Neuntes Capitel: Elbe. — Fluth und Ebbe. — Blankenseer Ever. — Blankensee. — Ottensen. — Altona. — Hamburger Berg. — Hamburg. — Anfang Juli 1807.

Es wäre unmöglich, ohne ein eignes Buch zu schreiben, von dieser großartig bewegten Handelswelt in dem beengten Raum dieser Blätter mehr, als nur eine flüchtige Skizze der Erscheinungen zu geben, welche grade für den Augenblick den lebendigsten Eindruck auf mich machten.

Hier bei Deckenhude gleicht schon die Elbe, mit dem für das Auge kaum erreichbaren jenseitigen Ufer, dem Arme eines Meers. Und wenn in regelmäßigem Wechsel von sechs zu sechs Stunden die Fluthen der Nordsee heraufdringen und die Strömung des Flusses in eine umgekehrte verwandeln und dann wieder mit der Ebbe zurücktreten und die Massen des süßen Stromwassers dem Meere zuwogen und sich verlaufen, so daß Sandbänke und weite Strecken, am Strande blos liegen, so vollendet dieses Steigen und Fallen der Fluth und Ebbe die Täuschung, daß es ein Meersarm sei, noch mehr und erhöhet damit die Großartigkeit des Schauspiels. Diese Naturkraft benutzend, gehen täglich bedeutende Züge von Schiffen, 60 bis 80, bei der Fluth hinaufsegelnd, nach Hamburg und bei der Ebbe hinunter nach Cuxhaven.


Auch ich benutzte an einem köstlichen Frühlingsmorgen die steigende Fluth, um mich auf einem sogenannten Blankenseer Ever nach Hamburg einzuschiffen. Die ganze Physiognomie großer Handelsstädte ist in der Regel dem schiffbaren Gewässer zugekehrt, von welchem sie, wie die Sonnenblume von der Sonne, ihren Lebensathem ziehen. Man sollte daher Seestädte wo möglich nie anders, als zuerst von der Wasserseite her betreten, um in einem Moment das in der Phantasie bleibende Panorama für das ganze Leben zu empfangen.

Vor allen Dingen machte ich nähere Bekanntschaft mit meinen nächsten Umgebungen, dem Schiffer und seinem Fahrzeuge.

Der Mann war ein derber breitschultriger Blankenseer Fischer, dem gutmüthige Kraft bei einer derben Trockenheit aus dem breiten gebräunten Antlitz blickte. Große silberne Knöpfe auf der Schifferkleidung und die ganz eigne feste und selbst genügsame Haltung des Mannes war das Gepräge des Bewußtseyns einer unter Gottes Hülfe redlich erworbenen Wohlhabenheit. Es hielt schwer, ihm gegen einen Fremden Rede abzugewinnen. Doch als er zufällig erfahren hatte, daß ich zu dem Gefolge des Herzogs von Braunschweig gehörte, der dort in der ganzen Gegend die innigste und lebhafteste Theilnahme erregte, wurde er offen und zutraulich, wie das so seemännische Art ist, und diente mir, nachdem er sein Primken Kautaback in die eine Wange gestopft hatte, gleichsam zum Cicerone durch die neue Welt, welche vor meinen Blicken sich aufthat.

Unser Ever war ein großes gutgebautes Boot mit einem Mast und großen Segel. Unter dem Fußboden war ein Gewimmel von eingefangenen Fischen aller Art, welche auf den großen Leckermarkt der Hamburger geführt werden sollten. Der Schiffsboden dieser Fahrzeuge ist nämlich durchlöchert und bildet daher auf den weitesten Seereisen immer einen Fischkasten voll durchströmenden frischen Wassers. Durch diese Einrichtung — welche man auch in fischreichen Gegenden des Ostseestrandes findet — werden die Fische gesunder und frischer von Blankenseer Schiffern auf den Markt zu Amsterdam gebracht, als von den Holländischen Fischern, und werden daher mehr gesucht und schneller verkauft.

Doch alles Einzelne und Kleine verschwindet vor dem herrlichen Anblick der belebten Ufer, welcher sich jetzt vor meinen Augen aufthat.

Welch’ eine Kette von wohlhabenden Dörfern und geschmackvollen Landhäusern, die sich mit ihren freundlichen Parkanlagen auf den sanften Abhängen des rechten Stromufers fortziehen von Blankensee, Deckenhude, durch Ottensen hinaus bis Altona! Welche Summe von Leiden und Freuden, Hoffen und Sorgen mag hier in diesem lieblichen Stillleben reicher und gebildeter Familien im Laufe der schönen Monate des Jahrs wechseln! Dorthin eilt, wenn auch nicht täglich, doch bestimmt am Sonnabend, der reiche Handelsherr aus Altona und Hamburg, und im freundlichen Kreise der Seinigen, unter dem kühlenden Schatten prangender Staudengewächse und Amerikanischer Bäume, umduftet von schimmernden Blumen aller Tropenländer, vergißt er auf einige Tage, daß alles dieses genußreiche Wohlleben am Ende doch immer am Haar von nicht zu berechnenden Zufällen hängt, und freudiger beleben sich seine Hoffnungen, wenn er vielleicht die eignen Schiffe mit mehr, als der Werth seines Vermögens beträgt, befrachtet, nach der See hinabschweben sieht und dann seine Wünsche und Hoffnungen ihnen voranftiegen nach Ost- und Westindien, von woher sie den zehnfachen Betrag des Einlagecapitals zurückbringen sollen. —

Dort liegt Ottensen — die ländliche Fortsetzung von Altona, das Sanssouci der wohlhabenden Bürger Hamburgs, die aus ihren engen Gassen und der dunstigen Luft einer überfüllten Stadt sich losreißen, um auf den Elbterrassen des köstlichen Gartens von Reinville*) die erfrischende, erquickende, erheiternde Land- und Seeluft zugleich einzuathmen. Von dort herüber erschallen die Töne zahlreich besetzter Janitscharmusiken, und ein unermeßliches Weben und Leben geschmückter Menschen wogt dort auf und ab in den herrlichen Promenaden oder ruhet in den Pavillons und auf den zahlreichen Ruheplätzen, welche doch alle ihren Gesichtspunkt auf die reiche Fernsicht der Elbe hinaus öffnen.

Dortherüber ragt die gothische Kirche von Ottensen, welche, mit ihren ewigen Ruheplätzen ausgezeichneter und im harmlosen Stillleben unbemerkt dahin geschiedner Menschen, dem Gemüthe so manche Erinnerungen zurückruft **).

Dann öffnet sich auf dem sanft ansteigenden Elbufer die amphitheatralische Ansicht von Altona mit den reinlichen und schöngebauten Häusern und den dazwischen liegenden Gärten. Breite helle Straßen, von welchen die herrliche Pallmail oder Mailbahn mit ihren vier Reihen dichtbelaubter Linden eine Lieblings-Promenade der Altonaer bildet, machen den Aufenthalt daselbst eben so angenehm als gesund.

Von Altona reihen sich die zahllosen Volkswirthshäuser des Hamburger Berges an das Stromufer hinauf, bis zu dem nahe liegenden Hamburg. Dieser Berg ist vielleicht der merkwürdigste Berg auf Erden, denn er bildet keine Höhe, sondern eine Ebne — eine der Vorstädte von Hamburg. Hier erstrecken sich die Reppschlägerbahnen, so nennt man dort die Seilerbahnen, auf welchen die Schiffstaue gemacht werden. So ein Kabeltau ist, was die Boa unter den Schlangen, der Riese unter dem Geschlechte der Seile und Stricke. Hier aber auf den Tanzböden, in den Trinkbuden und Tabagien feiern die Matrosen ihre Orgien. Mit Taschen voll Geld, den Matrosenhut auf ein Ohr, das Seidentuch locker um den Hals geworfen, in streifige Leinewand sauber gekleidet, sieht man solche gebräunte Tritonen einherschreiten, weitbeinig und unsicher, als schwanke noch der Schiffsboden unter ihren Füßen. Da kaufen sie Alles, was sie sehen, übertheuern tausend Kleinigkeiten, die sie gebrauchen und nicht gebrauchen; da werden sie geentert von den Sirenen des Hamburger Berges und die frechsten sind ihnen die liebsten, so hängt denn bald am Steuerbord und Backbord eines solchen Silberschiffes, wie Anker und Schaluppe oder wie die Flügel, die beim Laviren ausgehängt werden, so ein rothbemaltes weißbewimpeltes Mädchen, und es müßte schlimm aussehen, um die Alles verschönernde Einbildungskraft des Weltumseglers, der nach Jahre langem Umhertreiben auf den Wogen der Meere Land und Menschen nur im Rosenlichte erblickt, wenn nicht des Priesters Segen nach wenig Stunden schon den ehrlichen Matzpumper mit seiner Schönen verbunden hätte, um ihr am nächsten Tage vielleicht schon auf Jahre lang den Scheidegruß zuzurufen.

Jetzt aber nahet der Mastenwald des Hafens und die unermeßliche Häusermasse, welche die Alt- und Neustadt von Hamburg bildet, tritt aus der schwimmenden Vorstadt hervor.

Die Neustadt, mit schönen hohen Häusern und breiten reinlichen Straßen geschmückt, liegt nach der Seite von Altona zu, also westlich. Die Altstadt dagegen liegt höher hinauf nach Osten. Von Elbarmen umfaßt und durchschnitten, liegt die dunkle Masse von himmelhohen Wohn- und Lagerhäusern, durch welche enge krumme Gassen und zahllose Kanäle (Flethen genannt) sich winden. Dieser niedere Theil der Stadt heißt die Altstadt. Bis hieher und nicht weiter gehen die von der Ober- und Mittel-Elbe herabkommenden Flußschiffe von langer flacher Bauart, mit einem Mast, welche dort ihren 20 Fuß tiefen Hafen finden, der von einem in die Stadt laufenden Elbarm gebildet wird. Hier hört man nichts als ein kauderwelsches Durcheinanderschreien aller Niedersächsischplattdeutschen Mundarten, welches der Obersachse und Süddeutsche sehr vergebens sich bemühen würde zu verstehen ***).

Ganz anders tönt die gewaltige Babylonische Sprachverwirrung, der tausend durch einander schreienden Stentorstimmen im großen Hafen für die Seeschiffe unweit des Altonaer Thors. Da hört man Dänisch, Schwedisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Englisch fluchen und befehlen neben dem kraftigen Plattdeutsch, und wem alle lebenden Sprachen bekannt wären, der würde dennoch den Gallimatthias der Schiffersprache nicht leicht verstehen.

Dieser Seehafen ist durch das Zusammentreffen mehrerer Ausmündungen von Elbarmen und des Kanals, welcher den von der Alster gebildeten Landsee mit der Elbe verbindet, entstanden. Ein weiter Raum in demselben ist durch ein gewaltiges Pfahlwerk zum Anlegen von Seeschiffen eingerichtet. Dieser Raum heißt der Rummelhafen. Hier bilden die prachtvollen Kolosse, welche sich mit zwei, auch drei Verdecken mit ihren Masten, Raaen und Stangen in stolzer Ruhe über den Wellen erheben, jene breiten Gassen schwimmender Paläste, durch welche mit bewunderungswerther Gewandtheit kleinere Schiffe und Bote von allen Formen und Größen haarscharf neben einander hin- und herfahren. Unbeschreiblich ist auf dem Hafendamme das Gewühl der Matrosen und Lastträger, der Kaufleute, Schiffscapitaine und Gehülfen aller Art, zwischen welchen ankommende und abgehende Fremde Scenen des Wiedersehens oder des Abschieds feiern und vielleicht im Moment des tiefsten Gefühls von einem der durch das Gewühl sich drängenden Litzenbrüder einen freundlichen Wink, auf die Seite zu treten, mit einem derben Rippenstoß empfangen. Dort am Baum werden in Augenblicken durch Wort und Handschlag Geschäfte über Tausende abgeschlossen und jenem Kaufherrn sieht man die Millionen seines Reichthums und die zehn Millionen seines Credits weder auf dem einfach feinen Rock nach breitem und bequemem Englischen Schnitt, noch auf dem vollen wohlgenährten Antlitz ausgeprägt — denn so sieht man auch jeden wohlhabenden Bürger gehen; allein die Ehrfurchtsbezeugungen, welche dem Millionair überall Raum geben, umringen ihn mit der Repräsentation eines Fürsten, und stolz blickt der Hamburger Kaufmann auf den ärmern Geburtsadel in andern Staaten herab und versichert: „Wir kennen nur ein Verdienst, das adelt ohne Diplom — es heißt Geld.“ Jeder reiche Hamburger ist ein Edelmann, der desto höher im Range steht, je schwerer er wiegt. Man fragt nämlich nicht: „wie reich ist der Mann?“ sondern: „wie schwer wiegt er?“ und die Antwort: „ein Paar Tönnchen“ (Goldes) giebt ihm in allen gesellschaftlichen Verhältnissen mehr Gewicht, als an einem Hofe die Excellenz und im Militair ein Orden. — Es ist etwas Sonderbares um diese Kniebeugung vor dem Reichthum. Gewöhnlich sind die reich Gewordenen zu gute Wirthe, um denen, welche sie um des Reichthums willen credenzen, davon etwas Bedeutendes zufließen zu lassen, es ist also wahrlich der personificirte Mammon, der Dalailama der Handelswelt, welchem ohne allen Eigennutz diese Vergötterung gezollt wird.

Handel und Schifffahrt bildet in Hamburg den Mittelpunkt alles Erwerbs und jeder bürgerlichen Existenz von 111,729 Menschen. An 500 Kaufleute und 1000 Mäkler (für jede Waarengattung besondere) strömen täglich zur Börse, welche jedoch, unwürdig genug, aus einer unansehnlichen, auf Pfeilern ruhenden, ringsum offenen Halle besteht****). Gegen zweitausend Seeschiffe nach allen Theilen der Welt laufen in guten Handelsjahren aus und eben soviel ein.




*) Welcher neuerlich durch Ankauf des Sclavenhofes bedeutend vergrößert und verschönert ist. D. B.
**) Um wieviel mehr jetzt, nachdem von den 40,000 Menschen, welche Davoust mit soldatischer Tyrannei im December 1814 aus der Stadt jagte, 1138 vor Kälte und Noth umgekommen waren und hier ein durch die Erinnerung an so viel Menschenleiden ergreifend gewordenes Denkmal erhalten haben. D. B.

***) Und doch ist das Hamburger Plattdeutsch, und mehr noch das Oldenburger, eine äußerst weich- und wohlklingende Sprache, welche — „wie Bärmann’s Höög- un Häwel-Book“ beweiset — sich ganz besonders eignet für den naiven Ausdruck einer gutmüthigen Treuherzigkeit. D. B.

****) Es ist jedoch das alte Börsegebäude nicht nur zweckmäßig verschönert, sondern auch schon der Plan zu einer andern Börse im großen Styl entworfen, für welchen Zweck schon bedeutende Summen auf Actien zusammen gebracht sind. D. B.



Die Stadt besitzt allein an 200 Seeschiffe und die Erhaltung der nautischen Schifffahrt der Elbe bis in die Nordsee, durch Tonnen (welche die Untiefen bezeichnen), Wachtschiffe und Leuchtthürme, kostet der Stadt jährlich bis zu 6000 Thaler.

Den Großhandel darf Jeder treiben, mit Ausnahme der wenigen besoldeten Beamten, allein der Detailhandel fordert Aufnahme in der Krämer-Innung und gewisse Vorbedingungen, die durch Privilegien gesichert sind. Materialwaarenhandel gehört jedoch nicht zu dem zünftigen Geschäfte und steht Jedermann offen. — Zur Beförderung des Handels dient die bedeutende Girobank, welche die Zahlungen durch Ab- und Zuschreibungen der in Geldbarren deponirten Geldsummen, bis zu deren Betrage die Bank jedem Kaufmanne Credit giebt, erleichtert. Dieses geschieht jedoch nur auf mündlichen Vortrag beider Theile. Die deponirten Summen werden in den Kellergewölben des Rathhauses verwahrt. Zinsen bezahlt die Bank nicht, weil in jedem Augenblicke der Deponent über das Seinige disponiren darf*). Eine Menge Assecuranzgesellschaften, für Seegefahr und Feuersgefahr, Lebensversicherungsgesell- schaften und Sparkassen beleben den Geldverkehr. Ein Handelsgericht mit einem mündlichen und öffentlichen Verfahren wacht über Rechtlichkeit und Ordnung in den Handelsgeschäften; ein Gesundheitsrath endlich macht sich nützlich wegen der Schifffahrtsverbindungen mit den Mutterländern der Pest im mittelländischen Meere.

Ich war bei dem Baum, der Barriere am Hafen, an’s Land gestiegen und durchstreifte mit einem Freunde die Stadt nach allen Richtungen — später war ich öfter in Hamburg und lernte das dortige Leben kennen.

Der Ton ist im Ganzen trocken und kalt; doch bei näherer Bekanntschaft ergiebt sich bald, daß es mehr die Englische Art und Sitte ist, welche jedem Fremden abstoßend entgegen tritt. Bei näherer Bekanntschaft ist der Hamburger gastfrei, zutraulich, witzig und liebenswürdig. Der große Weltverkehr giebt ihm unter den gradesten Formen den feinsten Gesellschaftstact. So z. B. wird der echte Hamburger nicht leicht, wenn er in Gegenwart einer Dame gegen ihren Gatten den Wunsch äußert, ihr vorgestellt zu werden, sagen: „Erzeigen Sie mir die Ehre, mich Ihrer Frau Gemahlin vorzustellen,“ sondern er sagt in seiner bürgerlichen Einfachheit: „Stellen Sie mich doch Ihrer Frau vor,“ aber selten läßt er den nächsten Augenblick entschlüpfen, um die über einen solchen Sansfa?on vielleicht erschreckende fremde Dame durch die feinste Aufmerksamkeit zu versöhnen.

Dem Hamburger führen alle Welttheile und alle Meere ihre feinsten Gaben für den Gaumen zu — das Meer seine Hummer und verschiedenen Arten von Austern **), seine köstlichen Zungen, Kabliau, Steinbutten und Störe und die Schellfische, Schollen und neuen Heringe. Der Strom seinen Lachs, Böhmen seine Fasanen, Sandret, Karpfen, Schleie und Karauschen, sein Schwarzwild und Rothwild, Spanien und Portugal den Portwein, Madera und Malaga, und Bourdeaur die leichten Tischweine und Champagnersorten zu. So gehört denn, nach einem tüchtigen Gabelfrühstück, um 4 oder 5 Uhr eine wohlbesetzte Tafel zu den Lieblingsgenüssen des wohlhabenden Hamburgers, der in dieser Hinsicht dem Wiener gleicht, nur nicht so, wie dieser, die ganze Welt und alle Promenaden und selbst die köstlichsten Aussichten zu einer offnen Tafel macht, die ihm nur um des Schmausens willen da zu seyn scheint.

Das Theater ist eine dem Wechsel der Zeit im Gesellschaftsleben zu sehr unterworfene Erscheinung, um über die Erscheinungen des Tages nach einer Reihe von Jahren noch sprechen zu dürfen. Doch soviel darf ich bemerken, daß man hier noch mehr, als auf irgend einer andern Bühne, Schröder’s Geist, besonders in Hinsicht der Charakterhaltung, fortwirken sah; leider zeigte sich aber auch das Fortbestehen des Schröderschen Privilegiums nachthei- lig einwirkend auf den Schauplatz, der wenig Bequemlichkeit und Eleganz darbot ***). Schon der dunkle Eingang zu dem in einer Sackgasse versteckten Schauspielhause machte einen unangenehmen Eindruck ****).

*) Es läßt sich begreifen, welch ein empfindlicher Raub es für den Hamburger Handelsstand seyn mußte, als Davoust am 15ten November 1814 die Keller der Bank ausleeren ließ und dort 7,489,343 Mark Banco, größesten Theils in Goldbarren, davon führte. D. B.

**) Feinschmecker wissen recht gut, daß Colchester die kleinen zarten Austern vom feinsten Geschmack giebt, daß die Holländischen und Holsteinischen Küsten die größesten und fettesten liefern, daß aber die Französischen Austern klein und mager sind. D. B.
***) Bekanntlich hat sich dieses Mißverhältniß in neuester Zeit fast umgekehrt gestaltet. D. B.

****) Nebentheater haben in Hamburg nie Glück gemacht, weder das eingegangene Apollotheater, noch das ebenfalls geschlossene Französische auf der Drehbahn, noch das Volkstheater im Pferdestalle auf der Steinstraße, auf welchem, unter Leitung eines Herrn Hoch, aus dem Volkshaufen gebildete Schauspieler das Volk mit Localpossen belustigen. D. B.


Auffallend war es mir als Fremdem, daß die wortführenden Elegants im Parterre sich alle durch einen gewissen orientalischen Typus der gebogenen Nasen und schwarzen, meistens bebrillten Augen auszeichneten. Ob vielleicht eine gewisse ästhetische Reizbarkeit zu den nationellen Eigenthümlichkeiten des Volks Gottes gehören mag? — Dann hat sich die Parterrkritik viel zu versprechen von diesen mosaischen Sensitiven. Sie klappen zu, mag eine Blattlaus oder eine glänzende Libelle den Gefühlsnerv ihres Herzblatts berühren*).

Doch giebt es in Hamburg auch sehr achtungswerthe und gebildete Israelitische Mitbürger, die zu den reichsten Kaufleuten gehören. — Ueberhaupt ist Hamburg und Altena das kleine gelobte Land für das Volk Gottes, denn der Kinder Israel zählt Hamburg 6800 und Altona 2400, die aber durch das ihnen eigenthümliche Vordrängen und durch ihre ameisenartige Handels-Regsamkeit auf der Börse und Börsenhalle, auf den Kreuzwegen der Elbstraßen und des neuen Steinweges, sowie auf dem großen Neumarkte sich zu verdoppeln und zu verdreifachen scheinen.

Für Musik giebt der herrliche Apollosaal, der, geschmackvoll decorirt, ein Oval von 80 Fuß Länge, 50 Fuß Breite und 30 Fuß Höhe bildet, ein günstiges Concertlocal**). Geselligkeit findet in Klubs und Ressourcen ihre reichliche Erndte. Vorzüglich angenehm sind die Erholungen am Dragonerstall mit Garten-, Spiel-, Speise-, Tanz- und Gesellschaftssälen, mit Lese- und Billardszimmern u. s. w., — dann auch die Harmonie an dem großen Bleicher mit etwa 1000 Mitgliedern. Spaziergänger finden überall an der Alster und Elbe herrliche Par- thien, welche die köstlichsten Aussichten gewähren***).

Wer ein vollständiges Panorama von Hamburg zu sehen wünscht, besteige nur den 450 Fuß hohen Thurm der Michaeliskirche, und wer eine tiefe Achtung für Hamburgs Bürgerschaft und ihr Regiment mitnehmen will, versäume nicht, mit den wahrhaft großartigen Wohlthätigkeitsanstalten sich bekannt zu machen ****).

Doch genug von Hamburg für eine Skizze.




*) Im Ganzen betrachtet der gebildete Hamburger die Mitglieder seiner Bühne als nationelles Eigenthum, und stellt sie, oft ungerecht gegen fremde Talente, im republikanischen Stolze sehr hoch. Wahr ist es, daß Sänger, wie Cornet, und Sängerinnen, wie Demoiselle Pohlmann, Mad. Fischer, Mad. Cornet, welche von der Braunschweiger Bühne nur ungern nach Hamburg entlassen wurden, hohe Achtung verdienen. Allein es giebt außer diesen noch mehr Künstler in der Welt, was aber der wahre Hamburger nicht leicht anerkennen wird. D. B.

**) Und Methfessel giebt demselben Leben, hat sich überhaupt um die Belebung der Tonkunst in Hamburg sehr verdient gemacht. D. B.

***) Da die Befestigungswuth der Franzosen unter Davoust viele ältere Anlagen zerstört und das Abtragen dieser aufgedrungenen Werke in neuester Zeit manche geschmackvolle Anlagen theils neu hervorgerufen, theils verschönert hat, so können Mittheilungen über die Promenaden aus dem Jahre l807 kein Interesse mehr haben. Das neuere Hamburg ist durch verschönernde Gartenkunst wie ein Phönix aus der Asche hervorgegangen. Die Alsterpromenade am Bassin der Binnenalster ist erweitert und verschönert, der Alsterpavillon, der Elbpavillon gewähren angenehme Ruhepunkte, der Stintfang, ein mit einer Valerie versehenes Rundtheil, giebt die schönsten Ansichten von der Stadt, und über den Hafen, die Elbe hinab nach Altona und weiter hinaus in endloser Ferne. Ueberhaupt haben sich die Umgebungen von Hamburg in einen fortlaufenden blumenreichen Park verwandelt. D. B.

****) Auch in dieser Hinsicht hat die neuere Zeit Riesenschritte zur Erweiterung und Verbesserung gemacht. Im Jahre 1821 wurden mit 272,000 Mark Courant — wozu freiwillige Beiträge 100,000 Mark geliefert hatten — über 2700 Familien eichlich unterstützt; 14,900 erhielten Hülfe und Pflege in Krankheitsfällen; 169 Todte wurden bestattet; 150 Kinder auf dem Lande in Kost erzogen, 24,000 Kinder frei unterrichtet und zum Theil aueh bekleidet. — Das schönste Denkmal der Hamburger Humanität bleibt aber immer das 1821 — 1823 gebaute allgemeine Krankenhaus mit 200 Sälen und Zimmern, in welchen 1825 3421 Personen in Verpflegung waren. Davon wurden 1994 geheilt und 378 starben. D. B.




Noch gäbe die Fluth und Ebbe, welche mit den merkantilischen Vortheilen manche Nachtheile für die Gesundheit in den tiefer liegenden Gegenden der Stadt verbindet, indem die ungewöhnlich steigenden Fluthen die zahllosen Kellerwohnungen mit Wasser füllen, und die Ebbe, welche in heißen Sommern die Fletzen (Kanäle) trocken legt, böse Dünste veranlaßt; noch gäben die Wintervergnügungen auf dem Eise mit Hunderten von Pferde- und Handschlitten, Tausenden von Schlittschuhläufern und Spaziergängern und mit den Boutiken für Punsch, Glühwein und Warmbier auf den endlosen Eisflächen; noch der immerwährende Jahrmarkt mit zahllosen Sehenswürdigkeiten in den Budenreihen vor dem Altonaer Thore; noch gäben die Volksfeste, das Waisengrün *) (wobei die Waisenkinder in einem öffentlichen Garten gespeiset werden und das ganze Volk echt kindlich an der Freude dieser älternlosen Kinder Theil nimmt;) ferner der Lämmerabend vor Pfingsten, das Vogelschießen, die Kutschfahrten am Charfreitage, Ostern und Bettage, die zwei Tivoligärten mit Rutschbahnen und Klettermasten, die Bälle im Freien bei Erleuchtung, die Kunstreiter, die Wasserfahrten und tausend andre Gegenstände des heitersten belebtesten Volkslebens**) den reichsten Stoff zu Zeit- und Sittengemälden der Hamburger, doch längst überschritten ist der Raum, welchen in diesen Blättern die Skizze einer einzelnen Stadt einnehmen darf, und so wollen wir denn Hamburg und dessen Umgegend für jetzt verlassen und den nimmer ruhenden Wanderstab weiter setzen.




*) Das Hamburger Waisenhaus, eines der schönsten Häuser der Stadt am sogenannten Schaarthore, wurde in den Jahren 1782 — 1785 gebauet. Es enthält eine Kirche und einen mit Bäumen bepflanzten Spielplatz für die Kinder. Im Durchschnitte enthält es 600 Kinder unter und eben soviel über 7 Jahr alt. Jene Jüngern sind in guten Familien in der Stadt und auf dem Lande in Kost und Pflege gegeben. Physisches und moralisches Wohlseyn bezeugt das reinliche, frische und gesunde Ansehn der muntern Kinder. Unter der Verwaltung von wohlhabenden Bürgern, welche das Amt der Provisoren als ein wahrhaftes Ehrenamt übernehmen, blühet und gedeihet jetzt wieder diese von Davoust zerstört gewesene Anstalt auf’s neue, und hierher muß man kommen, um zu sehen, wie die hunderte von Kindern mit ihren Pflegern eine einzige große Familie bilden. — Davoust hatte 1814 alle diese Waisen erbarmungslos mitten im strengsten Winter nach dem Dorfe Eppendorf vertrieben gehabt, und die herrlichen Gebäude zu Casernen eingerichtet. Jetzt ist Alles mit neuem Leben verschönert aus der Asche hervorgegangen. D. B.

**) Auch die Bäder gehören dahin, besonders das Badeschiff auf dem Alsterbassin, die warmen Kräuter- und mineralischen Bäder des Herrn Dr. Pinçon auf dem großen Bleicher, und die neuern Russischen und Türkischen Dampfbäder; das Alexanderbad des Dr. Barries, welches kürzlich noch einen Rival bekommen hat. D. B.