Auf dem Dampfschiff nach Baltimore.

Um nun nicht ganz brodlos zu seyn, fing ich in Philadelphia an, Dinte, eau de Cologne zu fertigen und mit Kalendern, Fleckkugeln, Leichtdornpflaster zu handeln, und verkaufte davon so viel, daß ich die Hälfte des Kostgeldes für meine Kinder an R*** bezahlen konnte. Ich wurde aber täglich ärmer und R*** mehr schuldig.

Jetzt reifte sowohl bei mir als bei R*** der Entschluß: tiefer in das Land hinein zu gehen. Ich verkaufte alles einigermaßen entbehrliche, brachte dadurch noch ein ziemliches Sümmchen zusammen und bestimmte den 26. Februar zur Abreise. R*** hatte seine Wohnung aufgegeben. Eine Schweitzer Familie bezog sie, ehe er noch ausgezogen war. Alles war gepackt und die Post bereits bestellt, als sich fand, daß er das zur Bezahlung seiner Schulden nöthige Geld nicht zusammen bringen könne. Nichts destoweniger wollte er abreisen und seine Schulden später tilgen. Aber ein Konstabler erschien mit einem Arrest-Befehl, – Warrant –; bemächtigt sich seiner und führte ihn wegen einer Schuld von 34 Dollars vor den Friedensrichter – Sqire. Da er nicht gleich bezahlen kann, wird er in das Gefängniß gebracht. Am andern Tag bürgt ihn zwar ein Freund wieder los, aber blos unter der Bedingung: daß er vor der Court-Sitzung Philadelphia nicht verlassen wolle. Unsere Reise mußte also unterbleiben und was noch schlimmer war, wir hatten keine Wohnung; da die, welche wir inne gehabt hatten, anderweit besetzt waren. R*** miethete sich ein kleines Stübchen; ich blieb noch einige Tage bei den ehrlichen biedern Menschen und miethete mich endlich in dem hölzernen Häuschen eines Schneiders, Rödel, ein. Auf das Anrathen meiner Freunde wollte ich eine kleine Tabaks-Fabrik anlegen. Dieses Geschäft schien etwas zu versprechen. Ich schnitt den Tabak auf deutsche Art, und da ich schon hübsche Bekanntschaften unter den Deutschen gemacht hatte, bekam ich gleich anfänglich mehrere Bestellungen. Aber, obgleich wir im Anfange des März waren, kehrte doch der Winter auf das heftigste zurück und zur Vermehrung des Unglücks erkrankte mein jüngstes Kind an Scharlachfieber. Das Holz stieg auf 12 Dollars die Klafter. Mein Tabak gefror, anstatt zu trocknen, in meiner Wohnung, in welche von allen Seiten der Wind hinein blies. Ich brauchte Holz, mein Kind Wartung und Pflege; und mein kleines Geschäft stand bald still. Ueberdies fing auch R*** und nächst ihm, eine bedeutende Tabakfabrik an, einen gleichen Artikel zu machen. So verging unter schweren Sorgen der März und ein Theil des Aprils, als eine Anzeige, welche zur Empfehlung meines Tabaks in die deutsche Zeitung: alte und neue Welt –, eingerückt worden war, einen Landsmann veranlaßte, mir zu schreiben und mich aufzustöbern, zu ihm nach Baltimore zu kommen und mit ihm ein Compagnie-Geschäft in Tabak, Destilation und dergleichen anzufangen. In meiner damaligen Lage, nahm ich diese Einladung für einen Wink der Vorsehung. Der Mann, welcher mir schrieb, besaß in der Heimath ein Haus und Feld; und ich kannte ihn von keiner unvortheilhaften Seite. Auch hoffte ich, und, wie sich bald auswies, mit Recht, daß mir Hülfe aus Europa nicht mehr fern seyn werde. Ich schrieb ihm ganz offen über meine Umstände und bat, er möge mir Nachricht geben, wenn ich nicht kommen solle; ich wolle zwar gern arbeiten, könne meine Arbeit aber vor der Hand nicht mit eigenem Vermögen unterstützen. Mit umgehender Post kam eine Wiederholung seiner Einladung und es blieb mir nun kein Zweifel mehr übrig, daß mich der Mann brauchen wolle und könne. Dem ohngeachtet schrieb ich ihm aus Vorsicht noch einmal und bat ihn: mir es ja abzusagen, wenn ich, so geldlos wie ich sey, nicht kommen solle. Aber es kam keine Antwort; ich entschloß mich kurz und schiffte mich am 44. April 1835 auf dem Dampfschiff nach Baltimore ein.


Kaum angelangt und während ich noch einen Wagen zur Fortbringung meiner Sachen suche, kam auch schon N***s Gattin auf das Schiff, um mich zu ihrem Ehemann zu führen, dessen Wohnung in der ziemlich entfernten Vorstadt – Point – lag. Der weite Weg wurde meinen Kindern unendlich sauer; doch bald war er überstanden und nun zeigte sie mir von weitem ein hölzernes Häuschen, was sie als ihre Wohnung andeutete. Schon jetzt sank mir der Muth, denn ich hatte ein hübsches Wirthshaus erwartet. Sobald N*** meine Ankunft bemerkt, kommt er mir fröhlich entgegen, umarmt und küßt mich. Ich trete ein und finde 3 halbvolle Schnapsflaschen; also doch etwas, was einem Wirthshaus ähnelt; aber sonst ein fast leeres Behältniß, nur mit einigen hölzernen Stühlen, einer wackligen, hölzernen Bank und einem alten Tisch versehen. In dem Hinterstübchen, wohin er mich sogleich führte, war es ziemlich warm, aber es schien von alten Bretern und Balken zusammen geflickt zu seyn. Ich verbarg den Schreck und das Entsetzen, welches mich bei den so unzweideutigen Spuren von Armuth befiel, so gut ich nur konnte und unterhielt mich mit N***, der später als ich die Vaterstadt verlassen hatte, über die dort vorgefallenen Begebenheiten, und suchte, große Ermüdung vorschützend, zeitig mein Bett. Ermüdung war auch wirklich da, und sie machte mir es möglich, den Kummer durch den Schlaf zu verscheuchen. Am andern Morgen schwanden, rücksichtlich meiner Vermuthungen und Befürchtungen von vorigem Abend, alle Zweifel. Kaum hatte ich Kaffe getrunken, als N*** die Größe meiner Kasse zu erfahren suchte, welche in der bedeutenden Summe von 3 Dollars bestand. Ich gab ihm hinreichenden Aufschluß darüber; und obgleich sein bisher freundliches Gesicht sich etwas verlängerte, zog es sich doch schnell in seine regelmäßige Ordnung zurück. Er meinte, einen Blick auf meine doch noch ziemlich vollen Kisten werfend: dies sey freilich wenig und ein Glück für mich, daß ich zu ihm gekommen sey. Mit wenigem Gelde könne man hier doch manchmal viel anfangen. Ihm selbst fehle Geld, und müsse ihm fehlen; denn er habe seine ganze Habe in seine Wirthschaft gesteckt und diese gehe deswegen nicht nach Wunsch, weil er oft die Getränke nicht habe, die von seinen Kunden verlangt würden. So leide er jetzt Mangel an Bier, ich möge deshalb einen Dollar auslegen, damit er ein Fäßchen Bier kaufen könne. Ich hätte freilich gern die paar Thaler für kleine nothwendige Bedürfnisse aufgespart; aber was wollte ich machen, der Dollar mußte heraus.

Es war in dem Monat April noch empfindlich kalt, und obgleich ein großer Ofen vorhanden war, wurde doch, nachdem der Kaffe gekocht war, nicht mehr eingeheitzt. Es fror mich und meine Kinder sehr. N*** selbst bebte vor Frost und lud mich zu einem Spaziergange nach der Stadt ein. Wir blieben bis Mittag weg und meine Kasse erhielt einen neuen empfindlichen Stoß. N*** wollte selbst Bier brauen. Er rühmte sich ein treffliches Bier aus Waitzenkleyen und Hopfen fertigen zu können, und wolle nun nicht mehr dem Schinder die Keule abkaufen; wir würden dabei viel verdienen können. Dies wäre alles recht gut gewesen, wenn nur meine Kasse nicht wieder in Anspruch genommen worden wäre. Allein die Materialien mußten herbeigeschaft werden, und es wurden ein Sack Kleyen und ½ Pfund Hopfen eingekauft: Der Sack wurde von uns abwechselnd nach N***s Wohnung getragen; wo wir dessen Frau, – damals hieß sie noch seine Pflegetochter, späterhin hat sie sich ihm antrauen lassen, – beschäftiget fanden, bei, an der Werft zusammen gelesenen Spänen, Theile eines Ochsenkopfs mit Kartoffeln zu kochen. Nun es war doch ein nahrhaftes Gericht, und das Zimmer war leidlich erwärmt. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Auswanderer nach Amerika, Teil 1