung rechnen könne; wurde aber heftig und mit der Aeußerung angefahren: die Bettelei sey unerträglich; alles komme nach Hannover! – Endlich wurde ich aber doch an den D. B**, dem Meister einer Johannis-Loge gewiesen, wo ich weitere Auskunft erhalten könne.

Ich ging aber nicht dahin, sondern in den Gasthof zum wilden Mann. Man hatte mir denselben gerühmt und ich wurde auch wirklich in ein hinteres Zimmer geführt. Ich aß hier Mittagsbrod, trank eine Flasche Bier, bezahlte beides ziemlich theuer und erkundigte mich nun nach dem Wirth, welcher mir als ein Bruder bekannt gemacht worden war. Allein der Herr Bruder behandelte mich barsch; ja grob; gab mir gar keine Auskunft; deutete mir an, daß in seinem Hause keine Gelegenheit nach Braunschweig sey und daß ich ein anderes Unterkommen suchen möge. Ich ließ diesen Wink nicht unbenutzt, nahm mein Bündel und meine Kinder und trat in den ersten Gasthof, welcher mir auf dem Marktplatz aufstieß. Ich wurde hier von einer hübschen, artigen und sehr freundlichen, jungen Frau empfangen, gut aufgenommen und war überdies so glücklich, einen jungen Bauer zu finden, welcher mich auf seinem Wagen, für 2 ggr., bis eine Stunde vor Hildesheim mitnehmen wollte.


Ein Blick in meine Kasse rieth mir jedoch, mein Glück noch bei dem Herrn Dr. B** zu versuchen; Allein ein schnippisches Dienstmädchen wies mich kurz und mit dem Bedeuten zurück: daß der Herr Doctor nicht zu Hause sey. – Muth und Lust waren weg, in Hannover noch irgend eine Bitte zu wagen; ich reiste ab und kam gegen Abend in ein Dorf, dessen Namen ich vergessen habe. Die Wirthsleute, biedere, freundliche Menschen, nahmen mich und meine Kinder bereitwillig auf, erquickten uns mit Speise und Trank, bereiteten uns eine gute Streu, und forderten am andern Morgen, wo wir uns sehr früh nach Hildesheim zu Fuße auf den Weg machten, eine sehr billige Zeche. Diese Fußreise war, trotz ihrer Kürze, trotz des schönsten Wetters, für meine armen Kinder sehr beschwerlich. Ihre leichten amerikanischen Schuhe waren in sehr schlechtem Zustande, so, daß sie kaum fortkommen konnten, und ich mich endlich genöthiget sah, sie barfuß gehen zu lassen. Doch kamen wir glücklich in dem Posthofe, einem vor Hildesheim liegenden Gasthofe, an. Ich forderte für mich und meine verschmachteten Kinder ein Glas Weißbier und etwas Brod. Beides erhielt ich zwar, aber der Wirth wies alle seine aus Kutschern und Knechten bestehenden Gäste aus meiner verpesteten Nähe zurück. Dies kränkte mich schon sehr; als aber ein junges Mädchen, das ich nach einer Gelegenheit nach Braunschweig fragte, von dem unförmlich dicken Wirth mit Grobheit von mir weggewiesen wurde, nahm ich rasch mein Bündel und meine Kinder und suchte mir in der Stadt ein anderes Unterkommen. Bei dem Vater des berühmten Sängers Dettmar, welcher in Hildesheim ein Wirthshaus hält, wurde ich mit Güte und Freundlichkeit aufgenommen. Der gute Mann fand viel Interesse an meinen wunderlichen Schicksalen; und da ich für diesen Tag keine Gelegenheit nach Braunschweig finden konnte, behielt er mich gern bei sich, bewirthete mich gut und ließ mir und meinen Kindern ein gutes, reinliches Nachtlager zubereiten. Er behandelte mich durchaus auf das gütigste und forderte sehr wenig; was für meinen schwindsüchtigen Beutel gut war. Obschon in Hildesheim eine Loge ist, wagte ich doch keine Bitte um Unterstützung, entmuthigt durch die unfreundliche Behandlung in Hannover. Am folgenden Tage fand ich endlich Gelegenheit. Ein Kutscher ging nach Braunschweig zurück, und nahm mich und meine Kinder mit. Eine junge, unterhaltende Dame und ein Roßhändler, Herr I***, waren unsere Gefährten. Heitere Gespräche verkürzten den Weg, der rasch zurückgelegt wurde. Nichts destoweniger war die Dämmerung schon eingetreten, als wir nach Braunschweig kamen. Nun gab mir zwar der gefällige Kutscher seinen Sohn mit, um mir Aufnahme in einem Wirthshaus zu verschaffen; allein ich mußte mich doch in zweien zurückweisen lassen, ehe ich in braunem Hirsch Aufnahme fand. Ein gutes Bette erquickte die ermatteten Glieder. Hier fand ich weder nach Halberstadt, noch nach Halle eine Gelegenheit, und ich mußte froh seyn, den folgenden Tag eine nach Magdeburg zu treffen; wohin ich zu gehen beschloß; weil ich von dort aus leicht nach Halle kommen zu können hoffte. Ich erhielt für 3 Thlr. einen Sitz auf dem Bock und meine Kinder in Wagen. Meine Kasse war unterdessen ganz zusammen geschmolzen. Meine Kinder brauchten nothwendig Schuhe und Strümpfe; ich mußte ihnen beides kaufen. Dies nöthigte mich noch einmal einen Versuch zu einer Unterstützung zu machen. Der Kastellan der Loge zu Braunschweig, ein Zollbeamter, war nicht zu Hause, und ein altes Weib, bei der ich anfragte, schlug mir die Thür vor der Nase zu. Ein anderer Bruder, den ich um Auskunft bitten wollte, schickte mir 2 ggr.; durch deren Zurückgabe ich doch wenigstens den Namen des Almoseniers erkaufte. Dieser, ein übrigens gütiger Mann, wollte verreisen und fertigte mich kurz mit einem Thaler ab. Nun, es war doch etwas Hülfe, die ich mit dankbarem Herzen annahm. Da die Reise sehr früh angetreten werden sollte, und ich meinen gütigen Wirth nicht stören wollte, bot mir der Lohnkutscher Wolf Nachtquartier in seinem Hause an. Wir erhielten unsern, übrigens guten Schlafplatz, auf seinem Heuboden angewiesen. Früh gegen drei Uhr brachen wir auf; nachdem der menschenfreundliche Lohnkutscher mich und meine Kinder mit Kaffee und Weißbrod erquickt hatte, ohne etwas dafür anzunehmen. Vor einem Bäckerhaus sollte die übrige Reisegesellschaft einsteigen. Der Aufenthalt vor demselben gab dem Hausherrn Zeit, sich mit mir zu unterhalten; und als alles zur Abreise bereit war, schenkte er mir so viel Weißbrod und Honigkuchen, daß wir für einige Tage vor Hunger geschützt waren. Eine feingebildete Dame und deren schöne Tochter waren unsere Reisegefährten, unterhielten sich mit meinen Kindern auf das freundlichste und liebreichste. Als gegen Mittag angehalten und ausgestiegen wurde, um das Mittagsbrod einzunehmen, erlaubte mir meine geschmolzene Kasse keine weitere Erquickung, als ein Glas Bier, wozu unser Weißbrod genossen wurde; allein die gütige Dame lud uns zum Kaffe ein und der freundliche Wirth erließ mir nicht nur die kleine Zeche, sondern brachte auch noch Erquickungen. Nachmittags hatte ich jedoch noch das Unglück meinen letzten, noch so ziemlich guten Rock von Bocke zu verlieren. Am Abend erreichten wir den Ort unsrer Bestimmung. Meine jüngste Tochter erzählte mir beim Absteigen, daß die ältere von der Dame beschenkt worden sey. Tief gerührt drückte ich meinen innig gefühlten Dank vielleicht etwas zu lebhaft aus, und ihr Zartgefühl schien verletzt zu seyn. Sie hatte meiner Tochter ausdrücklich befohlen, mich erst dann von ihrer Gabe zu unterrichten, wenn wir uns getrennt haben würden. Möge sie für das, was sie an mir und meinen Kindern that, belohnt werden! – Ihre Güte entnahm mich der Nothwendigkeit, noch einmal um Hülfe anzusprechen, verschaffte mir die Mittel, Halle zu erreichen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1