Drittes Capitel: Ribnitz. — Dammgarten. — Stralsund (vom 23sten October bis 15ten November).

Mittages trafen wir in Ribnitz ein, einem Fischerstädtchen an dem bedeutenden Meerbusen der Ostsee, in welchen bei Dammgarten die Recknitz sich ergießt. Der erste Anblick einer so bedeutenden Wasserfläche mit den hochgehenden Wogen und der schäumenden Brandung hat für jeden, der aus dem Innern des flachen Landes kommt, etwas Ergreifendes. Das Gemüth fühlte sich erhoben und durch den Hinblick auf das Bild der Unendlichkeit zu einer weichen Sehnsucht gestimmt.

Die Frau Herzogin war ermüdet von der beschwerlichen, bis weit in die Nacht sich hineinziehenden Reise, und beschloß hier die Nacht zu verweilen. Aber als ob dem vom Schicksal Verfolgten auch die Elemente keinen Ruhepunkt gönnen wollten, so erhob sich in der Nacht ein furchtbarer Orkan, welcher durch das ungewohnte Brausen der Brandung und das Heulen des Sturms jede Möglichkeit der Ruhe verscheuchte.


Erschöpfter als Tages zuvor setzte die Frau Herzogin am folgenden (den 24sten Oct.) die Reise fort.

Zwischen Ribnitz und Dammgarten wurde die Schwedisch-Pommersche Grenze erreicht. Auf dem langen, durch Moräste ziehenden Damm hatten Schwedische Invaliden die Barriere besetzt.

Das von Fischern und Schiffern bewohnte Städtchen Dammgarten liegt mit seinen 900 Einwohnern am Einfluß der Recknitz in denselben Meerbusen. Die Armuth und Genügsamkeit der Bewohner verräth sich durch die Strohdächer ihrer Lehmhütten, welche oft ohne Schornstein den Rauch durch die Thüren hinauslassen.

Nachmittags fuhren wir ein über Zugbrücken, durch Schlangenlinien und starkbefestigte Thore in die damals noch Schwedische*) Festung Stralsund.

Die Frau Herzogin nahm ihr Absteige-Quartier bei dem Commandanten Obristen Peyron. Ich logirte in der Nähe in einem Privathause.

Damals sah es dort sehr kriegerisch aus. Die Wälle und Festungswerke waren im besten Stande**) und mit Kanonen stark besetzt. Die zahlreiche Besatzung bildeten Schwedische und Pommersche Regimenter. Als General-Gouverneur von Schwedisch-Pommern war der General Baron von Essen äußerst thätig. Landwehr-Regimenter wurden zusammen gezogen und an den Festungswerken wurde eifrig gearbeitet. Die Festung ist fast ganz vom Wasser umgeben und nur durch Brücken mit dem Lande verbunden. Die Meerenge Gellen trennt auf der Nordseite Stralsund von der Insel Rügen ***). Auf den drei Landseiten umgeben große Teiche und Kanäle von süßem Wasser die Festung, so daß der Platz in militairischer Hinsicht zu den unzugänglichsten Punkten gehören würde. Noch hatte Schill dort nicht den Kampf der Helden von Termopylä erneuert****).




*) Bekanntlich wurde Stralsund mit Schwedisch-Pommern durch den Frieden zu Kiel (1814) an Dänemark und von diesem Staate (am 4ten Juli 1815) an Preußen abgetreten. Seitdem bildet es den Sitz einer Regierung in der Provinz Neu- und Vorpommern. D. B.

**) Neuerlich sind die Wälle geschleift und in angenehme Spaziergänge verwandelt, deren reizende Aussicht jedoch durch die Verpachtung des Grases, welche die schönsten Standpunkte unzugänglich macht, sehr leidet. Kürzlich ist jedoch nach der Seeseite hin die Befestigung wieder hergestellt. D. B.

***) Welche jetzt der schönen Welt besser als damals, durch die beliebten Seebäder bekannt geworden ist. D. B.

****) Der 31ste Mai 1809 war der für Stralsunds Bewohner so schreckenvolle Tag, wo jede Straße ein Defilé, jedes Haus eine Festung war. Der Brunnen in der Fahrstraße, in dessen Nähe Schill blieb, heißt jetzt zur Erinnerung der Schills-Brunnen. Sein Körper liegt ohne Bezeichnung der Stelle auf dem Kirch Hofe begraben, sein Kopf befindet sich in einem Privat-Museum in Leyden. Was hatte Schill mit seinem glühenden Patriotismus und Heldenmuth vier bis sechs Jahre später unter günstigern Verhältnissen dem Vaterlande werden können? — So war er ein beklagenswerthes Opfer der im Feuereifer mißverstandenen Zeit geworden. D. B.




Ueber 13,500 Einwohner in 1500 Häusern *) bildete die wohlhabende Bevölkerung der Stadt, welche durch den guten Ostseehafen einen bedeutenden Handelsverkehr gewonnen hatte. Merkwürdig ist hier der ganz eigenthümliche Handel mit Malz welches bei den, für die Bereitung desselben so günstigen Seewinden in großen Quantitäten gewonnen und bis zu 6 bis 7000 Lasten jährlich ausgeführt wurde. Der Handel mit Pommerscher Wolle, Weitzen, Gerste, Roggen und Erbsen geht nach Verhältniß der Conjuncturen nach Holland, England, Frankreich, Spanien, ja selbst bis in die Levante**).

Die fünf Kirchen, mit Kupfer gedeckt, und ihren Thürmen geben der alterthümlichen Stadt ein bedeutendes Ansehen. Sehenswerth ist die einfach schöne Marien-Kirche von ausgezeichneter Bauart, mit einem hohen Kreuzgewölbe, einer vorzüglichen Orgel und manchem guten alten Gemälde; dann der Dom mit seinen Grabsteinen und Denkmälern und dem besonders schönen Taufstein. Aufmerksamkeit verdient auch die altgothische Bauart der Nicolai-Kirche, mit gutgehaltener Glasmalerei; endlich die Jacobi-Kirche, in welcher zwei Altarblätter von Tischbein***) mit Recht bewundert werden.

Nicht unbedeutend ist die Rathsbibliothek von 12,000 Bänden; sehenswert ist das dem Gymnasium gehörende Cabinet altrömischer Münzen, auch als Curiosum das von einem Grafen von Löwen dorthin geschenkte Cabinet, in welchem Kupferstiche, Pfeifenrohre und andere gedrechselte Sachen mit Landcharten, Modellen von Festungswerken, mit Büchern, physikalischen Instrumenten und mancherlei werthlosen Gemälden durch einander geworfen sich finden und den bizarren Geschmack eines eifrigen Sammlers beweisen. Mit Trinkwasser ist die Stadt, die fast ringsum von süßem Wasser umgeben ist, nicht gut versorgt. Das Wasser aus den Brunnen ist kaum trinkbar, und das Wasser, welches eine von drei Pferden in Bewegung gesetzte Wasserkunst aus den benachbarten Teichen schöpft und den Einwohnern in Röhren zugeführt wird, ist nicht viel besser, auch der Gesundheit nachtheilig. Wohlhabende Familien lassen daher ihr Trinkwasser über die Meerenge von Rügen herbringen, welches einen vortrefflich reinen Geschmack hat.

Einen sonderbaren Eindruck macht die altgothische Bauart der meisten Häuser, welche mit der Giebelseite nach den Straßen hin stehen. Einige derselben haben auf dem obersten Stock eine, vor der ganzen Hausreihe durchlaufende, kunstreich im gothischen Geschmack durchbrochene Mauer, welche den Giebel versteckt. Der alte Markt ist der größeste Platz in Stralsund, auf welchem die im neuern Styl erbaute Hauptwache mit dem altgothischen, sehr weitläufigen Rathhause, dessen Hauptseite mit einer durchbrochenen Wand, die sich in sieben Thurmspitzen endigt, verziert ist, einen sonderbaren Contrast bildet.

Ein Bollwerk, welches einige hundert Fuß in die Meerenge hineingeht, die Fahrbrücke genannt, dient zum Ein- und Ausladen der dort vor Anker liegenden Schiffe. Nicht weit davon ist der Platz, wo Ballast ein- und ausgeladen wird. Von hier aus öffnet sich mit der lebendigsten Staffage von Schiffen, Matrosen, Kaufherrn und Arbeitern die reizende Aussicht auf die Insel Rügen mit ihren romantischen Kreidefelsen jenseit der Meerenge. Mit einer halben Wendung nordöstlich fällt der Blick auf die mit freundlichen Gartenanlagen verzierte Insel Dähnholm, welche ehemals Stral hieß und wahrscheinlich der Stadt den Namen gegeben hat. Dorthin macht man von Stralsund aus im Sommer oft kleine Lustparthien.

Ueberhaupt weiß man in Stralsund angenehm zu leben. Auffallend war es mir dort schon, die Schwedische Sitte des sogenannten Anbisses vor der Tafel anzutreffen. Ist nämlich die Gesellschaft vereinigt, so wird Liqueur oder Spanischer oder Portugiesischer Wein in kleinen Gläsern herumgegeben. Erst wenn das Gläschen geleert und ein Schnittchen Semmel dazu gegessen ist, geht man zur Tafel. Hier wird nun zum zweiten Male Ballast geladen, wie man in der Schiffersprache sagen würde, denn das Voressen besteht aus Brod, Butter, Käse, Spickaale, Flunder, Schinken, feine Ragouts u. dgl. m. Dann erst, wenn der Magen seine gehörige Grundladung hat, beginnt man die Befrachtung mit Suppe und den andern Gerichten, wie bei uns Sitte ist.

Doch alle die Annehmlichkeiten, welche unter günstigern Umständen in einer schönern Jahrszeit uns erfreut haben würden, konnte die vom Schicksal verfolgten Flüchtlinge nur schmerzlich an die verlorne Heimath erinnern. Und dazu lauteten immer betrübender die kaum noch durch die immer näher heranziehenden Franzosen sich durchschleichenden Nachrichten. Täglich kamen versprengte und flüchtige Preußen hier an, welche auf die Insel Rügen und von da weiter hinauf nach den Preußischen Ostseehäfen transportirt wurden. General von Armfeld rückte mit einem Truppencorps aus, um die sich in der Nähe der Festung zeigenden Franzosen zurückzuwerfen, doch diese hatten sich bei seiner Annäherung zurückgezogen. Auf der Grenze aber versammelten sich starke feindliche Corps. Man erwartete eine Belagerung der Stadt und rüstete sich ernstlich zur Gegenwehr. Flache Kanonenböte von der Schwedischen Sperrflotte wurden ausgerüstet, um die Festung von der Seeseite zu decken, auch mußten alle Schiffe aus dem Hafen sich zurückziehen und in großer Entfernung sich vor Anker legen. Zugleich wurde die Landwehr zusammen berufen, um damit die Insel Rügen und die Grenze zu besetzen, — kurz unter der thätigen Leitung des Generalgouverneurs von Schwedisch-Pommern, General Baron von Essen, gewann Alles ein ernstlich kriegerisches Ansehen.

So sah denn die Frau Herzogin sich auch dieses Asyls, welches keine Sicherheit mehr gewährte, beraubt, und mußte sich entschließen, in der strengsten Jahrszeit Stralsund zu verlassen und nach Schweden zu gehen.

Doch das Wohl unsrer hohen Reisenden hing zu innig mit dem Schicksal ihres hochherzigen Gemahls zusammen, welcher auch von den Zeitereigniffen grade in dieser Zeit wieder aufs Neue hart berührt wurde, um nicht einen Rückblick auf jene betrübenden Zeitereignisse zu fordern.




*) Nach einer neuern und zuverlässigern Zählung 1475 Häuser und 15,876 Einwohner. — Vergl. W. Mila Reise durch die Preußischen Staaten, ein Handbuch für Fremde und Einheimische. Weimar, 1821. D. B.

**) Im Jahre 1826 sind hier und zu Barth 306 Seeschiffe ein- und eben so viel ausgelaufen, von diesen waren 129 beladen und 177 beballastet; von jenen waren 199 Preußische und 107 Ausländische. Hauptartikel der Einfuhr waren: Pottasche, geschmiedetes Eisen, Hanf, Flachs, Häute, Felle, Wein, Südfrüchte, Gewürze, Kaffee, Zucker, Oel, Steinkohlen, Theer und Pech; Hauptartikel der Ausfuhr: Getraide, Malz, Hülsenfruchte, Hanf-, Rübe- und Leinsaat (Steins Reisen etc. Leipzig, 1827. 1stes Bdchn. S. 88). D. B.

***) Von den drei berühmten Malern aus der Familie Tischbein war dieser der Jüngste, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Director der Maler-Akademie zu Neapel, der bei dem Ausbruch der Revolution daselbst (1799) nach vielen Gefahren mit seinen Kunstschätzen sich nach Deutschland rettete, seit 1820 in Hamburg aufhält, und unter andern das berühmte Altargemälde für die Stadt Bremen: „Lasset die Kindlein zu mir kommen,“ malte. D. B.