Neuntes Capitel: London. — Gasthof.— Blackhead. — Volkszahl. — Polizei. — Freiheit. — Trottoirs, — Fußreise durch London.

Topographische Physiognomie von ganz London, von der City, von Westminster, von Southwark. — Börse. — Bank. — Lloyds Kaffeehaus. — Das Rathhaus. — Der Palast des Lord Mayor. — Das neue Zollhaus. — Großhandel. — Docks. — Paulskirche. — Nelsons Grab. — Tower. — Bedlam-Hospital. — Gefängniß von Newgate. — London-Brücke. — Wasserkunst. — Neue Southwarks-Brücke und Blackfriars-Brücke. — Brandsäule. — St. James-Palast— Westminsterabtei. — Westminsterhalle. — Parlamentshaus. — Alte Westminsterbrücke. — Buckinghamshouse. — St. James-Park. — Hyde-Park. — Theater: Coventgarden-, Drurylane-Theater, das Italienische Opernhaus, Sommertheater. — Foote. — Kingsbench. — Vauxhall. — Volksbelustigung. — Wetten. — Asthleys Kunstreiter. — Sadlers-Well. — Elegante Fischläden. — Menagerie auf dem Strande. — Fuhrwerk. — Wohnungen. — Parlamentswahlen. — Adel. — Reichthum. — Vom 21sten bis 28sten Februar.

Erst stieg ich in der City in einem Gasthofe ab, welcher mir aber nicht gefiel, so wie der ganze Aufenthalt in der Altstadt nicht, wo sich noch das altbürgerliche Wesen, starr am Herkommen hangend, mit der Derbheit des John Bull breit macht. Ich fuhr deshalb in einem Miethwagen durch den lebhaftesten Theil der Stadt über Cornhill, vor der Börse, der Bank und dem Mansionhouse, der Residenz des Lord-Mayor, vorüber, dem Cheapstide hinauf; bog um die gewaltige Paulskirche mit ihrer kühnen Kuppel herum, sodann über Ludgate Street, Ludgate Hile, Fleet-Street und durch das merkwürdige Temple Barr der City — ein Portal, bei welchem der Lord-Mayor den König erwarten muß, wenn er in die Altstadt fahren will; denn die City hat das alt hergebrachte Recht, vom Könige nicht anders betreten werden zu dürfen, als nach vorheriger Anzeige bei dem Lord-Mayor, welchen die Bürger der City als ihre höchste selbstgewählte Autorität anerkennen. Der Lord-Mayor hat jedoch nur in der Altstadt zu sagen. Die übrigen bei weitem größesten und reichsten Theile von London stehen unter den Königlichen Behörden.


Von dem Portale der City kam ich auf den Strand und stieg auf dem Adams-Street im Mascalls Hotel bei Adelphy ab.

Dieser prachtvolle Gasthof hat vier Etagen über und zwei unter der Erde. Man findet solche doppelte Souterrains zur Ersparung des kostbaren Raums bei allen hoch genug liegenden Häusern. Das Licht wird in diese unterirdischen Wohnungen durch Souterrains- und Kellerfenster gewonnen, welche sich in dem kleinen Rasenplätzchen öffnen, das höchstens 8 Fuß breit, mit einem eisernen Gitter umgeben, sich vor den Häusern hindurch zieht. Da diese kleinen Plätze gewöhnlich mit Blumen oder Rasen und schönblühenden Sträuchern verziert werden, so bekommen die Häuser mitten im Gewühl der Straßen von London doch ein freundliches, fast ländliches Ansehen. In den Gasthöfen findet man Alles vereinigt, was der Engländer unter dem Begriff comfortable versteht, d. h. Alles, was den höhern Anforderungen des Geschmacks, der Eleganz, der Reinlichkeit und Bequemlichkeit genügt. Nicht allein die Zimmer, sondern auch die Treppen waren mit dicken Teppichen belegt.

Ich fuhr sogleich am Tage meiner Ankunft nach dem reizenden Landhause auf der Blackhead (schwarzen Haide), wo die unglückliche Prinzeß Caroline von Wales*) und ihre Frau Mutter, die verwitwete Herzogin von Braunschweig, residirten, um dort meine schuldige Aufwartung zu machen. Da dieses Landgut nur 6 Englische Meilen von London liegt, so kam ich an demselben Tage zurück und wiederholte meinen Besuch auf Blackhead öfter während meines Aufenthalts in London.

Soll ich über London nicht ein Buch schreiben, nicht längst Bekanntes wiederholen, so darf ich mich nur auf rhapsodische Bemerkungen beschränken, welche sich mir zufällig bei meinen Wanderungen durch diese Stadt der tausend Wunder darbieten, wobei ich jedoch suchen werde, ein gedrängtes topographisches Bild zu geben. Zwölfmal hundert tausend Menschen bilden, wie man sagt, die Bevölkerung von London, wovon nur der kleinste Theil begreiflich das Menschengewühl in den Straßen verursacht, welches jeden Fremden in Erstaunen setzt. Die Achtung vor dem Gesetze, welche mit der Freiheit im Volksleben steigt, ist fast die einzige Hüterin der öffentlichen Ordnung, denn die wenigen Constablers haben nur eben durch diese Achtung vor dem Gesetze, nicht durch Zahl und Bewaffnung, die Macht, diese Menge von streitenden Interessen in den Schranken der Mäßigung zu erhalten. Nirgend ist die Polizei weniger belästigt, als hier. Zwar vermag sie die Tausende der feinsten Gauner nicht zu verhindern, die kühnsten und sinnreichsten Diebstähle auszuführen, zwar hindert sie nicht Aufläufe des leicht zu exaltirenden Pöbels, ohne vorher drei Mal in bestimmten Zwischenräumen die Aufruhracte verlesen zu haben; allein der Engländer läßt sich lieber eine Uhr oder Börse stehlen, als von Polizeispionen umlauern und ist stolz darauf, sein Haus als eine Festung betrachten zu können, in welche ohne Beobachtung vieler Förmlichkeiten kein Polizei- oder Gerichtsbedienter eindringen darf, und die Regierung ist auf ihre alten nationellen Institutionen zu fest begründet, um das revolutionaire Treiben eines niedrigen Volkshaufens fürchten zu müssen.

Auf den volkreichsten Straßen sind an beiden Seiten Trottoirs, die aber so erhaben über dem Fahrweg angelegt sind, daß eine Beschädigung der Fußgänger durch die schnellfahrenden Wagen nur an den Ecken, wo man oft genöthigt wird über den Fahrweg zu gehen, denkbar ist: dort aber darf man nur etwas auf das laute: Gare! der Kutscher achten, die zudem wahre Meister im Roß-Lenken sind, und alle Gefahr von den hunderten durch das Menschengewühl hinrollenden Equipagen ist verschwunden.

Diese Art der Londoner Straßeneinrichtung macht es denn auch möglich, die ganze ungeheure Stadt zu Fuße zu durchwandern, — eine Aufgabe, die in Paris ihre bedeutendere Schwierigkeit und größere Gefahr haben würde. Um bequem und unangestoßen zu gehen, muß man aber einem der beiden Menschenströme folgen, wovon der Eine die Straße herauf, der andre hinunter wogt, und zwar so, daß jeder Zug von Menschen die nächsten Häuser auf der rechten Seite behält.

Auch ich machte, dem gedrängtesten Strome folgend, eine Fußreise durch die lebhaftesten Straßen von London und zwar von der London-Bridge an über Cornhill, Charpside, Ludgethill, Fleet-Street, Strand Charing-Croß, Hay-Market, Piecadilly und ein andres Mal von Cheaspide rechts über Newgate-Street, Holborn und Oxford-Street.

Der Weg von der London-Brücke bis Ende Piecadilly beträgt nicht weniger als eine gute Deutsche Meile, und eben so weit hat man zu gehen von jener Brücke an bis Oxford-Street.

Von dem Volksleben in den Straßen Londons giebt es geistreiche Skizzen und Schilderungen genug, schon der beengte Raum verbietet mir, sie zu vermehren.

London — diese größeste und bedeutendste aller Handelsstädte in Europa — liegt 12 Meilen vom Ausflusse der Themse, deren Tiefe den größesten Kauffahrteischiffen erlaubt, an die Stadt zu kommen. London besteht aus drei Haupttheilen und einer Menge Dörfer, welche durch Erweiterung der Vorstädte nach und nach mit diesen vereinigt sind. Den östlichen Theil bildet die Altstadt (City), den westlichen Westminster (eine Vergrößerung der alten Stadt Westminster). Beide Theile liegen auf der Nordseite der durchfließenden Themse in der Grafschaft Middlesex. Auf der Südseite derselben liegt Southwark (sprich Sodrick), ein vormaliger Flecken in der Grafschaft Surry.

Jeder dieser drei Haupttheile von London trägt eine eigenthümliche Physiognomie. Die Nebel und Steinkohlendünste, welche die Atmosphäre, von London drücken, scheinen besonders schwer auf der City zu ruhen. Die Unregelmäßigkeit der Straßen und die dunkelfarbigen Backsteine vermehren das düstere Ansehen der Altstadt. Um 2 Uhr schon sieht man im Winter die Lampen in den Comtoirs glimmen und so glänzend die Kaufläden ausstaffirt sind, so sehr scheint man den Charakter des Alters und der Solidität des Handelshauses zu suchen, daß man die Schreibstuben, in welchen Millionen unter dem Geräusch der stehend arbeitenden Commis kommen und verschwinden, durch Lampenruß den Rauchkammern ähnlich werden läßt. In der City wohnen die Millionairs, die noch auf alte Solidität des Hauses halten. Dort treibt sich der echte John Bull, derb und frech auf den Gassen umher, dort ist der Englische Charakter, kalt, schroff, stolz im Aeußern, förmlich im Familienkreise, aber pünktlich, praktisch-klug und zuverlässig in Geschäften, noch am schärfsten ausgeprägt. Mit Stolz, und man kann wohl sagen, Verachtung, blickt der Bürger der City auf die glänzende Modewelt von Westminster herab. Hier aber, um den Sitz des Hofes, hat sich Alles, was auf vornehme Geburt und Geldadel stolz ist, versammelt und lächelt über die Kleinstädterei der Bewohner der City. Hier in Westminster sind die Straßen breit und grade, herrlich gepflastert und köstlich erleuchtet. Die Häuser sind einfach aber geschmackvoll in einem ganz eigenthümlichen sehr gefälligen Baustyl. Dabei aber ist die Leichtigkeit der Bauart wieder sehr auffallend. So wie fast in ganz Großbritannien aus den Zeiten der Feudalherrschaft her Grund und Boden unter wenige große Güterbesitzer vertheilt ist, so ist auch der Grund und Boden, besonders der neuern Stadttheile von London, das Fideicommißeigenthum weniger alter Familien. Man nennt einen solchen Stadtbezirksbesitzer the Lord of the Manner. Dieser Grund und Boden darf nicht verkauft werden, wohl aber wird er zum Aufbauen von Häusern auf Zeitpacht, höchstens auf 99 Jahre hinaus, verpachtet. Ist die Pachtzeit abgelaufen, so gehört dem Grundeigenthümer das Haus, und das ist die Ursach der verderblichen Sitte, so leicht zu bauen, daß das Haus selten die Pachtzeit des Grund und Bodens überdauert. Die Wände sind so dünn, die Balken und Träger oft durch Bretter ersetzt, daß ein Deutscher Baukünstler Bedenken tragen würde, ein solches Haus nur auf Augenblicke zu betreten. Trifft man in der City mehr das Menschengewühl des Pöbels und der erwerbenden Klasse, mehr Fußgänger als Reitende und Fahrende, mehr Frachtwagen als Equipagen, so ist dieses Verhältniß in Westminster umgekehrt. Die herrlichsten Pferde, die glänzendsten Equipagen aller Art, den barocken Tandem, mit 3 Pferden vor einander bespannt, den leichten Tilbury, mit einem oder zwei Pferden, und den hoch auf den Federn schwimmenden Landauer, vor welchem vier Pferde von ausgezeichneter Schönheit nur zu fliegen scheinen, oder die leichte Barutsche, in welcher mit vorgebogenem Leibe, auf die Knie gestützten Armen der Eigenthümer nur zu sitzen scheint, um die Ohren seiner schönen Pferde laufend zu beobachten, — dazwischen die eilenden Mail-Coaches und Stage-Coaches mit Reisenden wie die Arche Noah bevölkert — das strömt und eilt und fliegt durch das herrliche Quartier von Piecadilly dem Hydepark zu, wo sich die schöne Welt umhertreibt und die eigentliche Heimath des vom Rockschoße bis zum Halstuche gesteiften Dandy (Stutzers) zu seyn scheint.

Nirgend in London findet man lieblichere und elegantere Squares, als hier in Westminster. So nennt man die mit geschmackvollen Eisengittern umgebenen verschlossenen Bowlegreens, oder Rasenplätze, mit Bosquets und Blumenparthien geschmückt, welche in der Mitte der öffentlichen Plätze liegen und den Besitzern der umstehenden Hauser gehören. Die berühmtesten derselben sind Großvenor-Square, mit der Reiterstatue Georgs II. geziert; Cavendish-Square, mit der vergoldeten Statue Wilhelms, Herzogs von Cumberland, zu Pferde; Soho-Square, an welchem sich der von der eleganten Welt am lebhaftesten besuchte Bazar Londons befindet; Leicester-Square, gleichsam das Palais royal von London, mit vielen schönen Gewölben umgeben, wo man des Abends bei glänzender Beleuchtung der Kaufläden spazieren geht u. a. m. Diese Squares erfrischen die Luft und erheitern die trübe Atmosphäre von London, welche jedoch belebend und erfrischend auf die Vegetation des wohlgepflegten feinen Rasens dieser Spaziergänge wirkt.

Dagegen trägt der dritte Theil der Stadt auf dem rechten Ufer der Themse, der vormalige Flecken Southwark, ganz das Ansehen einer alten Fabrikstadt. Dicht und regellos drängen sich hier die vom Steinkohlendampfe noch mehr geschwärzten Häuser von grau-braunen Backsteinen erbauet. Nur wenige breite und grade Straßen durchschneiden diese Häusermasse und überall sieht man das rege Leben und die fleißige Armuth der Tausende von Arbeitern, welche den Fabrikstädten eigen ist.

Nach diesem allgemeinen Ueberblick erst läßt sich das Einzelne näher betrachten.

In der City liegen die Gebäude der Börse und der Bank, umgeben von einer Menge zum Theil politisch berühmter Kaffeehäuser. Das berühmteste bleibt immer Lloyds Kaffeehaus im obern Stockwerke der Börse. Hier ist eigentlich die Börse für den engern Ausschuß der Großhändler Londons. Aus allen Theilen der Welt strömen hier am schnellsten und am zuverlässigsten politische Neuigkeiten zusammen. Es ist hier die unerschöpfliche Fundgrube für alle Zeitungsschreiber im Norden und Westen von Europa. Die Minister bedienen sich dieses Kaffeehauses, um der Handelswelt politische Winke mitzutheilen, damit sie ihre Handelsoperationen sicherer basiren können. Hier werden die wichtigsten Seeassecuranzen geschlossen.

In der City liegen auch die Assecuranzhäuser, das Rathhaus (Guildhall), der Palast des Lord Mayors (Mansionhouse) mit der auf dem Giebel wehenden Flagge gleich einem Königshause geziert, das neue Zollhaus (Customhouse), das neue Königl. Münzgebäude, die Häuser der Ostindischen Compagnie und einer Menge andrer Handelsgesellschaften, alles Anstalten, wie sie dem großartigen Welthandel, der in der City eigentlich seine Wurzel geschlagen hat, entsprechen. Keine Handelsstadt in Europa besitzt wie London an 5000 Schiffe, in keinem Hafen, wie in dem der Themse, liegen oft 1000 Schiffe vor Anker, und laufen jährlich 13,000 Schiffe ein. Keine Stadt, wie London, bedarf 40,000 Karren und Wagen zur Ab- und Zufuhr der Güter zu Lande. Keine andre Stadt in der Welt hat diese kolossalen Docks aufzuweisen, diese künstlich ausgegrabenen Hafen, in welchen 200 bis 300 der größesten Seeschiffe Platz haben, diese ungeheuern Wasserbassins mit breiten Quais und großen Waarenmagazinen umgeben, welche Behufs des Westindischen Handels eine Gesellschaft Unternehmer für 600,000 Pfund Sterling angelegt hat. — Doch zurück — nach der City.

Zu den merkwürdigsten Gebäuden der Altstadt gehört die Paulskirche. Dieses kolossale Gebäude wurde in einem Zeitraume von 35 Jahren von dem berühmten Baumeister Christoph Wren, nach dem Muster der Peterskirche zu Rom, für 1,500,000 Pfund Sterling erbaut. Das Schiff der Kirche ist 500 Fuß lang und 250 Fuß breit. Die kühn gewölbte Kuppel erhebt sich 340 Fuß**) hoch und enthält 145 Fuß im Durchmesser. Schade nur, daß dieses großartige Gebäude so eng von Häusern eingeschlossen ist, daß es nicht den ergreifenden Gesammteindruck zu erregen vermag, welchen sonst die Großartigkeit des Werks hervorbringen würde. Der günstigste Standpunkt für die Betrachtung dieses Kolosses ist nahe von Ledgate aus. Das Innere ist jedoch ein weiter leerer Raum, der sich in Rücksicht des Schmuckes, der Pracht und des Kunstaufwandes in keiner Hinsicht mit seinem Vorbilde zu Rom messen kann. Grade unter der Mitte der Kuppel befindet sich, noch mit Brettern zugelegt, Nelsons Grab. Der ihm bestimmte einfache Leichenstein war noch nicht fertig. Dieser Seeheld, der Sieger von Trafalgar, hatte gewünscht, in dem Mastbaume des Schiffes, auf welchem er siegend fiel, eingeschlossen, in der Westminsterabtei beigesetzt zu werden. Diesem letzten Wunsche des Helden ist aber nicht genügt.

Dagegen sieht man hier in der Paulskirche auch die Fahnen, welche bei seinem Leichenbegängnisse getragen wurden, aufgestellt. Auch das Grab des berühmten Howard sieht man hier, der sich nicht nur um die Verbesserung der Gefängnisse so verdient gemacht hat, sondern auch Urheber eines menschlicheren Systems in der Behandlung der Gefangenen ist. Merkwürdig ist die akustische Wirkung im Innern der Kuppel. Dort läuft eine Galerie innerhalb des Umkreises der Kuppel, welche die Wispering-Galerie (Flüster-Galerie) genannt wird, weil, was auf der einen Seite derselben leise gegen die Wand gesprochen wird, auf der andern Seite gehört werden kann. Schlägt man die Thüre derselben zu, so giebt es einen Schall, als ob eine Kanone gelöset würde.

Ergreifender ist der Anblick des Tower, als ein Denkmal alter Zwingherrschaft. Dieses alte britische Zwing-Uri, unweit der Themse, nahe an der City belegen, besteht aus alten, zum Theil verfallenden Gebäuden, welche, auf einer Fläche von 12 Morgen unregelmäßig vertheilt, festungsartig mit tiefen Wassergräben und Steinwällen umgeben sind. Den Anfang dieser altersgrauen Steinmasse bildete der noch stehende Thurm aus Quadersteinen, welchen Wilhelm der Eroberer erbauen ließ, um die unruhigen Bürger von Alt-London in Ordnung und Ruhe zu erhalten. — Hier ist manches edle und unschuldige Blut unter dem Henkersbeile geflossen, wie noch viele Grabschriften in der Kirche des Towers bezeugen. Hier liegen die gemordeten Gemahlinnen des Englischen Blaubart, Heinrich VIII., Anna Boleyn und Catharina Howard, die hier auf Befehl des Tyrannen, schuldlos ihr junges schönes Leben verbluten mußten. Alles erinnert hier an das graue Alterthum, selbst die Trabanten des Tower (die Yeoman) mit ihrer Altenglischen Kleidung von Scharlachtuch mit Blau und Gold auf allen Näthen bordirt, mit den kleinen Sammtbaretts, die mit Bandschleifen in den Nationalfarben, Blau, Roth und Weiß, geschmückt sind, mit ihrer alterthümlichen Bewaffnung von kurzen breiten Schwertern und beilartigen Hellebarden, bilden eine passende und in die alte Zeit zurück versetzende Staffage für diese düstern Räume.

Hier werden auch die Staatsgefangenen bewahrt und fast wie eine Ironie derselben sieht man hier gefangene Löwen und Tiger in ihren Käfigen vergebens ihre Wuth gegen die Eisengitter austoben und dann in einer finstern menschenfeindlichen Ruhe den Verlust der edlen Freiheit ertragen.

Auch das Zeughaus befindet sich im Tower, ein kolossales, zwei Stock hohes Gebäude. Unten im Erdgeschoß ruhet auf schwerfälligen Laffetten das zum Theil noch sehr alterthümliche Geschütz, unter welchen sich mehrere auf Maltha eroberte alte Stücke von seltsamer Größe und Form befinden. Im obern Stock überrascht der Anblick des Waffensaals, welcher, 350 Fuß lang und 50 Fuß breit, eine herrliche Perspective gewährt durch eine zahllose Menge von Flinten, Säbeln und Pistolen, welche hellpolirt nach den architektonischen Linien geordnet sind. Hier befinden sich Vorräthe an Waffen, die zur Armatur von 200,000 Mann hinreichen würden. Ein anderer Saal, die Horsearmory oder Pferde-Rüstkammer genannt, enthält die Darstellung der Englischen Könige von Wilhelm dem Eroberer bis Georg II. in ihren Rüstungen zu Pferde, nach dem Leben; ferner die Spanische Armory (Rüstkammer), in welcher die Waffen und Rüstungen der Besatzung jener unüberwindlichen Spanischen Armada Philipps II. aufbewahrt werden, welche 1588 unter der Königin Elisabeth England erobern sollte, aber von Sturm und Wellen verschlungen wurde. Unter den kleinen Merkwürdigkeiten zeigt man noch den nächtlichen Spazierstock Heinrichs VIII., in welchem 3 Pistolen versteckt sind, und das Beil, welches das schöne Haupt der liebenswürdigen Anna Boleyn von dem reizenden Nacken getrennt hatte.

Die Reichskleinodien, d. h. die kostbaren mit großen Edelsteinen und Perlen übersäten Krönungs-Insignien, als verschiedene Kronen, der Scepter, der Reichsapfel, der goldene Adler, welcher die Flasche bildet für das heilige Oel, womit die Könige gesalbt werden u. dgl. m., werden hier hinter einem verschlossenen Gitter gezeigt. — Hier im Tower ist bis jetzt noch die einzige Münzstätte für das Englische Gold gewesen***), nur die Scheidemünze wird in einer Privatanstalt zu Birmingham geschlagen. — Auch ein gewaltiges Pulvermagazin, dessen Inhalt, gut angebracht, den ganzen Tower und halb London in die Luft sprengen könnte, befindet sich hier mit allen nur ersinnlichen Vorsichtsmaßregeln angebracht. Die Stelle eines Gouverneurs vom Tower ist sehr einträglich und da unter ihm noch ein Lieutenant-Governor, ein Deputy-Lieutenant und ein Major stehen, so mag die Gouverneurstelle vom Tower auch wohl zu den Sinecure-Stellen gehören, worüber die Opposition im Parlamente und die Reformers so gewaltig schreien.

Das Bedlam-Hospital, das größeste Irrenhaus in England, gehört ebenfalls zu den Sehenswürdigkeiten der City****), so wie auch das Gefängniß Newgate, um dessen Verbesserung sich Howard so verdient gemacht hat. —




*) Nachmalige Königin, Tochter des Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig. D. B.

**) Das Kreuz der Kuppel von St. Peter zu Rom ist 487 Fuß über den Estrich erhaben, also 39 Fuß höher als die große Aegyptische Pyramide. D. B

***) Die Münze ist seitdem in eine andre Gegend der Stadt verlegt.

****) Seit 1813 ist es in ein größeres Local versetzt worden.




Hier zwischen den beiden Ufern der Themse erhebt sich auch die alte London-Brücke, welche zugleich den Hafen nach der Landseite zu begrenzt; denn höher hinauf würden Seeschiffe nicht Tiefe genug finden. Diese älteste der zahlreichen Brücken Londons hat nach alter Bauart 19 noch so enge Bogen, daß bei hoher Fluth leicht Unglücksfälle dadurch entstehen. Man hat deshalb den mittelsten Pfeiler weggenommen und eine weitere Spannung des mittlern Bogens dadurch erreicht. Die Brücke ist 915 Fuß lang, 45 Fuß breit und in der Mitte 60 Fuß hoch. — Der Hafen mit seinen tausend Schiffen gleicht einem abgeästeten Kiefernwalde. — Nahe dabei erblickt man die berühmte Wasserkunst, womit alle Hauser in einem bedeutenden Theile der ungeheuern Stadt, oft bis zum dritten Stockwerk hinauf, mit fließendem Wasser versehen werden. Sie wurde 1582 von einem Deutschen, Namens Moriz, angelegt und später von Hadley verbessert. Noch zwei schöne Brücken führen von der Altstadt über die Themse, die ganz neue Southwarks-Brücke und die 1769 vollendete Blackfriars-Brücke (1100 Fuß lang und 42 Fuß breit), welche nur auf 9 kühngespannten Bogen ruhet. — Auch die 202 Fuß hohe Säule wird niemand leicht übersehen, welche zur Erinnerung an den großen Brand von 1666 errichtet wurde und eine Inschrift enthält, die den Zorn Gottes auf die Katholiken, als Urheber dieses Unheils, herab ruft und damit den unduldsamen Geist der Zeit bezeichnet, in welcher dieses Denkmal errichtet wurde.

Ohne merkliche Grenze kommt man von der City nach Westminster.

Hier steht der St. James-Palast, auf dessen Platze vormals ein dem St. Jacob (St. James) gewidmetes Hospital stand. Es ist ein altes unheimliches Gemäuer von unregelmäßiger Bauart, aus vielen zu verschiedenen Zeiten an einander gesetzten Theilen bestehend, welches wohl niemand leicht für den Königspalast eines so mächtigen Reichs hätte halten mögen. Jetzt freilich wird es für diese Bestimmung nicht mehr benutzt. In demselben Jahre meiner dortigen Anwesenheit brannte der südöstliche Flügel nieder und liegt noch in Ruinen.

Desto erhebender ist dagegen der Anblick der Westminster-Abtei, oder der Kirche von St. Peter. Das ist ein altes großartiges Gebäude, ein herrliches Denkmal der Altgothischen Baukunst. Mit dem Bau der Kirche wurde im 13ten Jahrhunderte, unter Heinrich III. der Anfang gemacht. Die beiden majestätischen Thürme mit der kunstreichen, fast spielenden Leichtigkeit des Gothischen Schnitzwerks wurden nach der Zeichnung des berühmten Christoph Wren erst im Jahre 1735 vollendet. Die Zeit hat an diesem herrlichen Bauwerk ihre zerstörende Macht geübt, doch ist Alles auf eine Weise wieder hergestellt, welche den alterthümlichen Charakter des Baus nicht verwischt. Die schadhaften Steine wurden vorsichtig ausgehoben und durch neue von derselben Form ersetzt, denen man durch einen Oelanstrich künstlich das verwitterte Ansehn des alten Mauerwerks zu geben wußte. So steht noch heute dieser Königliche Bau da in aller der ergreifenden Würde des Alterthums und bis in die kleinsten Theile zierlich und scharf gebildet, wie erst heute unter dem Meißel des Künstlers hervorgegangen und erregt durch die Kühnheit der pyramidenförmigen Massen, durch schöne Harmonie aller Theile bei der zierlichsten Eigenthümlichkeit des Baues die Bewunderung aller Kenner und das Erstaunen jedes fühlenden Menschen. Mit einer gewissen feierlichen Bewegung betritt man die hohen Spitzbogenhallen dieses unermeßlichen Doms. Die großen Abgeschiedenen scheinen sich aus ihren Gräbern zu erheben. Dort, das ist Shakespeares Bildsäule. In den dämmernden Hallen mag leicht die Phantasie ihn selbst dem Grabe entsteigen sehen, wie er sinnend über das Meer der Unendlichkeit, welche seine Geisterblicke schon im Leben so weit überschauten, seinen berühmten Monolog aus Hamlet: „Seyn oder nicht seyn? — das ist die Frage,“ dichtet. Pope und Lord Burlington haben dem gefeierten Heros aller Tragöden dieses Denkmal setzen lassen. William Pitts Denkmal dagegen besteht in einem einfachen Steine, nur durch die beiden Buchstaben W. P. bezeichnet. Der Name William Pitt wird dennoch immer noch unauslöschlicher, als in Erz, dem Gedächtniß der Nachwelt eingeprägt bleiben.

Was sind überhaupt Denkmäler? — Des Nachruhms bleiche Schatten. Wo nicht der Ruhm im Sonnenlichte der öffentlichen Meinung auf die Nachwelt übergeht, da verschwindet die Bedeutung des Denkmals zum Nichts. Das sieht man hier. Schon die prachtvollen Monumente der Könige Heinrich VII. und Heinrich VIII. bemerkt man kaum, wo Newtons, Handels, Miltons, Thomsons, Pitts, Shakespeares u. A. Denkmäler uns jene großen Geister zurückrufen — um wie viel weniger die zahllosen Prachtmonumente, welche der reiche Uebermuth der ungekannt von der Nachwelt abgestorbenen Unbedeutenheit hatte setzen lassen. — Denn der Zugang der Abgeschiedenen zu diesem Pantheon Großbritanniens wird nicht durch den Olymp erworben, nicht durch Heldenthaten erkämpft, nein, mit 10 Pfund Sterling erkauft, doppelt so viel, als in den übrigen Kirchen eine Begräbnißstelle kostet*).

Die Königlichen Gräber befinden sich in besondern Capellen, von denen die Heinrichs V. ein bewunderungswürdiges Denkmal Gothischer Baukunst ist. Zwanzig Marmorstufen führen hinab in die Grabeshalle, welche mit einem ausgezeichnet schön und künstlich gearbeiteten eisernen Gitter umgeben ist. — Die Insignien des Bath-Ordens und die Wappen der Ritter schmücken den Eingang der Capelle, in welcher auch die Aufnahme der Ritter geschieht. — Hier befinden sich friedlich neben einander die Bildsäulen der im Leben auf einander so eifersüchtigen Königinnen Elisabeth und Maria Stuart; hier sieht man den Admiral Nelson sehr ähnlich aus Wachs bossirt, mit der Admiralsuniform bekleidet, welche er im Leben wirklich getragen hatte. Die Vergänglichkeit des Abbildes jenes großen Seehelden hat schon lange vergeblich die Englische Nation gemahnt, daß es Zeit sei, diese Züge in Erz gegossen auf die Nachwelt zu bringen. —

In der Nähe der Westminster-Abtei erhebt sich die Westminster-Halle. Hier hält das Oberhaus des Parlaments bei geweihten Gelegenheiten feierliche Versammlungen. — Hier werden die Könige und Königinnen von England gekrönt, und wie dabei alles Althergebrachte unverändert erhalten wird, so bedient man sich dabei noch immer der viele Jahrhunderte alten hölzernen Stühle, auf welchen die alten Könige bei der Krönungsfeierlichkeit gesessen haben. Ein heutiger König wird schwerlich in seinem Leben auf einem schlechtern Stuhle gesessen haben, als während des Acts, in welchem er die Zeichen seiner Majestät empfängt.

Zu den Sehenswürdigkeiten, oder eigentlich — Nichtsehenswürdigkeiten — von Westminster gehört das alte Parlamentshaus, ein Gebäude, welches der Würde des Zwecks, eine Nationalversammlung der Volksrepräsentanten aufzunehmen, durchaus nicht entspricht.

Nirgend aber auch findet man wohl in der Welt weniger eitle Repräsentation, als in der Staatsverwaltung Großbritanniens. Alles ist hier, wie der ganze Englische Nationalcharakter, unmittelbar auf das Praktische gerichtet. In der Versammlung des Unterhauses sieht man Minister und Parlamentsglieder in Oberrock oder mit Sporn und Reitjacke, mit bedeckten Häuptern nachlässig sitzen. Nur der Präsident trägt das ehrwürdige alte Magistratscostüm, die schwarze weite Rolm und die weißgepuderte Allongen-Perrücke. Man sieht dort keine Rednerbühne. Oft die herrlichsten Reden, voll Geist, Patriotismus und Feuer, sieht man aus der Mitte der Deputirten von einem von seinem Sitze nur aufstehenden Mitgliede gehalten werden. Auf der Galerie sind die Federn der Schnellschreiber für die Redactionen der verschiedenen Zeitungen in Bewegung und so empfängt ganz London schon am folgenden Morgen die Mitteilung der wichtigsten Debatten Wort für Wort, welche oft erst tief in der Nacht beendiget sind.

Die alte Westminster-Brücke, welche auf 1243 Fuß Länge 15 Bogen enthält und 44 Fuß breit ist, 1750 vollendet**), gewährt eine herrliche Aussicht auf die Themse. Diese und einige neuere Brücken werden daher auch häufig von der schönen Welt als Spaziergänge benutzt.

Buckinghamshouse, der Palast der vorigen Königin, welchen auch der jetzige König oft bewohnte, gehört keineswegs zu den ansehnlichen Gebäuden der Stadt. Schon längst ist von der Nation das Bedürfniß eines der Würde des Königs einer so mächtigen Nation entsprechenden Palastes anerkannt und der Plan liegt vor, einen solchen mit großartiger Pracht an der Stelle des abzubrechenden Buckhinghamshouses zu erbauen; allein noch hindern bedeutendere Staatsausgaben die Ausführung.

Uebrigens könnte nicht leicht ein Platz für einen solchen Palast günstiger gewählt werden, als Dieser. Buckinghamshouse liegt im St. James-Park, welcher mit dem Green-Park, Hyde-Park und den Gärten von Kensington eine fortlaufende Verbindung von lebhaft besuchten Promenaden bildet. Sie liegen am äußersten Westende der Stadt und gewähren nebst dem neuen Regent-Park (auf der nordwestlichen Seite) die einzigen öffentlichen Spaziergänge, die, mit Ausnahme des St. James-Park, welcher mit einigen Baumreihen beflanzt ist, wenig Naturreize darbieten. Desto lebhafter ist hier das Ab- und Zuströmen der schönen Welt, als deren Mittelpunkt Hyde-Park angesehen werden kann. Besonders Sonntages ist diese an sich öde und staubige Gegend — welche ohne Gebüsch, ohne Alleen und Schatten, auf der einen Seite durch die Aussicht auf die lange Mauer vom Park-Lane beschränkt wird, auf der andern Seite eine traurige Fernsicht auf eine mit einzeln stehenden Bäumen spärlich besetzte Ebne gewährt — zu jeder Tageszeit mit einer Fluth von Menschen, Wagen und Pferden überschwemmt. Jede Stunde fast sieht hier ihre besondere Classe von Spaziergängern. Um 5 Uhr weicht die vornehme Welt, um zu diniren, den Bürgerfamilien, deren feurige Angesichter beweisen, daß sie soeben schon ihre kräftige Mahlzeit von Rostbeef und Plump-Pudding, mit Aale und Porter gehalten haben. — Der Glanz der Equipagen, die Schönheit der Pferde von den edelsten Racen übersteigt alle Beschreibung. Es ist nichts Seltenes hier, einen Dandy (Stutzer) ein Pferd für 700 Guineen reiten zu sehen, und es gehört zum Ton, daß das Pferd des Jokai wo möglich noch edler sei, als das des Herrn, um zu beweisen, daß dieser Besitzer von Wettrennpferden von der Vollblutrace sei.

London besitzt bekanntlich mehrere Theater, von welchen das Coventgarden-Theater, das Drurylane-Theater, das Italienische Opernhaus, in welchem von 7 bis 1 Uhr Nachts gespielt wird, die berühmtern Bühnen enthalten. Dieses Letztere ist der Brennpunkt der eleganten Welt. In den Logen und im Parterre erscheint Alles im vollen Anzuge und mit allen conventionellen Rücksichten auf die Gesellschaft. Die berühmtesten Sängerinnen Italiens haben hier geglänzt. Jetzt war die Catalani in der höchsten Blüthe ihres wunderbaren Organs Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Auf den ersten Bühnen wird nur vom Januar bis Mitte Augusts gespielt — während der Zeit, wo der Adel in London anwesend ist. Ein Sommertheater auf dem Haymarket macht daher wenig Glück, wenn auch der berühmte Komiker Foote bisweilen ein Publikum dort hinlockt.

In Southwark findet man das merkwürdigste Gefängniß auf Erden. Es ist das Schuldgefängniß (Kings-Bench). Die Achtung des Gesetzes für das Eigenthum und schnelle Rechtshülfe in Schuldsachen giebt jedem Gläubiger das Recht, seinen Schuldner ohne Ansehen der Person — arretiren und nach Kings-Bench abführen zu lassen. Dem Constablerstabe des Gerichtsdieners muß der Officier auf der Parade, der Hofmann beim Aussteigen aus dem Wagen zum Lever folgen; nur das eigene Haus gewährt selbst dem böslichen Schuldner, wie jedem Engländer, eine Freistatt gegen das Eindringen der Gerichtsdiener. So sieht man denn die geräumigen Gefangenwohnungen, welche die großen Höfe von Kings-Bench umgeben, bevölkert mit Gefangenen, oft aus den gebildetern Classen der Gesellschaft, welche nicht selten ihre Familie mit dorthin nehmen und eine Freiheit genießen, die ihnen sogar Bälle, Concerte und jede, Art von gesellschaftlichen Unterhaltungen unter sich zu geben gestattet. Nur der Schuldner, welcher zahlt, oder seine Insolvenz beweiset, wird freigelassen.

Etwa zwei Meilen von der Westminsterbrücke liegt der schöne öffentliche Garten von Vauxhall, dessen glänzende Erleuchtungen mit farbigen Lampen und Transparents, Feuerwerke, Concerte mit mehr als 100 Sängern besetzt und Tanzparthien in herrlichen, mit Hogarths Gemälden geschmückten Sälen, eine Volksbelustigung geben, welche auf dem Continente vielfach nachgeahmt, aber noch nirgend in dieser Größe erreicht ist.

Ueberhaupt fehlt es nicht an Volksbelustigungen aller Art, unter welchen Wetten, oft der sonderbarsten Art, Pferderennen, Hundehetzen, Boxkämpfe, Hahnenkämpfe, Bären- und Thierhetzen die beliebtesten sind. Wenn der Engländer Freude an solchen rohen Volksbelustigungen findet, so ist es seine Leidenschaft zum Wetten, die ihn hinreißt. Den Spanier dagegen interessirt sein Stiergefecht aus reiner Freude an der Kraftäußerung.

Eben so nationell sind Astleys Kunstreiterbühne, ein prachtvolles Amphitheater, auf welchem die Schönheit und Gelehrigkeit der Pferde, die Eleganz, Kühnheit und Leichtigkeit der Kunstreiter die angenehmste Unterhaltung gewährt; dann Sadlers-Well, eine Bühne, die ein großes Wasserbassin enthält, auf welchem, nach Art der Römer, Seegefechte dargestellt werden und eine Menge von kleinern Bühnen für Pantomimen, Operetten u. dgl.

Wer in Hamburg und Paris die oft übelriechenden und übelberüchtigten Fischmärkte gesehen hat, wird die eleganten Fischläden in London, die durch künstlich auf einander geschichtete Seefische aller Art ein seltsames Farbenspiel geben, eher für Muschelgrotten halten. Jeden Morgen werden sie frisch gefüllt und sind bis Mittag ausverkauft.

In der bedeutenden Menagerie auf dem Strande sah ich ein lebendes junges Krokodill, etwa 3 Fuß lang, welches im warmen Wasser aufbewahrt wird.

Die Anzahl der Equipagen und Fuhrwerke aller Art ist so unzahlbar groß, daß ihr beständiges Rollen in den Straßen einem Tag und Nacht dumpftönenden Donner gleicht. Allein von den 1200 Hackney-Coaches oder Miethwagen, mit Nummern versehen, sieht man oft 50 in einer Reihe auf ihren bestimmten öffentlichen Platzen halten. Die Zahl der Stage- und Mail-Coaches, die in jedem Augenblick London durchkreuzen und nach allen Richtungen in die Umgegend fahren, ist unglaublich. Ueberall aber, vor dem Luxuswagen, wie vor dem Mieth- und Postwagen, sieht man nur Pferde von einer Schönheit und Kraft, welche für die allgemeine Veredlung der Pferdezucht in England den Beweis giebt. Ganz eigenthümlich ist die kolossale Race der schwarzen Karrenhengste, welche man nirgend so groß und stark gebauet, als vor den Kohlenkarren und Bierwagen in London erblickt.

Wegen der ungeheuern Bevölkerung sind die Wohnungen in der Regel beschränkt, aber desto bequemer eingerichtet. Das Haus, selbst eines Lords, hat in der Regel nur ein Souterrain, ein Erdgeschoß und drei Etagen Höhe und nur wenige Fenster in der Breite. Im Souterrain befindet sich Küche, Speisekammer, Bedientenhalle und Alles was zur Wirthschaft gehört. Im Erdgeschoß ist das Speisezimmer, die Bibliothek und oft das Wohnzimmer des Herrn. In der ersten Etage sind die Gesellschaftszimmer (Drawing Room), in welchen sich die Dame vom Hause aufhält, in der zweiten Etage die Schlafzimmer der Herrschaft und die Kinderzimmer (Nurfery), in der dritten schlafen die Domestiken. Die überaus große Reinlichkeit, selbst im Kellergeschoß, wird dadurch möglich, daß alles Federvieh, Gemüse u. dgl. schon völlig ausgeschlachtet und abgeputzt täglich in’s Haus geliefert wird. Das Röhrwasser, oft bis in die dritte Etage geleitet, fließt durch unterirdische Kanäle wieder ab.

Noch würde das Leben in London reichen Stoff zu Bemerkungen darbieten, wiese nicht die Einschränkung des Raums jede ausführliche Darstellung zurück. — Ich eile daher hinweg über das Treiben der Wahlen neuer Parlamentsglieder, wo sowohl von der ministeriellen Parthei, als von reichen Wahlcandidaten viele Tausende verwendet werden, um die Stimmen der Wähler im Volke zu erkaufen, indem auf der einen Seite nur durch solche Mittel die Minister ihre Opposition vermindern und ihren Anträgen Gehör verschaffen können, auf der andern Seite aber auch für die reichen Bürgerfamilien kein Geldopfer zu groß ist, um eines ihrer Mitglieder in das Unterhaus zu schieben damit sie den Titel Esquire und die Dame den einer Lady empfangen können — überhaupt ist es zu verwundern, in welchem Ansehen im freien und reichen England der Adel steht. Kein bürgerlicher Nabob wird seine einzige Tochter und Erbin einem armen Adlichen verweigern — und deren giebt es viele, denn die großen Familienbesitzungen sind Majorate, die nur auf die ältesten Söhne forterben.

Nur beiläufig kann ich noch des ungeheuern Reichthums mancher Familienhäupter erwähnen. So soll der Herzog von Bedford, gegen 1¾ Millionen Thaler, der Herzog von Devonshire fast eben soviel an jährlichen Renten haben.

Es giebt außer diesen noch manche Englische Pairs, die ein größeres Haus machen, als die meisten Deutschen Fürsten, die prächtigere Equipagen, zahlreichere Dienerschaft, kostbarere Gemäldegalerien, prachtvollere Landhäuser besitzen als Diese. So hält. z. B. der Herzog von Northumberland an 70 Bedienten in London und eben so viele auf seinen Besitzungen, die keine Livree tragen, sich „Gentleman“ nennen lassen und zum Theil wieder ihre Bedienten haben.

Doch ich muß abbrechen. Ohnehin war mein Aufenthalt in London nicht von so langer Dauer, um Alles mit eignen Augen beobachten zu können und meine Absicht kann es nicht seyn, fremde Beobachtungen für die meinigen ausgeben zu wollen.




*) So mögen denn auch die Manen des hochherzigen Byron nicht zürnen, daß der Oberpfarrer von Westminster-Abtei sich der Aufnahme der sterblichen Reste dieses unsterblichen Dichters in den Hallen eines Shakespeare, Thomson, Milton u. A. mit Erfolg widersetzen durfte. Diese Hallen sind kein Pantheon!

**) Seitdem ist die neue eiserne Waterloobrücke, welche auch den Namen Vauxhall- oder Prinzregent-Brücke führt, am 18ten Juni 1817, als am Jahrestage der Schlacht von Waterloo, eröffnet. D. B.