Die Lebensgeschichte eines Würtembergers.

Dieser Mann, den ich schon einige Zeit zuvor hatte kennen lernen, gewann bald meine Freundschaft, so wie er mir die seinige schenkte. Die Erzählung seines mühvollen Lebens zog mich an; seine regelmäßigen, ja schönen Gesichtszüge, sein ehrwürdiges Aeußere, welches jedoch tiefe Spuren unglücklicher Schicksale trug; sein graues Haupt, erweckten mein Vertrauen. Er war ein Mann von 50 Jahren und ein geborner Würtemberger. Noch sehr jung mußte er Soldat werden; allein als sein Regiment im Jahr 1806 marschirte, ergriff er die erste sich ihm darbietende Gelegenheit, um davon zu laufen. Er ging nun in österreichische Dienste; aber auch diese behagten ihm nicht. Bald verließ er sie heimlich und ging zu den Franzosen. Mit diesen macht er die Feldzüge gegen Spanien mit, wird von den Engländern gefangen, will auch hier sein Glück versuchen; und tritt in ein Dragoners-Regiment. Bald ist ihn aber der englische Dienst verleidet; das französische Leben gefällt ihm besser und immer glücklich beim Davongehen, kommt er mit Sattel und Zeug zu den Franzosen und wird sofort eingestellt. Er macht nun den letzten Theil des spanischen Krieges mit und kommt nach Napoleons Abdankung und Wiederherstellung der Bourbonen mit der Französischen Armee nach Frankreich. In Bourdeaux wird er Bedienter bei einem, aus hoher Familie abstammenden, General. Dieser ermordet beim Spiel einen Kapitain und er wird beauftragt, den Leichnam ins Wasser zu tragen. Aus Dankbarkeit für seine Treue und Verschwiegenheit, bringt ihn der General in die Dienste der Herzogin von Angouleme; aber die Rückkehr Napoleons reißt ihn wieder aus denselben. Während der 100 Tage führt er ein unstetes Leben; durchstreift Frankreich in verschiedenen Richtungen und kommt endlich nach Bourdeaux zurück. Hier hält er sich einige Jahre auf, ergreift verschiedene Nahrungszweige, bis endlich sein wohlhabender Vater seinen Aufenthalt erfährt und ihn zurückruft. Er verlebt nun einige Jahre im Vaterhause, nimmt dann ein kleines Gut an und heirathet. Aber das ruhige Leben behagt ihm, den an das Herumstreifen gewöhnten nicht; er überläßt die Wirthschaft seiner Gattin und fängt einen Hausirhandel an. Unglücklich in diesem, zerfallen mit seiner Familie, veräußert er alles was er hat, kauft Uhren, behält von seinem Vermögen nur so viel in baarem zurück, als er zur Ueberfahrt bedarf, und folgt mit Gattin und 4 Kindern dem Zuge nach Amerika. Dort angekommen, wird ihm für diese Uhren ein bedeutender Zoll abgefordert, den er nicht anders als durch den spottwohlfeilen Verkauf eines Theils derselben decken kann. Einen andern Theil muß er verkaufen, um mit seiner Familie ins Innere gehen zu können. Er kommt bis Pittsburg, pachtet in dessen Nähe ein Blockhaus mit 36 Ackern Landes, überläßt deren Bewirthschaftung abermals Frau und Kindern und durchstreift mit seinen Uhren den Ohio- und Misouristaat, Louisiana und Illinois. Nachdem er die meisten Uhren verkauft und den größten Theil des Erlöses verzehrt hat, oder darum betrogen worden ist, kommt er mit noch einigen Uhren und fast ohne Geld zur Gattin zurück. Die Abnahme des Geldes nöthigt ihn, den Ueberrest seiner Uhren zu verkaufen; aber kaum hat er sie ausgeboten; als ein bisheriger Freund, ein Landsmann, hingehet und anzeigt, daß er keinen Gewerbschein – Lizenz – habe. Ein schwerer Prozeß wird nun gegen ihn eingeleitet; seine Gattin ist gezwungen, in seiner Abwesenheit Schulden, zu machen; die Gläubiger erwachen, der Pachtzins wird fällig, man bemächtigt sich seiner Uhren, seines Viehes, seiner ganzen Habe, und er sieht sich in kurzem seines ganzen Eigenthums beraubt.

Er ist nun an den Bettelstab gebracht; aber in dieser äußersten Noth erhält er die Nachricht: daß sein Vater gestorben ist; und – eine Remesse von 400 Dollars. Er eilt nach Baltimore um sie einzuziehen, läßt Frau und Kinder nachkommen, und pachtet dort ein Wirthshaus. Aber die Gastwirthschaft geht schlecht; denn der Herr Wirth ist einer seiner besten Kunden. Der alte Soldat kehrt immer zurück. Er vermag große Massen zu verschlucken, ohne betrunken zu werden. Um diese Zeit machte ich mit ihm Bekanntschaft, sein ehrliches, biederes Benehmen zog mich an, und da ich einmal mit N*** zerfallen war, entschloß ich mich, zu ihm zu ziehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1