Zehntes Capitel: Reise der Herzogin nach Pyrmont. — Haarburg. — Zelle. — Hannover. — Ankunft der Konigin von Baiern. — Herrnhausen. — Vom 23sten bis zum 24sten Juli 1807.

Die Königin von Baiern, die Frau Schwester unsrer Durchlauchtigen Herzogin, war in Pyrmont angekommen. Gern folgte Letztere der Einladung der geliebten Schwester, und trat am 23sten Juli die Reise dorthin an. Der Herzog begleitete sie bis Hannover. Die jungen Prinzen und das übrige Gefolge blieb zurück. Ich fuhr in meiner Halbchaise voraus.

Bei Altona gingen wir in einem Ever über die Elbe nach Haarburg. Der ungünstige Wind hielt uns auf. Hamburg war damals schon von feindlichen Truppen besetzt. Ein Regiment Holländischer Füseliere wurde an demselben Tage von Hamburg nach Haarburg übergeschifft, wo die nach Hamburg reisenden Feinschmecker mit einer gewissen Ehrfurcht den ersten frischen Seefisch auf der Tafel begrüßten, wir aber nicht ungern von ihm Abschied nahmen.


Nach Zelle kamen wir am 24sten Nachmittags.

Wie eine Oase in der Wüste erscheint jedem das freundliche Allerthal, der durch die Wüste der endlosen Haidestrecken Zelle sich nähert. Hier ist der Sitz der Hannoverschen Justizkanzlei und gleichsam als Specimen eruditionis dieses hohen Gerichtshofes das durch ihre Urtheilsprüche gefüllte Zuchthaus. Die Inschrift des prachtvollen Gebäudes:

  « Puniendis facinorosis
  Custodiendis furiosis et mente capis
  Publico sumtu
  Cicata domus »

bezeichnet hinreichend, daß nicht nur der Criminalist, sondern auch der Psycholog dort die reichste Ausbeute finden wird. Es ist nicht zu läugnen, daß der Anblick so vieler Wahnsinnigen jenes das Gemüth ergreifende und doch unwiderstehlich anreizende Grauen erweckt, welches eigentlich das tief in der Brust eines jeden fühlenden Menschen liegende Geheimniß der tragischen Kunst ist. Dort, das stille geheimnißvolle Lächeln des Einen, das vertrauliche Winken und Zunicken des Andern, die seltsamen Bewegungen und abgeriffenen Worte des Dritten und Vierten, die wunderliche Ausstaffirung des Fünften, mit der Krone von Goldpapier und dem Diadem von Stroh, dann die ernsthaften Demonstrationen der unsinnigsten fixen Ideen, welche man hier und dort von übrigens anscheinend vernünftigen Menschen hört, und bei dem Allen die todtenbleichen Gesichter mit erschlafften Zügen und verglaseten nichts sagenden Augen — welch eine fremde geheimnißvolle Welt thut sich auf in diesen Sälen des Irrsinns! Menschlich wandernde Gestalten und doch keine Menschen — denn ihnen fehlt ganz oder theilweise, was den Menschen bezeichnet — Geist und Gemüth. Welch eine Summe von Seelenleiden mag alle diese Gemüther erschüttert haben, bis die Seele gebrochen war und nur noch der Leib — ein schaudererregendes Phantom — umherwandelte auf Erden, ohne davon zu wissen, ohne des Daseyns Leid und Freude zu kennen, ohne Hoffen, ohne Fürchten, ohne Gott zu ahnen, ohne von der Welt zu wissen, losgezählt von allen Familienbanden, mit der ausgebrannten Liebe im Herzen, allein in der Schöpfung, von dem Thierreich zurückgewiesen, durch menschliche Gestalt, von der Menschenwelt geschieden, weil ihnen das geistige Gepräge der Menschheit fehlt, ausgeworfen von dem Reiche der Lebendigen und doch von dem Grabe verschmäht, so leben dort die unglückseligsten Gottesgeschöpfe und wissen’s nicht einmal, daß sie unglücklich sind.

Weniger tiefen Eindruck auf das Gemüth machen die Rasenden, welche halb nackt mit verzerrten schäumenden Angesichtern, mit verwildertem Bart und Haupthaar an den Eisenstangen ihres Käfigs rütteln und aus dem Halbdunkel der Tiefe desselben die weißen Zähne mit thierischer Wildheit fletschen. Hier ist die Menschheit schon zu tief untergegangen, um noch einen Nerv zurückgelassen zu haben, an welchem das menschliche Gefühl sich anranken könnte. Doch hinweg von dieser Stätte des Grausens, in welcher ein Lear doch immer noch mit seinem hochpoetischen Wahnsinn ein König unter den Irren geblieben wäre, denn in der Wirklichkeit hat der Wahnsinn, außer jenem allgemeinen Charakter, selten irgend eine poetische Tiefe.

Hannover nahm uns auf. Ich war in der Nacht voraus gereiset und traf am 25sten Morgens dort ein in der Londoner Schenke.

Hannover gleicht einem geisterhaften Audienzsaale, in welchem Alles nach Rang und Würden geordnet, mit scheuer Etikette den König erwartet und durch Oberons Horn in dieser Erwartung versteinert ist.

Die breiten reinlichen Straßen mit den hohen Häusern, die herrliche Esplanade, eine mit Bäumen besetzte Straße, 800 Fuß lang und 200 Fuß breit, die große Friedrichsstraße von 1400 Fuß Länge und 100 Fuß Breite, welche nur auf der nördlichen Seite mit Häusern besetzt ist, und die schöne Aussicht, nach den Kalenbergschen und Hildesheimschen Bergen, selbst bei hellem Wetter bis nach dem Harze gewährt, — die Georgenstraße, die rings um die Stadt sich zieht und nur auf der Stadtseite mit freundlichen Häusern, gegenüber jedoch mit niedlichen Gärten, mit einer Lindenreihe geschmückt ist, hinter welcher der Stadtgraben und dann die großen Gärten und Baumparthien sich anschließen, — der Wall, mit Baumgängen besetzt, welche auf einzelnen Punkten, z. B. am Königlichen Lusthause zwischen dem Stein- und Cleverthore malerische Ansichten auf die Vorberge des Deister und andere Gebirge in blauer Ferne öffnen, das Alles hier und dort, durch den Vordergrund einer Wasserparthie geschmückt, würde den einladendsten Willkommensgruß für jeden Fremden enthalten, wäre nur einiges Volksleben sichtbar, welches allen den schönen Perspectiven und Landschaftsbildern jenes unnennbare Etwas einer lebendigen Staffage geben würde, wodurch die langen Häuserlinien und Baumreihen allein sich mit dem Gemüthe befreunden können. Einzelne glänzende Equipagen, bei welchen besonders auf schöne Pferde gehalten wird, und in allen conventionellen Rücksichten sich bewegende Spaziergänger dienen nur dazu, das Gleichniß eines großen Parkets in einem Audienzsaale zu versinnlichen.

Zufällig traf ich dort den Pächter einer Hannoverschen Domaine, welcher bei der, nach allen Rücksichten ausgebildeten Beamtenaristokratie etwas zu suchen hatte. Er befand sich so eben unter Dressur seines Ceremonienmeisters — des Lohnlakaien — welcher ihm mit dem Ernst, als gälte es der Pacification der Welt, vordemonstrirte: er bedürfe dazu nicht mehr als fünf verschiedene Anzüge, zuerst grand tenu — Französischen Schnitt des Kleides, Chapeaux bas, Schoßweste, weiße seidene Strümpfe und Schnallenschuh, mit dem Degen, — dann halben Anzug, schwarzseidnes Unterzeug, Französisches Kleid, Klaque-Hut ohne Degen, — ferner schwarzen Frack. Sodann: Anzug mit dem runden Hute und Gott weiß welche feinern Nüancen alle noch, haarscharf abgemessen nach Rang und Würde, höchst wichtig und nothwendig waren, — „denn dem Kammerrath,“ sagte er: „in Französischem Kleide aufwarten, heißt den Geheimrath beleidigen.“ Auch die Zeit der Visiten ist streng gesondert, und wichtig ist die Rücksicht, bei welchem der Herrn man vorfahren darf und bei welchem man zu Fuß hingehen muß, wo Karten abgegeben werden und wo nicht*). Die Absonderung des Adels nicht nur vom Bürgerstande, sondern sogar unter sich selbst nach den verschiedenen Classen des hohen und niedrigen, neuen und alten Adels findet sich nirgend so scharf markirt, als hier.

Ein voller Hofstaat findet sich hier für den jenseit des Meeres residirenden Regenten. Dadurch — sagt man — werden die Summen der Industrie zugewendet, welche sonst vielleicht aus dem Lande gehen würden, — ob aber nicht eben so viel der Luxus und Geschmack an Englands Erzeugnissen wieder auf andre Weise über das Meer trägt?

Zu dem Hofstaate gehört der kostbare Marstall voll herrlicher Pferde, welchen nicht leicht ein Pferdeliebhaber unbesucht lassen wird. Ausgezeichnete Seltenheiten sind die weißgebornen Schimmel, mit dem milchweißen, wie Atlas glänzenden Haar, der röthlichen Iris und den blaßgelben Hufen, schön sind die Isabellen und unter den schwarzen blauen Zügen finden sich sehr edle Thiere, — fragt man: wer fährt mit diesen kostbaren Postzügen? — so heißt es wohl: die Leibkutscher, um sie einzufahren, — für wen? — für niemand.

Erfreulicher dagegen sind die seltnen und ausgezeichnet schönen Hengste, welche zum Landgestüte gehören. Schon beginnt die Hannoversche Pferdezucht mit der Mecklenburgschen um den Rang zu streiten und in Hinsicht der Schönheit, wenn auch nicht in Rücksicht der Kraft und Dauer, übertreffen manche Hannöversche Gestütpferde die Englischen **).




*) Vieles hat sich davon geändert, seitdem die Franzosen mehr Popularität eingeführt haben und der Herzog von Cambridge das Beispiel einer edlen Humanität giebt. D. 33.

**) Bei der Krönung des jetzigen Königs ritt der Kämpfer für den König in voller Ritterrüstung nicht auf einem Englischen, sondern auf einem Hannoverschen Pferde, die Prachtstiege von der Westminsterabtei hinauf und ruckwärts hinab. D. B.




Das Schloß *) gehört eben nicht unter die Zierde von Hannover. Ein alterthümliches Ansehen und enge, von hohen Gebäuden umgebene Höfe winken eben nicht gar zu sehr einladend nach den Indianischen Pagoden von Breiton hinüber**). Dagegen befinden sich ansehnliche Privatgebäude an der Leinstraße***). — Die Schloßkirche, ein Theil der ehemaligen Minoriten-Klosterkirche enthält noch 11 Gewölbe von 60 Fuß Höhe, Gemälde von Lucas Cranach und neuere von Ramberg, die Königliche Gruft und — eine Seltenheit in evangelischen Kirchen — den Daum des heiligen Markus, für welchen einst die Venetianer in den Blüthentagen der Republik Georg dem Ersten ohne Erfolg, wie die Sage geht, 1,100,000 Dukaten bieten ließen, weil sie den ganzen Körper dieses Heiligen haben und dieser ganz unschätzbaren Reliquie grad eben dieser Daumen fehlt. — Würde doch heute nur die Hälfte dieser Summe dafür geboten! Die Sanct-Jacobi- und Georgien-Kirche, eine der ältesten der Stadt, am Markte belegen, soll mit dem unvollendeten 306 Fuß hohen Thurm von den Freimaurern erbauet seyn. Fromme Mystiker mögen sich an dem Sanct-Johanniskopfe, der blutend auf einer sauber geschnitzten hölzernen Schüssel liegt, erbauen, und Philosophen und Gelehrte werden nicht ermangeln, dem Grabstein des großen Leibnitz in der Johanniskirche der Neustadt, mit der neuern Inschrift: „Ossa Leibnitii,“ ihre Huldigungen darzubringen.

Ueberhaupt hat Hannover das Andenken dieses ihres berühmtesten Eingebornen würdig gefeiert, durch eine kolossale Büste desselben, welche, von dem Irländer, Hewetson in Rom verfertigt, in dem 38 Fuß hohen offnen Tempel mit der Inschrift: „Genio Leibnitii,“ auf der Esplanade errichtet ist.

Das Opernhaus, in welchem auch das recitirende Schauspiel einheimisch geworden ist, zeichnet sich durch zweckmäßige Bauart vor vielen in Deutschland aus. In fünf Reihen Logen, welche über einander im Halbkreise liegen, und in dem Raum des Parquets und Parterre haben 1300 Zuschauer Platz. Die breite und tiefe Bühne wird durch einen allegorischen Vorhang von Ramberg geschlossen, welcher mit Recht als ein ausgezeichnetes Kunstwerk geachtet wird. Ueber das Schauspiel läßt sich nicht viel sagen, die Privatunternehmung, welche bei dem Titel einer „Hofschauspielergesellschaft“ nur geringer Unterstützung vom Hofe genießt****), kränkelt an dem nervus rerum gerendarum, doch haben die Schauspieler durch den feinen Tact des Publicums, welcher weder im Tragischen grelle Theatercoups, noch im Komischen das geringste Outriren, noch weniger die Carrikatur erträgt, an einen Grad von konventioneller Ausbildung des Schicklichen gewöhnt, den man so leicht nicht auf einer andern Bühne finden wird. Rambergs Name darf nicht vergessen werden, wenn von Hannover in höherer Beziehung die Rede ist. Dort war der Künstler 1763 geboren, welcher mit Unterstützung seines Königs in der Kunstakademie zu London seine Ausbildung und auf Reisen durch Italien die höhern Grade der Kunstweihe empfing; dort in seiner Vaterstadt hat sich der Künstler als Hofmaler wieder angesiedelt; dort hat er viele herrlich componirte Geschichtbilder gemalt, welche Hannovers öffentliche und Privatgebaude noch für die späte Nachwelt als eben so viel Denkmäler für einen Meister aufbewahren werden, dessen hochstrebendes Talent leider durch den Zeitgeschmack in die Salomonsflasche der Almanachsbilder hinein gebannt und zusammengepreßt ist. Es ist wahr, Rambergs unglaubliche Leichtigkeit im Componiren und Zeichnen macht es ihm möglich, neben dem schlechtbezahlten Kunstwerk im Großen auch eine Menge gutbezahlter Künsteleien im Kleinen zu liefern. Unerschöpflich und echt poetisch schaffend ist seine Phantasie.




*) Wurde während der Westphälischen Usurpation zu einer Caserne und zum Hospital benutzt; jetzt aber wird es nach dem Plane des Hofbaumeisters Laves prachtvoll ausgebaut. Doch ist die Ausführung aus finanziellen Rücksichten auf mehrere Jahre vertheilt. D. B.

**) Bekanntlich ist Breiton der Lieblings-Aufenthalt des Königs, im Indischen Geschmack angelegt. D. B.

***) Besonders dem Schlosse gegenüber das geschmackvolle Gebäude, welches jetzt das Palais des Herzogs von Cambridge, Generalgouverneurs von Hannover, bildet. D. N.

****) Jetzt ist es Herr von Holbein, welcher mit mehr Geschick als Glück bei 8000 Rthlr. Unterstützung das Bühnenschifflein durch die Klippen der heutigen Glanzprätensionen und die widerwärtigen Winde des Ungeschmacks unsrer Zeit lavirt. Doch findet die Oper in dem Herzog von Cambridge ihren warmen Beschützer und in mancher ausgezeichneten Sängerstimme ein ehrenwerthes Leben. Das Lustspiel wird im Feinkomischen noch immer durch die Französische Schule der Madame Renger gehoben, während das niedrigkomische Lustspiel und die Tragödie, wie fast überall, an Uebertreibungen, dem Ungeschmack des größern Publicums zu huldigen, sich gefällt. D. B.




Doch tadelt man die Familienähnlichkeit seiner übrigens lieblichen und sylphidenleichten Mädchenfiguren*) und die Zugaben an Katzen und Hunden; allein des Meisters Phantasie kann nicht dafür, daß sie mit Treue festhängt an den einmal selbst geschaffnen Idealen, und den Hogarthschen Humor des in London gebildeten Künstlers kleidet es nicht übel, wenn er in den kleinen Almanachsbildern, um sich für den Künstlerunmuth zu rächen, gleichsam die großen echten Kunstschöpfungen satyrisch zu parodiren und diese neckende Lust am Mystificiren des Zeitgeschmacks, sich bald durch etwas carikirte und oft zu theatralische Haltung, bald durch Thierscenen **), welche die Hauptscenen parodiren, zu rächen sucht***). Der schöne Rittersaal auf dem Schlosse verdient nur noch als Antiquität einige Betrachtung****).

Wenn nun auch der Gartengeschmack zu der Physiognomie einer Residenz gehören mag, so dürfen wir nicht versäumen an die schönen Privatgärten des Prinz-Regenten (vormals Wallmodenschen) und der Frau von der Decken zu erinnern.

Beide besuchte ich auf einer kleinen Ausflucht nach Herrnhausen. Erster liegt nahe bei Herrnhausen an der großen Allee und ist im einfach großen Styl angelegt. Manche sinnvolle Gartenparthie gewährt die herrlichsten Aussichten auf eine reizende Landschaft. Der Garten der Frau von der Decken liegt neben demselben und ist zwar kleiner, aber in einem noch gewähltern Geschmack angeordnet. Beide sind dem Publicum geöffnet.

Unter den öffentlichen Gärten sind der Tönneböhnsche vor dem Aegidienthore und der Ochsenkopfsche vor dem Steinthor die besuchtesten. Zu den freundlichen Anlagen außerhalb der Stadt gehören die Kaffeehäuser, welche an dem lieblichen, von Spaziergängen durchschnittnen Wäldchen, die Eilenriede genannt, liegen, auch die beiden alten Thürme, welche neben der heilsamen Mineralquelle, die den Heiligersbrunnen bilden, zu Wirthshäusern eingerichtet sind und auf eine wunderbar groteske Weise das kolossale Alterthum mit der modernen Zierlichkeit vereinbaren. — Eine der angenehmsten Parthien gewährt der Königliche Thiergarten neben dem Dorfe Kirchrode. Der Weg dorthin führt durch einen prächtigen Eichenwald. Der Garten selbst ist eine Viertelmeile lang, 1000 Schritt breit. Die Schönheit desselben besteht in dem reinen Naturcharakter, welcher durch einen Wechsel von Gehölz, Wasserparthien und Wiesen, von zahmen Damhirschen belebt wird; hierher werden von zahlreichen geschlossenen Gesellschaften sehr häufig Tanz und Landparthien gemacht.

Neben dem Dorfe Limmer liegt ein heilsames Schwefelbad — etwa eine Stunde von der Stadt — welches aber, wegen Mangels an Schatten und freundlichen Anlagen, wenig benutzt wird.

Das öffentliche Gesellschaftsleben, durch Clubs, Bälle und Leseanstalten angedeutet, und der Geschmack an Musik wechselt zu sehr in Form und Ton mit dem Laufe der Zeit, um mehr als ein ephemeres Interesse anregen zu können.

Als topographische Notizen dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß Hannover durch die Ime von dem freundlichen Dorfe Linden, durch die Leine aber in zwei Theile getrennt wird, von welchem der kleinere am linken Ufer die Neustadt heißt; daß auf einem Flächenraum von 38,000 Quadratruthen, in 79 Straßen vertheilt, 1666 Feuerstellen stehen, welche 23,000 Einwohner enthalten; daß 6 lutherische, 2 reformirte und eine katholische Kirche und eine Synagoge sich dort befinden; daß außer mancherlei Bildungsanstalten Hannover eine Königliche Bibliothek von 90,000 Bänden enthält, welche, im Archivgebäude an der Esplanade aufgestellt, wöchentlich zwei Mal dem Publicum geöffnet ist. Dort befindet sich Leibnitzens literarischer Nachlaß mit mancher Reliquie seiner Handschriften. Diejenigen, welche überhaupt das Reliquienwesen in Beziehung auf berühmte Männer lieben, werden nicht unterlassen, Leibnitzens Lehnstuhl mit Veneration zu betrachten.

Die Leine ist bis zum Einfluß der Ime bei Hannover hinauf schiffbar und erleichtert dadurch den Handelsverkehr mit Bremen, wohin der Wasserweg durch die Aller und Weser führt. Gute Heerstraßen dehnen den Rayon des Landhandels bis Braunschweig, Münden, Hameln, Osnabrück, Osterode u. s. w. aus.

Bei den Armenanstalten herrscht der Gebrauch, daß die Armen jährlich einen Umzug durch die Stadt halten müssen. Gehen auch Manche mit verhüllten Gesichtern, so spricht doch eben dieses Verhüllen es um so lebhafter aus, wie tief durch den Umzug der Armen das Zartgefühl sowohl der Nehmenden, als der Gebenden verletzt wird. Mag auch der große Haufen sich durch das Prangen mit der Wohlthätigkeit geschmeichelt, oder durch den Anblick der Nochleidenden zu verdoppelten Gaben bewegt fühlen, mögen auch viele, ja die meisten der Armen, ohne Scham und Scheu sich im Festzuge sehen lassen — der gebildete und feinfühlende Mensch wird sich durch diesen alten Gebrauch verletzend berührt sehen und, hoffen, daß die Alles läuternde Zeit auch diese Schauführung der Armen abschaffen werde.

Dieses flüchtige Bild von Hannover habe ich bei mehrmaligen Besuchen daselbst aufgefaßt, jetzt freilich war, wenn man sich des Gleichnisses bedienen darf, das sonst so hochfrisirte Toupe dieser Residenz etwas derangirt; denn Französische und Preußische Besatzungen und Gouvernements hatten dort schon seit einigen Jahren gewechselt, und in diesem Augenblick war Hannover von Spanischen Truppen besetzt, nachdem Stadt und Gegend von den neuesten Kriegsereignissen sehr gelitten hatten.

Wenige Stunden nach mir traf die Königin von Baiern ein, welche der Frau Herzogin entgegen gefahren war, kurz darauf langte auch diese an.

Am 24sten besuchte ich das berühmte Königliche Lustschloß Herrnhausen, eine Stunde von Hannover. Der Weg führt in einer angenehmen dreifachen Lindenallee vor dem Lustschlößchen Monbrillant und vielen Land- und Gartenhäusern und Lustgärten vorbei, unter welchen letztern, wie schon gedacht, der des Prinz-Regenten und der Frau von Wallmoden die schönsten sind.

Meine Erwartungen in Hinsicht der Anlagen von Herrnhausen wurden einigermaßen getäuscht — so geht es aber mit allen solchen Anlagen, die den Geschmack ihrer Zeit überlebten und noch die Ansprüche ihres alten Ruhms machen. Das Schloß mit zwei Gartenftügeln von Guarini aus hölzernem Fachwelk erbaut, ist eben kein Muster der Architektur. Der 182 Morgen große Garten ist beinahe völlig im Holländisch-Französischen Geschmack angelegt, von zwei Kanälen regelmäßig in drei Theile getheilt, welche wieder von schnurgraden Alleen und künstlich ausgeschnitzelten Hecken durchzogen sind — eine Menge von Sandsteinstatuen ohne Kunstwerth bilden die alte Staffage dieses kaltlassenden Kunstgartens. Mit unermeßlichen Kosten ist in den Jahren 1718 — 1720 von dem Engländer Andrew die außer dem Garten auf einem Kanal der Leine stehende Wasserkunst angelegt. Fünf Schöpfräder heben dort eine bedeutende Wassermasse auf ein thurmartiges Gebäude, aus welchem es durch Röhren unter ein 1800 Fuß davon liegendes Wasserbecken von 150 Fuß im Durchmesser getrieben wird. In der Mitte desselben erhebt sich der Wasserstrahl einer Fontaine, jedoch nur, wenn die Räder der Wasserkunst in Tätigkeit gesetzt werden. Durch die Hülfe von 3 Rädern steigt das Wasser 85 Fuß, bei 5 Rädern hingegen bis 125 Fuß in die Luft und gewährt alsdann allerdings das Schauspiel einer sehr in’s Große, getriebenen Spielerei. Welch einen ganz andern Eindruck macht die große Fontaine auf der Wilhelmshöhe zu Cassel, wo die Natur selbst mitten in den Reizen einer verschönerten Landschaft, als ein gewaltiges Phänomen, den 200 Fuß hohen Strahl aus dem malerischen Landsee hinauf zu strömen scheint in den Aether und den Strom, in Schaum und Sprühregen verwandelt, in leichten, vom Winde bewegten Nebelwellen herabfallen läßt.

Interessant ist dagegen der Berg und Plantagengarten, mit 6 Treibhäusern und 5 Treibkästen, wovon der erstere durch Wendlands botanische Verdienste um die Sammlung und systematische Bestimmung der Eriken Bedeutung empfangen hat, und der letztere durch 4000 Stück aus dem Samen gezogne Obstbaumstämmchen, die jährlich an die Unterthanen unentgeltlich vertheilt werden, wichtig wird für die so gemeinnützige Verbreitung der Obstcultur.

Jagdliebhaber, die sich für die Erziehung und Veredlung schöner Hunderacen interessiren, mögen übrigens nicht versäumen, den Jägerhof zu besuchen, wo sie bei einem wahren Musikfeste von Hundegebell gewiß sehr genußreiche Stunden haben werden und die Fortschritte der jungen Hunde-Eleven nach Herzenslust bewundern können.




*) Man nannte ihn wegen seiner Vielseitigkeit „den Hunderthändigen“ (Centimanus). „Nein“ sagte Jean Paul: „ich möchte ihn mit dem Kaleidoskop vergleichen; seine Figuren sind Alle schon da — es bedarf nur des Rüttelns und neue Bilder erscheinen.“ D. B.

**) Seine neuesten Zeichnungen zu Reineke de Voß und Till Eulenspiegel, von ihm selbst mit kühner Nadel radirt, erschöpften Alles, was die heiterste Laune, die feinste Satyre, der glücklichste Humor in musterhafter Charakteristik nur Ergötzliches liefern kann. D. B.

***) Hätte damals Blumenhagen schon die beliebten historischen Novellendichtungen geliefert gehabt, welche ihm jetzt im Vereine mit Rambergs Almanachszeichnung auf jeder Damen-Toilette den gebührenden Platz einräumen, so würde der Verfasser nicht ermangelt haben, auch seiner damals zu erwähnen. D. B.

****) Doch ist er neuerlich für den Guelphenorden seiner Bestimmung wiedergegeben, und hat durch das herrliche Bild der Gebrüder Riepenhausen in Rom, wie Heinrich der Löwe auf der Tiberbrücke mit seinem Schilde Friedrich Barbarossa beschirmt, einen höchst würdigen Schmuck empfangen. Eine Copie dieses Gemäldes befindet sich vor „Niedmanns Heinrich der Löwe“ 3r.Th. Leipzig bei Kollmann 1827. D. B.