Einleitende Blicke in die Zeitgeschichte.

Die Weltgeschichte bildet einen großartigen Cyklus von Dramen, deren leitende Idee in der Veredlung der Menschheit nach den ewigen Gesetzen der Weltordnung beruhet.

Jedes dieser Dramen hat seine Katastrophe, welche die Welt der Ideen bereichert, indem sie aus dem Völkerleben die abgestorbenen Theile im Organismus ausscheidet, und dafür das geistige Princip eines erhöhten Wohlseyns belebt. Nicht ohne schwere Kämpfe verläuft eine solche Krisis im Völkerleben. Blickt man aber auf die Summe des dadurch gewonnenen Guten, so erscheinen auch die schwersten Opfer nur als ein müßiges Anlagecapital, durch dessen zeitgemäße Benutzung ein reicher Fond für die Zukunft gewonnen wird.


Eine solche Katastrophe hatte die Revolution in Frankreich vorbereitet und Napoleons gewaltsamer Umsturz alles Bestehenden auf den Scheitelpunkt getrieben. Neue Verhältnisse hatten neue Ideen in das Völkerleben gerufen. Der zehnjährige Kampf gegen Napoleons Uebermacht konnte nur durch die moralische Kraft der Ideen, welche von ihm selbst erst ausgegangen und geweckt waren, siegreich ausgefochten werden.

Dieser Völkerkampf um das Höchste begann schon in Beziehung auf Deutschland mit dem Jahre 1804. Napoleon hatte sich zum erblichen Kaiser von Frankreich ausrufen lassen; der Kaiser von Oesterreich hatte der Deutschen Kaiserwürde entsagt. Der veraltete Koloß des heiligen Römischen Reichs, der nur noch schwach in zeitwidrigen Formen zusammenhing, war in sich selbst zerfallen. Napoleons rücksichtlose Politik, die selbst das Völkerrecht nicht achtete, hatte die legitimen Herrscher Europa's auf die Gefahren aufmerksam gemacht, welche das Präjudiz der Verletzung der Liegitimität, das Frankreich gegeben hatte, für die Sicherheit ihrer eignen Throne herbeiführen mußte. Napoleons Siege in Italien hatten Oesterreichs Eifersucht erweckt, England fürchtete dessen wachsende Marine und sah sich durch Französische Besetzung Hannovers unmittelbar angegriffen. Rußland war vielfältig gereizt; Gustav IV. von Schweden hatte schon öffentlich beleidigende Schritte gegen Napoleon gethan; Englands Subsidien gaben endlich den nervus rerum gerendarum einer Coalition jener Mächte, deren Zweck es war, alle politischen Verhältnisse auf den vorigen Stand zurück zu bringen; Preußen hingegen, aus der Erfahrung mit der Unsicherheit politischer Coalition bekannt, behauptete eine bewaffnete Neutralität. Doch als auch Preußens neutrales Gebiet in Franken 1805 von den Franzosen verletzt ward, näherte es sich der Coalition wieder und nahm eine Stellung an, welche ihm im günstigen Augenblick das Zuschlagen auf Napoleons Heere gestattete.

Schon hatte es die Verhältnisse, welche es an Frankreichs Interesse knüpften, für aufgelöset erklärt, schon war zu Berlin mit dem Kaiser Alexander ein Vertrag verabredet worden, vermöge dessen Preußen den Krieg gegen Napoleon am 15ten December eröffnen sollte, falls Dieser sich nicht seinen Vermittlungsvorschlägen fügen würde. Schon war Graf Haugwitz mit solchen Aufträgen vom Berliner Cabinet in das Hauptquartier Napoleons gesendet, als unerwartet, am 2ten December, die Schlacht von Austerlitz Preußens politische Stellung veränderte. Oesterreichs Nerv war durchschnitten, dem Waffenstillstande (am 4ten December) folgte der Frieden von Preßburg (am 26sten December 1805), welcher Oesterreich nach schweren Opfern mit Frankreich versöhnte. Die Russen waren zurückgegangen. Preußens politische Lage hatte sich dadurch so plötzlich verändert, daß Haugwitz, statt der früher beabsichtigten drohenden Sprache, froh war, das alte freundschaftliche Verhältniß mit Napoleon erneuern zu können. Das geschah unter drückenden Bedingungen. Preußen sollte Anspach, Cleve diesseit des Rheins und das Fürstenthum Neufchatel an Frankreich abtreten, dagegen das von den Franzosen eroberte Churfürstenthum Hannover als Entschädigung erhalten.

Welch eine Verletzung des Staatenrechts wurde Preußen damit zugemuthet! ? — Der Vertrag, den Haugwitz geschlossen hatte, wurde deshalb nicht ratificirt. Napoleon hatte sich nach Paris zurückbegeben, dorthin mußte ihm Haugwiß folgen. Er sollte nur dann die Ratification zusagen, wenn England bei dem Friedensschlusse bewogen werden könnte, Hannover gutwillig abzutreten.

Anfangs wurde der Preußische Minister zuvorkommend aufgenommen. In Berlin stieg die Hoffnung einer gütlichen Ausgleichung zu früh zur Gewißheit, und Preußen entwaffnete sich selbst. Jetzt aber änderte Napoleon den Ton, ließ (den 24sten Februar 1806) die Fürstentümer Anspach, Eleve und Neufchatel militairisch besetzen, erzwang die Ratification des von Haugwitz abgeschlossenen Vertrages unter neuen und härtern Bedingungen (den 15ten Februar 1806) und nöthigte Preußen Hannover in Civilbesitz zu nehmen.

Damit war der Zankapfel geworfen, der Napoleon sicherte, indem er seine Feinde entzweite. England blockirte die Preußischen Häfen und erklärte (am 11ten Juni 1806) an Preußen den Krieg, Gustav IV., in Englands Solde, legte gleichfalls Beschlag auf die Preußischen Schiffe in Schwedens Häfen.

So hatte Napoleon dies Centrum der Coalition seiner Feinde theils durch den Sieg bei Austerlitz, theils durch den Sieg einer gewissenlosen Diplomatie durchbrochen, als er auch sogleich anfing, mit einem immer wachsenden Uebermuth, Preußen zum Kriege zu reizen, offenbar in keiner andern Absicht, als — im Vertrauen auf sein Glück — dessen politische Macht zu brechen.

Die Hauptzüge der zahllosen Kränkungen gegen Preußen waren folgende. Napoleon stiftete den Rheinbund und warf sich zum Protector desselben auf, ohne das Berliner Cabinet davon in Kenntniß zu setzen; mit Rußland wurde (am 20sten Juli) Frieden geschlossen, und was das härteste war, in den Friedensunterhandlungen mit England bot Napoleon dem neuen Minister Fox zuvorkommend Hannover wieder an, Hannover, welches er erst Preußen als Entschädigung angewiesen hatte. Preußen stand also isolirt den Angriffen Frankreichs, Englands, Schwedens und des Rheinbundes bloßgestellt. Um gegen den Rheinbund ein Gegengewicht zu begründen, beabsichtigte Preußen einen nordisch-deutschen Bund; Napoleon aber, der die Idee dazu erst angeregt hatte, verbot den Hansestädten den Beitritt.

Jetzt erst, als sich Preußen von allen Seiten in seiner Selbstständigkeit bedroht sah, näherte es sich dem Könige von Schweden, unterhandelte mit dem Churfürsten von Sachsen, rüstete sich zum Kriege gegen Frankreich. Großbritannien hob die Blockade der Preußischen Häfen auf und Preußische Heere zogen sich nach Thüringen, während die Diplomatie den Friedenszustand abbrach und die Kriegserklärung einleitete.

Jetzt aber entstand die große Frage im Preußischen Cabinet: wem sollte die Führung der Armee gegen den Sieger von Austerlitz anvertraut werden? — Unter den Generalen der Preußischen Armee befandsich ein greiser Held, der sich schon längst mit den Lorbeeren eines kriegerischen Ruhms bedeckt hatte. Es war Carl Wilhelm Ferdinand, regierender Herzog zu Braunschweig - Lüneburg, ein Jugendfreund Friedrichs des Großen. Er war, fast kann man sagen - ein persönlicher Feind Napoleons und der neuen Ordnung der Dinge in Frankreich. In Paris hatte er auf einer Jugendreise eine zu glänzende Aufnahme gefunden, um nicht mit der Dankbarkeit, welche großen Seelen eigen ist, auch die Emigranten aus den berühmtesten Geschlechtern Frankreichs, so wie auch Ludwig XVIII. und dessen Familie theils an seinem Hofe, theils in Blankenburg eine gastfreie Aufnahme zu gestatten. Er war es, der die Preußen und deren Alliirten gegen die Republicaner in die Champagne geführt hatte; er war es, den man verleitet gehabt hatte, das heillose Machwerk eines Emigranten, jenes drohende Manifest gegen die Pariser zu unterzeichnen, welches fünfzehn Jahr später Napoleon den Vorwand leihen mußte, um zu erklären: das Braunschweigische Haus hat aufgehört zu regieren.

Der Herzog glaubte unter solchen Umständen nur durch das feste persönliche Anschließen an Preußen, bei völliger Neutralität seines Landes, Diesem Sicherheit verschaffen zu können. Es kam dazu der Ehrenpunkt, welcher für ausgezeichnete Helden der Geschichte immer von bedeutendem Gewicht gewesen ist. Der Herzog war Preußischer General, Chef eines Regiments, welches er im damaligen Zeitgeschmack durch ausgesuchte große Leute verschönerte, und hatte als Feldmarschall die Inspektion über eine bedeutende Heeresabtheilung. Sollte er jetzt den Ehrendienst verlassen, da Preußen in Gefahr gerathen war?

Zwar hatte der Herzog, als er nach dem unglücklichen Feldzuge in der Champagne den Oberbefehl über die alliirten Truppen niederlegte, bei der letzten Parole zu der Preußischen Generalität gesagt: „Meine Herren, ich bin grau geworden mit Ehren; aber bei der jetzigen Lage der Dinge ist keine Ehre mehr zu erwarten!“ — Zwar hatte er bei Gelegenheit des Ausbruchs des vorjährigen Krieges zwischen Oesterreich und Frankreich mehrere Male zu erkennen gegeben, daß man sich entweder sogleich fest an Frankreich hätte anschließen, oder selbst nach der Schlacht von Austerlitz losschlagen müssen; denn damals standen Preußens Heere noch in einer Gefahr drohenden Stellung, auch war es ihm nicht entgangen, daß die Sachsen jetzt nur ungern sich an Preußen anzuschließen schienen; allein des Herzogs Politik war weder kleinlich, noch ängstlich berechnend. Er hatte persönlich in Petersburg Alexanders Beitritt zu dem Kriege gegen Napoleon vermittelt. Dort war er mit einer schmeichelhaften Auszeichnung empfangen. Bei seiner Rückkehr nach Berlin (den 24sten März) empfing ihn die allgemeine Stimmung als den erfahrenen Feldherrn, von dessen Führung allein der glückliche Ausgang des Krieges zu erwarten seyn würde. Man sagt, die unwiderstehliche Bitte von Preußens ritterlicher Königin habe das letzte Bedenken des ritterlichen Greises gehoben, und so führte denn Carl Wilhelm Ferdinand im zweiundsiebenzigsten Jahre seines segensreichen Lebens die vereinigten Preußischen und Sächsischen Heere der Französischen Streitmacht entgegen.

Noch hatten Preußens Krieger sich nicht mit denen des neuen Französischen Kaisers ernstlich gemessen. In der Champagne wurde das Unglück mehr auf Wetter und Klima geschoben, als auf die moralische Kraft der neuern Französischen Strategie. Noch hatte man keine Ahnung davon, daß die leichte Beweglichkeit der weder Magazine noch Bagage mit sich führenden Colonnen bequem und warm gekleideter National-Krieger, voll Ehrbegierde und Begeisterung, ganz andere taktische Vortheile gewähren müssen, als sich durch knapp und leicht gekleidete Söldner, bei welchen der Stock des Corporate den Geist ersetzen soll, die sich nur im schwerfälligen Paradeschritt zu formiren verstanden, und durch endlose Züge von Packwagen und ungeheure Fourage-Magazine aufgehalten wurden, erreichen lassen. So hatte der Herzog nicht nur das Feldherrngenie Napoleons und sein damaliges Glück, sondern auch mittelst einer im Formenwesen veralteten Taktik die moralische Kraft der neuern Art der Kriegsführung zu bekämpfen.

Das Preußische Heer war voll Muth und noch immer stolz und zuversichtlich auf die Ehre, aus Friedrichs des Großen Kriegerschule hervorgegangen zu seyn. Mit Verachtung blickte der Preußische Soldat und Officier auf die Sanseulotten, wie er die Franzosen noch immer nannte, mit denen er sich messen sollte. Preußens Heerführer beurtheilte Napoleon und sein Heer noch immer nach dem Maaßstabe, welcher für sein ganzes langes Feldherrnleben immer zu den richtigsten Berechnungen geführt hatte. Er konnte sich daher nicht überzeugen, daß Napoleon die Offensive ergreifen würde; er berechnete die Märsche seines Heers nach den Grundsätzen der alten Taktik, verlor daher die günstige Zeit zum Uebergange über die Gebirge Thüringens und versäumte, die feste Verbindung des Hauptcorps mit dem linken Flügel an der Saale und den Reserven an der Elbe zu sichern. Als nun endlich dieser Uebergang am 8ten Oetober beschlossen wurde, war es zu spät.

Kaum war die Armee für diesen Zweck vom rechten Saalufer aufgebrochen, als auch Napoleon schon einen Offensivplan entwickelte, welcher nothwendig die linke Flanke des Preußischen Heers dem Angriffe der Franzosen bloßstellen mußte.

Hier auf dem linken Flügel standen 36,000 Mann Schlesier und 22,000 Sachsen unter dem Befehle des Fürsten von Hohenlohe-Ingelfingen vereinigt. Dieses Armeekorps war bestimmt, über Saalfeld, Schleiz und Hof vorzurücken. Der rechte Flügel unter General Rüchel sollte gleichzeitig den Thüringer Wald umgehen, während der Herzog mit dem Centrum über das Gebirge nach Würzburg vordringen wollte.

Allein Napoleon war am 8ten October bei seiner Armee in Cronach angekommen. Mit dem sichern Blick des Genies überschaut er augenblicklich die Stellungen und ordnet den Angriff. Bernadotte und Davoust im Centrum des Französischen Heers rücken mit 60,000 Mann von Bamberg über Cronach in das Reußische Voigtland; Murat mit 25,000 Reitern wirft am 8ten einen schwachen Preußischen Posten bei Saalburg und überschreitet die Saale; Bernadotte dringt vor über Schleiz; dort sieht Tauenzien mit 6000 Preußen und 3000 Sachsen sich vom linken Flügel abgeschnitten und schlägt sich durch, zwar nicht ohne großen Verlust; aber desto ruhmvoller. Soult und Ney führen den rechten Flügel der Französischen Armee, 64,000 Mann stark (mit Einschluß von 10,000 Mann Baiern unter Wrede), am 9ten und 10ten über Hof und Plauen vor. Lannes und Augereau, unter welchen Suchet den Vortrab führt, vernichten bei Saalfeld einen Preußischen Vortrab, 8000 Mann stark, dessen Führer, Prinz Ludwig von Preußen, weil er es im jugendlichen Heldenfeuer nicht über sich vermocht hatte, dem Befehle, den Kampf zu vermeiden, zu gehorchen, fiel im Kampfe der Verzweiflung.

Jetzt aber war das Preußische Heer auf dem linken Flügel umgangen. Schon war Sachsen so gut als erobert. Die Straßen nach Berlin und Dresden standen Napoleon offen. Im Rücken der Preußischen Armee besetzte Davoust Naumburg, während Diese noch zwischen Jena und Eisenach sich ausdehnte. Noch in den Tagen vom 10ten bis 12ten October befand sich das Hauptquartier des Herzogs zu Weimar; auf dem linken Saalufer besetzten Lannes und Augereau Jena und Kahla, zwei wichtige Punkte. Alle Magazine der Preußen zu Hof und Naumburg und ein Pontonzug waren in die Hände der Franzosen gefallen. So war Preußen eigentlich schon strategisch besiegt, noch ehe die Hauptschlacht begann.

Am 13ten traf Napoleon selbst zu Jena ein. Die ganze Stellung des Preußischen Heers mußte, weil es umgangen war, sich auf seiner Basis wenden. Schon am 10ten ging das Heer, welches bisher den Thüringer Gebirgen entgegen zog, gegen die Saale zurück, ein Beweis, daß der Herzog den Offensivplan Napoleons erkannt und entgegenzuwirken gewußt hatte. Jetzt aber entstanden Unordnungen in der Verpflegung und in der neuen Aufstellung des Heers, eine natürliche Folge des Verlustes der Magazine und der schweren Beweglichkeit der noch auf altem Fuß organisirten Colonnen. Am 13ten Oetober ging der Herzog von Weimar nach Auerstädt (3 Meilen von Weimar). Es war seine Absicht, bei Freiburg und Laucha den Uebergang über die Unstrut und die Verbindung mit der Reserve zu erzwingen, da die Saalpässe vom Feinde besetzt waren. Fürst Hohenlohe suchte durch eine Stellung auf den Hohen des linken Saalufers bei Jena die Bewegung des Herzogs zu decken. Rüchel aber näherte sich von Erfurt und der Herzog von Weimar vom Thüringer Walde her dem Hohenloheschen Armeeeorps. So war die Disposition des Herzogs, welche den Umständen nach als völlig angemessen erschien.

Allein auch Napoleon hatte in der Nacht zum 14ten Oetober im Biwacht auf dem tandgrafenberge den Angriffsplan entworfen.

Die Saalpässe benutzend, ließ er Bernadotte über Dornburg heranziehen. Dieser schob seine Massen zwischen Hohenlohe und das Hauptcorps der Preußischen Armee. Die Verbindung zwischen dem Herzoge und Hohenlohe war aufgehoben. Die Reserven unter Blücher waren vom Hauptcorps abgeschnitten. So standen die Heere, die Franzosen des Siegs gewiß, die der Preußen schon strategisch besiegt, als die Kanonen des 14ten Octobers die Doppelschlacht bei Jena und Auerstadt eröffneten.

Doch wir brechen hier ab, weil mit diesem verhängnißvollen Tage die Denkwürdigkeiten des Obrist von Nordenfels beginnen.