Sechszehntes Capitel: Durlach. — Carlsruh. — Bruchsal.— Weinlese. — Vom 14ten,Sept. bis 12ten Oct.

Nach wenigen Ruhetagen begab sich am 14ten die Herzogliche Familie über Durlach nach Carlsruh. Ich befand mich abermals im Gefolge derselben.

Durlach ist eine verlassene Residenz mit einem veralteten Schlosse. Die Stadt liegt an einem Wendepunkte des Gebirges, welches hier sich mit dem Schwarzwalde vereinigt. .


Von Durlach nach Carlsruh führt die schönste Pappelnallee, welche es nur geben kann. Auf jeder Seite der wie ein Gartenweg geebneten Straße befindet sich zur Beschattung der Fußwege eine Doppelreihe der himmelhohen Italienischen Pappeln, welche hier sich eines weit schönern Wuchses erfreuen, als im nördlichen Deutschlande. In der Mitte läuft die breite herrliche Fahrbahn so eben und schnurgerade fort, daß man von dem Thore zu Durlach das Thor von Carlsruh sehen kann, obwohl die Entfernung Beider eine Stunde beträgt. — Diese köstliche Allee fängt schon bei Rastadt, dem bekannten Congreßort, an.

Noch vielseitiger ist in Carlsruhe für die Perspective gesorgt. Der sogenannte Bleithurm im Churfürstlichen Schlosse bildet den Mittelpunkt eines doppelt geöffneten Fächers von Straßen. Neun davon laufen in schnurgrader Richtung durch die Stadt und als Fortsetzung von Diesen sind neun andre Straßen durch den herrlichen Hochwald gehauen. Den bedeutenden Raum zwischen dem Schlosse und diesem Walde nimmt der Park ein, die Seitentheile dieses Doppelfächers bilden den Thiergarten, in welchem ich viele weiße Hirsche von ausgezeichneter Schönheit und Größe sah.

Wer noch vor hundert Jahren die Stelle betreten hatte, auf welcher heut zu Tage Weinbrenners Genius die schönen massiven Gebäude mit den reinlichen architektonischen Fronten, statt der täglich mehr verschwindenden hölzernen Gebäude hervorgezaubert hat, der würde sich in die dickste Wildniß des finstern Hartwaldes, mitten in das Gebiet der Wölfe und Bären versetzt gesehen haben.

Die Sage erzählt: als der Markgraf Carl Wilhelm im Anfange des vorigen Jahrhunderts seine damalige Residenz Durlach habe verschönern wollen, hätte der Eigensinn der Bürger den weitgreifenden Plänen dieser Verschönerung Hindernisse in den Weg gestellt. Unmuthig darüber sei er auf die Jagd geritten und im dichtesten Theile des Hartwaldes sei er, ausruhend, in einen erquickenden Schlummer verfallen. Erwachend habe er beschlossen, hier ein Schloß zu bauen und dieses Carlsruh genannt. Das Zuströmen vieler baulustigen Unterthanen habe ihn bewogen, seinem Plane die Ausdehnung auf Erbauung einer neuen Stadt zu geben. Darauf wurden unter mancherlei Begünstigungen durch einen öffentlichen Aufruf vom 24sten September 1715 die Baulustigen zum Anbau ermuntert. Viel armes Volk strömte herbei und aus diesem Umstande soll noch der auffallende Mangel an allgemein verbreiteter Cultur in Carlsruh, welcher in Vergleich mit andern Residenzstädten hier bemerkt wird, herrühren. Die höhere gesellschaftliche Bildung ragt daher nur in einzelnen Lichtpunkten über die kleinbürgerliche und größtentheils arme Volksmasse hervor.

Doch eben diese Natur-Elemente bei vereinzelter Bildung haben vielleicht dazu beigetragen, einem so echten Volksrichter im höhern Sinne des Worts, wie Hebel ist, die so ganz eigene Richtung der Ausbildung seiner poetischen Natur zu geben, welche aus seinen Alemannischen Gedichten so innig das Gemüth anspricht.

Hebel wohnt hier als Kirchenrath und Mitglied der evangelischen Kirchen-Ministerial-Section. Er ist aber ein Mann, den der Actenstaub noch nicht für das Leben ertödtet hat. Göthe giebt die Charakteristik seines dichterischen Elements sehr treffend, in folgender Andeutung: Hebel sei ein Provinzialdichter, „der von dem eigentlichen Sinne seiner Landesart durchdrungen, von der höchsten Stufe der Cultur seine Umgebungen überschauend, das Gewebe seiner Talente gleichsam wie ein Netz auswirft, um die Eigenheiten seiner Landes- und Zeitgenossen aufzufischen und der Menge ihr selbst zur Belustigung und Belehrung aufzuweisen.“ — Ich möchte hinzusetzen: Hebel hat wie ein Goldwäscher das edelste Metall aus dem Sande und Schlamm des Volkslebens ausgewaschen und daraus mit hohem Kunstsinne Götterbilder verfertigt. Hebel hat sein Volk im reinen Herzen aufgenommen und mit kindlichem Gemüthe aus dessen Seele gesungen.

Doch zurück vom Himmel auf den Boden! Zu den schönsten der fünf Plätze von Carlsruh gehört der große kreisrunde Platz vor dem Schlosse, welchen vier Alleen an beiden Seiten durchschneiden. Den einen Sector dieses Kreisbogens, nach dem Park und Hartwalde zu, bildet das in Altfranzösischem Style erbaute Schloß mit seinen Flügeln. An Diese in gleicher Richtung fortlaufend, schließen sich auf der einen Seite der Marstall, auf der andern das Theater und die Treibhäuser u. s. w. an. Hier ist der Standpunkt, von welchem aus man in alle die fächerartig ausgebreiteten Straßen der Stadt bis in der Mitte auf dem großen Marktplatz und an den Seiten auf die lange Querstraße der Stadt hindurch sehen kann. Vor den Häusern, welche den Cirkelplatz bilden, läuft eine breite überbaute Colonade herdurch, die bei Regenwetter einen trocknen Spaziergang gewährt.

Ueberhaupt befindet sich nicht leicht eine so regelmäßige Anlage der Straßen und Plätze einer Stadt, welche doch dabei das Auge so wenig ermüdet, wie Dieses der Fall ist bei manchen Nordamerikanischen Städten. Die Straßen von Carlsruh sind alle breit, eben, schnurgrade, erleuchtet und mit Trottoirs versehen. Die Häuser in den Straßen sind von gleicher Höhe, mit Ausnahme der Eckhäuser, welche eine Etage mehr haben.

Der große Marktplatz ist mit neuen und schönen Häusern bebaut. Vorn auf demselben steht jetzt noch der hölzerne Obelisk, welcher die Gruft des Erbauers von Carlsruh, des Markgrafen Carl Wilhelm, überdeckt, doch ist vielleicht jetzt schon Weinbrenners Plan, diesen hölzernen Kasten durch ein würdiges Monument zu ersetzen, ausgeführt.

Zu den schönsten Gebäuden, welche Carlsruh dem jetzt auch verstorbenen Oberbaudirector Weinbrenner verdankt, gehört das Museum, die Synagoge, die neue evangelische Kirche, die neue katholische Kirche und das Theater.

Das Museum liegt auf der breiten langen Straße, welche Carlsruh, unterhalb des Fächers quer durchschneidet und von dem Punkte einer jeden einfallenden Straße die Ansicht des Schlosses gewährt.

Das geräumige Local des Museums ist äußerst zweckmäßig benutzt. Der Antikensaal enthält, außer einem Abguß der berühmten Büste Napoleons von Canova, zahlreiche Abgüsse der berühmtesten Meisterwerke Griechischer und Römischer Cultur, z. B. des Borghesischen Fechters und Laokoons, und zwar die Schlangen-Umwundenen in vollständiger Gruppe, da viele Galerien nur die zerstückelte enthalten.

Die Gemäldegalerie gehört zwar nicht zu den Ausgezeichnetesten und soll deshalb auch, dem Vernehmen nach, mit der Mannheimer vereinigt werden, um ein größeres Ganzes zu bilden, doch enthält sie gute Gemälde, besonders aus der Niederländischen und Altdeutschen Schule, z. B. von Cranach, Rubens, Rembrand, Tennier, Dürer, Holbein u. A. m. Zu den merkwürdigsten Bildern darf man als wahre Seltenheiten zwei kleine Landschaften von Rembrand rechnen, welche in der Nähe als Farbenklexe erscheinen, aus einiger Ferne aber eine ungemeine Kraft, Klarheit und Wärme empfangen. Als Gegenstück zu diesem Extreme in der Malerei muß man ein Küchenstück von Gerhard Dow betrachten, welches mit einer so unermüdeten Sorgfalt gemalt ist, daß es die Betrachtung durch die Loupe verträgt und dadurch nur noch an Wahrheit und Leben gewinnt. Dieser in der Geduld noch nicht übertroffene Meister soll Wochenlang an einer einzigen Hand nach der Natur gemalt haben. Er bereitete sich alle Farben und Pinsel selbst, weil keine fremde Hand den eigensinnigsten Anforderungen seiner Kunst genügte.

Bei der israelitischen Synagoge, welche ganz im morgenländischen Styl gebaut ist, fällt es unangenehm auf, daß die Hauptfaçade nach einer Nebengasse und nicht nach der Hauptstraße gerichtet ist; indeß soll hier das mosaische Gesetz den Baukünstler in die Enge getrieben haben, welches gebietet, daß der Rabbiner beim Gebete sein Antlitz nach Morgen wenden müsse.

Ein gleicher Grund, der indeß hier nur weniger dringend gewesen seyn kann, soll ihn bei dem Bau der evangelischen Kirche zu demselben architektonischen Fehler verleitet haben. Hier ist der Fehler noch auffallender, weil sie an einem öffentlichen Platze steht, dem sie nothwendig ihr Antlitz hätte zuwenden müssen.

Die neue katholische Kirche steht nach allen Seiten frei. Sie ist im Römischen Styl gebauet und ihre Grundfläche bildet von Außen die Form eines Kreuzes. Im Innern sind jedoch die Schenkel des Kreuzes durch eine Rotunde verbunden. Diese ist von oben durch eine hundert Fuß weite und eben so hohe Kuppel erleuchtet. Die Kuppel derselben ist mit Frescogemälden geziert, welche jedoch später abgefallen sind und bedeutende Summen zu restauriren kosten werden.

Das Theater ist von origineller Bauart. Weinbrenner hat, anstatt der fast üblichen Hufeisenform, die Idee des Amphitheaters für das Spectatorium auszuführen gesucht. Da er jedoch nicht den Halbcirkel, sondern einen nach dem Proscenium sich verengenden Cirkelabschnitt gewählt hat, so begreift es sich leicht, daß die Seitenlogen kaum eine theilweise Ansicht der Bühne gestatten. Die Logen stehen nicht senkrecht übereinander, sondern weichen terrassenförmig zurück. Bei guter Beleuchtung muß also das besetzte Haus einen herrlichen Anblick gewähren, allein durch eben diesen Bau bildet das Spectatorium ein Schallgewölbe, in welchem sich die Töne verwirren und daher kann man auf vielen Plätzen nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören. Uebrigens ist die Bühne mit vorzüglichen Decorationen ausgerüstet und hat unter ihrem Boden Raum für die Versenkung der größesten Versatzstücke, so wie in der Höhe Raum, die Decorationen ohne Aufrollen in die Höhe zu ziehen, wodurch die Malerei sehr geschont wird.

Die Artistik der Bühne zu beurtheilen, gehört mehr für Tageblätter, als für ein Reisewerk. Ausgezeichnete Talente haben immer in Carlsruh dankbare Anerkennung und oft ihre Heimath gefunden. Doch wird — wie jetzt fast überall — auch hier die Oper vor dem recitirenden Schauspiel begünstigt.

Unter den schönen Stadtthoren zeichnet sich besonders das Ettlingerthor als ein Muster von erhabner und geschmackvoller Bauart aus.

Carlsruh, diese jüngste unter ihren Deutschen Schwesterstädten, hat jetzt schon 1100 Häuser und 17,000 Einwohner und noch immer wird fortwährend an deren Vergrößerung und Verschönerung gebaut. Der Vater Rhein ist nur 1½ Stunde von ihr entfernt. Die Hofbibliothek enthält 70,000 Bände. Der botanische Garten — eine Anlage des vorletzt verstorbenen Großherzogs, enthält über 6000 Species von Pflanzen. Mehrere Fabriken befinden sich in Carlsruh; unter Diesen ist besonders sehenswerth die Meyersche Steinschleiferei, welche berühmt ist durch die Schönheit und verhältnißmäßige Wohlfeilheit der dort gelieferten Arbeit.

Am 16ten gingen die sämmtlichen Herrschaften nach Bruchsal zurück. An demselben Tage traf der König von Baiern dort ein und reisete am 19ten wieder mit der Königin nach München ab.

Am 28sten September begann die Weinlese bei Bruchsal und in der Umgegend. Im Norden Deutschlands denkt man sich das Leben der Winzer gern so poetisch, wie in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das der Schäfer. Die Natur drückt überall ihr derbsinnliches Gepräge auf die Stirn des Handarbeiters und die romantische Lage der Weinberge übt einen geringen Einfluß auf das Gemüth ihrer Bearbeiter. Der Weinbauer seufzt unter dem Druck einer tiefern Armuth, als jemals den Landbauer trifft. Die häufigen Mißjahre — den oft hohen Pacht- oder Erbzins ungerechnet — setzen ihn in die Nothwendigkeit, sich dem Weinhändler, der ihm ein für allemal seine Erndte abkauft und den Preis bestimmt, auf Diskretion zu übergeben. Immer steht der unglückliche Weinbauer im Schuldbuche des oft hartherzigen Großhändlers und mancher edle Rheinwein, der uns hoch begeistert, ist mit den Thränen der Armuth gewürzt. Uebrigens aber ist die Weinpolizei fast überall streng in den Weingegenden. Nur an gewissen Wochentagen ist es selbst dem Eigenthümer erlaubt, in seinen Weinberg zu gehen, doch darf er selbst keine Trauben brechen bei schwerer Strafe, ehe sie nicht für zeitig erklärt sind. Die Weinlese aber wird nicht eher gestattet, bis eine obrigkeitliche Bekanntmachung die Zeit derselben verkündet. Dann läuten alle Glocken und die fröhlichen Schnitter und Weinbergsbesitzer und alle Freunde derselben ziehen jauchzend, oft mit Musik und mit Bändern geschmückt, den Weinbergen zu. Die Lese beginnt unter Singen und Lachen und Scherzen, und manche würzige Traube versüßt die würzigen Küsse der Madchen und Jünglinge, welche Amor schalkhaft durch dichtbelaubte Rebenguirlanden jedem lauschenden Auge verbirgt. Abends dreht sich dann Alles im rasenden Geschwindwalzer, der in den dortigen Gegenden eine wahrhaft bacchantische Lust gewährt, wenn der kräftige Bursch, in halb Schweizertracht sein flinkes Mädchen so hoch schwingt, daß die kaum bis über’s Knie reichenden Röcke nicht mehr vermögen, manchen verborgenen Reiz sittsam zu verhüllen.

Uebrigens darf man hier wahrlich das fließende Sonnengold nicht bereiten sehen, wie die fast schon faulenden Trauben in die Fässer geschüttet, von tüchtigen Kerlen mit entblößten Füßen zu Muß getreten werden, dann vor den Häusern in die Sonne gestellt in völlige Gährung gerathen, und wie endlich die ekelhafte Masse abgezapft und auf Fässer in die Keller gelegt wird, wo sie erst die weinige Gährung vollendet. Man muß fast Chemiker seyn, um diese Verfahrung zu sehen und dann doch den Wein mit Appetit trinken zu können, denn dazu gehört die feste Ueberzeugung, daß durch den chemischen Gährungsproceß auch der geringste fremde Stoff nothwendig ausgeschieden wird.

Im October fuhr ich noch einmal nach Carlsruh und dann kehrte ich nach Bruchsal zurück. Doch sollte ich hier keine lange Ruhe finden, denn schon im November mußte ich eine neue Reise über Schweden und England antreten.