Erstes Capitel: Tod des Erbprinzen. — Fürstliche Familie. — Schlacht bei Jena. — Verwundung des Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand. — Retirade. — Flucht der Fürstlichen Familie. — Ankunft des Herzogs zu Braunschweig. — Herzog Friedlich Wilhelms Ankunft. — Successions-Vertrag. — Abreise des sterbenden Herzogs aus Braunschweig.

Am 20sten September 1806 traf die Fürstliche Familie der erste harte Schlag — die Nachricht von dem Ableben des Erbprinzen Carl Georg August, — und doch sollte dieser Todesfall nur der Prolog eines tiefer greifenden Trauerspiels werden.

Ich hatte die mit Schmerz erfüllende Ehre, der Ueberbringer dieser Trauerbotschaft an den regierenden Herzog in seinem damaligen Hauptquartier zu Naumburg zu seyn. Wahrlich — eine erschütternde Nachricht für das Herz des greisen Vaters, und des für das Wohl seines Landes bekümmerten Fürsten! —


Der Erbprinz war kinderlos auf dem Lustschlosse Antoinettenruhe (zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel belegen) verstorben. Zwar würde eine unglückliche Augenschwäche es ihm schwer gemacht haben, einmal das Wohl des Landes selbstständig zu befördern, allein er war ein guter Ehemann, ein fester zuverlässiger Freund und nachsichtsvoller freundlicher Herr, dessen warme Vaterlandsliebe, bei dem redlichen Wollen alles Guten, dem unbefangenen Beobachter viel Hoffnung gab, wenn er auch in seinem stillen anspruchslosen Wirken von der Menge wenig beachtet worden war.

Dieser Todesfall, jetzt in dem Augenblick, wo der Würfel zu dem großartigsten Spiele geworfen war, mußte allerdings in dem Herzen des bekümmerten Landesvaters Sorgen erwecken, welche zu beseitigen jetzt, unter so dringenden Zeitverhältnissen, zwar um so dringender gefordert wurde, aber doch unmöglich ausgeführt werden konnte. Es war die Sorge für die Succession. Die beiden noch lebenden ältern Prinzen, Georg Wilhelm Christian und August, waren wegen einer an Blindheit grenzenden Augenschwäche, zudem noch unvermählt, wenig geeignet, in solchen unruhigen Zeiten die Zügel der Regierung zu ergreifen. Dagegen war der jüngste Prinz, Friedrich Wilhelm, Herzog von Oels, derjenige, auf welchem die Hoffnung des Vaters und des Landes ruhte. Voll Feuer und Kraft, war er der Bürde der Landesregierung auch unter den schwierigsten Verhältnissen gewachsen.

Seit 1802 mit der Prinzeß Marie Elisabeth Wilhelmine von Baden äußerst glücklich vermählt, war er Vater zweier hoffnungsvoller Prinzen, des Prinzen Carl ) — damals zwei Jahr alt, und des Prinzen Wilhelm*), welcher in dem zarten Alter von 6 Monaten sich befand. — Schon längst war es Wunsch des Herzoges Carl Wilhelm Ferdinand, diesem jüngsten seiner Söhne die Nachfolge sichern zu können, doch stand ein Landesgrundgesetz über die Primogenitur, das pactum Henrico-Wolhelminum, jedem Machtgebot hemmend entgegen, und zum Verhandeln darüber mit den Ständen des Landes oder den beiden gedachten Prinzen Georg und August fehlte jetzt die Zeit.

So ging allerdings mit Kummer und einer schweren Sorge beladen der unglückliche greise Held dem verhängnißvollen Tage der Schlacht von Auerstädt entgegen.

In Braunschweig hatte indeß der Hof in stiller Trauer, nicht ohne bange Vorahnung, am 9ten October den zweiundsiebenzigsten Geburtstag des regierenden Herzogs gefeiert.

Wohl hatten die zahlreich dort in einer stillen Zurückgezogenheit lebenden Glieder der erlauchten Familie Ursach, für den Ausgang jenes Kampfes in Thüringen zu bangen. Sie waren sämmtlich mehr oder weniger hülfsbedürftig.

Die beiden Prinzen Georg und August waren fast erblindet, die regierende Herzogin, die Prinzeß von Oranien, die Aebtissin von Gandersheim waren schon hochbetagte Damen, an die Etikette und Ordnung eines geregelten und geräuschlosen Hoflebens gewöhnt. Die Frau Herzogin von Oels endlich hatte außer der Besorgniß für das theure Leben des geliebten Gemahls, welcher unter Blücher ein Regiment commandirte, auch die mütterliche Sorge für ihre zwei Prinzen Carl und Wilhelm, die schon im zartesten Kindesalter allen Gefahren und Beschwerden weiter Land- und Seereisen in der ungünstigsten Jahreszeit ausgesetzt werden sollten.

Still, ohne Ahnung des furchtbar entscheidenden Augenblicks, ging der 14te Oetober vorüber; aber schon der 16te brachte Nachrichten, die zu entsetzlich, zu schauderhaft waren, um sogleich Glauben finden zu können. Die ganze Preußische Armee — hieß es — sei geschlagen, der Herzog zum Tode verwundet. Flüchtlinge und Versprengte waren die Ueberbringer dieser Nachricht. Man hielt dieselben für Ausreißer, die Nachrichten für übertrieben und sah mit den gespanntesten Erwartungen dem folgenden Tage — der entweder Bestätigung oder Widerlegung bringen mußte — entgegen.

Doch am 17ten erlangte man nur die schreckenvolle Gewißheit. Nicht allein Couriere brachten die Bestätigung, sondern auch immer gedrängter Massen Preußischer Krieger aller Grade, zum Theil ohne Waffen, ohne Gepäck, ohne Ordnung, wogten in den verschiedenartigsten Uniformen durch die Thore von Braunschweig. Unter ihnen befanden sich Generale und Prinzen von Geblüt, die — von ihren Regimentern und Corps getrennt — sich vergeblich bemühten, einige Ordnung wieder in das Chaos zu bringen.

Die Prinzen Paul von Würtemberg und Heinrich von Preußen brachten zuerst einige bestimmtere Nachrichten über das Unglück bei Auerstadt mit; alles Uebrige schrie nur: es sei Alles verloren und die Franzosen folgten ihnen auf dem Fuße.

Was sich aus den verschiedenen Aussagen zusammenstellen ließ und auch in der Folge bestätigte, war Nachstehendes: Am Morgen des 14ten ruhte ein dicker Nebel auf den Niederungen und Vorbergen des Thüringer Landes. Aeußerst schwierig, fast unmöglich war das Recognosciren, und doch um desto nothwendiger, als der Herzog das Hauptcorps von der Saale abgeschnitten und auf dem linken Flügel umgangen wußte.

Unglücklicherweise hatte der Fürst von Hohenlohe, welcher nur die Chaussee beobachtete, die steilen Höhen, welche rechts und links das Mühlthal bei Jena beherrschten, der Herzog von Braunschweig aber den Paß von Kosen, welcher freilich nach den bisherigen Erfahrungen für Militair-Colonnen unzugänglich war, zu besetzen außer Acht gelassen. Napoleon aber ließ in der Nacht durch Sappeurs diese Gebirgspässe nothdürftig gangbar machen und benutzte die Nebel am Morgen des 14ten, um seine Streitmassen von den Gebirgen herabzuführen und kaum bemerkt zu entfalten.

In dieser Bedrängniß jagte der Herzog Morgens um 9 Uhr im Galopp vor, um mit kalter Todesverachtung aus möglichster Nähe durch den dichten Nebel zu recognosciren, — eben gab er dem Grenadier-Bataillon Hanstein Befehl zum Angriff, als ihn von der Seite, auf eine räthselhafte Weise, eine Kleingewehrkugel traf. Mit durchschossenen Augen sank der unglückliche Fürst vom Pferde. Die Schlacht entbrannte auf der ganzen Fronte in dem Augenblick, wo der Führer derselben, welcher den ganzen Schlachtplan niemandem mitgetheilt hatte, fast besinnungslos am Boden lag. Bajonette klirrten, Kugeln pfiffen und Stücke donnerten, während der Feldherr, von beispringenden Grenadieren auf ein Officierpferd gehoben, zurückgeführt wurde, indem ein auf der Croupe des Pferdes sitzender Grenadier den ohnmächtig Schwankenden hielt.

Dieses Unglück geschah bei dem Dorfe Tauchnitz unweit des Eckartsberges. Die Kugel hatte rechts, zwei Finger breit über dem rechten Augenwinkel, den Stirnknochen oberhalb des Augenrandes stark verletzt und den linken Oberkinnladen-Knochen abgesprengt. Das rechte Auge war durchschossen, das linke unbrauchbar geworden.

Wahrlich, ein beklagenswerther Zustand! — Die Geschichte hat kein Beispiel eines ähnlichen Endes von einer langen ruhmvollen Laufbahn irgend eines Feldherrn. Die Schlacht war verloren in dem Augenblick fast, als sie ihren Anfang genommen hatte. Der Feldherr im hohen Greisenalter, des Lichts der Augen beraubt, der ihm so nöthigen Ruhe entbehrend, unter den Martern kaum erträglicher Schmerzen, wurde fortgeschleppt durch Schaaren von Fliehenden, mit dem Bewußtseyn, daß Alles verloren sei, mit der Bekümmerniß für sein Land, das jetzt dem Feinde offen stand, mit den Sorgen für die ungesicherte Nachfolge in der Regierung; — doch war von allen den Leiden, deren schon ein Einziges genügte, um einen kraftvollen Mann zu Boden zu drücken, keins so schmerzhaft, als der Verlust seines Feldherrnrufs. — „Quelle honte!“ — das war die einzige Klage, welche des Herzogs Begleiter, tief aus der schmerzbewegten Brust des an Körper und Seele gefolterten Greises aufgeseufzt, vernahmen.

Das Fahren im Wagen konnte der Schwerverwundete nicht aushalten. Man legte ihn daher auf ein Tragbett, und abwechselnde Träger trugen ihn über Blankenburg nach Braunschweig.

Wie auch Braunschweigs Bürger im ersten Augenblick der Erschütterung die Politik des Herzogs, welche ihn an die Spitze des Preußischen Heers geführt, verwünscht, und ihn selbst durch mancherlei schiefe und lieblose Urtheile verunglimpft hatten: so versöhnte doch das beispiellose Unglück ihres Fürsten die aufgeregten Gemüther wieder, und als am Abend des 20sten Octobers der zum Tode verwundete Herzog in das Schloß seiner Väter heimgetragen wurde, da füllten Tausende von Menschen mit erbleichten Angesichtern den weiten Schloßhof in der Stille der tiefsten ergreifenden Trauer und kein Auge war, das trocken blieb.

Welch ein neuer Schmerz sollte hier den unglücklichen Greis erwarten? — Fremde Hände empfingen ihn in ausgeräumten Gemächern. Alle die Seinigen hatten, in der Unmöglichkeit bei den stündlich wachsenden Gerüchten irgend einen richtigen Maaßstab für die Nähe der Gefahr zu erkennen, die Ankunft der Franzosen in jedem Augenblick erwartend, sich auf die eiligste Flucht begeben.

Schon am 17ten Nachmittags war die regierende Frau Herzogin, Abends waren die beiden Prinzen Georg und August, in der Nacht die Frau Aebtissin von Gandersheim, am 18ten Morgens die verwittwete Frau Erbprinzeß und die Prinzeß von Oranien, endlich um 1 Uhr Mittags die edle Marie, Herzogin von Oels, mit ihren beiden jungen Prinzen abgereiset.

Diese Letzteren hatte der Schreiber dieses die Ehre als Reisecavalier zu führen.

Während so die ganze Herzogliche Familie durch jene Schreckensnachrichten in den verschiedensten Richtungen auseinander gesprengt wurde, während die regierende Frau Herzogin, die beiden ältern Prinzen und die Aebtissin von Gandersheim nach Rostock, die Frau Erbprinzeß und Prinzeß von Oranien nach Schwerin, und die Frau Herzogin von Oels mit ihren beiden jungen Prinzen nach Stralsund hin sich zurückzogen, lag der todtwunde Fürstliche Greis noch einige Tage in seinem verödeten Schlosse zu Braunschweig, unter den heftigsten Schmerzen und tiefsten Seelenleiden, nur noch mit dem Wohl seines Landes und seiner Nachkommen beschäftigt.

Am 21sten October war der Herzog Friedrich Wilhelm von Oels auf der Retirade in Braunschweig eingetroffen. Mit welchen Gefühlen der schmerzlichsten Theilnahme mußte der edle Sohn den so schwer leidenden Vater wieder erblicken! Und doch drängte die Zeit zu sehr, um über den Schmerz das Nothwendige versäumen zu dürfen.

Der regierende Herzog vollzog jetzt mit erblindeten Augen die Urkunde, welche seinem jüngsten Sohne Friedrich Wilhelm die Nachfolge in der Regierung eines Landes zusicherte, das wenige Tage später, wie es schien, für immer von seinem angestammten Fürstenhause getrennt werden sollte. Die Entsagungs-Urkunden der beiden ältern Prinzen Georg und August wurden diesen nach Rostock zur Unterschrift gesendet, und am folgenden Tage schied der Herzog von Oels tief erschüttert für immer von seinem sterbenden Vater und für lange hoffnungslose Jahre von seinen ihm eben erst zugesicherten Erblanden, um sich unter Blüchers Oberleitung wieder auf seinen militairischen Posten zu der retirirenden Reserve zu begeben.

Vergeblich hatten abgesendete Deputationen von Braunschweig aus bei Napoleon und dem das nächste Französische Armeeeorps befehligenden Marschall für den verwundeten Herzog Ruhe und Sicherheit, für das Land Schonung und wo möglich Neutralität nachgesucht. Abgeschlagen wurde die erstere Bitte, mit höhnender Hindeutung auf das Manifest aus der Champagne, und schwankend, nur halb gewährt das letztere Gesuch.

Braunschweig gewährte also nicht einmal seinem sterbenden Fürsten mehr Sicherheit. Am 25sten Ottober Nachmittags führte man den unglücklichsten aller Fürsten der neuern Zeit, auf einem dazu eigens vorgerichteten Wagen, auf der Straße nach Hamburg weiter. Hunderte von weinenden Bürgern begleiteten die noch lebende Fürstliche Leiche in tiefster Trauer. Jetzt war die letzte Spur des Krankenwagens ihren Blicken entschwunden und die tiefste Wehmuth hatte Alle ergriffen. Braunschweigs Genius war dahin, — fremde Krieger, auf regelloser Flucht, durchzogen die Stadt, und die Feinde waren unaufhaltsam im Anzuge.

Die Braunschweiger sollten ihren Vater nicht wiedersehen, — sie hätten ihn ja doch im Sturmdrange der Zeit verloren gehabt. So empfand er nur den ersten heftigsten Schmerz der ersten Unglückstage und verschlief die Leidensjahre, welche seiner Familie und seinem Lande noch bevorstanden.

Doch es wird Zeit die hohen Reisenden zu begleiten, welche am 19ten October sich vor dem heranbrausenden Wettersturm des Krieges zurückgezogen hatten.




*) Welcher jetzt als regierender Herzog sein Land beglückt.

**) Des jetzt regierenden Herzogs von Oels, in Berlin lebend.