Fünfzehntes Capitel: Darmstadt. — Bergstraße. — Heidelberg. — Rohrbach. — Heidelberger Schloß, Bruchsal. — Vom 2ten bis 13ten Septbr.

Am 2ten September Mittags, bei dem köstlichsten Wetter fuhren wir von Frankfurt wieder ab.

Der Weg nach Darmstadt beträgt nur drei Meilen, die aber im Fluge durch die lieblichen Villen und freundlichen Weingarten, dann durch die tiefen Schatten der herrlichen Waldungen leicht verschwinden. Nachmittags befanden wir uns in Darmstadt, der reizenden Residenz des Großherzogs. Die Herzogliche Familie mit dem Gefolge war im Palais des Erb-Großherzogs abgestiegen. Die Königin von Baiern war auf der Reise krank geworden und in Hofgeismar geblieben.


Darmstadt ist wohl jetzt, nachdem alle die Bauten, die damals angefangen waren, vollendet sind, die freundlichste Residenz in ganz Deutschland. Die ganze Stadt scheint in einem blühenden Park zu liegen. Jedes Haus ist eine Villa, von Baumgruppen und Blumenparterre umgeben. Das Schauspielhaus liegt mitten im Großherzoglichen Park, welcher, im Englischen Geschmack angelegt, einen reizenden Naturgarten bildet. Um wie viel schöner ist es neuerlich noch geworden! Vom Oktogon des Luisenplatzes aus darf man nur die neuen prachtvollen Häuser mit der reinen Architektur, in den schnurgeraden Straßen und die unermeßlichen Perspectiven der Alleen sehen, und der Wunsch, hier in diesem Elysium zu wohnen, wird Jeden, der Sinn für das Schöne hat, durch das ganze Leben begleiten.

Doch hält man es für angemessen, die Phantasie wieder abzukühlen, so wende man sich zum Herzoglichen Schlosse, welches durch die vielen neuen Anbaue noch immer nicht den Charakter einer Gothischen Burg ganz verloren hat, und wandre hinter demselben durch die Altstadt, welche trotz mancher Verschönerungen noch immer die engen krummen Gassen und alterthümliche Bauart der älteren Städte nicht verläugnet.

Es war am 4ten September, als endlich die sehnlichst erwartete Königin von Baiern ankam. Am 7ten gingen die hohen Reisenden von Darmstadt wieder ab und unser Weg führte auf der lieblichen Bergstraße entlang über Heppenheim, Weinheim, Heidelberg nach Rohrbach.

Darmstadt ist die Pforte des Deutschen Eden, durch welches die Bergstraße führt. Schon eine Meile hinter Darmstadt beginnt dieser meilenlange Fruchtgarten der üppig vegetirenden Pfalz. Leise aufsteigend führt der Weg, von Wallnußbäumen und andern Obstbäumen fast überwölbt, auf die Höhen des Cattimöliböcus hinauf. Rechts sucht das Auge vergeblich die Grenzen der im üppigsten Grün von Traubengolde durchschossen, sich majestätisch erhebenden Weinberge, und links schweift der Blick auf die endlose, leicht gehügelte Ebne der Rheinpfalz, in welcher wogende Kornfelder und sammtgrüne Wiesen mit rothbedachten Dörfern wie ein unermeßlicher Teppich gestickt zu seyn scheinen.

Auf der Höhe des Cattimöliböcus (der auch Katzenellenbogen oder Malchen von den prosaischen Bewohnern der poetischen Gegend genannt wird) erweitert sich der Horizont nach allen Seiten und ein geschmackvolles Wirthshaus ladet durch ausgehängte Traubenzeichen dazu ein, sich von der Höhe der poetischen Begeisterung in die der Bacchischen zu versetzen.

Und dieses Zeichen wiederholt sich weiter nach Heidelberg zu so oft, daß man leicht versucht wird, bei einem Hinblick auf die Ruinen untergegangener Ritterburgen mehr an die guten alten Humpen, als an Schwert und Lanze der hier waltenden Ritter zu denken. Eine solche Ruine, die der alten Starkenburg, schauet hoch herab von der steilen Höhe über Heppenheim.

Weinheim, mitten in einem Kranze von Rebenhügeln belegen, trägt von Diesen den Namen.

Gegen Heidelberg zu erheben sich die Gebirge schon zu bedeutenden Höhen und gewaltiger, kühner steigen empor die stummen Zeugen einer untergegangenen Vorzeit, jene alten Ritterburgen, die mit ihren malerischen Ruinen jetzt so still und schaurig auf die friedlichen Winzer herabschauen. Dort über Weinheim hinaus ragen die Felsenmauern von Windeck empor, von Rebengeländen umkränzt.

Schaurig aber aus der Tiefe und über die Höhen heran rauschen die Wipfel des dunklen Odenwaldes, zu welchem das Birkenauer Thal gleichsam die heilige Pforte bildet — denn noch sieht man dort die Felsenspuren des alten Thors, welches Odins geweihte Haine verschloß.

Noch diesseit Schiersheim leuchten die weißen Gemäuer der Strahlenburg herab. Diese Burg war der Stammsitz des Grafen Wetter von Strahl, welchen Heinrich von Kleist in seinem Käthchen von Heilbronn zum Helden wählte. Auf dieser Höhe zündete Friedrich Barbarossa für die weite Umgegend als eine dräuende Wetterflamme die Burggebäude an und ließ die gefangenen Ritter tief unten im vorüberrauschenden Neckar schmählich ertränken.

In der Nähe von Schiersheim finden sich noch Altrömische Bader als Denkmäler einer noch ältern gewaltigen Zeit. Doch die Vorzeit ist so reich an köstlichen Rückerinnerungen in dieser herrlichen Gegend, daß wir nicht weiter kommen würden, wollten wir noch länger uns bei der Vergangenheit verweilen.

Ueberaus lieblich liegt das sonderbar benannte Dörfchen Handschuhsheim, bald aber steigt der Weg bei Neuenheim von dem Gebirge, über welches die freundliche Bergstraße zieht, herab, wendet sich kurz hinter Neuenheim und plötzlich erblickt man tief unten durch die Bäume schimmern die silberglänzenden Wellen des Neckar. Noch wenige Schritt weiter und die Landschaft hat plötzlich ihren Charakter verändert.

Wie durch eine geheimnißvolle magische Gewalt hervorgezaubert, erscheint plötzlich ein entzückendes Wunderbild. Den Vordergrund bildet rechts der Neckar, in dessen breitem Flußbette die spiegelglatte Fluth still wie Schwäne dahingleitende Nachen trägt. In gewaltigem Contrast damit steigt links vom Wege die Bergwand himmelan, welche Weingärten und Rebenlauben, von hellsingenden Winzerinnen belebt, wie mit einem Gewebe von Laubguirlanden umspinnen. Im Mittelgrunde erhebt sich Heidelberg, über welches mit feierlichem Ernst die ehrwürdigen Trümmer des alten Gothischen Schlosses hinabschauen und darüber hinaus begrenzt den Hintergrund ein dunkles Waldgebirge.

So nahten wir uns dem berühmten Musensitze, fuhren über die alte massive Brücke, welche auf hochgeschwungenen Bogen sich über den Strom erhebt und mit den Standbildern der Minerva und des Churfürsten Theodor geschmückt ist, durch das dunkle burgartige Thor, hinein in die Altgothische Stadt.

Ihre Häuser mit den spitzen Giebeln scheinen den Berg hinan zu klimmen, um zu dem alten verödeten Herrschersitze zu gelangen. Doch für heute fuhren wir, ohne anzuhalten, durch die Stadt und eilten nach Rohrbach — einem schönen Dorfe, eine Stunde von Heidelberg belegen. — Dort besaß die Frau Markgräfin von Baden — Mutter unserer Frau Herzogin — ein kleines Landhaus. Hier war fürerst unser Ruhepunkt. Am 8ten aber kehrte ich nach Heidelberg zurück.

Diese Musenstadt enthält zwar manche düstere Altgothisch gebaute Straßen, aber auch manche freundliche und unter Diesen die lange schnurgrade Straße, welche sich vom Carlsthore bis zum Mannheimer Thore durch die Stadt zieht.

Doch ohne mich für jetzt bei der Betrachtung der Stadt lange aufzuhalten, erstieg ich die Höhe des alten Schlosses. — Welch eine Aussicht! — Welche Ansicht! — Ein freudiges Erstaunen fesselt im ersten Augenblicke alle Sinne und der gewaltige Gesammteindruck des Romantischschönen macht es unmöglich, sich darüber zu entscheiden, ob es der romantische Zauber der großartigen Ruinen, oder der idyllische Reiz der überschauten Landschaft ist, welche das Gemüth erhebt.

Die herrlichen Ruinen des Heidelberger Schlosses gehören zu den vollständigsten, welche uns die Vorzeit überliefert hat. Sie tragen noch in den verschiedenen Theilen des weiträumigen Bauwerks die Spuren des um Jahrhunderte von einander abweichenden Alters der verschiedenen Anbaue, aber auch die gewaltigen Spuren einer versuchten Zerstörung sowohl durch Menschenhand, als durch den unablässig nagenden Zahn der Zeit. Noch ragen aus der Tiefe herauf wie Felsengewölbe die ungeheuren Steinmassen, welche im Jahre 1689 die Franzosen als Eroberer des Schlosses von dem kolossalen Thurme, der von Friedrich dem Siegreichen aufgeführt war, abgesprengt hatten. Damals wurden viele Thürme und Mauern des Schlosses in die Luft gesprengt. Hatte auch im Jahre 1716 Carl Philipp die Burg seiner Väter wieder aufgebaut, und wurde durch den Aufstand der Heidelberger Bürger nach wenigen Jahren veranlaßt, seine Residenz nach Mannheim zu verlegen, so zerstörte doch das Feuer des, Himmels im Jahre 1764 die damals schon verödete Bergfeste, so wie früher schon die alte Pfalz auf dem Felsengipfel des Geißberges, und verwandelte das ausgebrannte Gemäuer des Heidelberger Schlosses in die heutigen Ruinen.

Noch ist indeß Vieles dort erhalten; manche Gemächer werden bewohnt; noch bewundert man die schöne Architektur und Bildhauerarbeit an der Vorderseite des Anbau’s, welcher den neuen Rittersaal enthält, noch ist die im Jahre 1607 vom Pfalzgrafen Friedrich erbaute Schloßcapelle im Innern ziemlich verschont geblieben vom Zahn der Zeit, nur das Altarblatt von Dominichino ist seiner feuchten Stelle entrückt und in der Mannheimer Gemäldegalerie zweckmäßiger aufgestellt.

Diese gewaltigen Ruinen sind in allen ihren Theilen Urkunden einer das Kolossale liebenden Vorzeit; — so auch das Weinfaß, das 250 Fuder halten soll, welches die prosaische Menge mehr zu interessiren pflegt, als die malerische Großartigkeit der umgestürzten Riesengemäuer. Daß das Faß auf seinem obern Boden Raum für eine Trink- und Tanzparthie hält, ist oft genug gerühmt, und mehr als Einer der Trinkfreunde unserer Tage mag es schon beklagt haben, daß das Innere desselben noch trockner ist, wie die Kehle eines durstigen Trinkers.

Doch verlassen wir den todten Riesenzeugen der ritterlichen Trinkkraft unsrer Altvordern und steigen die steinernen Stufen hinauf zu dem Plateau, welches ringsum das herrlichste Naturpanorama umkreiset.

Jetzt erst, schwindelnd hinabblickend in die senkrechte Tiefe, auf die verkleinerte Vogelperspective der Stadt erkennen wir die Höhe unsres Standpunkts.

Frei, wie der Blick des Adlers, beherrscht von der Burgzinne herab das menschliche Auge dort das aus dem Morgennebel auftauchende Waldgebirge, da im Sonnenlichte milde leuchtende Rebenhügel, unten die Stadt — den Strom, welcher den dunklen Gebirgsschluften brausend entquillt, sich immer noch zürnend durch die kühnen Brückenbogen drängt und dann geebnet und erweitert, wie ein fließender Spiegel, durch endlose, in den zartesten Luftperspectiven verschwimmende Wiesengründe und Aehrenfelder sich windet, um das ferne Mannheim, dessen Thore am Horizont aufblitzen, flüchtig zu begrüßen, dann aber unaufhaltsam sich in die Arme des ihn verschlingenden Rheingreises zu werfen. Ein überaus duftiger Hintergrund umgiebt dieses reiche Gemälde, in dem die blauen Vogesen mit den weichen Lufttinten zusammenstießen.

Bis zu den Schloßruinen hinauf reichen die Häuser der sogenannten Bergstadt. Unten theilt sich die mit einem Blicke zu übersehende Häusermasse in die Stadt und die Vorstadt. Heidelbergs Universität, 1386 gestiftet, ist nächst der zu Prag und Wien die älteste in Deutschland. Ihre heutige vorzügliche Einrichtung hat sie durch die Regeneration im Jahre 1805 empfangen. Einst besaß sie die weltberühmte Bibliothek, welche 3522 Handschriften in Lateinischer, Griechischer, Hebräischer und Deutscher Sprache besaß, wurde nach der Plünderung der Stadt durch Tilly von dem Herzoge Maximilian von Baiern als Beute betrachtet und dem Papst Gregor XV. zum Geschenk gemacht. Dieser ließ die unschätzbare Bibliothek 1623 nach Rom abführen. Von diesen Handschriften wurden jedoch durch die Verwendung Oesterreichs und Preußens im Pariser Frieden von 1815 vom Papste die Rückgabe der Deutschen Handschriften bewilligt und im folgenden Jahre kehrten wirklich 847 Altdeutsche Manuskripte zurück nach Heidelberg, wo sie als eine unschätzbare Fundgrube für die Bereicherung der Geschichte aufbewahrt werden. — Die jetzige Universitätsbibliothek enthält 45,000 Bände.

Heidelberg enthält, mit dem dazu gehörigen Dorfe Schlierbach, in 1191 Häusern 10,200 Einwohner. Der Handel ist belebt, indem er durch den schiffbaren Neckar und die sich hier kreuzenden Hauptstraßen, von Frankfurt nach Basel und von Mannheim theils nach Schwaben, theils nach Franken und Sachsen, begünstigt wird.

Am 10ten Septbr. reisete ich im Gefolge der Herzoglichen Familie von Rohrbach wieder ab, über Wisloch nach Bruchsal.

Bruchsal ist eine nicht unbedeutende Stadt mit einem schönen Schlosse. Dieses war vormals die Residenz des Fürstbischofs von Speier, durch die Säkularisation kam aber der auf dem rechten Rheinufer belegne Theil des Bisthums an Baden und mit diesem Antheile auch das Schloß, welches der verwittweten Frau Markgräfin zum Witwensitze angewiesen wurde.

Die Umgebungen von Bruchsal sind nicht viel weniger reizend, als die von Heidelberg, nur fehlen dort die Wasserparthien, womit der Neckar die Heidelberger Landschaften schmückt. In der Nahe die üppige Fülle der Weinberge — im Hintergrunde die Ansicht der Vogesen, deren duftige Höhen fast von keiner Seite einen so malerischen Prospect bilden, als von hier aus, und überall der Segen Gottes in der reichsten Vegetation der Fruchtfelder, das Alles macht zusammen einen so beruhigenden Gesammteindruck auf das menschliche Gemüth, daß die aus allen ihren glücklichen Verhältnissen herausgerissene Herzogliche Familie wohl nicht leicht einen angemessenen Nothhafen hätte finden können, als dieses stille, so anmuthig belegne Städtchen, um das Ende der politischen Wetterstürme abzuwarten.