Siebentes Capitel: Gran.— Listena. — Nordische Wildniß. — Wölfe. — Schneepflug. — Malarsee. — Arboga.

Fellingsbro. — Glanshammer. — Mosas. — Black-Westrow. — Bodarne. — Hova. — Haßlerör. — Marienstadt, am Weenersee. — Biorsetter. — Ennebacke. — Kulange. — Lidköpping. — Weenersee in malerischer Hinsicht. — Mölby. — Svarlösa. — Bäreberg. — Sollebrun. — Heverled. — Nabacka. — Felsengegend. — Gotha-Elf. — Ankunft in Gothaborg, — Kanalverbindungen. — Trolhedda-Kanal und Wasserfälle. — Ostgotha-Kanal. — Westgotha-Kanal. — Weenersee in mercantilischer Hinsicht — Gothaborg. — Beschwerliche Einschiffung. — Vorstadt. — Mastuged. — Vom 1sten bis 10ten Februar.

Nachdem ein Vorbote mit den Rädern vorausgesendet war, ging es auf Schlitten im heitersten Winterwetter auf die Straße nach Gothenburg hinaus.


Den reizenden Mälarsee mit seinen tausend Inseln und waldig romantischen Höhen ließen wir für dasmal links liegen.

Auf den ersten Stationen ist wegen der ungeheuern Concurrenz der Reisenden das Postgeld gesetzlich verdoppelt. Kaum hat man die Stadt mit ihrem Gewühle verlassen, so sieht man sich auch schon in nordische Wildnisse, von Felsenhöhen, Fichtenwäldern und Landseen gebildet, versetzt. Der Mälarsee erscheint und verschwindet dem Auge mit Blitzesschnelligkeit; denn oft führt die Straße, durch eine kurze Wendung um einen dichten Tannenhorst, plötzlich an das Ufer des Sees und dann wieder eben so plötzlich in das Dunkel uralter Tannenwälder hinein. Auf einer solchen Strecke, zwischen Gran und Lislena, war es, wo sich die Wildniß mit einer ihr entsprechenden Staffage belebte. Vor uns her trabte ein weißliches Thier mit einem zottigen Pelze bedeckt. Der Bauer auf dem Vorderpferde blickte ängstlich zurück und rief: „Varg! Varg!“ — das heißt: ein Wolf! — Ich machte schnell für den Nothfall meine Pistolen zurecht. Da plötzlich trabte noch ein ganzes Rudel dieser Raubthiere durch den Chausseegraben und sah uns an. Es waren acht Wölfe von außerordentlicher Schönheit und Größe. Doch wir blieben ruhig im Fahren und die Wölfe gingen durch den Chausseegraben zurück und ließen uns ungehindert vorüberziehen. Wären die Bauern mit den Pferden allein gewesen, so war die Gefahr des Anfalls bedeutend größer. Allein jede ungewöhnliche Erscheinung macht diese Raubthiere vorsichtig. Schon das Nachschleifen einer Thierhaut, am Stricke sichert den einzelnen Reisenden im Schlitten, meine Kutsche auf Schlittenkufen bewirkte dasselbe. In der Nahe von Stockholm giebt es viele Wölfe, welche, wenn sie hungrig sind, auf Menschen und Pferde gehen.

Bald erhob sich ein furchtbarer Schneesturm. Ueberall war die Poststraße verweht. Doch sah man nicht lange nachher den Schneepflug, mit Ochsen bespannt, die Bahn aufs Neue brechen. Ein solcher Schneepflug ist dazu äußerst zweckmäßig. Zwei Tannenbretter, auf die hohe Kante gestellt, laufen in einem spitzigen Winkel zusammen und ihre divergirenden Schenkel brechen die Bahn, indem sie die frisch gefallenen Schneemassen zur Seite drängen. Die Richtung der Bahn ist mit Stangen bezeichnet und die Schneepflüge liegen neben diesen Stangen zum Gebrauche bereit.

Meine Reise ging jetzt wieder quer durch Schweden zurück, von der Ostsee südwestlich dem Cattegat zu.

Die Kälte war so groß, daß wir uns des Abends beim heißen Punsch gleichsam von Innen aufthauen mußten. Je weiter von den Weinländern entfernt, nach Norden hinauf, um desto beliebter und heilsamer wird der Punsch mit seiner belebenden und erwärmenden Kraft.

Am 2ten Februar ging ich über Köpping nach Arboga. Hier warf ich noch den letzten Scheideblick auf den Mälarsee zurück, dessen westliche Spitze ich hier zum letzten Male berührte. In der Nahe von Arboga war es, wo der Erbprinz von Baden durch Umwerfen in dem Chausseegraben sein Leben verlor. Alsdann zog sich die Straße der Westspitze des Hielmarsees zu, welcher mit dem Mälar durch den Arboga-Kanal in Verbindung steht. Hier liegt Oröbro, eine wohlhabende Handelsstadt, einst berühmt durch den dorthin verlegt gewesenen Reichstag. Auf dem Wege nach Oröbro kam ich an zwei unbedeutenden Poststationen, Fellingsbro und Glanshammer vorüber.

Am 3ten Febr. passirte ich die Dörfer und Flecken Mosas, Black-Westrop, Bodarne, Hova, Haßlerör, auch das hübsche Städtchen Marienstadt am Weenersee, mit einem ausgezeichnet schönen und großen Marktplatze, und erreichte spät Abends Biorsetter, nachdem ich eine der fruchtbarsten Ebenen Schwedens durchreiset war.

Am 4ten zog sich die Straße immer nahe an der südöstlichen Seite am reizenden Weenersee fort über Ennebake, Kulange nach Lidköpping. Diese freundliche Stadt gewährt vom regelmäßigen Marktplatz aus eine weite Aussicht über den See hin, an dessen fernen Ufern, auf hundert vorspringenden Landzungen, Dörfer und Städtchen mit ihren rothen Blockhäusern und sanft ansteigende Höhen mit Weiden und Wald bedeckt herauf tauchen. Weiter ging die Reise über Mölby, Sparlösa, Bäreberg, Sollebrun nach Heverled, wo ich übernachtete. Das Land wurde immer offner und schöner. Hier fehlte der Schnee, und da die Räder meines Wagens voraus gesendet waren, so war an vielen Stellen trotz aller Anstrengung der Pferde kaum durchzukommen.

Am 5ten Febr. Morgens wurden die Räder wieder angesteckt und rascher fuhr ich dann über Wabacka weiter. Hier verändert sich plötzlich der sanfte Charakter der durch die Ebene fortlaufenden Landschaft, und nackte Felsen steigen empor aus der Ebene. Immer höher werden die Felsen, immer kühner und romantischer ihre Gestalten, und so reihen sie sich zu einer fortlaufenden Kette erst auf die linke Seite des Weges, dann umschließen sie von beiden Seiten die Straße nach Gothenburg. Plötzlich bricht aus dem Felsenbusen ein Strom hervor und drängt den Reisenden zwischen Abgründe, steile Ufer und senkrechte, oft überhängende Felsenwände. Je näher nach Gothenburg, desto breiter wird der Strom, desto kühner steigen die Felsen himmelan und desto entblößter von Baum und Strauch sind diese grauen verwitterten Massen. Der Strom ist der Gotha-Elf.

Allmählig zeigte die Gegend Spuren von menschlicher Cultur, einige Landhäuser waren malerisch zwischen die Felsenparthien und Wasserfluthen hingeworfen. Gegen Mittag passirte ich eine lange Vorstadt und erreichte endlich Gothenburg (Gothaborg) an der Nordsee. Diese Stadt hat durch die kostbaren Kanalanlagen der neuern Zeit als Stapelort für den Nordseehandel nach dem Innern einen hohen Grad von Wohlstand gewonnen.

Die Binnenseen von Schweden, von welchen der Mälarsee, der Wettersee und der Weenersee die bedeutendsten sind, machen eine Kanalverbindung zwischen der Ostsee und Nordsee möglich. Es werden dadurch die bedeutendsten Provinzen des Reichs einen erleichterten Absatz ihrer Producte gewinnen. Schon seit Jahrhunderten sind diese Kanalanlagen projectirt, angefangen und zum Theil vollendet. Allein die völlige Vollendung ist einer spätern Zeit aufgespart*). Die projectirte und theils vollendete Canallinie besteht aus drei Haupttheilen. Der Trolhedda-Kanal, welcher schon jetzt den Weenersee mit der Nordsee verbindet, und zwar auf der Linie von Weenersburg, auf der Südspitze des Weenersees, bis Gothaborg — sodann aus dem West-Gothakanal, welcher den Weenersee mit dem Wettersee, und dem Ost-Gothakanal, der diesen bei Söderköping mit der Nordsee verbinden soll**).




*) Die Verbindung ist durch die Gothakanäle in der neuesten Zeit völlig zu Stande gekommen. (S. d. folgende Anmerkung.) D. B.
**) Diese beiden Gotha-Kanallinien wurden 1808 von dem berühmten Englischen Kanalbaumeister Telford, abgesteckt. Graf Platen hat das Hauptverdienst, die endliche Ausführung dieses Jahrhunderte lang gehegten Projects bewirkt zu haben. Im Jahre 1810 begann die Ausführung dieses überaus schwierigen und großartigen Werks; am 14ten Oktober 1813 wurde die erste Schleuse eröffnet, die Westgothische Linie wurde 1822 eröffnet und von dem Könige durchschifft. Die Ostgothische Linie war damals schon ihrer Vollendung nahe, und so besteht jetzt eine Wasserstraße zwischen der Nordsee und Ostsee, mitten durch die fruchtbarsten Provinzen von Schweden, welche 36 (Schwedische) Meilen und 1141 Ellen lang ist. (S. das Nähere darüber in Schuberts Reise durch Schweden. Lpz. 1823. Th. 1. S. 178. und folg.) D. B.




Schon die Natur hatte den Weenersee durch den reißenden Strom Gotha-Elf mit der Nordsee verbunden. Allein diese Wasserstraße war trotz der Breite und Tiefe des Stroms nicht einmal für Böte zu benutzen. Die Wasserfälle von Trolhedda, deren Senkung 111 Fuß beträgt, machten die Schwierigkeiten eines reißenden Felsenbettes für die Stromschifffahrt noch unübersteiglicher.

Die Wasserfälle von Trolhedda bestehen aus einer Reihe von malerischen, wild romantischen Katarakten, wovon jedoch der obere durch die Kunst verändert ist. Diese Wasserfälle sind durch den Trolhedda-Kanal mit seinen 8 Schleusen und 2 Halbschleusen umgangen. Erstaunen erregen die ungeheuern Wasserwerke, welche fast ganz in Granitfelsen gehauen sind und ein Denkmal bilden von nordischer Kühnheit, Ausdauer, Gemeinsinn und Kraft.

Der Trolhedda-Kanal ist nur ¼ Meile lang, hat aber 400,000 Rthlr. gekostet. Die Segnungen desselben für das Innere von Schweden durch die Verbindung der Nordsee mit dem Weenersee sind nicht zu berechnen. Dieser See ist der größeste aller Schwedischen Landseen. Er ist 14 Schwedische Meilen lang, 6 Meilen breit; in denselben ergießen sich 24 Flüsse und seine Wellen bespülen die an Getraide, Holz und Eisen so reichen Provinzen Wärmeland und West-Gothland, deren sonst fast werthlos gewesenen Producten der Trolhedda-Kanal jetzt einen vortheilhaften Absatz verschafft.

Daß Gothaborg, an der Ausmündung dieses Kanals in die Nordsee, mit dem vortheilhaften Hafen versehen, bei der Notwendigkeit des Umladens (weil große Schiffe den Kanal nicht befahren können) eines sehr lebhaften Handelsverkehrs sich erfreut, läßt sich denken. Jetzt war es hier so voll Fremde, daß es mir kaum möglich wurde, nur ein kleines Dachstübchen zur Wohnung zu erhalten. Es kam dazu, daß das beste Wirthshaus abgebrannt war und daß durch widrige Winde seit längerer Zeit schon die Schiffe hier zurückgehalten waren. Unter den vielen Fremden, die auf günstigen Wind warteten, befand sich auch ein Marquis de Vassi, welcher, als Courier reisend, mir schon auf der Reise von Malmö nach Stockholm zu Mölby begegnet war, indem er sehr eilig nach Gothenburg reisete, um sich einzuschiffen. Jetzt lag er noch hier.

Auch ich mußte mehrere Tage im unbequemsten Logis auf guten Wind warten. Die Stadt war früher einige Male abgebrannt gewesen, jetzt aber schöner aus der Asche hervorgegangen. Nur schade, daß die neuen schnurgraden Straßen nicht auch an Breite gewonnen hatten. Aus dem großen und sichern Gothenburger Hafen im Cattegat laufen mehrere Canäle durch die Stadt und machen die Abladung der Waaren vor den Speichern der Kaufleute möglich. Die Wirthshäuser sind so schlecht, daß jeder Fremde oft Mühe haben würde, nur Essen zu bekommen, wären nicht die wohlhabenden Einwohner von Gothaborg desto gastfreier. Ich kam ganz fremd dort an und wurde doch fast täglich zu Gaste gebeten. Alles hatte hier ein winterlich wildes Ansehen. Die rauhen Felsenhöhen ganz in der Nähe der Stadt, der zugefrorne Hafen und Strom, dazu die rohe Völlerei der unbeschäftigten Seeleute, das Alles machte die Verzögerung hier nicht angenehm.

Ich hatte mich bei dem Agenten der Englischen Paketboote einschreiben lassen. Am 9ten Febr. endlich wurde der Wind günstig und die Einschiffung auf dem Paketboote Lady Francis geschah unverzüglich. Mehrere Englische Paketboote, die nach und nach eingelaufen waren, lagen, durch den steifen Westwind zurückgehalten, noch vor dem Eise, welches den Hafen bedeckte, etwa 12 Englische Meilen von Gothenburg, bei Vargo, in der Nahe der Insel Vingo. Um uns einzuschiffen, fuhr ich in einem Schlitten, begleitet von einem zweiten, der mein Gepäck und die nöthige Provision an Wein, Rum, Citronen u. dgl. trug, nach der Vorstadt Masthuged hinaus, wo in der Nahe der Brücke die großen Seeschiffe, jetzt eingefroren, lagen. Hier versammelten sich in einem Wirthshause alle nach England gehende Passagiere. Wir wurden hier sämmtlich von den Unternehmern der Paketboote auf’s Neue mit Schlitten versehen und fuhren dann im Caravanenzuge wieder an’s Land drei bis vier Englische Meilen weit über Berg und Thal und durch Felsenschlünde weiter und erreichten nach einer mühsamen Fahrt durch die rauhste wildeste Winterlandschaft, welche mir jemals im Leben vorgekommen ist, eine Stelle am Strande, wo wir hofften durch das Eis brechen zu können, um die Paketboote zu erreichen.

Doch die Beschwerlichkeiten, welche wir schon überstanden zu haben glaubten, sollten hier erst angehen. Ringsum erblickten wir nichts als eine Wüste von Eis und Schnee und schauerlich erhabene Felsentrümmer, deren dunkle Granitwände sich aus der blendend weißen Decke, die schweigend auf der einsamen Gegend ruhte, erhoben. Hier standen ein Paar kleine, von Menschen verlassene Blockhäuser, die nur zur Zeit der Heringsjagd beim Einsalzen derselben benutzt werden.

Vergeblich waren hier alle Versuche unsrer Matrosen, das Eis zu durchbrechen. Mit dem Schlitten war es auch nicht zu passiren, weil es durch die Brandung in ein wild aufstarrendes Geschiebe von Eisschollen verwandelt war, über welches keine Bahn möglich wurde. Auch selbst die, Möglichkeit am Strande mit dem Schlitten fortzukommen, war hier verschwunden. Die ganze Reisegesellschaft mußte mit unsäglicher Mühe zwischen Felsen und Klüften weiter wandern. Oft mußte eine glatt beeisete Klippe, überstiegen werden. Dieses Steigen aber wurde durch dicke Pelzkleidung bei der grimmigsten Kälte noch dadurch beschwerlicher, daß wir unser Gepäck zum Theil selbst tragen mußten, indem es zu viel war, um von den Matrosen und Bedienten allein fortgeschafft werden zu können. So, recht eigentlich unter Fallen und Aufstehen, oft im Liegen unwillkührlich eine schiefe Eisfläche hinunter gleitend, kamen wir völlig erschöpft, nach einer Anstrengung von mehreren Stunden an eine felsigte Landspitze der Küste, von welcher aus die Boote durch’s Eis brechen konnten. Dort lagen zwei Boote, uns erwartend: das Eine wurde mit unsrer Bagage beladen, das Andre besetzten die Passagiere. Jetzt aber begann die sehr mühselige Durchfahrt durch das Eis. Es mußten vor uns her mit Aexten und Eisenspitzen an starken Stangen die gewaltigen Eisschollen durchbrochen werden. Segel durften wir bei dem langsamen Fortrücken kaum aufsetzen, weil fast ein Windstoß unsre kleinen Fahrzeuge an den ungeheuren Eisschollen zerschmettert haben würde. So arbeiteten wir fort bis auf zwei Englische Meilen in die See hinaus. Hier endlich wurde die Eisdecke so dünn, daß sie von den Böten im Fortsegeln durchbrochen werden konnte. Dabei ging die Fahrt immer bei schwachem Winde zwischen einem Gewinde von wüsten Inseln und Klippen hindurch. So erreichten wir denn endlich, nach vielen Mühseligkeiten und Gefahren, die offne See, nachdem wir viele eingefrorne Schiffe, unter diesen den Nassau und Stalety, zwei prachtvolle Englische Linienschiffe von 74 Kanonen, im Eise fest liegend gesehen hatten. Ganz nahe beim Leuchtthurm von Vingo lag der van Guard, mit 74 Kanonen, vormals Admiralschiff des berühmten Nelson. Dieser Seekoloß hatte sich von den Banden des erstarrten Elements frei erhalten und lag schon in offener See. Hier lag auch eine große Flotte von Handelsschiffen, welche auf günstigen Wind nach England wartete. Sechs Englische Meilen waren wir durch das Eis gefahren. Endlich — nach 4 Uhr Nachmittags — kamen wir bei dem Paketboote an. Hier lagen mehrere Paketboote, die, mit uns absegelnd, schon eine kleine Escadre bildeten.

Ich ging sogleich an Bord der Lady Francis, welches Capitain Flin führte. Die Guinee, welche jeder Passagier für den Transport seiner Person und Sachen an Bord den Unternehmern der Paketboote bezahlen mußte, hatte eigentlich jeder von uns durch tausend Mühseligkeiten und Gefahr reichlich selbst verdient.