Der Glaube an ein neues Leben.

Doch nun zu mir selbst zurück.

Unter meinen Wohlthätern nimmt Nachbar Dowzen, dessen Vater das benachbarte Städtchen Dowzenvill gegründet hatte, den ersten Platz ein. Immer war er freundlich und gütig gegen mich, den verlassenen Fremdling. Hatte ich Bedürfnisse, suchte er sie zu befriedigen und ich erhielt viel für wenig Geld. Mochte ich allein oder mit meinen Kindern kommen, immer war der Tisch für mich gedeckt. Seine 17 Sclaven, deren Vater er war, umringten mich allemal, und ich mußte ihnen von dem schönen fernen Vaterlande, von seinen prächtigen Städten, seinen Königen und Fürsten, von den Schlachten, die auf seinem Boden geschlagen worden waren, erzählen. Er stand, wenn er zugegen war, selbst dabei, hörte aufmerksam zu, überließ aber das Fragen seinen schwarzen Kindern, um die eigene Unwissenheit nicht zu verrathen. Waren wir aber allein, dann fragte er mich: ob Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart, München, cities, towns oder villen – große, mittlere, oder kleine Städte wären, ob Moskau nahe an Bourdeaux liege, und ob man auf Railroad – Eisenbahn – von Petersburg nach Madrid gelangen könnte; welche Fragen ich jederzeit ehrlich und nach meinem besten Wissen beantwortete.


Eines Tages besuchte er seine in Dowzenvill lebende Schwester und hörte, daß auf der dortigen Post office, drei an mich gerichtete Briefe seit 6 bis 7 Wochen lägen. Sogleich eilte er, trotz eines heftigen Schneewetters zurück, und brachte mir noch vor Abend die Nachricht davon.

Ich zweifelte nicht, daß diese Briefe mir Hülfe und Rettung bringen würden und wollte noch diesen Abend den 3 ½ Stunde weiten Weg machen. Doch meine Gefährten, welche sich zum erstenmal um mein Schicksal zu bekümmern schienen, duldeten es nicht und ich mußte meine Neugierde bis zum nächsten Morgen bezähmen.

Die Briefe brachten mir das, was ich sehnlich gewünscht hatte. Der eine Brief war von dem Manne, welcher mich schon einmal gütig unterstützt, mir aber Hülfe zur Zurückfahrt verweigert hatte. Er erbot sich zu neuer Unterstützung. Der zweite Brief war von der Handlung Heineck und Schuhmacher, und enthielt die Anzeige, daß die so lange herumirrende Remesse endlich bei ihnen eingetroffen sey; daß ich nach Baltimore kommen und sie einziehen solle. Wer war froher als ich. Ich antwortete sogleich und erbat mir, unter Bürgschaft der Remesse, 25 Dollars. Nachdem diese angekommen waren, ging ich zu Freund Nicholes, dankte ihm für die vielen Beweise von Güte und daß er mich und meine Kinder vor Hunger und vor dem Bettelstabe geschützt habe, und erzählte ihm, daß ich vor der Hand gerettet sey. Ich gestand ihm aber auch, daß ich wegen meiner Kinder in großer Verlegenheit sey, denn ich wolle sie nicht unter so rohen Menschen lassen und doch könne ich sie auch nicht mit nach Baltimore nehmen. Sogleich erbot sich der brave Mann, nicht nur meine Kinder, sondern auch mich selbst in sein Haus aufzunehmen; hieß mir, meine Sachen bereit zu halten und versprach unverzüglich einen Wagen zu ihrer und meiner Kinder Abholung zu senden.

Er hielt auch redlich Wort; einige Stunden später erschien ein Wagen, begleitet von zwei Schwarzen, welche meine Kisten auspacken halfen. W*** und Sch. hatte ich früher, da sie die Kosten für den Hausbau allein getragen hatten, 8 Dollars gegeben und ich versprach noch mehr, wenn ich zurückkommen werde. Nun eilte ich zu Freund Nicholes. Wie wohl war es mir und den Meinigen nach so großen und schmerzlichen Entbehrungen, als wir wieder in einem gut eingerichteten, höchst reinlichen Hause wohnten und an einem vortrefflichen Tische Antheil nahmen. Wir glaubten ein neues Leben zu beginnen. Einige Tage nachher reiste ich nach Georgetown; bei welcher Gelegenheit ich auch Washington sah. Von dem Kapitol herab, einem prächtigen, von stolzen Säulen getragenen Gebäude, überblickte ich die Stadt Washington. Auf dieses Gebäude und die etwas entfernt davon liegenden herrlichen Wohnungen des Präsidenten und der Minister der vereinigten Staaten, bilden sich die Amerikaner viel ein und ein Aufseher an der Railroad sagte mir: das Kapitol ist das schönste Gebäude der Welt. Der Winter verhinderte mich Alexandria zu sehen. Von Washington fuhr ich mit Cars auf der Eisenbahn nach Baltimore, machte noch einige kleine Abstecher und eilte nach acht Tagen, nachdem ich meine Schulden bezahlt und einige Waaren eingekauft hatte, um damit einen kleinen Handel anzufangen, zurück. Ich hatte damals die Absicht nach Fredrickstown zu gehen, Unterricht zu ertheilen und meine Kinder bei irgend einer braven Familie unterzubringen. Bei Nicholes fand ich, zu meiner großen Freude, meine Kinder höchst reinlich gekleidet und in der besten Gesundheit. Sie waren mit der zartesten Sorgfalt behandelt, und auch ich war nicht vergessen worden; durch Sclaven war meine Wäsche gereiniget und in Stand gesetzt worden. Ich erhielt sogleich wieder einen Platz an seiner gut besetzten Tafel; und mit seinem Geschirr sollte ich fortgebracht werden. So angenehm und gut ich mich nun bei ihm und unter so guten Menschen befand; wollte ich ihm doch nicht länger zur Last fallen und ich erinnerte ihn mehreremal, Anstalt zu meinem Fortkommen zu treffen. Allein dann antwortete der brave Nicholes: ich lebe bei ihm wohlfeiler als in Fredrikstown, und an seinem Tische, wo für 40 Menschen gesorgt werde, gäbe es auch noch für drei Platz. Endlich, vier Wochen nach meinem ersten Eintreffen in seinem Hause, wurde auf mein wiederholtes Bitten Anstalt darzu gemacht; und als ich ihn nach meiner Schuld fragte, verlangte er 5 Dollars für die Fuhre, war aber beinahe beleidigt, als ich von mehrerm sprach. So vieles Gute erzeigte mir ein Mann, welcher mich nie zuvor gesehen hatte; der meine Muttersprache nicht verstand und dem ich nie irgend einen Dienst geleistet hatte.

In Fredrikstown mußte ich zuerst meinen Aufenthalt in einem Wirthshaus nehmen. Ich wählte das eines gewissen Weber, welchen ich bei meiner frühern Anwesenheit daselbst hatte kennen lernen. Er war einer jener Unglücklichen, die in dem Vaterlande angenehme Verhältnisse verlassen hatten und sich hier bitter getäuscht fanden. Seine Gattin war gerade, als ich ankam, hochschwanger, und er selbst litt schon seit länger als einem Jahre an dem dortigen klimatischen Fieber. Diesen Leuten, welche monatlich 5 Dollars Hauszins zahlen mußten, fehlte es nicht selten an den nothwendigsten Bedürfnissen. Durch meine Ankunft in ihrem Hause, durch meine Beiträge zu dem Hauszinse, und durch mein anfänglich an sie bezahltes, wenn auch billiges Kostgeld, war ihre drückende Lage doch etwas verbessert worden. Als aber die Gattin in die Wochen kam, ich für meine Beköstigung selbst sorgte und meinen eignen Koch machte, stieg ihr Elend wieder sehr hoch. Zwar schickten die bekannten Familien hie und da Essen ins Haus, aber natürlich nur so viel, als für die Wöchnerin berechnet war und der stets kranke und daher verdrießliche Mann, konnte und mochte nicht für sich und seine Kinder kochen. Ich half so viel ich konnte und täglich lud ich ein Glied der Familie, manchmal diese ganz, zu meinem freilich sehr frugalen Mahle ein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1