Kapitel 8

Katharina stand in jenem glücklichen Alter geistiger Unschuld und Harmlosigkeit, daß sie die Situation, in die sie auf einmal versetzt worden war, die Bekanntschaft eines hübschen Jünglings machen zu sollen, den sie nicht einmal dem Namen nach kannte, von der komischen Seite auffaßte, sobald sie über die erste Verlegenheit hinaus war. Die erste halbe Stunde, während der die beiden Matronen auf und ab vor der Fenstertür schritten, hielt sie mit bewunderungswürdiger Ernsthaftigkeit aus. Als sie sich dann aber durch einen Seitenblick von der Verlegenheit unterrichtete, mit der Roland kämpfte, und sah, wie er bald auf seinem Stuhle hin und her rückte, bald die Mütze zwischen den Fingern drehte, und aus jeder Miene und Gebärde erkennen ließ, daß er sich keinen Rat wisse, wie er die Unterhaltung beginnen solle, da konnte sie nicht länger mehr an sich halten, sondern mußte hell auflachen, und dabei glitzerten ihre muntern Augen so blank, und ein Paar Lachperlen von Tränen schimmerten so lustig, und ihre lieblichen Locken flatterten so ungebunden um das hübsche Köpfchen, daß die Göttin des holden Lachens nicht reizender ausgesehen haben kann wie Katharina in diesem Augenblicke aussah. Kein andrer Page, wenn er Hofluft geatmet, hätte sich besonnen, in dieses Lachen mit einzustimmen, aber Roland hatte seine Jugend auf dem Lande verlebt, und war einesteils infolgedessen blöde, andernteils aber auch nicht frei von Eitelkeit, und so setzte er es sich in den Kopf, das Mädchen lache ihn aus. Katharina sah ihm das an und hatte große Lust, von neuem aufzulachen, aber sie hielt an sich. Roland seinerseits sagte sich nun aber auch, daß es hier wenig am Platze sein dürfte, eine Miene verletzter Würde zu zeigen, daß es sich den blauen Augen gegenüber, die so allerliebst zwischen Tränen hatten lächeln können, besser schicke, auch ein fröhliches Gesicht zu schneiden, und fragte jetzt, indem er nun ebenfalls hell auflachte: "wie die junge Dame sich die Fortsetzung einer so lustig begonnenen Bekanntschaft wohl dächte?"
"Ja," gab sie lachend zur Antwort, "das ausfindig zu machen ist doch nicht meine, sondern einzig und allein Eure Sache. Bloß könnte es sein, daß ich bei der Eröffnung unsrer Unterhaltung zu weit gegangen bin."
"Setzen wir den Fall, wir machten's wie in einem Märchenbuche," sagte Roland, "und fingen damit an, daß wir einander fragten, wie wir denn eigentlich heißen."
"Das war ein ganz nett ausgedachter Anfang," erwiderte Katharina. "Macht Ihr also den Anfang, und ich will zuhören."
"Mich nennt man Roland Gräme," sagte Roland, "und die große alte Frau ist meine Großmutter."
"Und Eure Vormünderin wohl auch?" fragte Katharina. "Schön! und wer sind Eure Eltern?"
"Die sind beide tot," erwiderte Roland.
"Ja, aber wer waren sie? ... Eltern, denk ich, habt Ihr doch auch gehabt?"
"Das muß wohl sein," erwiderte Roland, "aber viel gehört über sie hab ich nicht. Mein Vater ist ein schottischer Ritter gewesen, der den Tod auf einem seiner Streifzüge gefunden hat, und meine Mutter ist eine Gräme gewesen von Heathergill in dem bestrittnen Lande -- mehrere meiner Sippe sind umgekommen, als Lord Maxwell und Lord Herries von Caerlaverock das bestrittne Land mit Feuer und Schwert verheerten."
"Ist das lange her?" fragte die Maid.
"Vor meiner Geburt ist's passiert," erwiderte der Page.
"Das muß schrecklich lange her sein," sagte sie, ernsthaft mit dem Kopfe schüttelnd, "denn seht nur, weinen kann ich nicht um sie." - - -
"Zu beweinen brauchen wir sie auch nicht," sagte der Jüngling, "denn sie starben beide in Ehren."
"Soviel was Euren Stammbaum angeht," erwiderte die Maid, "von dem mir übrigens die lebendige Probe" (hier blickte sie nach dem Fenster) -- "weit besser gefällt als die toten. Eure werte Großmama sieht ganz darnach aus, als könnte sie einen im bittersten Ernste weinen machen. Und was nun Euch selbst anbetrifft, mein schöner Herr, so werdet Ihr wohl, wenn Ihr Euch nicht mehr beeilt, mitten in Eurer Erzählung abbrechen müssen, denn Mutter Brigitte bleibt jedesmal stille stehen, sobald sie der Weg am Fensterkreuz vorbeiführt, und mit der zusammen darf man nicht lustig sein, bei der geht's immer zu, so ernst und still wie im Grabe Eurer Ahnen."
"Was ich noch zu berichten habe, ist bald besorgt. Dann bin ich ins Schloß Avenel gegeben worden, wo ich den Pagen von der Schlossherrin hab abgeben müssen."
"Sie ist eine strenge Hugenottin -- wie?" fragte die Maid. "Wie der Herr Calvin selbst nicht strenger sein kann," versetzte Roland. "Aber meine Großmutter kann die Puritanerin ganz geschickt spielen, wenn es ihr grade mal beliebt, und sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, mich ins Schloß hinein zu bringen, woraus aber wohl nichts geworden wäre, trotzdem wir schon ein paar Wochen im Dorfe zugebracht hatten, wenn nicht ein Zeremonienmeister, auf den wir am allerwenigsten gerechnet hätten, sich --"
"Ei, und was war denn das für einer?" rief das Mädchen,
"Ein großer schwarzer Hund, Wolf mit Namen, der mich in seiner Schnauze wie eine angeschossne Wildente ins Schloß hinein trug und der Schloßherrin in den Schoß legte."
"So etwas läßt man sich gefallen," lachte Katharina, "solche Vorstellung passiert nicht alle Tage. Aber was habt Ihr im Schlosse gelernt? Das zu wissen, wozu Bekannte taugen können, ist immer von Wert."
"Ich kann einen Falken aufsteigen lassen, kann einen Hund hetzen, ein Pferd satteln und Lanze, Schwert und Bogen führen."
"Und prahlen mit all den Sachen auch, nicht wahr, schöner junger Herr?" sagte lachend die Maid, "wenigstens rühmt man die letztere Tugend allen Pagen drüben in Frankreich nach. Aber wie hab ich mir zu erklären, daß Eure hugenottische Schloßherrschaft sich dazu hat verstehen können, solch gefährliche Person wie einen katholischen Pagen unter ihre Dienerschaft aufzunehmen und auf ihrem Schlosse zu dulden?"
"Weil ihnen dieser Teil meiner Lebensgeschichte nicht bekannt war, denn es ist mir von Kindsbeinen an eingeschärft worden, über meinen Glauben zu schweigen, und weil meine Großmutter es durch Schöntun mit dem ketzerischen Kaplan verstanden hat, seinen Verdacht einzuschläfern, schönste Kallipolis," und bei diesen Worten rückte der Page mit lächelndem Gesicht seinen Stuhl näher an den des Mädchens.
"Nicht doch, junger Herr, immer die angemessene Entfernung einhalten!" sagte sie und drohte lächelnd mit dem Finger, "denn ich kann mir lebhaft vorstellen, daß die beiden alten Damen unsre Unterhaltung geschwind abbrechen möchten, wenn wir ihren Wunsch, uns miteinander bekannt zu machen, nicht in streng züchtiger Weise erfüllen wollten. Also hübsch drei Schritte vom Leibe, schöner junger Herr!" rief sie unter hellem Lachen, "und dann gebt auch ein bißchen schneller Antwort auf meine Fragen! Durch welche Heldentaten habt Ihr denn Eure Pagenkünste bestätigt?"
Roland, der nun sich in den Geist und den Ton der Unterhaltung gefunden hatte, versetzte in gemessenem Tone:
"In keinem der Dinge, die dazu angetan waren, Unfug zu stiften, meine holde Kallipolis, hab ich mich unbewandert gezeigt," versetzte Roland. "Ich habe Schwäne geschossen, Katzen gejagt, Dienstmädchen in Angst gejagt und das Vieh gehetzt und den Obstgarten geplündert, etc. Daß ich auch den Kaplan sekiert habe, wo es irgend ging, davon will ich nicht erst Worte machen, denn das ist meine Pflicht gewesen als ein getreuer Sohn unsrer Kirche."
"Aber wie ist's denn gekommen, daß man Euch vom Schlosse jagte?" fragte mutwillig die Maid. "Welcher Anlaß wurde denn benützt, um solche Katastrophe herbeizuführen? ... Bitte, guckt mich doch nicht so, perplex an! ich habe auch meine Schule hinter mir -- also ohne gelehrte Worte: weshalb hat man Euch Eures Dienstes entlassen?"
Roland erzählte kurz den Vorfall mit dem Falkner und was im Anschluß daran sich auf dem Schlosse zugetragen hatte, und wie er sich dann, als ihm die Schloßherrin den längern Aufenthalt im Schlosse verboten, auf den Weg zur Großmutter gemacht hatte, und was er dort in der Kapelle gesehen und getan hatte. "Und nun wißt Ihr von mir, holde Kallipolis, was ich Euch irgendwie melden kann. Nun seid Ihr an der Reihe. Ich bitte, seid mit Eurer Schilderung nicht minder freigebig oder geizig als ich -- ganz wie Ihr's aufgefaßt habt!"
"Das ist doch Glück bei einer Großmutter," sagte sie unter erneutem Lachen, "daß sie ihren verlaufenen Pagen grade in solchem Außenblick wiederfindet, da ihn die Herrin von der Koppel gelassen hat, und für solchen Pagen nicht minder, daß er vom Pagen im Handumdrehen zum Kammerdiener aufrückt!"
"Das ist aber kein Sterbenswort von Eurer Lebensgeschichte!" rief Roland, dem allmählich die Art der Maid recht angenehm zu werden schien. ... "Erzählung um Erzählung! nur so ist's ausgemacht! und so muß es Brauch bleiben unter Reisegefährten!"
"Dann wartet doch gefälligst, bis wir Reisekameraden sind," erwiderte Katharina.
"O nein, so kommt Ihr mir nicht weg," rief Roland, "und geht Ihr mit mir nicht ehrlich zu Werke, dann ruf ich die Dame Brigitte, oder wie sie sonst heißt, und beklage mich bei ihr, daß Ihr mich überlisten wollt."
"Das sollt Ihr nicht brauchen," versetzte die Maid, denn meine Geschichte ist das Gegenstück zu der Eurigen, es könnten's ganz die gleichen Worte tun, bloß Umrisse und Namen wären zu ändern. Ich heiße Katharina Seyton und bin eine Waise."
"Sind Eure Eltern auch schon lange tot?"
"Das ist die einzige Frage," antwortete sie, indem sie mit einem plötzlichen Ausdruck schmerzlichen Gefühls die schönen Augen niederschlug, "die einzige, zu der ich nicht lachen kann?"
"Und die Frau Brigitte, bitte, ist Eure Großmutter?"
Die plötzliche Wolke zog vorüber, wie zur Sommerszeit ihre Kameradin, die einen Moment lang die Sonne verhüllte -- und in ihrem gewöhnlichen Tone antwortete sie: "Schlimmer als so 'was, weit schlimmer! die Brigitte, bitte, ist meine Muhme im zweiten Gliede und obendrein jungfräuliche Muhme!"
"Daß sich Gott erbarm!" lachte Roland, "ach, daß Ihr so was habt erzählen müssen! und was folgt nun weiter noch Grausiges?"
"Ganz dieselbe Geschichte, wie Ihr sie erzählt habt ... ich kam auf Probe in Dienst ..."
"Und seid weggejagt worden, weil Ihr die Herrin sekiertet, oder schnippisch waret gegen ihre Zofe?" sagte Roland.
"Nein, in diesem Punkte verläuft meine Geschichte anders," sagte die kleine Dame. "Unsre Herrin hob ihr Hauswesen auf oder es würde ihr aufgehoben, was übrigens auf ein und dasselbe hinausläuft, und ich bin nun frei, wie der Vogel in der Luft."
"Und das macht Euch mehr Freude, als wenn mein Wams mit Goldstücken gefüttert wäre," sagte der Jüngling.
"Vielen Dank für Eure Teilnahme," erwiderte sie, aber der Handel, scheint's, geht Euch doch nichts an!"
"Nun, erzählt doch weiter," drängte der Page, "denn Ihr werdet, wie mir scheint, auch bald unterbrochen werden. Die beiden wackern Damen sind nun auf dem Altan genug herumgeflattert und werden wohl einfliegen und sich auf ihre Stange hocken ... Wer, bitte, war denn die Herrin, bei der Ihr im Dienste waret?"
"O, die steht in gar großem Ansehen in der Welt," versetzte Katharina Seyton, "und nur wenige Damen werden ein größeres Haus gemacht haben als sie, und nur wenige soviel Weibsvolk im Dienste gehabt haben wie sie ... meine Muhme Brigitte war eine von den Hausvorstandsdamen ... wir haben freilich das Antlitz unsrer gebenedeiten Herrin nie vor Augen bekommen, aber gehört haben wir genug von ihr, mußten früh auf sein und kamen erst spät zu Bett und wurden angehalten zu schmaler Kost und langem Gebet."
"Also auch eine Hexe, wie sie im Buche steht?" meinte der Page.
"Ums Himmels willen lästert nicht!" rief das Mädchen und guckte sich scheu um. "Verzeih uns Gott! ich hab nichts Arges sagen wollen. Ich sagte es ja doch bloß mit Bezug auf unsre gebenedeite Heilige, Katharina von Siena! Und die Stätte, wo wir weilten, war ihr Kloster. Ein Dutzend Nonnen waren drin unter einer Aebtissin. Und das war meine Muhme, und so lange war sie's, bis die Ketzer alles verwüsteten."
"Und wo sind die, welche mit Euch dort waren?" fragte Roland.
"Verstreut in alle Winde! zerschmolzen wie Schnee vor der Frühjahrssonne! manche nach Frankreich, andre nach Flandern, andre wohl noch weiter hinaus in die Welt, noch andre, wie ich fürchte, auf und davon zu irdischen Freuden und Freunden! Uns hat man zu bleiben erlaubt oder vielmehr das Hierbleiben nicht verwehrt, denn meine Muhme hat viel Verwandtschaft unter den Ketzern und die haben jedem, der uns zu nahe träte, mit Todfehde bedroht, und Bogen und Speer sind nun mal in Zeiten wie diesen die besten Waffen."
"Nun, holde Kallipolis, was sagtet Ihr wohl zu folgendem Vorschlag?" fragte Roland, "wenn wir, beide auf so wunderliche Art unsers Dienstes ledig geworden, die Brandfackel in den Händen unsrer so überaus achtbaren Duennas ließen und mitsammen in lustigem Zweitritt durch dieses Jammertales Auen wandelten?"
"Das wäre kein übler Vorschlag zur Güte," sagte Katharina, "so recht würdig dem Tollkopf von Pagen, der in seinem Dienst nicht gut getan! Und wovon gedenken Euer Gnaden ihr Leben zu bestreiten? Von Bänkelsängerei oder Beutelschneiderei? oder von Abenteuern à la Jack Sheppard auf der Heerstraße? Beim letztern Handwerk möchten, glaub ich, noch die meisten Späne fallen."
"Ihr braucht ja nur zu wählen, stolzeste aller Püppchen!" versetzte der Jüngling, zu seinem lebhaften Aerger durch den unbedingt lächerlichen Klang in der Stimme, mit der die Antwort gegeben wurde, abgeführt.
Aber grade als er die Worte gesprochen hatte, erschienen zwei Schatten vor der Fenstertür und verdunkelten die Helligkeit im Zimmer ... dann tat sich die Tür auf, und die beiden Greisinnen traten wieder ins Zimmer, die Aebtissin voran, und die Gräme hinterdrein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Abt (Walter Scott)