Fünftes Capitel: Postjacht. — Seefahrt. — Malerische Ansichten. — Wrack eines Russischen Schiffes. — Beschwerliche Nachtreise. — Ystadt. — Postwesen in Schweden. — Malmo. — Sturm. — Vom 15ten Novbr. bis 12ten Januar 1807.

Es war den 15ten November Mittags um 1 Uhr, als die Frau Herzogin sich mit ihren jungen Prinzen und dem gesammten Gefolge auf der Königlichen Postjacht, Königin Friederike, einschiffte.

Schon der Name des Schiffs mußte die hohe Reisende auf das Einladendste an ihre Frau Schwester, die regierende Königin Friederike Dorothee Wilhelmine von Schweden, erinnern.


Das Wetter war kalt und rauh, der Wind aber günstig. Die Anker wurden gelichtet, die Segel gespannt, und von der Festung mit einer Ehrensalve von Kanonen begleitet, erreichten wir bald bei Barhöft, der Spitze der Pommerschen Küste, die offene See.

Wir hatten den kürzesten Weg gewählt, welcher durch den Gollen (Meerenge zwischen Stralsund und der Insel Rügen) nur 18 Seemeilen beträgt. Weil aber der Wind so günstig war, daß wir in 6 bis 8 Stunden, also in der Nacht, in Ystadt, auf der Südspitze von Schweden, angekommen seyn würden, in der Nacht aber das Einlaufen in den Hafen nicht gestattet wird, so mußten wir hier Anker werfen.

Bis hieher hatten uns Lootsen aus Stralsund durch das schmale, versandete, mit vielen Tonnen und Piken als Warnungszeichen begrenzte Fahrwasser geleitet, welches bei niedrigem Wasserstande landwärts nur 6 bis 7 ½ , seewärts aber bis 8 ½ Fuß Tiefe hat. Beladene Schiffe mittlerer Größe dürfen daher diesen Weg nicht wählen, sondern müssen den Umweg um die Ostküste der Insel Rügen nehmen. Wäre nicht diese Fahrt wegen der so oft nothwendigen Veränderungen des Curses so schwierig auszuführen, so würde der Anblick des lieblichen Vorgebirges Mönchegut, der majestätischen Kreidefelsen von Stubbenkammer und der steilen grotesken Nordspitze Arkona, des nördlichsten Punktes von Deutschland, auf der Insel Rügen, reichlich für jede Versäumniß entschädigt haben.

Doch auch hier gewährten die Abendstunden der Ruhe, in welchen das Wetter angenehmer wurde, den freundlichsten Anblick. Den Vordergrund belebte nach der Landseite zu das Zollhaus von Barhöft mit zahllosen ankommenden und abgehenden Schiffen, seewärts, auf eine freilich nicht erfreuliche Weise, der abgetakelte Wrack eines Russischen Schiffes, welches an der Insel Rügen gescheitert war. Unfern davon lagen größere Seeschiffe vor Anker, welche, weil der Gollen für sie zu seicht und der Wind für den Umweg über Rügen nicht günstig war, in kleinere Schiffe, sogenannte Leichter, ausgeladen wurden. Vor uns rechts lag die Rügensche Insel Hiddensö, wie ein langer grüner Bandstreifen, der aus der tiefblauen Fluth sich malerisch erhob, über welche hinaus die romantischen Höhen von Rügen in den weichsten Schattirungen aufstiegen.

Hiddensö dehnt sich zwei Meilen lang von Süden nach Osten aus, ist aber nur ¼ bis ½ Meile breit. Die südliche Hälfte besteht aus Wiesenland, welches einen Theil des Jahrs hindurch unter Wasser steht. Nur die nördliche Hälfte am Fuße der kahlen Uferhöhen ist bewohnt. Dort liegen außer der Kirche drei Dörfer, deren Einwohner sich als Schiffer und besonders vom Häringsfang ernähren. Die reinen kräftigen Naturmenschen sind glücklich in ihren ärmlichen Torfhütten mit der Genügsamkeit alter unverdorbener Sitte. Wenn die Männer auf ihre oft wochenlang währenden Fischerzüge sich begeben, sieht man die Scene der Weiber von Weinsberg nicht selten erneuert, denn die kräftigen Frauen tragen ihr theuerstes Kleinod, den hochblonden breitschultrigen Mann, Huckepack durch die seichten Stellen am Strande in die Barken, damit sie die Füße nicht naß machen sollen — und wenn der Mann nicht selten als Matrose Seereisen nach Ost- und Westindien macht und alle Herrlichkeit der Welt gesehen und die Früchte des üppig schwelgenden Südens gekostet hat, so sehnt er sich doch zurück nach seiner unfruchtbaren Sanddüne am kalten Ostseestrande, welches er „mien löwe söte Länneken“ zu nennen pflegt. So fesselt die Heimath den einfachen Naturmenschen auch an die ärmlichste Scholle, während die steigende Cultur im Weltleben fast alle Heimath von der Erde verbannt zu haben scheint.

Abends war der Himmel rein und klar, wie die tiefblaue See. In Westen lag das Meer offen bis auf die in den Horizont verschwimmende Höhe desselben. Da senkte sich purpurglühend die zehnmal vergrößerte Sonnenscheibe in die feurigen Fluthen. Himmel und Meer standen in dunkelglühenden Flammen, deren milde Lichter durch alle Farbentöne des Goldes von Gluthroth bis zum weichsten Rosenlichte, unverletzend für das Auge schimmerten und die duftigen Höhen von Rügen in das weichste dunkle Veilchenblau kleideten. — Delphine umschwammen das Schiff, die treuen Führer Arions.

Solch ein Sonnenuntergang auf dem Meere gewahrt einen erhabenen Anblick, der wohl geeignet ist, das Gemüth über die Drangsale des Lebens zu erheben. Im Anschauen des Unermeßlichen gewinnt die Seele des Unglücklichen Vertrauen auf Gott und die Kraft, auch das schwerste Leiden mit Größe zu ertragen.

Um 11 Uhr Nachts endlich wurden die Anker gelichtet.

Die Postjacht *) war ein schnell segelndes kleines Schiff, nur mit sieben Matrosen besetzt, welches sechs Fuß tief im Wasser ging. Die Kajüte der Frau Herzogin war sehr klein. Hier mußte die hohe Reisende mit ihren beiden jungen Prinzen und ihren Damen und Kammerfrauen, vierzehn Personen an der Zahl, im unbequemsten Gedränge sich aufhalten. Alle übrigen Passagiere befanden sich auf dem Verdeck. Die kalte Nachtluft und der kurze Wellenschlag trug dazu bei, diese Nachtreise nach dem köstlichen Abend zu der unangenehmsten zu machen.

Fast alle Reisende waren seekrank geworden und froh, als mit Tages-Anbruch die Schwedische Küste herauf dämmerte. Bald unterschieden wir deutlich die flachen Küsten Schonens und im Hintergrunde aufsteigende Gebirge. Endlich erschien auch Ystadt, ein wenig ansehnliches Städtchen, mit einer geräumigen Rhede, auf welcher zahlreiche große Seeschiffe lagen, da der Hafen für sie zu wenig Tiefe hat. Mit unsrer leichten Postjacht segelten wir doch ungehindert in den Hafen und legten uns an der Brücke vor Anker.

Die Frau Herzogin nahm ihr Absteigequartier in dem Hause des Königlichen Commissair Davidson.

Ystadt, mit 3186 Einwohnern, war durch Englischen Handel wohlhabend geworden. Enge und krumme Straßen, mit unregelmäßigen hölzernen Häusern besetzt, umgeben den ansehnlichen und regelmäßig gebauten Marktplatz **).

Zwei Kirchen, ohne architektonischen Werth, verdienen keine besondere Aufmerksamkeit. Der mit Blumen und freundlichen Denksteinen geschmückte Kirchhof gewährt einen melancholisch-anziehenden Spaziergang. Eine Trivial-Schule (niedre Gelehrtenschule) mit 4 Lehrern deutet auf beginnende Volksbildung ***).

Am 17ten traf der General Baron Toll, Generalgouverneur der Provinz Schonen, ein, welchen der König Gustav IV. mit dem Auftrage beehrt hatte, die Frau Herzogin zu bewillkommnen und nach Malmö zu führen, wo sich der König mit seiner Familie damals aufhielt.

Mittags fuhr die Frau Herzogin nach Marswinsholm, einige Schwedische Meilen von Malmö. Dort nahm sie bei dem Grafen Ruth das Mittagsmahl ein und kam Abends zurück.

Erst am 18ten November reiseten wir von Ystadt ab nach Malmö. Die Wege sind schmal und an beiden Seiten mit tiefen Gräben eingefaßt, doch so eben, wie Gartenwege, von Kies und Thon gestampft.

Bei der Art zu reisen, die hier in Schweden Sitte ist, sind solche Wege immer nicht ohne Gefahr für den Reisenden. Wer mit eignem Wagen fährt, muß den Kutscher und das Geschirr selbst halten und erhält von dem Posthalter nur die nackten Pferde, welche zwar klein, aber voll Muth, Kraft und Dauer sind. Vier Pferde werden in einer Reihe neben einander gespannt, wie vor dem Sonnenwagen Apolls. Werden noch mehr Pferde verlangt, so spannt man diese paarweise vorauf, der Skjuts bonder (Postbauer), meistens ein junger Bursche, läuft nebenher oder springt auf den Wagen, und so geht es unaufhaltsam Tritt und Galopp Berg auf und ab. Auf das Haken sind die Pferde so wenig angelernt, als die Art ihrer Bespannung dazu eingerichtet ist, mit der verwegensten Tollkühnheit jagt man die steilsten Berge hinab, so daß einem jeden Reisenden, der daran nicht gewöhnt ist, die Haare zu Berge stehen. Bei den gut und stark gebauten Pferden und ebenen Wegen geschieht indeß selten ein Unglück. Obwohl diese Art zu fahren mehr für die sehr niedrigen Schwedischen Leiterwagen, als für moderne in Federn hängende Reise-Carossen berechnet zu seyn scheint — so wird doch auch leicht mit diesen eine Schwedische Meile ****) in einer Stunde zurückgelegt.

Ueberhaupt ist das Postwesen in Schweden ganz eigenthümlich eingerichtet. Man denke sich nur die unermeßlichen Länderstrecken, welche sich gegen den Nordpol hinaufziehen, wie immer seltner die Städte und Dörfer werden und immer mehr vereinzelt die Pfarr- und Bauernhöfe stehen zwischen großartigen Gebirgen und Seen. Dort giebt es noch viele Kirchen, welche zu Wagen gar nicht zugänglich sind und daher Ridkyrkor (Reitkirchen) genannt werden. In frühern Zeiten, wie das Reisen noch seltener war, machte sich der einsam wohnende Landwirth eine Freude und Ehre daraus, Reisende mit patriarchalischer Gastfreiheit aufzunehmen und weiter zu befördern. Später wurde dieses allerdings eine Last, deren sich Mancher gern entzog, weshalb denn manche Reisende sich mit Gewalt einquartirten. Um diesem Unwesen zu steuern, legte König Magnus Erikson an großen Landstraßen Gasthaltereien (Gästgifvaregardar) an, in welchen Reisende für Bezahlung Bewirthung und Pferde erhalten konnten. Seitdem hat sich nun das Postwesen ausgebildet, doch lange nicht bis zu dem Grade, wie in Deutschland, England und Frankreich. So gehen keine fahrenden Posten. Brief-Posten werden auf einspännigen Karren durch die Postbauern (Postbönder, Postförare) befördert, welche dafür gewiffe Freiheiten auf ihren sogenannten Posthufen (Posthemnan) und ein geringes Meilengeld aus der Postkasse genießen. Diese müssen dann auch die Kron- und Amtsfuhren stellen, welche in andern Ländern Extrapost, in Schweden aber Skjuss (sprich: sjuß, fast: schuß) genannt werden. Jetzt giebt es fast auf allen großen und vielen kleinen Straßen solche Königliche Gasthäuser, deren Wirthe bedeutende Vortheile, oft Länderei unentgeldlich genießen und dafür gegen bestimmte vom Landhauptmann gegebene Taxen die Reisenden bewirthen müssen. Bei einer solchen Gästgifvaregard meldet sich der Reisende, welcher Pferde zu haben wünscht, dieser hat nun entweder noch Stationspferde (Hallhästar), welche die Postbauern auf 24 Stunden abwechselnd stellen müssen, oder eigne Postpferde (Gästgifvarehästar) in Bereitschaft, oder sendet den Hallkarl aus, um Reservepferde von den Postbauern zusammen zu holen.

Man thut daher wohl, die Postpferde durch einen Vorboten (Laufzettel) zum Voraus zu bestellen, wird alsdann aber auch äußerst schnell befördert.

So kamen wir denn auch schon um 3 Uhr in Malmö an, nachdem in 5 ½ Stunde die 6 Schwedischen (9 Deutsche) Meilen von Ystadt bis dorthin zurückgelegt waren.

Der König kam der Frau Herzogin zu Pferde entgegen, und mit einer wehmüthigen Freude eilte die vom Schicksal so hart verfolgte Fürstin in die Arme ihrer Königlichen Schwester.

Malmö, die Hauptstadt der Provinz Schonen, liegt an der Ostsee, Kopenhagen gegenüber. Bei heiterm Wetter erblickt man diese Dänische Haupt- und Residenzstadt sehr deutlich. Bis dorthin über den Sund beträgt die Entfernung nur vier Deutsche Meilen. Malmö hat einen kleinen Hafen, der jedoch nur für flach gebaute Fahrzeuge zugänglich ist. Es treibt einen starken Garnhandel, hat auch eine gute Tuchfabrik, eine Strumpffabrik und eine Tabaksfabrik. Die Festungswerke werden abgetragen und in angenehme Gärten und Promenaden verwandelt. Die Citadelle aber, unter deren Kanonen eine Abtheilung von der Scheerenflotte liegt, wird im Vertheidigungsstande erhalten werden. Wegen Anwesenheit des Königs lag hier eine Abtheilung Carabiniers und ein Bataillon von des Königs Regimente, lauter schöne hochgebaute Leute, die durch blaue Augen und hochblonde Haare das schöne Gepräge ihrer Nationalabkunft an sich tragen. Die Stadt ist in Hinsicht der Größe nicht bedeutend. Mitten in derselben befindet sich ein großer schöner Platz, welcher durch ein regelmäßiges Viereck von gut gebauten Häusern gebildet wird. Die zwei schönen Linden in der Mitte dieses Platzes gereichen demselben zu einer freundlichen Zierde.

Hier wohnen der König und der Kronprinz in dem Hause des Bürgermeisters Noling, die Königin Friederike in dem Hause des Gouverneurs Grafen Rosen, die Prinzessinnen in einem dritten Hause neben dem der Königin. Da alle drei Häuser getrennt, doch neben einander an dem großen Marktplatze in Malmö liegen, so sind dieselben in den zweiten Etagen durch verdeckte Galerien mit einander verbunden. Die Galerie zwischen den Häusern des Königs und der Königin führt sogar über eine Straße. Die Frau Herzogin bezog mit ihrem Gefolge das nächste Eckhaus des Commerzienraths Siel.

Die Tage vergingen hier still und geräuschlos. Wir empfanden hier schon an der auffallenden Kürze der Wintertage die Einwirkung der größern Nähe des Nordpols, welche denn auch veranlaßt, daß im Sommer die Tage viel länger sind, als in Deutschland. Bekannt ist die aus derselben Ursach herrührende Erscheinung, daß zu Torneo, der nördlichsten Europäischen Stadt (im 68sten Grade nördlicher Breite belegen) die Sonne im Sommer 40 Tage lang nicht untergeht und im Winter eben so lange nicht aufgeht.

Am zweiten Weihnachtsfeiertage erhob sich ein heftiger Sturm. Eine Menge Schiffe aus dem Hafen wurden von ihren Ankern losgeriffen und durch große Sturzwogen der Brandung weit auf den Strand geworfen. Auf der See und an den Küsten war durch Schiffbrüche und Ueberschwemmungen viel Schaden geschehen.




*) Im Jahre 1822 sind Dampfböte gebauet, welche die Fahrten der Postjachten zwischen Stralsund und Ystadt zur größern Bequemlichkeit der Reisenden versehen. D. B.

**) 1812 wurde dort eine schöne Caserne vollendet, und zur Verbesserung des Hafens, um denselben für große Schiffe gangbar zu machen, sind neuerlich bedeutende Summen theils von der Krone, theils von der Kaufmannschaft errichtet. D. B.

***) 1812 wurde dort auch eine Sonntagsschule errichtet. D. B.

****) 5 Schwedische Meilen gehen auf 7 ¼ Deutsche. D. B.