Zweites Capitel: Lüneburger Heide. — Uelzen. — Dömitz. — Grabow. — Parchim. — Güstrow. — Rostock, (vom 19ten bis zum 23sten October 1806).

Der erste Tag der Reise, auf schlechten Wegen, durch die ermüdenden Einförmigkeit der Lüneburger Haide, war nur geeignet, den schmerzlichen Betrachtungen, wozu die unglückliche Veranlassung unsrer eilfertigen Reise so überreichen Stoff dargeboten hatte, Raum zu geben.

Das erste Nachtlager wurde in Uelzen, das zweite (den 20sten) in Dömitz, dem ersten Mecklenburgschen Städtchen, genommen, nachdem die hohen Reisenden Abends über die Elbe gesetzt waren. Am dritten Tage (den 21sten) ging es über Grabow nach Parchim; am 4ten (den 22sten) über Güstrow, einer bedeutenden Mecklenburgschen Stadt, nach Rostock.


Die Wege waren in der schon vorgerückten Jahreszeit bei schlechter Erhaltung so bodenlos geworden, daß mit guter Bespannung auf fünf Meilen acht Stunden gefahren werden mußte Durch die vielen Landseen bekam die übrigens flache Landschaft einen völlig fremdartigen, ganz eigenthümlich anziehenden Charakter.

Erst um zwölf Uhr Nachts kam ich, in einer Halbchaise vorausfahrend, in Rostock an. Es hielt ungemein schwer, so schnell und bei nächtlicher Weile ein anständiges Privatlogis für die Herzogin und ihr Gefolge zu finden. Endlich gelang es in dem Hause eines reichen Kürschners; doch mußte erst ein Magazin von Pelzwerk ausgeräumt werden. Wie nun endlich die Frau Herzogin mit dem Gefolge um ein Uhr Nachts eintraf, war Alles in Ordnung, so daß das geräumige und wohl durchräucherte Zimmer keine Spur mehr von dem frühern Inhalte verrieth.

Am folgenden Morgen (den 23sten) machte die Frau Herzogin von Oels der regierenden Frau Herzogin einen, unter solchen Umständen wenig Trost und Beruhigung bringenden Besuch. Ich gewann indeß Zeit, die Stadt und ihre Merkwürdigkeiten näher in Augenschein zu nehmen.

Vier hohe Thürme zieren die in ihrer alterthümlichen Bauart einen sonderbaren Eindruck machende Stadt. Ueberall stehen Giebeldächer gegen die Straßen gewendet, mit einer zahllosen Menge von Schnörkeln verziert; doch freundlich einladend sind die mit Spiegeln, Sopha's, Stühlen, Uhren und Gypsfiguren verzierten Hausfluren, welche Glasthüren zu einem heitern Eintrittssalon machen. Kleine mit Fliesen belegte Vorplätze vor vielen dieser ältern Häuser, die mit Pfählen und Ketten begrenzt sind, deuten auf die nachbarliche Geselligkeit der Bürger. Hier sieht manAbends in den Feierstunden ganze Familien auf Ruhebänken vor den Hausthüren sitzen.

Ein Kanal scheidet die, schmal und krumm, Berg auf und ab gehenden, Straßen der Altstadt von der eleganter, aber weniger gemüthlich gebauten Neustadt.

Noch völlig alterthümlich ist der Marktplatz, ringsum mit Giebelhäusern umgeben. Das Rathhaus, welches die ganze östliche Fronte einnimmt, mit sieben Thürmen in einer Reihe, gehört nebst den sieben großen Linden auf dem Rosengarten (einem mit Hecken eingefaßten ansehnlichen Rasenplatz, der als Exercierplatz dient) zu den sieben Wahrzeichen von Rostock.

Sehenswerth ist das schöne Großherzogliche Schloß beim Hopfenmarkte, das Universitäts-Gebäude, das Münz- und Medaillen-Cabinet, der Modellensaal und von den sieben Kirchen der Stadt besonders die Maria-Kirche, mit dem sehr hohen Kreuzgewölbe, dem schönen Fürstlichen Chor und dem Grabe des berühmten Hugo Grotius*), des freimüthigen Kämpfers für Wahrheit und Recht; ferner die Jacobi-Kirche mit drei sehenswerthen Gemälden des Berliner Rode. Angenehm ist der sehr hoch liegende, mit Linden-Alleen beschattete Wall, von welchem aus sich eine weite Aussicht eröffnet, so daß man von einer Seite die, Ostsee und ein Haus von Warnemünde erblickt. Einen freundlichen Spaziergang bietet der Strand mit schönen Linden-Alleen besetzt, welcher die belebteste Scene auf das Gewühl beim Ein- und Ausladen der absegelnden und ankommenden Schiffe gewährt.

Rostock ist bekanntlich die bedeutendste Stadt im Großherzogthum Mecklenburg. In 2200 Häusern finden sich nach neuester Zählung 17,400 Einwohner. Die Universität, halb vom Staate, halb von der Stadt begründet, mit 22 Professoren, einer Bibliothek von 30,000 Bänden, einem botanischen Garten, dem Museum, dem pädagogisch-theologischen Seminar, der naturforschenden Gesellschaft und der Thierarzneischule (auf dem Carlshofe), ist zwar nicht so bedeutend, als manche andre, deutsche Universität; aber wichtig und vom wohlthätigsten Einfluß auf die Volkscultur im Mecklenburgschen.

Die Lage der Stadt für den Handel ist äußerst günstig. Sie liegt sehr angenehm und malerisch am Ausfluß der Warnow in das große Wasserbecken, welches der Breitlingssee heißt. Die Warnow, durch denselben strömend, ergießt sich bei Warnemünde, zwei Meilen von Rostock, in die Ostsee, und bildet dort den geräumigen und bequemen Hafen, aus welchem die Rostocker Kaufleute einen nicht unbedeutenden Seehandel treiben, mit Getraide, Holz, Obst (insbesondere Rostocker, hier Kriewitzer Aepfel genannt), Glas, Wolle, Flachs, Leder u. s. w. Im Durchschnitt rechnet man 700 aus- und eingehende Schiffe**).

Einladend ist die sinnvolle Inschrift über dem Steinthore: Sit intra te concoedia et publica felicitas***).

Gern hätten die hohen Reisenden noch länger in der freundlichen Stadt, unter den treuherzigen Mecklenburgern zugebracht, allein noch lange nicht hatte die unglückliche Herzogin das Asyl der Ruhe gefunden, deren sie für sich und ihre beiden zarten Prinzen unter den Bedrängniffen einer schweren Zeit so sehr bedurft hätte. Am 23sten Morgens 9 Uhr verließen wir Rostock, Blüchers Geburtsort****).




*) Dann streiten sich zwei Städte um die Ehre, die Gebeine des verdientesten Gelehrten aus dem 16ten Jahrhundert zu besitzen; denn auch zu Delft in den Niederlanden zeigt man in der neuen Kirche den Eingang zu einer Gruft, über welcher eine alte eingemauerte Steinplatte verkündigt, daß dieses die Gruft von Hugo de Groot sei. (Niemeyers Beobachtungen auf Reisen in und außer Deutschland. Halle 1823. 3ter Theil, S. 182.)
Wahrscheinlieh ist dieses aber nur die Familiengruft desselben; denn so viel ist gewiß, daß dieser hochberühmte Gelehrte (welcher als Theolog, Philolog, Philosoph und Jurist eines eben so ausgezeichneten Rufes genoß, wie als Staatsmann und Diplomat, und der durch sein Werk „de jure belli et pacis“ als der eigentliche Schöpfer des philosophischen Völkerrechts betrachtet wird), nachdem er in seinem Vaterlande eingekerkert, durch seine Gattin in einer Bücherkiste befreit war, geehrt von fremden Monarchen, zurückkehrte und durch die Intriguen seiner Feinde abermals verbannt wurde, endlich ehrenvoll zuruckgerufen, durch einen Sturm nach Pommern verschlagen, krank in Rostock ankam und daselbst am 28. August 1645 verstarb.

**) Im Jahre 1825 liefen 499 Schiffe ein und 514 aus (Steins Reisen nach den vorzüglichsten Hauptstädten in Mitteleuropa. Leipzig 1827. 1ster Band, S. 92).

***) In deinen Mauern sei Eintracht und öffentliches Wohl.

****) Erst wenige Wochen später sollte dieser, auch in seiner Vaterstadt kaum gekannte Held, durch seine Thaten und sein Unglück in Lübeck zuerst wieder die Aufmerksamkeit seiner Landsleute erregen. Als aber im Befreiungskriege Blücher sich mit unverwelklichem Lorbeer bedeckt hatte, als alle Monarchen ihn ehrten und mit Orden fast bedeckten, als sein König für ihn allein ein Ehrenzeichen stiftete, das eiserne Kreuz mit goldnen Strahlen, und ihn unter dem Namen Blücher von Wahlstadt in den Fürstenstand erhob, da wurden nicht allein die Rostocker, sondern alle Mecklenburger stolz auf die Ehre, diesen Helden aus ihrer Mitte hervorgegangen zu sehen, und was wohl selten geschieht, dem Lebenden errichtete Land und Stadt, unter Leitung eines Ausschusses der Landschaft, ein Denkmal. Aus weißem Marmor, von Rauch in Berlin mit Geist und Kunst gefertigt, erhebt sich jetzt auf dem Blücherplatz die kolossale Statue des Helden auf einem Würfel von geschliffenem vaterländischen Granit. Die Vorderseite desselben enthält nur die Inschrift: „Dem Fürst Blücher von Wahlstadt, die Seinigen.“ — Die Rückseite schmückte Göthe durch die Inschrift:

  Im Harren
  Und Krieg,
  Im Sturz
  Und Sieg
  Bewußt und groß,
  So riß er uns
  Vom Feinde los.

Die beiden andern Seiten enthalten die Hautreliefs, wovon das Eine Blücher unter dem Pferde liegend, von seinem Genius (Nostitz) beschützt, das Andere symbolisch die Schlacht bei Belle-Alliance darstellt, indem der Held zwei Ungeheuer in den Abgrund stürzt. Die Bildsäule wurde am 26. August 1819 enthüllt. Nur 54 Tage überlebte der greise Held die Nachricht von dieser Feier und starb, 77 Jahr alt, am 12ten Sept. l8l9 auf seinem Gute zu Kriblowitz in Schlesien. — Der Blücher-Platz ist mit Rasen belegt und mit Bäumen eingefaßt; aber leider nicht so regelmäßig und würdig, wie es die Großartigkeit des Denkmals wohl verdient hätte.