Der Almputz in der Hintertux

Autor: Ueberlieferung
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Neben den Kasermandln, den wegen ihrer bösen Taten zum Umgeistern auf der Alm verurteilten Sennen, spuken noch andere gespenstische Wesen auf den Almen und Bergen herum, die im irdischen Leben Frevel und Unrecht begangen haben und nun dafür büßen müssen; man nennt sie die Almputze. Diese Spukgeister erscheinen oft in sonderbarer Gestalt, manche haben einen Kopf aus Lehm, andere gar keinen Kopf, der eine oder andere muß in Tiergestalt sein Unwesen treiben.

Auf einer Alm in der Hintertux lebte ein Berggespenst, das viele Bewohner der Umgebung schon gesehen hatten. Sie schilderten es übereinstimmend als ein entsetzliches, schnaubendes Pferd, das urplötzlich vor den erschrockenen Einwohnern auftauchte, aber in seiner Wildheit keinen Menschen in seine Nähe kommen ließ; dazu strömte es eine so gräßlichen Geruch aus, daß jedermann schleunigst die Flucht ergriff. Kein Mensch war sicher vor der schrecklichen Wut dieses Almputzes, und schon viele Jäger und Wildschützen hatte er mit seinen eisenharten Hufen zu Brei zerstampft.

Einst faßte ein wackerer Alpenbewohner den tapferen Entschluß, diesem Schreckensgespenst ernstlich zu Leibe zu rücken. Er lud sein Gewehr mit einer geweihten Kugel und stieg eines Tages zur Alm Els hinauf, wo es der Putz besonders arg trieb. Unfern der Almhütte stand ein Wegkreuz, bei dem der mutige Schütze noch ein kurzes Gebet sprechen wollte, bevor er den Tummelplatz des gefährlichen Pferdes betrat. Als er sich umdrehte, um weiterzugehen, stand ein unscheinbares, graubekleidetes Bergmännlein hinter ihm, das ihn um einen Bissen Brot und einen Schluck Branntwein bat. Gutmütig öffnete der Mann seinen Schnappsack und teilte Brot, Gemsenfleisch und Enzian mit dem Männlein. Als sie gegessen hatten, sagte der Kleine:

»Ich weiß, was du vorhast Aber ich rate dir gut: Kehre wieder um; denn wenn du nicht 'Reißendes, Beißendes und Gleißendes' bei dir hast, bist du unwiderruflich verloren. Der Putz wird dich zu Brei zertreten und zu Staub zermalmen.«

Da fragte der Schütze verwundert, was er denn unter diesen drei Dingen verstehe. Das Bergmännlein antwortete: »Das sind dein Gewehr, dein Hund und dein Schwert.«

Der Jäger befolgte den Rat des Männchens, kehrte um und versorgte sich zu Hause mit den drei schützenden Dingen. Dann trat er erwartungsvoll aufs neue seinen Gang an, um seine Heldentat zu vollbringen. Aber es kam anders, als er erwartet hatte. Der Almputz, dieses gräßliche Pferdeungetüm, erschien, sprengte in rasendem Galopp auf ihn zu, schnaubte Feuer, strömte stinkenden Dampf aus, bäumte sich und stampfte wie toll. Dann wieherte das Pferd grimmig und grollend, daß es rundherum scheußlich widerhallte, und schrie dem erschrockenen Jäger zu: »Du Lump, wenn du nicht das Reißende, Beißende, Gleißende bei dir hättest, würde ich dich zu Staub und Moder zermalmen.«

Schrie es und eilte davon, daß Staub und Funken sprühten, ehe der wie angewachsen dastehende Jäger nur ein Glied zu rühren vermochte. Als er sich dann nach dem spukhaften Wesen umsah, verschwand es gerade in der Gletscherwand, aus der es gekommen war. Dem Schützen aber war von da an die Lust, mit Geistern und Putzen Kämpfe zu bestehen, ganz und gar vergangen.