Dreizehntes Capitel: Wabern. — Insberg. — Marburg. — Gießen. — Wetzlar. — Butzbach. — Nauheim. — Friedberg. — Vom 31sten August bis zum 1sten September.

Anderthalb Stunden von Cassel führt eine, jedoch kaum fahrbare, steile Straße durch das Baunethal, einen Berg hinab und einen zweiten wieder hinauf. Könnte man doch hier eine Luftbrücke anbringen, die beide Berge verbände und die Reise sicherte und abkürzte*).

Ueberhaupt wlrd die Gegend zwischen Cassel und Frankfurt a. M. immer reicher an romantischen Bergparthien. — So ist Fritzlar, ein unfreundlich gebautes Städtchen, doch höchst reizend belegen an den Ufern der Eder. Dort befindet sich ein Kloster für Ursulinernonnen, nach der strengen Regel, die sich jedoch durch eine Erziehungsanstalt für junge Mädchen nützlich machen. Kaum hat man Fritzlar im Rücken, so erscheint rechts auf einer Anhöhe die verfallene Burg Urff, welche der jetzige Besitzer mit neuen Parkanlagen, Springbrunnen und Lustwäldchen sehr romantisch in Verbindung gebracht hat.


In dem Dorfe Wabern (mit 730 Einwohnern) liegt ein altes, aber noch immer freundliches Churfürstliches Lustschloß, so wie auch in dem Dorfe Insberg (mit 800 Einwohnern).

Endlich eröffnete sich die malerische Ansicht von Marburg. Diese alte Universitätsstadt mit 6600 Einwohnern ruhet da, ausgebreitet vor unsern Blicken, an der leicht aufsteigenden Höhe eines Berges. Den Gipfel krönt, in grau gehaltenen Umrissen, die alte gothische Elisabetkirche.

Marburg ist bekanntlich die Hauptstadt in der Churhessischen Provinz Oberhessen. Ein Flüßchen Marr hat ihr wahrscheinlich, so wie auch dem Dörfchen Marbach, den Namen gegeben. Doch ist es die Lahn, in welche sich die Marr ergießt, die denn auch von der eigentlichen Stadt selbst die Vorstadt Weidenhausen trennt. 6000 Einwohner haben dort ihre Nahrung vorzüglich von der 1527 gestifteten Universität, deren Bibliothek über 100,000 Bande enthält. Die. Zahl der Studirenden steigt selten über 300**).

Merkwürdig ist das alte Bergschloß mit dem herrlichen gothischen Saale, in welchem einst Luther und Zwingli sich trennten.

Von den sieben Kirchen verdient die St. Elisabetkirche alle Aufmerksamkeit. Es ist ein herrliches altgothisches Gebäude, welches im 13ten Jahrhunderte die (1236) nach ihrem Tode kanonisirte Thüringische Landgräfin, Elisabet die Heilige, eine Ungarische Prinzessin, begründete. Sie hatte ihren geliebten Gemahl in einer blutigen Fehde verloren und suchte jetzt Ruhe und Trost für ihr tiefgebeugtes Gemüth in der Stille der Klostermauern unter den Pönitenzen der strengsten Ordensregel. Nach ihrem Tode vollendete ihr Schwager, der Hochmeister Landgraf Conrad, mit einem Vereine Deutscher Ordensritter den Bau, welcher achtundvierzig Jahre gedauert hatte. Das Standbild der heiligen Elisabet findet sich rechter Hand vom Hochaltare in einer vergitterten Blende aufgestellt. Damals, in der Zeit des Glaubens an die wunderthätige Kraft, welche der fromme Wahn den Gebeinen der Heiligen zuschrieb, zogen zahllose Pilger hierher und besonders aus dem Geburtslande der Heiligen, dem fernen Ungarlande, und knieten mit inbrünstigen Gebeten vor der Blende. Noch trägt der davor liegende Stein in einer leichten Aushöhlung die Spuren zahlloser Kniebeugungen. Den Teppich, welcher noch jetzt den Hochaltar bekleidet, betrachtet gewiß Jeder auch jetzt noch mit einer gewissen Ehrfurcht; denn er ist von ihrer eignen Hand gewebt. Ehre den Altdeutschen Hausfrauen! — Wie sehr auch oft jener Zeit die Fehden und die Humpen der Männer das Gepräge der rohen Kraft aufgedrückt hatten, die Stille der Frauengemächer in den einsamen Burgen bewahrte um desto heiliger die Ehre der Frauen und Jungfrauen. — Wie haben die Zeiten sich geändert! —

Merkwürdig, sowohl in Hinsicht der Kunst, wie auch als bedeutender Kirchenschatz, ist der Sarg der Heiligen, welcher, in der Form einer Altgothischen Kirche, mit vergoldetem Kupferblech überzogen und vieler Bildnerei in halb erhabner Arbeit geschmückt ist. Christus mit den 12 Aposteln und die heilige Jungfrau sind daran aus massivem und im Feuer stark vergoldetem Silber abgebildet; eine zahllose Menge von kostbaren Perlen und Edelsteinen, besonders schöne antike Gemmen und Cameen gaben dem Kunstwerke, selbst in den Augen der Ungläubigen und Starkgläubigen, einen fast noch höhern Werth, als der fromme Zweck desselben in den Augen der Gläubigen ***).

Ueberhaupt ist es den Gebeinen der heiligen Elisabet ein wenig übel ergangen. Leider befanden sich diese Reliquien zu weit nördlich im Ketzerbereich der Reformation.

Schon der Landgraf Philipp der Großmüthige, welcher zuerst (1559) in der Elisabetkirche von einem Lutherischen Geistlichen predigen ließ, störte zum großen Aergerniß des katholischen Landcommenthurs Wolfgang Schutzber die Ruhe der Heiligen. Er ließ ihre Gebeine aus dem Sarge nehmen und in der Kirche beerdigen, um dem Aberglauben keine weitere Nahrung damit zu geben und sprach dabei in treuherziger Laune: „Komm her, Du alte Muhme Els, — Du bist ja meine Aeltermutter und Deine Gebeine sind meines Gebeins.“ Auch das Haupt der Landgräfin mit der goldnen Krone ihrer Heiligsprechung auf der Stirn fand sich damals in einem Kirchenschrein vor. Später sind, wie es heißt, die Knochen wieder ausgegraben und als Reliquien in alle Welt verhandelt. Damals standen — wie alte Inventarien bezeugen — solche echte Reliquien im hohen Preise, und der Rippe der heiligen Elisabet wurde eine solche Kraft, Eide zu binden, zugeschrieben, daß ihre Tochter, Sophie von Brabant, den Markgrafen Heinrich von Meißen darauf einen Eid ablegen ließ.

Außer diesem kostbaren Sarge enthält die Kirche noch einige werthvolle Malereien und Schnitzwerke von Albrecht Dürer und mehrere Grabmäler, unter welchen das des Landgrafen Wilhelm des Jüngern einen schaudererregenden Eindruck macht. Dort sieht man den Ritter aus Stein gehauen, in voller Rüstung liegend, wie Schlangen den Leichnam zernagen. So hatte man den auf einer Jagdparthie Verunglückten im Walde gefunden.

Von jetzt an wird die Gegend reizender. Ueber Wiesenteppiche zwischen Laub- und Rebenhügeln hindurch, windet sich das Silberband der Lahn. Ernst schauen von den Höhen Ruinen von Ritterburgen herab und eine südliche Natur weht uns an.

Sonderbar, wie in einer so reizenden Natur der Naturmensch gerade am meisten die Formen der Natur verlassen kann. Man muß diese Bauerdirnen sehen mit ihren Wülsten auf den Hüften, über welche der weite glockenförmige Rock nur bis an die Knie herabreichend gehängt ist, um diese Bemerkung in der monströsen Kleidung derselben bestätigt zu finden. Was im nördlichen Deutschland auf dem Rücken getragen wird, tragen Frauen und Mädchen hier auf den Köpfen. — Das sind wahrlich materiellere Kopfarbeiten, als die Erzeugung der ganzen Literatur von Deutschland erfordert hat.

Gießen****), die alte Hessische Universitätsstadt (8000 Einwohner), mit dem alten Schlosse, möchte wohl niemand eben ihrer innern Schönheit wegen besuchen, obwohl die Lage am Zusammenfluß der Lahn und Wieseck ungemein reizend ist.




*) Das ist geschehen. Eine der kühnsten und merkwürdigsten Kunststraßen, welche sich denken lassen, hat der verstorbene Baudirector Jussov erbauet und 1826 dem Publicum eröffnet. Zwei Berge von 160 Fuß und 190 Fuß Höhe sind durch einen Erddamm von 2000 Fuß Länge verbunden, welcher oben 48 Fuß Breite und auf der tiefsten Stelle des Thals 55 Fuß Höhe hat. Hier öffnet sich ein 30 Fuß weiter und 55 Fuß hoher Brückenbogen für den oft hoch anschwellenden Baunebach. Dabei sind die beiden Berge auf Längen von 1700 und 2700 Fuß um 9 bis 15 Fuß tief eingeschnitten, so daß die Chaussee durch das sonst so tiefe und unfahrbare Thal jetzt nur eine Mulde bildet, mit einem Abhang nach der Brücke hinab von 1/32 und mit einer Steigung auf die höchste Höhe zu 1/28. D. B.

**) Durch Aufhebung der Universität zu Rinteln im Jahre 1809 wurde Marburg die einzige Landesuniversitat und bekam dadurch etwas mehr Frequenz. Am 28sten Juli 1827 bei der Feier des dritten Säcularfestes befanden sich dort 360 Studenten.

***) Charakteristisch ist es, daß der Sommerkönig a) von Westphalen als ein guter Katholik doch dieses Heiligthum mit ziemlich profanen Blicken abgeschätzt zu haben schien. Er ließ es nach Cassel holen, Anfangs im Schlosse, dann im Museum aufbewahren und endlich kam es unter Aufsicht und Verwahrung eines Französischen Officiers. Als nun endlich nach der Auflösung des Königreichs Westphalen die Kirche ihren Schatz zurück erhielt, fehlten 117 der kostbarsten Steine, und namentlich alle die werthvollen antiken Gemmen und Cameen, unter diesen auch der berühmte geschnittene Onyx, von der Größe eines Silberguldens, mit den Köpfen von Kastor und Pollux, wofür einst ein Churfürst von Mainz das ganze Amt Amöneburg geboten haben soll. Selbst die Heiligenbilder sind beraubt — so hat man das Bild des Gekreuzigten entwendet, dem Jesuskinde einen Arm und mehreren Aposteln die Hände abgebrochen, ja sogar dem heiligen Petrus die goldnen Himmelsschlüssel genommen. So ist es denn noch für Altertumsforscher ein Glück, daß der Professor Ullmann in Marburg früher alle diese Gemmen in Siegellack abgedrückt hatte und noch bewahrt. D. B.

a) Sommerkönig — so wurde bei Baron Theodor von Neuhoff, bekanntlich der ephemere König von Corsica, auch genannt.

****) Hatte 1826/1827 4l8 Studenten. D. B.




Zwei Meilen weiter erreichten wir die alte berühmte Stadt Wetzlar. Hier war bekanntlich vor Auflösung des abgestorbenen Reichskolosses das Reichskammergericht, welches den ehrenwerthen Ruf hatte, den Processen eine wahre Unsterblichkeit zu geben. Schneckenartiger, als hier, ist gewiß in ganz Deutschland — der alten Heimath des Schlendrians — die liebe Justitia nirgend gekrochen. Die Partheien mußten eigne Residenten dort halten und besolden, welche kein andres Geschäft hatten, als die rückständigen Sachen zu erinnern. Als 1806 das Reichskammergericht aufgehoben wurde, fanden sich noch 80,000 Proteste unerledigt. Doch man würde unrecht thun, den würdigen Männern, welche in der letzten Zeit dieses Gericht bildeten, die Schuld davon beizumessen. Sie lag an der unzureichenden Besetzung und Besoldung*) der Beisitzer und dem höchst schwerfälligen und umständlichen Geschäftsgange.

Jetzt ist Wetzlar Preußisch. Die Lage ist äußerst romantisch in einem von Bergen rings umgebenen Thale an der Lahn, über welche eine steinerne Brücke führt.

Die Ruinen, welche wir auf einer steilen Höhe vor der Stadt erblickten, sind die Trümmer des alten Schlosses Karlsscheit oder Karlsrund, welches merkwürdig ist wegen des Gefechts vom 15ten Juni 1796, in welchem ein Oesterreichisch-Sächsisches Corps unter Werneck den General Lefevre mit seinen Republikanern zurückdrängte.

Wer erinnert sich nicht in Wetzlar an Göthe’s: Leiden des jungen Werther, die in der sentimentalen Periode des 18ten Jahrhunderts eben so viel Unheil durch Ueberspannung anrichteten, als im 19ten Jahrhundert der sentimentale Mysticismus. Hier war der Schauplatz der Liebenden. Mancher Reisende wandelt mit Göthe’s Werther in der Hand zu Werthers Grabe oder zu Lottens Brunnen vor dem Wildbacher Thore. Wer wäre nicht begierig, das Dorf Wahlheim des Romans zu sehen? — Es ist das Dorf Garbenheim, ½ Stunde von der Stadt.

Bei der Hessischen Stadt Butzbach, welche unter ihren 2100 gewerbsfleißigen Einwohnern allein 140 Schuhmacher mit eben so vielen Gesellen zählt, erfreut schon die fruchtbare Gegend der Wetterau.

In der Nähe des Churhessischen Fleckens Nauheim (1200 Einwohner) erfreut sich das Auge an den malerischen Höhen des Johannisberges, an dessen berühmten Rebensaft der Feinschmecker köstliche Reminiscenzen knüpft. An bedeutenden Salzwerken vorüber führt uns der Weg nach Friedberg, der Großherzoglich Hessischen vormaligen freien Reichsstadt (mit 2600 Einwohnern, worunter 500 Juden), dessen malerische Lage am Fuße des romantischen Taunusgebirges an den schönen Ufern des Usbach ungemein reizend ist. Besonders schön liegt die alte Pfalzburg Friedberg, die Residenz der Burggrafen von Friedberg**).

Hier schon beginnen die segensreichen Mineralquellen des Taunus, wenigstens befinden sich in der Nahe zwei Sauerbrunnen von nicht unbedeutendem Rufe, zu Schwalheim an der Wetter, einem Churhessischen Dörfchen, und in dem Großherzoglich Hessischen gemeinschaftlichen Marktflecken Vilbel, an der Nidda.

Jetzt aber beginnt das rege Leben und Treiben, welches immer die Nähe großer Städte verkündigt, und wir erblicken die größeste süddeutsche Handelsstadt Frankfurt am Main.
Am 1sten September Nachts um 12 Uhr traf ich dort ein. Die Herzogliche Familie war schon Tages zuvor angelangt.




*) „Die Besoldungen der Kanzlei-Personen — sagte der Geheimerath von Zwierlein in seinen Briefen und Abhandlungen über die Verbesserung des Justizwesens am Hammergericht — erstrecken sich gerade so weit, daß ein Hausvater mit seiner Haushaltung sich gegen den Hunger schützen kann, aber sich zu kleiden, oder nur seine Blöße mit einem Hemde zu bedecken, so weit reichen sie nicht.“ — Der Kammerrichter, welcher Fürstlichen Rang hatte, genoß zwar eine Besoldung von 11,733 Rthlr. 30 Kr., auch hatten die Präsidenten 3656 Rthlr. Gehalt, allein die Kammergerichtsassessoren erhielten nur 2000 Fl., der Kanzleiverwalter 1280 Fl., jeder der drei Protonotarien 853 Fl. 20 Kr., die Notarien 658 Fl. 43? Kr., die Leser (Registratoren) 456 Fl. 40 Kr., und da diese Gehalte meistens auf die unzulänglichen Sporteln angewiesen waren, so verzögerte sich die Zahlung oft Jahrelang. Anstatt der gesetzlich bestimmten 50 Beisitzer waren zuletzt nur vorhanden 14 Katholische und 13 Evangelische. D. B.

**) Jedoch nur bis 1819. D. B.