Einleitung Fortsetzung

Freilich ist das Ausschreiben eigner Erinnerungen immer nur etwas ganz Geringes im Vergleich mit den Arbeiten wirklicher Dichter und Geschichtsschreiber, — aber auch hier bedürfen wir guter Gedanken, die wir uns nach Gefallen als Hilfreiche Geister personifizieren mögen, wie sie denn auch durch Unruhe, Störung und Einfluss andrer Gedanken nur zu leicht und zu oft verscheucht werden.

So wagt' ich nun den Versuch, — und schon war der beträchtlichste Teil des beabsichtigten völlig bilderlosen Buchs vollendet, als ich glücklich genug war, einen Verleger zu finden, der zu der gegenwärtigen Ausstattung desselben die Hand bot. — Aber wie wünschenswert und erfreulich auch immer diese Zierde sein muss, sie hat keine wesentliche Veränderung des aus ihren gänzlichen Mangel berechneten Textes veranlasst, und ich darf hoffen, dass der Wert der Arbeit durch die ursprüngliche Notwendigkeit, auf jeden Schmuck der Art Verzicht zu leisten, nur gesteigert worden sein kann.


Je reichhaltiger der Stoff, um so wichtiger die Wahl desjenigen, was vor anderem erzählt werden soll! — und von einer Entdeckungsreise wird immer viel und mancherlei zu berichten sein! — Wer sollte beim Anblick eines Schiffs, welches um die Erde zu segeln bestimmt ist, nicht den herzinnigen Wunsch empfinden, es begleiten zu können und die wunderbar abwechselnde Reihenfolge der erhabensten Naturgenüsse vollständig mit durchzumachen!

Dabei fällt uns, wie so oft, ein Spruch aus Faust ein:

    „Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
    Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten.
    Bald tut das Meer mit den erwärmten Buchten
    Vor dem erstaunten Blick sich auf.
    Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken,
    Allein der neue Trieb erwacht.
    Ich eile fort, ihr ew'nes Licht zu trinken,
    Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,
    Den Himmel über mir und unter mir die Wellen!
    Ein schöner Traum! Indessen sie entweicht.
    Ach, zu des Geistes Flügeln wird so leicht
    Kein körperlicher Flügel sich gesellen!"


Ein solcher körperlicher Flügel ist die auch jetzt noch ziemlich selten sich darbietende Gelegenheit einer Weltumsegelung. — Aber dieser Flug hat auch viel Schwerfälliges; — er bewerkstelligt sich nicht ohne beträchtlichen Zeitverlust, nicht ohne vielfache Beschwerlichkeiten und Gefahren. Das alles erspart uns ein Buch, dessen Mitteilungen lebendig genug sind, den Leser die ganze Fahrt im Geiste mitmachen zu lassen. — Man sollte denken, dass einem solchen Buche, zumal in unserer Zeit der populären Naturstudien, ein großer, unbeschränkter Leserkreis vor unzähligen andern sicher sein müsse! —

Die lange Verzögerung, welche das Bekanntwerden dieser Reisenachrichten erlitten hat, würde vielleicht von nachteiligem Einfluss sein, wenn dieselben aus Ländern herrührten, die seitdem vielfach besucht und beschrieben worden sind. Aber Kamtschatka, die Karolinen und selbst die russisch-amerikanischen Besitzungen sind von den neuesten wissenschaftlichen Reisen auffallend wenig oder gar nicht berührt worden, und das meiste von dem, was hier über diese Länder mitgeteilt wird, hat für unser Publikum noch den vollen Wert der Neuheit. Was insbesondere die Karolinen betrifft, so müssen diese Nachrichten aus einer Zeit, in welcher die seit kurzem gewiss beträchtlich verwischte Nationalität ihrer Bewohner noch ganz unverletzt war, grade jetzt doppelt interessant sein, wie es im Eingangskapitel ausführlicher dargetan wird.

Zwar ist von eben der Entdeckungsreise, von welcher sich der größte Teil dieser Erinnerungen herschreibt, vor geraumer Zeit schon ein historischer Bericht durch den jetzigen Admiral Lütke, meinen verehrten früheren Chef, in französischer Sprache veröffentlicht worden, ein Werk, das nur sogar bei der gegenwärtigen Arbeit sehr hilfreich war, indem ich manche von mir selbst nicht hinlänglich notierte Zeitbestimmung daraus entnahm. — Aber, auch abgesehen davon, dass dieses Werk in Deutschland nur sehr wenig bekannt geworden ist, schon die flüchtigste Zusammenstellung desselben mit dem hier folgenden Buche muss zeigen, dass beide sich in völlig verschiedenen Beobachtungskreisen bewegen und nur ausnahmsweise in den Fall kommen, dann und wann eine gemeinschaftliche Bemerkung zu machen. Die auf einer Entdeckungsreise sich darbietenden Eindrücke sind, wie alles, was unmittelbar von der Natur ausgeht, unermesslich mannichfach und vereinigen sich nicht leicht in einem und demselben Beobachter. Was dem Astronomen, Geographen und Nautiker Hauptsache sein muss, wird oft von dem Botaniker und Zoologen kaum oder gar nicht wahrgenommen, und dasselbe gilt umgekehrt. — So konnte Forster ganz andere Mitteilungen von der nämlichen Reise machen als Cook, — und auch von uns Naturforschern des Senjawin verfolgte jeder seine besonderen Gegenstände. — Mertens ward leider so früh durch den Tod abgerufen, dass nur zu vieles von dem großen Schatze seiner Erfahrungen der Welt verloren ging; und ich darf die Gelegenheit nicht vorbeilassen, in diesen Erinnerungen manches Einzelne, das in seinem schriftlichen Nachlass gefehlt zu haben scheint, wenigstens anzudeuten.

Mir selbst gibt dieses Buch den allernatürlichsten Anlass zu einer reichhaltigen Ährenlese von einzelnen Erfahrungen, die bisher in den verschiedenen Fächern der Zoologie, Botanik oder physischen Geographie noch gar nicht veröffentlicht werden konnten. — Ich bin im Laufe der Feit vollkommen überzeugt worden, dass es nur den einen Weg zur passenden Bekanntmachung aller dieser Notizen gibt, deren jede für sich viel zu bruchstückartig ist, um leicht irgendwo Platz zu finden. So mag das gegenwärtige Buch nicht nur Lesern der verschiedensten Kategorien Unterhaltung gewähren, sondern auch dem Gelehrten vom Fach in gewissen Gebieten manches Anziehende bringen.

Vor allem lässt sich das von den zahlreichen ornithologischen Bemerkungen hoffen, die mit den geographischen sowohl als mit den Begebenheiten der Reise so natürlich verflochten sind, dass eine Trennung von diesen ihren Wert beträchtlich vermindern müsste, weil sie dann unter sich ganz unzusammenhängend erscheinen würden. — Hier dürften sie sowohl demjenigen, der sich mit Ornithologie besonders beschäftigt, als auch dem Liebhaber von Naturschilderungen überhaupt willkommen sein. — Bekanntlich gehören die Vögel zu den wesentlichsten Zierden, welche die Natur den einzelnen Ländern gleichsam als charakteristische Bezeichnung verliehen hat, — und ihr Leben verbindet sich so innig mit den übrigen Naturerscheinungen, dass in einer Erzählung wie die gegenwärtige ziemlich ausführliche Nachrichten über dieses Leben an ihrem Platze sein müssen.

Die Vögel standen berufsmäßig unter den von mir aus dieser Reise beobachteten Gegenständen oben an; die andern Tierklassen gehörten teils in das Gebiet meines Reisegefährten Mertens, teils fanden sie sich in den von uns besuchten Gegenden zu spärlich, um uns in so kurzer Zeit oft begegnen zu können; — nur mitunter kommen hier auch die Fische besonders in Betracht, z. B. aus den Karolinen, wo sie durch Schönheit und Artenreichtum vorzugsweis ins Auge fallen.

Wenn ich demnach hier viele durchaus naturgeschichtliche Reisenotizen mit ausnahm, so wurden doch diejenigen nur kurz angeführt, die vor langer Zeit schon in den Memoiren der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Petersburg zugleich mit den Beschreibungen und Abbildungen neuer Arten erschienen sind. — Leider war es nur ein verhältnismäßig sehr kleiner Teil meiner Reisebemerkungen, den ich so der Öffentlichkeit übergeben konnte, — denn das Ausnahmeverhältnis, in dem ich zur Kaiserlichen Akademie stand, gestattete mir keinen dauernden Aufenthalt in Petersburg. — Dieser Entfernung von den auf der Reise von mir eingesammelten Gegenständen muss es auch zugeschrieben werden, wenn ich hier außer Stande bin, manche derselben genauer zu bezeichnen: — noch mehr aber gilt das von den Sammlungen und Studien meiner Reisegefährten. — Wär' ich weniger entfernt von dem allen, ich würde mich über vieles entschiedener äußern können.

Mehrere Kapitel dieses Buchs, namentlich diejenigen, welche von unserem Verweilen in Chili, Sitcha, Unalaschka, wie auch von unserm ersten Besuch im Peter-Pauls-Hafen Nachricht geben, wiederholen manches, was von mir selbst schon unter dem Titel „Bilder vom Stillen Ozean" in den Jahrgängen von 1853 und 1854 der Wochenschrift „die Natur" veröffentlicht worden ist. — Doch sind dieselben weit entfernt, etwa bloße Wiederholungen der dort erschienenen Aufsätze zu sein. Das meiste von dem, was hier mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt wird, musste dort, der notwendigen Kürze wegen, ganz wegbleiben, wogegen wieder manches hier wegfällt, was in jener Zeitschrift als erläuternder Zusatz wohl angebracht sein mochte. So erscheinen denn selbst diejenigen Stellen, deren Wortlaut in einzelnen Sätzen beibehalten ist, hier nur in der Gestalt einer neuen, nicht nur verbesserten, sondern auch beträchtlich vermehrten Ausgabe wieder.

Zuweilen mag das Buch, indem es nicht umhin kann, zu einer Selbstschau des Verfassers zu werden, an das gute französische Sprichwort erinnern: „qui s’excuse, s’accuse." Aber für den Schriftsteller seiner eignen Memoiren dürft' es mitunter Pflicht sein, eine vergleichen Selbstanklage nicht ängstlich zu vermeiden. Es kommt ihm nicht zu, Tatsachen zu verschweigen oder bemänteln zu wollen, die vielleicht nicht wenig zur Belehrung der Leser beitragen können. Wer auf eilfertigen Reisen naturhistorische Zwecke fördern soll, wird sich nachher gewiss nur selten das Zeugnis geben können, seine Zeit völlig gut benutzt zu haben. Das liegt in der Natur der Dinge selbst, und die Eitelkeit, dergleichen Fehler nicht eingestehen zu wollen, würde bewirken, dass die aus einer aufrichtigen Erkenntnis dieser Fehler hervorgehende Lehre, die Benutzung des Beispiels, wie man es in ähnlicher Lage nicht machen soll, für den Reisenden selbst, noch mehr aber für seine Leser und Zuhörer verloren ginge.
            Mainz, im Januar 1858.
                    F. H. v. Kittlitz.