Kapitel 9

"Nun, Kinder, habt Ihr miteinander gesprochen?" fragte die Gräme, "und seid ihr bekannt zusammen geworden? wie Reisekameraden, die Zufall zusammenführte, und die ermitteln müssen, wie sie sich am besten in die auf dunklem Pfade vorhandnen Gefahren teilen?"
Katharina konnte selten einen Scherz bei sich behalten und redete öfter einmal in Fällen, wo sie besser geschwiegen hätte.
"Euer Enkel findet solche Freude an der Reise, daß er am liebsten schon jetzt aufgebrochen wäre," antwortete sie.
"Das heißt vorwitzig sein, Roland," verwies ihn die Dame, "und ist ebenso ein Fehler wie gestern, da Ihr zu bedächtig waret. Die rechte Mitte liegt im Gehorsam, der das Zeichen zum Aufbruch ebenso abwartet, wie er ihm Folge leistet, wenn es gegeben wird. Aber noch einmal, Kinder! steht eins dem andern so fest im Gedächtnis, daß jedes von Euch, wenn Ihr einander begegnet, gleichviel in welcher Verkleidung, in dem andern den geheimen Beförderer des großen Werkes erkennt, zu welchem Ihr Euch verbinden sollt? ... Seht Euch einander an! faßt jeder des andern Züge, des andern Mienen auf! Lernt am Gange, an der Stimme, an der Bewegung der Hand, an dem Blick des Auges den Genossen erkennen, den der Himmel einer dem andern sandte, zur Vollstreckung seines Willens ... Roland Gräme, wirst Du dieses Mädchen wiedererkennen, gleichviel wann und wo Du ihr begegnen wirst?"
Ebenso freudig wie der Wahrheit gemäß antwortete Roland auf diese Frage mit einem kräftigen Ja.
"Und Du, meine Tochter, wirst Du Dich der Gesichtszüge dieses Jünglings wieder entsinnen?"
"Nun, liebe Mutter, ich dächte, in letzter Zeit nicht so viel Mannsgesichter gesehen zu haben, daß ich Euren Enkel so im Handumdrehen wieder vergessen sollte, wenngleich ich eben nicht viel an ihm sehe, was der Aufbewahrung im Gedächtnisse sonderlich wert wäre."
"So reichet einander die Hände, meine Kinder," sagte Magdalene Gräme, wurde aber von ihrer Genossin unterbrochen.
"Nein, Schwester," sprach sie, denn sie hatte mit steigendem Verdruß all diese Worte mitangehört, die ihren klösterlichen Vorurteilen so unbedingt zuwiderliefen, daß sie nicht länger sie mit anhören, noch dazu schweigen mochte. "Nein, Schwester," wiederholte sie bestimmter, "Du vergißt, daß Katharina dem Himmel verlobt ist, daß also dergleichen Vertraulichkeiten nicht stattfinden können."
"Es geschieht doch in Sachen des Himmels, daß ich sie auffordre, die Hände ineinander zu legen, Schwester," erwiderte die Gräme mit der vollen Kraft ihrer gewaltigen Stimme, "der Zweck, Schwester, heiligt die Mittel, deren wir uns bedienen, weil wir uns ihrer bedienen müssen."
"Wer mich anredet, der redet mich an als Frau Aebtissin oder wenigstens doch als Mutter," sprach Dame Brigitte und warf sich in die Brust, wie wenn sie sich durch das herrische Wesen der Freundin gekränkt fühlte -- "Lady Heathergill vergißt, daß sie das Wort an die Aebtissin des Klosters der heiligen Katharina richtet."
"Als ich den Namen führte, den Ihr mir beilegt," erwiderte die Gräme, "da waret Ihr allerdings das, was Ihr aussprecht, aber jetzt sind beide Namen verschwunden mit dem Range, den die Welt und die Kirche ihnen geliehen hat; jetzt sind wir in den Augen der Welt nichts weiter als ein paar arme, verachtete alte Weiber, die nur wenige Jahre noch von einem gemeinen Grabe trennen. Und was sind wir in den Augen des Himmels anders als Mägde, die seinen Willen zu erfüllen haben? in deren Ohnmacht die Macht der Kirche soll offenbaret werden, vor denen die Macht eines Murray soll zunichte werden! Und auf solche wolltest Du die einschränkenden Vorschriften klösterlicher Abgesondertheit angewandt wissen wollen? ... Oder hast Du den Befehl Deines Vorgesetzten vergessen, den ich Dir zeigte, und der Dich in solchen Dingen mir unterwirft?"
"Auf Dein Haupt also falle Anstoß und Sünde!" sagte mißmutig die Gräme ... "und nochmals sage ich, umarmet Euch, meine Kinder!"
Aber Katharina, die vielleicht ahnen mochte, wie der Zwist enden würde, schlüpfte aus dem Zimmer und machte auf diese Weise dem Enkel einen empfindlicheren Strich durch die Rechnung als der Großmutter.
"Sie geht, um eine kleine Erfrischung zu besorgen, die aber denen, die weltlich gesinnt sind, wenig behagen dürfte. Wenigstens kann ich mich von den Regeln nicht freisprechen, an die ich durch mein Gelübde gebunden bin, um deswillen, weil es Gottlosen unter den Menschen gefällt, das Heiligtum zu zertrümmern, innerhalb dessen man sie zu achten gewohnt war."
Die Aebtissin, furchtsam, engherzig und unzufrieden, hing an den alten Gebräuchen und Rechten, die durch die Reformation aufgehoben worden waren, und war im Unglück nicht anders als im Glück, ängstlich, kleinmütig und bigott. Die Gräme hingegen ließ sich in ihrem feurigen höher strebenden Sinne durch Regeln und Vorschriften nicht in den außerordentlichen Plänen, die ihre glänzende Phantasie geschmiedet hatte, einschränken. Roland aber, statt sich um diese Abweichungen in dem Charakter der beiden Damen zu kümmern, wartete bloß mit Ungeduld auf das Wiedererscheinen von Katharina, weil er noch immer hoffte, die Umarmung werde dann nochmals angeregt werden, auf die er sich so sehr gefreut hatte. Aber er wurde in diesen Erwartungen oder richtiger, Hoffnungen, doch getäuscht, denn als Katharina nun wieder in das Zimmer trat und einen irdenen Wasserkrug auf den Tisch stellte, nahm die Dame von Heathergill, indem sie sich an der Energie genügen ließ, mit der sie sich ihrer Kameradin entgegengestellt hatte, Abstand davon, ihren Sieg weiter zu verfolgen, freilich ohne zu ahnen, in welch geringem Maße sie sich für diese Mäßigung des Beifalls ihres Enkels zu erfreuen hatte.
Mittlerweile stellte Katharina die mageren Gerichte für den Abendtisch auf die Tafel, die aus einer Kohlsuppe, in irdener Schüssel hergerichtet, und ein paar Gerstenbrötchen bestanden. Das in der Flasche schon vorher aufgetragene Brunnenwasser blieb das einzige Getränk, das auf die Tafel kam. Bei den Frauen, die zwar mäßig aßen, aber nichtsdestoweniger an Appetit keinen Mangel verrieten, schien die Einfachheit der Gerichte kein Mißbehagen zu wecken. Roland Gräme dagegen war an bessere Kost gewöhnt, denn bei Sir Halbert Glendinning pflegte die Tafel immer auf das reichhaltigste ausgerüstet zu sein. Um so unzufriedener war er, als ihm auch nachher jede Hoffnung, noch einmal mit der hübschen Novize ins Gespräch zu kommen, vereitelt wurde, denn Katharina, sei es nun aus besonderem Zartgefühl, aus Laune oder vielleicht aus einer Mischung von beidem, erinnerte die Aebtissin gleich nach dem Essen daran, daß sie sich vor der Vesper noch auf eine Stunde zu entfernen habe, und die Aebtissin nickte ihr sogleich bereitwillig zu. Katharina machte den beiden Matronen einen Knicks, so tief, daß sie fast in die Kniee sank, verneigte sich dann flüchtig vor Robert und war zu dessen Verdruß rasch aus dem Zimmer verschwunden.
"Hol sie der Geier," dachte er bei sich, wenn auch die Gegenwart der Aebtissin alle unheiligen Gedanken aus seiner Seele hätte ausmerzen sollen. "Sie ist harten Herzens und gleicht der lachenden Hyäne, von der man in den Reisebeschreibungen liest; jedenfalls werde ich mich ihres Herzens noch manche Zeit erinnern, wohl lange über diese Nacht hinaus!"
Die beiden alten Damen zogen sich zurück, nachdem sie Roland noch bedeutet hatten, daß er sich keinesfalls aus dem Bereiche des Klosters entfernen oder sich an den Fenstern zeigen dürfe.
"Das geht aber doch weit über Wardens verbohrte Sittenstrenge," meinte Roland bei sich, sobald er allein war, "denn das muß man ihm lassen, so scharf wir auf seinen Vortrag beim Unterricht aufpassen mußten, in der übrigen Zeit ließ er uns doch ungeschoren, ja wenn wir uns manierlich betrugen und nicht über die Stränge schlugen, war er sogar häufig Mitspieler von uns. Aber diese beiden alten Damen sind ja die reinen mixta composita aus Trübsinn, Geheimniskrämerei und Selbstverleugnung ... Was haben sie gesagt? nicht vors Tor soll ich gehen? nicht ans Fenster treten soll ich? nicht zum Fenster hinausgucken soll ich? Hm, aber mich im Innern umzusehen, das haben sie mir nicht verboten, also will ich zum wenigsten sehen, ob sich im Innern des Hauses nicht irgend was findet, was einem als Zeitvertreib dienen kann. Und wer weiß, vielleicht findet sich im einen oder andern versteckten Winkel gar meine blauäugige Lachmöwe?"
Er entfernte sich in entgegengesetzter Richtung wie die Matronen aus dem Zimmer, denn es läßt sich wohl denken, daß es ihn nicht danach verlangte, von den geheimen Unterhaltungen, die sie zusammen führten, noch mehr zu hören, als er bereits wußte. Er ging aus einem Zimmer ins andre, auf eifriger Suche nach einem Gegenstande, der seine Neugierde reizen oder ihm Unterhaltung schaffen könnte. So kam er durch einen langen Gang, zu dessen beiden Seiten die kleinen Zellen lagen, die den Nonnen zur Unterkunft gedient hatten, die aber jetzt alle verödet waren und keinen einzigen jener Gegenstände mehr aufwiesen, deren Benützung die Ordensregel ihnen gestattete.
Zu einer Reihe von Zimmern im Erdgeschoß des Hauses führte eine Wendeltreppe, so eng und schmal, als hätte sie die Nonnen immer an die Pflichten erinnern sollen, die ihnen oblagen, an Fasten, Kasteiung und dergleichen. Diese Räume im Erdgeschoß waren noch ärger verwüstet als alles andre im Hause; sie waren wohl der ersten Wut der Klosterstürmer ausgesetzt gewesen, und kein Fenster, keine Tür hatten sie ganz gelassen, ja sogar die Scheidewände zwischen den einzelnen Räumen hatten sie zum großen Teil niedergerissen. So führte ihn sein Weg von Trümmer zu Trümmer, und schon beschlich ihn der Gedanke, von einer so unerfreulichen Schaubühne sich wieder hinwegzuheben, als er zu seiner lebhaften Verwunderung ganz dicht in seiner Nähe eine Kuh brüllen hörte. Für solche Zeit und solchen Ort war das ein Laut so seltsam, daß Roland in die Höhe fuhr, wie wenn er das Gebrüll eines Löwen vernommen hätte, und mit der Hand im Nu am Dolche war. Aber fast im selben Augenblick tat sich die Tür eines Verschlags auf, und die liebliche, lustige Gestalt der Maid erschien im Rahmen derselben.
"Ei, recht schönen guten Abend, mein wackerer Ritter vom Bratspieß," sagte sie lachend, "seit Walter Warwick hat's niemand besser verdient, einer braunen Kuh in die Augen zu schauen."
"Kuh?" erwiderte Roland, "na, ich hab doch wahrhaftig gemeint, es sei der Gottseibeiuns, der sich das Vergnügen mache, mir einen Ohrenschmaus zu bereiten. Wer hat wohl gehört, daß ein Nonnenkloster und ein Kuhstall sich unter ein und demselben Dache befinden?"
"Jetzt stehen uns keine Mittel mehr zu Gebote, Kalb und Kuh den Eingang zu wehren," versetzte Katharina, "drum können sie ungehindert herein. Aber ich möchte Euch doch raten, lieber Herr, daß Ihr Euch wieder dorthin verfügtet, woher Ihr gekommen seid."
"Erst wenn ich gesehen habe, schön Schwesterchen, was Ihr hier treibt," versetzte Roland, indem er sich, ohne der halb ernstlich gemeinten, halb scherzhaften Einwendungen des Mädchens zu achten, in den Raum hineindrängte, der ehedem als Speisesaal gedient hatte, jetzt aber einer Kuh als Stall diente, die neben Gras und Heu, das zum Futter für sie bestimmt war, in einer Ecke lag.
"Das muß man sagen, die Mutschekuh hat ein besseres Quartier als alle übrigen Wesen, die sich in diesem Gebäude aufhalten."
"Also wär's wohl am besten, Ihr ließet Euch bei ihr nieder," neckte das Mädchen, "und schüfet ihr Ersatz für den Sprößling, der ihr so unglücklicherweise abhanden kam."
"Wenigstens will ich Euch dabei helfen, dem Tiere die Streu herzurichten, da Ihr nun doch mal damit beschäftigt zu sein scheint," sagte Roland.
"Das laßt ja hübsch sein," versetzte Katharina, "denn einmal versteht Ihr nichts von solcher Arbeit, und dann schafft Ihr bloß Ursache zu Schelten für mich, und an Schelten fehlt's mir ohnedem nicht."
"Was? Schelte? weil ich Euch helfe? und dabei soll ich Euch doch Beistand und Helfer in ganz andern Dingen sein! ... Das ginge doch wider alle Vernunft, und nun sagt mir, da mich grade die Rede drauf führt, was ist denn das für eine große Unternehmung, die ich mit ins Werk setzen soll?"
"Ich denke mir, es wird wohl ein Vogelnest sein, das Ihr ausnehmen sollt," sagte mit Lachen das Mädchen, "solcher Gedanke liegt wenigstens nahe, wenn man sich den Kämpen ansieht, den sie sich dazu erkoren haben."
"Nun, nun, schöne Fee, ein Bursche, der in den Felsklüften von Palmoodie ein Falkennest ausgenommen hat, darf schließlich auch ein wenig den Mund auftun," verwahrte sich Roland, "aber das liegt ja nun alles hinter mir, und der Schinder mag Falkennest und Falkenbeize holen, denn um dieses Zeugs willen ist mir ja bloß das Los beschieden worden, auf Reisen zu gehen. Hätt ich nicht wenigstens Euch dabei erwischt, holde Kallipolis, möcht ich vor Aerger schier schwarz werden, das kann ich Euch wohl sagen! Aber da wir Reisekameraden werden sollen ..."
"Leidenskameraden wohl, aber nicht Reisekameraden," erwiderte das Mädchen, "denn zu Eurem Troste müßt Ihr wissen, daß die gnädige Aebtissin mit mir morgen früher aufbrechen wird als Ihr mit Eurer lieben Frau Gräme, und daß ich Euch zum Teil diese kurze Zwiesprach nur darum gewähre, weil wohl geraume Zeit verstreichen wird, bis wir einander wieder begegnen werden."
"Beim heiligen Andreas, so soll die Abmachung nicht gelten!" rief Roland, "sofern wir nicht gekoppelt jagen, dann pfeif ich auf die ganze Jagd!"
"Ich befürchte, wir werden in diesen und andern Punkten wohl tun müssen, was uns befohlen wird." --
"Aber, horcht doch, Kallipolis! ist das nicht Eurer Muhme Stimme?"
Im selben Augenblick trat auch Dame Brigitte schon herein und warf einen Blick grimmiger Strenge auf ihre Nichte, während Roland auf den glücklichen Einfall kam, sich an der Halfter der Kuh zu tun zu machen.
"Ach, der junge Herr hat mir bloß dabei geholfen, die Kuh anzubinden, die sich losgemacht hatte. In der letzten Nacht ist sie bis vor ans Fenster gelaufen und hat mit ihrem Gebrüll die ganze Gegend aufrührerisch gemacht. Wir kommen ja entweder auf diese Weise bei dem Ketzervolk bloß in den Verdacht der Zauberei oder büßen am Ende gar unsre Kuh ein!"
"Darum laß Dir lieber kein graues Haar wachsen, mein Kind," erwiderte etwas spöttisch die Aebtissin, "denn die Person, die die Kuh gekauft hat, wird im Augenblick da sein, und sie abholen."
"Ach, dann gute Nacht, meine arme Mutsche," sagte Katharina, indem sie dem Tier auf den Rücken klopfte, "hoffentlich fällst Du in liebe Hand, denn in der letzten Zeit waren es die freundlichsten Stunden für mich, da ich mit deiner Abwartung zu tun hatte ... ach, wäre ich doch bloß zu was anderm als solcher Arbeit auf die Welt gekommen!"
"Pfui über Dich, Du weltlich und niedrig gesinntes Wesen!" sagte die Aebtissin; "ist das eine Sprache, würdig des Namens Seyton, den Du doch führst? schickt sich solche Rede für die Schwester solches Ordens? obendrein in Gegenwart eines fremden Jünglings! ... Begib Dich auf der Stelle in Deine Betstube und lies Deine Horen, bis ich hinaufkomme. Dann will ich Dir den Text lesen energisch genug, daß Du die Segnungen schätzen lernst, die hienieden Dein Teil geworden sind!"
Katharina wollte sich schweigend zurückziehen, mit einem halb trübseligen, halb komischen Blicke auf Roland Gräme, wie wenn sie sagen wollte: "Na, da seht Ihr's doch, wie's mir hier geht und was ich auszustehen habe," änderte aber plötzlich ihren Entschluß, trat auf den Pagen zu, gab ihm die Hand und wünschte ihm eine gute Nacht. Noch ehe die Matrone, die darob ganz perplex war, es zu verhindern vermochte, hatten sich ihre Hände ineinander gelegt, und dann sagte Katharina: "Verzeiht mir, Mutter, wir haben ja gar so lange schon kein Gesicht mehr gesehen, das uns freundlich anblickt. Immer nur finstre, grimmige Fratzen! und zwar so lange schon, seit diese schlimmen Unruhen unsre friedliche Stätte zerstört haben. Ich sage dem Jünglinge ein freundliches Lebewohl, weil er hergekommen ist mit einem freundlichen Herzen und weil es wohl kaum wahrscheinlich ist, daß wir uns einander im Leben noch einmal sehen. Ahnt mir doch schon jetzt, als seien die Pläne, in die Ihr Euch verwickelt, viel zu mächtiger Art, als daß Eure Hand sie zu leiten vermöchte, daß Ihr vielmehr einen Stein in Bewegung bringt, der Euch im Rollen zerschmettern muß. Drum sage ich dem armen Jüngling, der gleich mir zum Schlachtopfer erkoren worden ist, ein herzliches Lebewohl."
In einem Tone tiefen Ernstes und innigen Gefühls wurden diese Worte gesprochen, der durchaus nicht zu dem so leichtfertigen, lustigen Tone, den sie dem Jüngling gegenüber bisher gefunden hatte, passen wollte, und der deutlich erkennen ließ, daß sich hinter dem lustigen Temperament der Jugend ein weit größerer Schatz von Verstand und Empfindung barg, als sich aus ihrem bisherigen Benehmen auch nur im entferntesten hätte mutmaßen lassen.
Eine Weile lang stand die Aebtissin stumm da und sah dem Mädchen, das mit dem letzten Wort aus ihrem Munde auch aus dem Zimmer verschwunden war, entgeistert nach. Der harte Verweis, den sie erteilen wollte, blieb ihr im Halse stecken. Es war, als sei sie von dem ernsten prophetischen Tone tief ergriffen, in welchem ihre Nichte ihr den Nachtgruß geboten hatte. Und schweigend ging sie voraus nach dem Zimmer, in welchem sie vordem geweilt hatten und wo eine kleine Erfrischung bereit stand aus Milch und Gerstenbrot.
Frau Gräme wurde gerufen, an dieser Erfrischung teilzunehmen. Sie trat aus einem anstoßenden Zimmer, aber die Maid ließ sich nicht wieder sehen.
Es wurde während des Essens nur wenig gesprochen, und als man damit fertig war, wurde Roland zur nächsten Zelle geführt, wo zu einem Nachtlager die notwendigsten Vorkehrungen getroffen waren. Die wunderliche Lage, in die er sich versetzt sah, übte die gewöhnliche Wirkung, sie brachte ihn um den Schlaf. Das hatte aber den Vorteil für ihn, daß er ein Gespräch noch mit anhörte, das zwischen den beiden Greisinnen geführt wurde, sobald er aus dem Zimmer den Fuß gesetzt hatte, und bis in die tiefe Nacht hinein dauerte. Als sie endlich auseinandergingen, hörte er aus dem Munde der Aebtissin ganz deutlich die Sätze:
"Kurz und gut, Schwester, Euren Charakter und das Ansehen, zu dem Euch meine Vorgesetzten erhoben haben, schätze und ehre ich, nichtsdestoweniger will es mir notwendig erscheinen, bevor wir uns auf eine so gefahrvolle Bahn begeben, den Rat eines der Väter unsrer Kirche einzuholen."
"Und wo sollten wir einen treuen Bischof oder Abt finden, dessen Rat sich einholen ließe?", fragte die Gräme. "Der getreue Eustachius ist nicht mehr. Wohin sollen wir uns noch wenden?"
"Der Himmel wird für die Kirche sorgen," versetzte die Aebtissin, "und die getreuen Väter, denen man den Aufenthalt im Kloster zu Kennaqhueir noch gestattet hat, werden zur Wahl eines Abtes schreiten. Daß der Krummstab am Boden liege und niemands Haupt die heilige Inful schmücke, das werden die frommen Männer von Kennaqhueir nun und nimmer dulden."
"Das werde ich morgen erfahren," antwortete die Gräme, "aber wer übernimmt jetzt den Dienst auch nur eine einzige Stunde, es sei denn, er teilte ihn mit dem kirchenschänderischen Gesindel, um Teil zu haben an der Plünderung? ... Der kommende Tag wird uns lehren, ob einer von den tausend Heiligen, die aus dem heiligen Marienkloster hervorgegangen sind, dem Kloster in seiner schweren Bedrängnis helfen und beistehen wird ... Lebt wohl, Schwester, auf Wiedersehen in Edinburg!"
"Benedicite!" (Seid gesegnet!) antwortete die Aebtissin, und dann schieden sie. - - -
"So, so!" meinte Roland Gräme bei sich, "also nach Kennaqhueir soll's morgen gehen? Da will ich die Stunde Schlaf, die ich eingebüßt habe, gern missen, denn sie ist mir nicht zu teuer dafür. In Kennaqhueir werde ich den Pater Ambrosius treffen, und in Edinburg will ich schon Mittel und Wege finden, mich allein durch die Welt zu bringen. In Edinburg soll ich ja auch die kleine Fee wiedersehen, die mir, scheints, den Kopf doch ein bißchen verdreht hat."
Mit diesen Gedanken schlief er ein, um von Katharina Seyton zu träumen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Abt (Walter Scott)