Zehntes Capitel: Blackheath. — Deptford. — Schiffswerfte. — Greenwich. — Greenwich-Park. — Invalidenhaus. — Woolwich. — Artilleriestation.

Wer, wie ich, aus dem reinen klaren Aether des hohen Nordens nach London versetzt wird, muß sich durch die dunstreiche Atmosphäre so gedrückt fühlen, daß er je eher je lieber, wie ein Vogel aus dem Käfig das Freie sucht.

Deshalb, und um mich in der Nähe der Erlauchten Personen aufhalten zu können, bei welchen ich Geschäfte hatte, zog ich am 29sten Februar nach Blackheath, wo viele reiche Londoner ihre prächtigen Villen besitzen und sich während der schönen Jahrszeit aufhalten. Blackheath, zu Deutsch die schwarze Haide, ist eine mit Haide bewachsene Höhe, sechs Meilen von der Westminsterbrücke entfernt.


Man fährt durch Deptford, wo sich die Königlichen Schiffswerfte befinden, fast immer zwischen fortlaufenden Häuserreihen, die gleichsam eine Art Vorstadt von London bilden, rechts an Greenwich vorüber, und erreicht dann diese freundliche, wegen ihrer gesunden Lage mit Landhäusern und lieblichen Parkanlagen übersäete Höhe.

Die Aussicht von hier herab ist köstlich, und höchst erfrischend sind die großen sammtweichen Rasenplätze, welche sich zwischen den Landhäusern über die freundliche Hoch-Ebene hinziehen. Die Prinzeß von Wales bewohnte das reizende Montagne-house und die verwittwete Herzogin von Braunschweig hatte das daneben liegende schöne Haus des Lord Chesterfield gekauft und Beide durch eine etwa 100 Schritt lange verdeckte Galerie mit einander verbinden lassen. Beide geschmackvolle Gebäude liegen im Greenwich-Park, dem größesten Naturgarten in England, welcher ein Eigenthum der Krone ist. Auf dem großen reinlichen Rasenstücke sieht man oft ganze Rudel der kleinen buntgefleckten Damhirsche weiden, welche furchtlos aus den anmuthigen Waldparthien des Gartens hervortreten. Die Aussicht von hier oben ist köstlich. Unten windet sich die breite majestätische Themse, von zahllosen Schiffen jeder Größe bedeckt, aus der dunklen Häusermasse von London hervor. Durch Guirlanden von Landhäusern, und malerischen Baumparthien reizender Parkanlagen schlängelt sich der breite silberglänzende Strom an den Schiffswerften von Greenwich und dem prächtigen See-Invaliden-Hospitale vorüber. Grade gegenüber erblickt man die sogenannte Hundeinsel (Isle of dogs) und die Westindischen Docken, dann, mehr rechts, Black-Wall.

In Deptford hatte ich den majestätischen Anblick, eine neue Fregatte von 74 Kanonen unter vielen Feierlichkeiten vom Stapel laufen zu sehen. Der erste Lauf eines Schiffs geht ohne Masten rückwärts, denn wie ein Krebs und noch ohne Masten gleitet das neugebaute Schiff auf dem unter dem Kiel gelegten Schlitten in den Rinnen der vom Baugerüste in’s Meer führenden Gleitbahn hinab in sein oft so treuloses Element und hier werden erst dem neuen Schiffe die Masten eingesetzt.

Greenwich grenzt an Deptford und liegt ebenfalls am Ufer der Themse. Der Ort ist klein, hat aber großen Verkehr und ist wegen des prächtigen Invalidenhauses berühmt. Englands Könige haben keinen Palast, der ihrer Größe würdig ist, aber Englands Invaliden des Seedienstes bewohnen einen wahrhaft Königlichen Palast, den schönsten in England, wahrhaft würdig der Größe und des Ruhms der Englischen Marine. Dort leben 400 Invaliden, 2 Capitains und 2 Lieutenants, reichlich verpflegt und gut eingerichtet in der glücklichsten Ruhe. Große Säle, wie Kajüten eingerichtet, mit Seitencabinets dienen zum Aufenthalt der Invaliden. Jeder derselben hat sein Schlafcabinet neben dem Saale, mit Bett, Tisch und Stuhl. Die zierlichste Reinlichkeit herrscht überall. Die Speisesäle befinden sich im Kellergeschoß. Hier sieht man mit gesetztem Anstande die heitern alten Seemänner an den reichlich besetzten Tafeln, Mittags und Abends sich durch Erzählung ihrer bestandenen Abenteuer und Fährlichkeiten in die Vergangenheit versetzen, und wunderbar muß es den Menschenfreund rühren, hier Hunderte zu sehen, welche der Verlust an Armen und Beinen nicht hindert, sich glücklich zu fühlen. Doch sieht man hier keine Krücke, der Einbeinige geht, mit desto stärkerer Kraft des Arms, am Handstock in seiner einfach blauen Kleidung selbst in dem Menschengewühl von London umher.

Das einzige Laster, welches in dieser Versammlung grau gewordener Seemänner nicht auszurotten seyn möchte, ist die Trunkenheit. Doch die Ehre ist für den alten Seemann auch eine Leidenschaft, und um diese als Gegenwirkung anzuwenden, wird der Betrunkene in einen gelben Rock gekleidet und dem allgemeinen Gelächter Preis gegeben. Hier werden auch zweihundert Knaben zum Seedienst erzogen und wohl unterrichtet. Gouverneur dieses Hauses ist der berühmte alte Admiral Lord Hood. Die in dem einen Flügel befindliche Kirche wird gezeigt wegen eines mit wirklich tauschender Wahrheit auf die Wand gemalten Fensters. Im andern Flügel befindet sich ein großer architektonisch schöner Saal, in welchem der wie das Modell eines Linienschiffes gebaute Leichenwagen Nelsons aufbewahrt wird.

Ungefähr drei Meilen stromabwärts, liegt Woolwich, höchst merkwürdig als Station der Englischen Artillerie.

Die Englische Landartillerie besieht aus 10 Regimentern und 4 Schwadronen nebst einem großen Train von Wagen. Was von dieser furchtbaren Masse in Friedenszeiten nicht detaschirt ist, sieht man hier casernirt. Die Hauptfronte der Casernengebäude gleicht einem Palast, hinter derselben aber sieht man eine regelmäßig gebaute Stadt von Baracken aus gebrannten Steinen und Stallgebäuden. Diese Letztern sind so prachtvoll, daß man selten in Deutschen Residenzen schönere Marställe sieht. Selbst der Train hat ausgezeichnet schöne Stallungen. Die Stallgebäude bilden große viereckige Höfe, die geebnet und mit Grand befahren als Reitbahnen dienen. Alle Pferde der reitenden Artillerie werden hier von sehr geschickten Bereitern, deren Chef ein Schwede, Major Guist, ist, zugeritten und jedes nicht im Dienst befindliche Pferd wird hier im Laufen geübt. Die Schönheit und Kraft dieser Pferde übersteigt alle Beschreibung. Ueberhaupt ist Alles, was zum Dienst der Artillerie gehört, von einer Vollendung, Schönheit und Dauerhaftigkeit der Arbeit, welche Erstaunen erregt. Ungeheure Vorräthe aller Art Artilleriebedürfnisse sind hier in palastähnlichen Magazinen mit einer Ordnung und Reinlichkeit aufgehäuft, daß es nur weniger Tage bedarf, um die größeste Expedition mit der vollständigsten Artillerie zu versehen. Ganze Felder liegen mit den schönsten bronzenen Kanonen bedeckt. Ungeheure Ebenen sind für die täglichen Geschützübungen und Artillerie-Manoeuvres bestimmt. Hier sind die Arsenale, aus welchen England in allen fünf Welttheilen seine Besitzungen und Schiffe mit Kanonen bis zu den kleinsten Artilleriebedürfnissen herab versieht. Durch Dampfmaschinen werden unten am Ufer der Themse in den Kanonengießereien die kolossalen Drehbänke und Bohrer in Bewegung gesetzt. Selbst in den Stellmacher-Werkstätten werden die Felgen und Speichen mit der Maschine geschnitten und aus Menschenhänden kann nichts so vollkommen hervorgehen, als hier durch die Kraft der Mechanik geleistet wird. Die Vollkommenheit und Großartigkeit aller dieser Einrichtungen findet in der ganzen Welt ihres Gleichen nicht.

Von Blackhead aus war ich sehr häufig in London. Erst am 5ten April waren meine Geschäfte so weit beendigt, daß ich die Rückreise wieder über Schweden antreten konnte.