Die Familienverhältnisse des David Chyträus*); seine Jugendjahre und erste Bildung, Studien in Tübingen: seine persönlichen und literarischen Beziehungen, Studien in Wittenberg, Verhältnis; zu Melanchthon und Luther. Allgemeine akademische Zustände Wittenbergs
*) ... 4. Goldsteins Rede, der in naher Beziehung zu Chyträus als sein Hausgenosse, Amanuensis und Lehrer seiner Kinder gestanden, findet sich auch in: ... Krabbe, die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert. Rostock 1854, S. 550 ff., wo sich auch die übrige Literatur, Chyträus betreffend, verzeichnet findet. Theodor Pressel, David Chyträus nach gleichzeitigen Quellen. Elberfeld 1862 im VIII. (Supplement) Teil des Werkes: Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche. S. 1—48.
Opposition gegen den Reichsabschied vom 19, Nov. 1530 in Schwaben.
Schon der erste am 22. September 1530 zu Augsburg von Kaiser Carl [Karl V. 1500-1558, letzter römisch-deutscher Herrscher] erlassene Reichsabschied musste bei den Protestanten Besorgnisse in den weitesten Kreisen hervorrufen. Er war unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass ihr Bekenntnis mit gutem Grunde widerlegt und abgelehnt worden sei, durch die Mehrheit der katholischen Stände gefasst worden*), und der am 19. November 1530 publizierte Reichsabschied stellte den protestierenden Ständen nur eine Frist bis zum 15. April 1531**) unter Androhung weiterer Maßregeln, falls sie sich nicht über die streitigen Artikel mit der Römischen Kirche vereinigen würden. Zwar dauerten die Verhandlungen mit den Städten über die Annahme des Reichsabschiedes fort, aber sie waren darüber geteilter Ansicht, und vermochten kaum, auch wenn sie die Annahme verweigerten, zu einem entschiedenen Handeln sich zusammenzuschließen. Die Stadt Schwäbisch Hall nahm durch den Umstand, dass der Rat seine Gesandten an Johann Brenz [1499-1570, württembergischer Reformator und Protestantischer Theologe] zu ihrer Beratung und Leitung gewiesen hatte ***), zwar eine etwas selbstständigere Stellung ein, welche jedoch mir dazu dienen konnte, die vorhandenen Besorgnisse zu steigern. Frankfurt, Ulm und Schwäbisch Hall waren, ungeachtet dass die meisten Städte den Abschied den 29. September angenommen hatten, durch die gewährte Bedenkzeit nicht zur Annahme desselben vermocht worden****). Man fürchtete selbst, dass in Folge des widerwärtigen Reichsabschiedes alle evangelische Predigt werde abgestellt werden, und die päpstlichen Kirchengebräuche wieder aufgerichtet werden würden.
Auch in dem Städtchen Ingelfingen bei Schwäbisch Hall ward von dem Beamten, welcher den Zorn der Rom. Kais. Majestät fürchtete, obwohl es früher zum Evangelium sich bekannt hatte, der Versuch gemacht, den evangelischen Gottesdienst durch Wiedereinführung der Messe zu beseitigen. Da war es Matthäus Kochhafe *****), der Prediger des Ortes, welcher sich weigerte, dem an ihn ergangenen Befehl Folge zu leisten, und mit dem Worte Gottes unerschrocken dagegen Zeugnis ablegte. Ungeachtet, dass er selbst auf der Kanzel Gewalttätigkeiten erlitt, und sich mit dem Tode bedroht sah, wich Kochhafe nicht zurück. Teilte er doch mit Brenz, dessen Schüler er gewesen war, da er aus Mangel an äußeren Mitteln nicht in Wittenberg studiert hatte, die freudige Glaubensgewissheit von der Wahrheit des evangelischen Bekenntnisses, die ihn fest und unbeweglich machte. Als aber die Gattin, die in der Kirche zugegen war, jeden Augenblick fürchten musste, dass er von dem Schwerte des wütenden Beamten werde durchbohrt werden, geriet sie in solche Bestürzung, dass sie einige Stunden hindurch weder Worte hervorbringen, noch weinen konnte, und dem Tode nahe zu sein schien.
*) Hortleder, Von den Ursachen des deutschen Krieges, Th. I, Buch 1, Cap. 9. Walch, Luthers Werke XVI, 1925 ff. tt ... K. G. Förstemann, Urkundenbuch zur Geschichte des Reichstages zu Augsburg im J. 1530. Nach den Originalen und nach gleichzeitigen Handschriften herausgegeben. Bd. II, S. 474 ff,
**) Bei Müller, Historie von der evangel. Stände Protestation. S. 997. 5
***) Johann Brenz. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen, von Julius Hartmann und Karl Jäger, Vd. I. (Hamb. 1848), S. 261.
****) A. v. Daniels, Handbuch der deutschen Reichs- und Staatenrechtsgeschichte, Bd. II. (Tüb. 1862), S. 361 f. K. E. Förstemann, Urkundenbuch II., S. 641.
*****) Matthäus Kochhafe, im Städtchen Brackenheim im Herzogtum Württemberg geboren, studierte fünf Jahre in Tübingen, wo er seinen deutschen Namen Kochhafe nach der Sitte der Zeit mit dem griechischen Chyträus vertauschte; der Name dürfte auf so viel als Töpfer, zurückzuführen sein. Doch dürfte es sich fragen, wie weit sich der frühere und der spätere Name decken. Nach der Meinung Anderer hat erst David Chyträus in Wittenberg nach dem Vorgänge Melanchthons seinen Namen geändert. Nachdem Matthäus Chyträus auf Empfehlung von Brenz in Ingelfingen als Pfarrer angestellt war, heiratete er Barbara Nelberg. Hier ward auch ihr Sohn David geboren, nicht aber zu Mentzingen, wo er, nachdem der Vater dort nach seiner Vertreibung einen Zufluchtsort gefunden hatte, erzogen wurde.
Geburt des Chyträus zu Ingelfingen am 26. Febr. 1531.
Dennoch gebar sie unter dem gnädigen Schutze des HErrn bald darauf am 26. Februar 1531 zu Ingelfingen ihren Sohn David, ohne dass die stattgehabten Besorgnisse, er werde unter den heftigen Gemütsbewegungen der Mutter gelitten haben, an ihm sich erfüllten. Aber der Vater, fortwährend von dem erbitterten Beamten verfolgt, sah sich, um der Wahrheit nichts zu vergeben, genötigt, Ingelfingen zu verlassen, und sich nach Mentzingen im Kraichgau, auf der Mitte des Weges zwischen Heilbronn und Speier gelegen, zu begeben, wo er, von den Gebrüdern Erasmus und Petrus von Mentzingen berufen, bis zu seinem im Jahre 1559 erfolgenden Tode im Pfarramt stand.
Jugendjahre des Chyträus; seine gelehrte Vorbildung
Der Vater hatte die Freude, dass sein Sohn David, den er selbst mit gewissenhafter Sorgfalt in den Elementen der Wissenschaft unterwies, sich frühzeitig entwickelte, und zu begründeten Hoffnungen Anlass gab. Schon im siebenten Jahr ward er der Schule des Städtchens Gemmingen übergeben, wo er sich des Privatunterrichts des Pfarrers Wolfgang Busius zwei Jahre lang erfreute, den er wie ein Vater noch später ehrte, und ihm ein dankbares Andenken bewahrte. Seine raschen Fortschritte im Lateinischen befähigten ihn bald, an den Pfarrer Franz Friedlieb (Franciscus Irenicus) mit seinen beiden Söhnen und anderen Schülern gelesen wurden, zu denen auch die Söhne Wolfgangs von Gemmingen, des Gönners Davids, Theodorich und Plicardus, die Erben der Tugenden dieses adligen, dem Evangelium vom Herzen ergebenen Geschlechtes, gehörten. Die hervorragenden Gaben des jungen Chyträus gaben ihm auch über diese seine Studiengenossen ein solches Übergewicht, dass daran gedacht werden konnte, ihn ungeachtet seines noch so sehr jugendlichen Alters die Universität beziehen zu lassen. Der Vater brachte den erst neun jährigen Knaben nach Tübingen, wo ihn seine Vaterstadt Brackenheim mit einem Stipendium unterstützte.
Hier in Tübingen hatte Herzog Ulrich nach der Wiedereroberung seines Herzogtums wiederholt eine Reorganisation der Universität eingeleitet, zu deren Durchführung er auf Anraten Blaurers*) Simon Grynäus**) aus Basel berufen hatte, nachdem seine wiederholten Versuche, Melanchthon für diesen Zweck zu gewinnen***), fehlgeschlagen waren****). Er hatte in Verbindung mit Ambrosius Blaurer bereits zur Einführung der Reformation in Konstanz mitgewirkt, als er nach Tübingen ging. Doch mochte Simon Grynäus [1493-1541, roformierter Theologe, Reformator und Humanist] sich nicht entschließen, seine Stellung in Basel aufzugeben, nahm nur auf ein Jahr lang Urlaub, und kehrte noch vor Ablauf desselben nach Basel zurück, da er seine reformierende Tätigkeit in Tübingen wesentlich durch den Verdacht, dass er Zwinglianer sei, gehemmt sah*****). Die neue Studienordnung, welche noch unter der Mitwirkung des Grynäus am 30. Januar 1535 publiziert war, ward etwas später unter dem Einflusse von Johann Brenz, welcher auf Empfehlung Philipps Melanchthons [1497-1560, Philologe, Philosoph, Humanist und Theologe] von Herzog Ulrich [ ] zur Reorganisation der Universität nach Tübingen berufen war, teils abgeändert, teils erweitert. Es war fast für alle Hochschulen damals zunächst das dringende Bedürfnis vorhanden, an ihrem Teile mitzuwirken, dass eine ausreichende humanistische Grundlage für die höheren Studien gewonnen werde. An die eigentliche Universität schlossen sich zwei Vorschulen an, die Trivialschule für die Anfangsgründe des Sprachunterrichts und das Pädagogium für die Vorgerückten, in welches der junge Chyträus zunächst scheint eingetreten zu sein. Seine Immatrikulation fand unter dem Rektor Michael Rucker, Med. Dr., statt. In Tübingen fand er einen Freund seines Vaters, um dessen willen derselbe auch diese Universität dem näher gelegenen Heidelberg vorgezogen hatte, Hieronimus Gerasdus, der seine Aufnahme unter die Stipendiaten bewirkte, sich seiner überhaupt annehm, und seine Studien leitete. Nach dem Muster einer vom Landgrafen Philipp von Hessen [ ] im Freiheitsbrief der Universität Marburg vom 31. August 1529 ******) angeordneten Stipendiaten-Stiftung errichtete Herzog Ulrich auf Anregung von Schnepf das theologische Stift*******), das unter manchen Modifikationen und Umgestaltungen noch jetzt besteht, und die Pflanzschule der evangelischen Geistlichen Württembergs geworden ist.
*) Vgl, den Brief Blaurers an den Herzog vom 29. Sept. 1534 aus dem Stuttgarter Archiv in: Ambrosius Blaurers, des schwäbischen Reformators, Leben und Schriften von Dr. Theodor Pressel, Archidiaconus in Tübingen. Stuttgart 1851, S. 383.
**) Grynäus stammt aus Veringen in Schwaben, und war im Jahre 1493 geboren. Auf der Schule zu Pforzheim erlangte er seine gelehrte Vorbildung. Wir finden ihn Anfangs als Rektor der Schule zu Ofen (Buda), dann als Lehrer des Griechischen in Heidelberg im Jahre 1524, wo jedoch seine reformatorische Gesinnung noch manche Opposition gegen ihn hervorrief. Nach kurzem Aufenthalt in England ward er durch Oecolampads Vermittlung, welcher der humanistischen Richtung zugetan war (Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reformation 1529. Im Auftrag der akademischen Negenz zur Feier des vierhundertjährigen Jubiläums verfasst von Prof. Dr. Wilhelm Vischer. Basel 1860. S. 227.), nach Basel berufen, wo er im November 1531 eintraf. In Basel ward ihm eine Professur der griechischen Sprache und eine außerordentliche Professur der Theologie übertragen. Vorzugsmeise hielt er exegetische Vorlesungen. Als gelehrter Philologe tritt er durch seine Ausgabe des Plato auf Grund der Ficinischen hervor. Er starb am 1. August 1541 an der Pest. Vgl. ... K. R. Hagenbach, Die theologische Schule Basels und ihre Lehrer von Stiftung der Hochschule 1460 bis zu de Wettes Tod 1849. Zur vierten Säkularfeier der Universität Basel. Im Auftrag der theol. Fakultät verfasst. Basel 1860. S. 8 f.
***) Melanchthon schreibt am 13. Sept. 1584 an Camerarius: ... Corpus Ref. Vol. II., p. 785. R. Matthes, Philipp Melanchthon. S. 151.
****) K. Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. S. 29 f. Melanchthon scheint jedoch nicht mit den zur Hebung Tübingens gemachten Nachschlagen einverstanden gewesen zu sein. Ibid. S. 36. Corpus Ref. Vol. III., 169, 171
*****) Vgl. über den Zusammenstoß des Grynäus mit Schnepf: Pressel a. a. O. S. 384 f.
******) Urkundensammlung der Universität Marburg. Herausgegeben von Bruno Hiltebrand. Marburg 1848.
*******) K. Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. S. 49 ff. In Tübingen sollten (wie in Marburg) zwei gottesfürchtige Männer, einer von der Bürgerschaft und einer von der Universität, das Geld einnehmen und verwalten und Supperattendenten sein. Jeder Stipendiat sollte 25 Fl. bekommen, wovon 18 auf die Kost kamen. — — Im Mai 1341 waren 39 Stipendiaten in der halben Burse untergebracht. Zur Aufsicht wurden zwei Magister bestellt, der eine hieß Magister Domus, und hatte über die Ökonomie die Aufsicht zu führen, der andere hieß Präceptor, und hatte die Studienleitung. Beide mussten in der Burse wohnen, bei Tische anwesend sein, und jeden Tag mit den Stipendiaten die Lektionen repetieren.
Studien im Tübinger Stift, Joachim Camerarius
Der geistliche Sinn, welcher in der Anstalt herrschte, und die unmittelbare Leitung, welche ihre Studien erfuhren, gewahrte den Stipendiaten wissenschaftliche Förderung und zugleich christliche Anregung und Kräftigung ihrer evangelischen Überzeugungen, so dass Chyträus noch in späterer Zeit sich dankbar des mannigfachen Segens erinnerte, der ihm in jenem Stift zu Teil geworden war. Bei seiner großen Jugend war er sich wohl bewusst, doppelt solcher Beratung und Führung bedurft zu haben. Außerdem benutzte er den Unterricht von Johannes Medlinus und Michaelis Vajus mit solchem Erfolge, dass ihm das Baccalaureat erteilt werden konnte.
Mit großem Eifer widmete er sich darauf den humanistischen Studien, zu deren Belebung Joachim Camerarius, der mit Melanchthon nahe befreundet war, im Jahre 1535 von Grynäus nach Tübingen berufen war*). Ward allmählich innerhalb der Universitätsstudien den philosophischen Disziplinen größere Berücksichtigung zu Teil, so ward insbesondere durch Camerarius und Volmar**) das Studium der klassischen Sprachen in Tübingen bedeutsam gehoben. Bis zu dem Weggange von Camerarius nach Leipzig, welcher schon im Jahre 1541 stattfand, benutzte Chyträus erfolgreich dessen Vorlesungen, in denen er die römischen Klassiker erklärte, gleichwie er von Volmar in die Kenntnis; der griechischen Sprache und des Neuen Testaments eingeführt wurde. Volmar war selbst von Liebe zum Evangelium durchdrungen, und wusste auch seine Zuhörer zum Glauben anzuregen. Zugleich beschäftigte sich Chyträus mit dem Studium der Philosophie und der Physik unter der Leitung des Jakob Schnepf von Schorndorf, welcher die Philosophie des Aristoteles vertrat, und vorzugsweise dessen physikalische und naturhistorische Werke erläuterte. Auf seine theologischen Studien indessen übte Erhard Schnepf***) einen entscheidenden Einfluss aus, da er nicht um in die verschiedenen Disziplinen der Theologie ihn gründlich einführte, sondern ihn auch in seinen evangelischen Überzeugungen befestigte.
[/i]Melchior Volmar. Humanistische, philosophische u. physikalische Studien[/i]
*) Joachim Camerarius, im Jahre 1500 in Bamberg geboren, übte in Tübingen, wo er den 28. Juni 1535 eintraf, einen bedeutenden Einfluss auf die Umgestaltung und Erneuerung der akademischen Studien aus. Im Jahre 1538 bekleidete er das Rektorat der Universität, und wirkte nicht unerheblich auf die akademischen Verhältnisse ein.
**) Melchior Volmar, geboren zu Rottweil, einer damals noch schwäbischen freien Reichsstadt, im Jahre 1497, studierte in Tübingen und Paris, erlangte hier das Magisterium, lehrte eine Zeit lang in Paris, dann in Orleans, wo unter anderen Zöglingen Theodor Veza am 5. Dezember 1528 seiner Obhut übergeben wurde. Als Margaretha, damals Herzogin von Alenyon und Berry, Volmar an ihre Universität zu Nourges berief, folgte derselbe ihm dorthin. Auch hier wusste Volmar das Studium der alten Sprachen zu heben. Dort ward Calvin sein Schüler. Nach Tübingen als Lehrer des Rechts im J. 1535 berufen, wurden ihm, weil sein Diplom als Doctor juris bloß von Alciatus ausgestellt war, Schwierigkeiten von der juristischen Fakultät gemacht, so dass er nach längerem Zwiespalt im J. 1544 in die Artisten-Fakultät eintrat, und die Erklärung der Klassiker wiederum als seine akademische Aufgabe betrachtete.
***) Erhard Schnepf, geboren im I. 1495 zu Heilbronn in Schwaben, studiert in Erfurt und Heidelberg anfangs Jurisprudenz, später Theologie, ward ein entschiedener Anhänger Luthers, und verkündigte an mehreren Orten Württembergs das Evangelium. Landgraf Philipp von Hessen berief ihn an seine jüngst gegründete Universität Marburg. Später erbat sich Herzog Ulrich nach Wiedererlangung seines Herzogthums ihn von dem Landgrafen, so dass er im J. 1535 als Pastor nach Stuttgart kam, wo er zur Reformation der Kirchen des Herzogthums verwandt wurde. Im J. 1543 ward er als Professor der Theologie nach Tübingen berufen, ward im folgenden Jahre Doktor der Theologie, und wirkte dort wohltätig auf die theologischen Studien ein. In Folge des Interims verließ er am 11. Nov. 1548 Tübingen. Der Churfürst Johann Friedrich gewährte ihm einen Zufluchtsort, und ernannte ihn zum Professor der Theologie in Jena. Hier wirkte er bis zu seinem im 63. Lebensjahre am 1. Nov. 1558 erfolgten Tode.
Schnepfs Einfluss auf die theologischen Studien des Chyträus.
Schnepf war zur Erkenntnis der Wahrheit geführt worden durch die lutherische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott aus freier Gnade allein durch das Verdienst Jesu Christi, und gleichwie diese Lehre Kern und Stern des lutherischen Bekenntnisses ist, so ward sie auch der Mittelpunkt seiner ganzen theologischen Wirksamkeit. Hatte Schnepf in seiner kirchenregimentlichen Tätigkeit während seiner amtlichen Wirksamkeit in Stuttgart auf diese Lehre ein entscheidendes Gewicht gelegt, so geschah dies auch in seiner akademischen Tätigkeit, aber er war hier vorzugsweise bemüht, den Schriftgrund der Lehre von der Rechtfertigung auf den Paulinischen Briefen, insbesondere aus dem Römerbriefe, darzutun, dagegen jede Beweisführung aus den Vätern, die er mir vorsichtig herangezogen wissen wollte, abzulehnen. Darauf beruft sich auch Chyträus, dass man einen großen Teil der lutherischen Lehre daran geben müsse, wenn man sich auf die alten Kirchenväter stütze. Auch ihm kam es später stets wesentlich darauf an, die Schriftgemäßheit der lutherischen Lehre zur Geltung zu bringen. Mit warmem Danke erinnerte sich auch Chyträus, als er bereits in Rostock wirkte, des Magisters Jakob Heerbrand, Diaconus in Tübingen, und seiner über den ersten Brief Pauli an den Timotheus gehaltenen Vorlesungen, in denen er denselben praktisch erläuterte, und bekennt, aus denselben reichen Nutzen geschöpft zu haben, so dass sie ihm unvergesslich seien. Überhaupt brachten ihm diese Jahre wissenschaftliche und geistliche Anregung der mannigfachsten Art, und der Umgang mit gleichgesinnten Freunden, unter denen ihm Theodorich Schnepf, der Sohn seines von ihm hochverehrten Lehrers, und Jakob Andreae, mit dem er später für die Feststellung des lutherischen Bekenntnisses im Konkordien-Werke zusammenwirkte, besonders nahe standen, wirkte belebend und fördernd nach allen Seiten auf ihn ein. Alle diese günstigen Studienverhältnisse trugen das Ihrige dazu bei, dass er nach sechsjährigem Aufenthalt in Tübingen, erst im fünfzehnten Lebensjahre stehend, sich auf Anraten seiner Lehrer um das Magisterium bewerben durfte, und dasselbe in herkömmlicher Form erlangte.
Der Wunsch, Wittenberg, welches unter allen Universitäten durch Luthers und Melanchthons Wirksamkeit hervorragte, besuchen zu können, ward ihm durch reichliche Unterstützung ermöglicht, welche sein und seines Vaters alter Gönner, Peter von Mentzingen, ihm gewährte. Schon im Oktober 1544 ward er in Wittenberg als Magister Tubingensis intituliert. Von Georg Schwarzerd von Bretten war er an seinen Bruder Philipp Melanchthon, von Johann Brenz an Luther empfohlen, und ward er von beiden großen Männern auf das wohlwollendste aufgenommen und ihres näheren Umgangs gewürdigt. Melanchthon war freilich nach Lesung des Briefes seines Bruders etwas verwundert über den jungen Magister, und brach in die Worte aus: Esne tu Magister artium?, und als Chyträus in bescheidener Weise antwortete, dass seine Tübinger Lehrer ihn: den Grad verehrt hätten, obwohl er nicht wisse, ob er ihren Erwartungen entspreche, fragte Melanchthon, ob er schon mit dein Griechischen sich näher beschäftigt hätte. Als nun Chyträus bejahend antwortete, reichte ihm Melanchthon den Thncydides, welcher ihm gerade zur Hand war, hin, damit er ein Kapitel lateinisch übersetze und auslege. Chyträus entsprach der bei den Schwierigkeiten jenes Schriftstellers nicht leichten Aufgabe zu so großer Zufriedenheit Melanchthons, das; dieser an dem Ankömmling großen Gefallen fand, und ihn mit den Worten entließ: Tu merito es Magister, et tu mihi posthac filii loco eris. Von diesem Augenblicke an bildete sich jenes nahe Verhältnis zwischen Melanchthon und Chyträus aus, welches für diesen die Quelle der reichsten Segnungen wurde. Er wurde Tischgenosse und Hausgenosse Melanchthons, erfreute sich seines täglichen Umganges, und wirkte derselbe bis in das Einzelne hinein auf den Gang und auf die Methode seiner Studien ein. Die vielfältigen Berührungen, die er im täglichen Leben mit Melanchthon hatte, trugen dazu bei, seinen Blick zu erweitern und zu schärfen, um allmählich die in der Theologie und Kirche der Lösung harrenden Fragen erkennen und übersehen zu lernen, Melanchthon, welcher Chyträus seinen David nannte, schenkte ihm ein unbedingtes Vertrauen, welches sich auch später fortsetzte, so dass er, als Chyträus bereits in Rostock die Professur erlangt hatte, ihn in schwierigen Angelegenheiten zu Rate zog, und auf sein Urteil großes Gewicht legte, Chyträus hing seinerseits mit der größten Verehrung und Pietät an dem geliebten Lehrer, mit dem er unverkennbar eine verwandte Gemütsrichtung hat, obgleich darin ein Unterschied sich bemerkbar macht, dass sein Wohlwollen und seine Humanität nicht in Schwäche ausartete. Auch der weite Umfang der wissenschaftlichen Bestrebungen, die wir bei Melanchthon wahrnehmen, findet sich verhältnismäßig auch bei Chyträus, da derselbe ebenfalls den Kreis seiner Studien sehr erweiterte. Auf sein Anraten beschäftigte sich Chyträus näher mit der Philosophie des Aristoteles, insbesondere mit seinem Organon, dessen Kommentatoren er zu Rate zog. Selbst auf die Naturwissenschaften und auf die medizinischen Disziplinen dehnte Chyträus seine Studien aus, so dass er auf den verschiedensten Gebieten sich wenigstens zu orientieren versuchte. Obwohl Melanchthon dies an sich nicht missbilligte, vielmehr selbst ihm darin vorangegangen war, und ihn ebenfalls dazu veranlasste, so war derselbe doch weit entfernt, einer Zersplitterung seiner Kräfte das Wort zu reden, oder sie gar befördern zu wollen. Melanchthon war ein Feind aller ungeregelten Studien, und wollte Alles vermieden wissen, was nur äußerlich das Gedächtnis belaste, ohne wahrhaft der inneren Entwicklung zu dienen. Alle Studien sollten diese fördern, und auf dieses Ziel gerichtet sein. Das Studium der heiligen Schrift stand ihm in erster Linie, so dass ihr Inhalt unter Gebet und Flehen mittelst gründlicher philologischer und geschichtlicher Studien angeeignet werden sollte, damit, wenn dadurch ein gesichertes Fundament gewonnen sei, sich daran das Studium der theologischen Loci fruchtbringend schließen könne. Es lag dem die richtige Erkenntnis zu Grunde, dass alle protestantische Theologie von der durch die Exegese gewonnenen Schrifterkenntnis auszugehen habe, während die Loci die Summe der christlichen Heilswahrheiten umfassen, nicht in ihrer Vereinzelung, sondern im Zusammenhange mit dem Zeugnisse der glaubenden und bekennenden Kirche. Diese Nachschlage Melanchthons wurden von Chyträus stets festgehalten, und je mehr er an sich selbst die Richtigkeit und den reichen Segen, den sie in sich trugen, erfahren hatte, desto eifriger war er bemüht, sie auch seinen Schülern später zu empfehlen und einzuschärfen.
Verhältnis des Chyträus zu Luther
So enge sich auch nun Chyträus an Melanchthon angeschlossen hatte, und so dankbar er Alles erkannte, was ihm von demselben privatim und öffentlich zu Teil geworden war, so hatte doch Chyträus von Anfang an ein Auge für die hohe Bedeutung Luthers, zu dem er sich mächtig hingezogen fühlte. Luther erklärte damals gerade die elf letzten Kapitel der Genesis, und war es hier die große Glaubensfestigkeit und hohe Glaubensfreudigkeit, die ihn bei Luthers Auslegung des Wortes Gottes fesselte. Es ist bekannt, dass Luthers Kommentar zur Genesis zu seinen besten Schriften gehört, und mit Recht als ein großes Kleinod der lutherischen Kirche betrachtet wird. Ganz besonders aber ward er von Luthers Predigten, denen er regelmäßig und mit großer Aufmerksamkeit beiwohnte, tief ergriffen. Durch alle Predigten Luthers ging das Zeugnis von Christo, dem Sohne Gottes, der in diese Welt gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, von seinem Verdienste, das er uns leidend und sterbend erworben, so dass er unsere Gerechtigkeit ist, und wir in ihm Vergebung der Sünden haben. Eine Predigt dieses Inhalts, die Luther am letzten Weihnachtsfest vor seinem Heimgange gehalten hatte, war Chyträus in lebhafter Erinnerung geblieben*). Die Liebe zu Melanchthon ging mit der Liebe zu Luther Hand in Hand. Wie beide von dem HErrn zu Werkzeugen der Erneuerung seiner Kirche ersehen waren, so ergänzten sie sich auch gegenseitig. Chyträus hatte dafür ein Verständnis. Daraus floss seine Pietät für beide. Obwohl er am lutherischen Bekenntnis festhielt, blieb seine Verehrung für Melanchthon ungetrübt. Beides erklärt sich daraus, dass die Wurzeln seiner theologischen Richtung in diesen Jahren liegen, welche ihm vergönnt waren, zu Wittenberg zu verleben, wo er ebensowohl klar erkannt hatte, welches Rüstzeug Gott in Luther erweckt hatte, um der Kirche den Verstand dessen, was Vergebung der Sünde, was Glaube und was Gerechtigkeit sei, zurückzugeben, als es ihm damals gewiss geworden war, wie Melanchthons hohe wissenschaftliche Begabung und Gelehrsamkeit der Kirche zum reichen gesegneten Dienst geschenkt war.
Paul Eber, Lehrer des Chyträus
Überblicken wir den übrigen Kreis seiner Lehrer zu Wittenberg, so ist unter ihnen noch Paul Eber*) hervorzuheben, zu dem er sich durch den Ernst und die Milde seiner theologischen Richtung hingezogen fühlte, so dass Chyträus noch in späteren Jahren seiner als seines Lehrers und der zwischen ihnen bestehenden Gemeinsamkeit gedenkt. Eber stand schon während seiner Studienzeit zu Melanchthon in naher Beziehung, und dieses Verhältnis; dauerte fort, nachdem Eber Dozent geworden war. Er hatte an Melanchthon innerlich und äußerlich seinen Rückhalt**). Seine anfängliche Wirksamkeit fand innerhalb der Artisten-Fakultät statt. Er erklärte die alten Klassiker und las auch über philosophische Disziplinen. In Betreff des Verhältnisses der Philosophie zum Christentum war sein Grundsatz: Hominis Philosophi est, in primis recte de Deo sentire ac religionem amare. Im Jahre 1551 war er Rektor der Universität Wittenberg. Da er erst, nachdem er im Jahre 1559 Doktor der Theologie geworden war, im März 1560 in die theologische Fakultät eintrat, fällt seine eigentliche theologische Wirksamkeit in Wittenberg nach der Entfernung des Chyträus, aber nichtsdestoweniger hatte Eber schon zur Zeit des Chyträus auf die Studierenden heilsam eingewirkt. Die Lebendigkeit und Entschiedenheit seines Glaubens an das Heil in Christo, welcher sich auch in seinen geistlichen Liedern ausspricht, hatte schon lange vor seinem Eintritt in die Fakultät viele junge Theologen angeregt, und die mannhafte Weise, in welcher er sich an dem Kampfe gegen das Augsburger Interim beteiligte, gewann ihm die Herzen Vieler, Chyträus gedachte seiner stets mit dankbarer Liebe.
*) Eber, geb. den 8. Nov. 1511, stirbt den 10. Dez. 1569. Vgl. über ihn: ... Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformations-Zeitalters. Mit XLIX Original-Urkunden. Von Christian Heinrich Sixt. Heidelberg 1843. Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jahren 1532 bis 1569. Ansbach 1857.
**) Dies nahe Verhältnis Ebers zu Melanchthon spricht sich auch darin aus, dass Eber als Repertorium Philippi scherzhaft angesehen ward.
In Wittenberg bildete Johann Forster*) damals einen Mittelpunkt für die Hebräischen Sprachstudien und für die Auslegung des Alten Testaments. Er war noch Schüler Reuchlins in Ingolstadt gewesen, und gehörte wohl in der letzten Lebensperiode desselben zu den hervorragendsten unter seinen Zuhörern, so dass Reuchlin selbst ihn eines öffentlichen Lehrstuhls würdig erachtete. Nach längerem Aufenthalt in Leipzig kam er nach Wittenberg, wo er durch seine theologischen Vorlesungen, wie durch seine Predigten unter den Studierenden vielen Eingang fand. Besonders aber trat er hervor durch seine ausgezeichnete Kenntnis des Hebräischen, so dass Luther sich seines Beirates und seiner Hilfe bei der Übersetzung der heiligen Schrift bediente, auf sein Urteil Gewicht legte, und ihm nicht selten folgte. Chyträus verdankte ihm viel in der Hebräischen Linguistik, und rühmte seine Auslegung der Propheten. Aber erst nach dem Tode Crucigers am 16. November 1548 erhielt Forster dessen Professur.
*) Joannes Forsterus, geboren 1495 zu Augsburg, starb am 8. Dezember 1556. Im Sommersemester 1550 war er Rektor der Universität Wittenberg. Unter seinen Schriften zeichnet sich besonders aus sein Dictionarium Hebraicum, welches aus dem Sprachschatz der Schrift selbst geschöpft ist, und durch sorgfältige Vergleichung der Schriftstellen Sinn und Bedeutung der Wörter und Phrasen im Gegensatz zur Auslegung der Rabbinen festzustellen bemüht ist.
Mathematische, physikalische und astronomische Studien.
Mit dem ganzen Gange der Studien, welchen Chyträus eingeschlagen hatte, hängt es zusammen, dass derselbe auch mathematischen und physikalischen Studien oblag, in denen Erasmus Reinholdus, dessen Chyträus rühmend und dankbar gedenkt, ihm Führer war. Zugleich beschäftigte er sich mit astronomischen und astrologischen Studien, mit denen er schon in Tübingen einen Anfang gemacht hatte. Er liebte diese Studien sehr, weil er in ihnen den vornehmsten Höhepunkt der Philosophie sah, und fühlte sich durch dieselben vornämlich zu Reinhold hingezogen, welcher sich mit der theorischen Astronomie beschäftigte, und die wahren und wirklichen Bewegungen der Himmelskörper zu erörtern bemüht war. Gerade in dieser Zeit beschäftigte man sich lebhaft mit der Erweiterung und Berichtigung der bis dahin stattgehabten astronomischen Überlieferungen. Vorzugsweise erörterte man damals insgemein, wie auch Chyträus selbst hervorhebt, die Theorias Planetarium Georgij Peurbachij (Purbachij) um Gelegenheit zu geben, diese Wissenschaft der Gestirne kennen zu lernen, und die beständige und immerwährende Harmonie der Sonne und der Planeten darzutun. Ähnlich wie Melanchthon vertiefte sich Chyträus gerne in Fragen und Untersuchungen dieser Art.
Opposition gegen den Reichsabschied vom 19, Nov. 1530 in Schwaben.
Schon der erste am 22. September 1530 zu Augsburg von Kaiser Carl [Karl V. 1500-1558, letzter römisch-deutscher Herrscher] erlassene Reichsabschied musste bei den Protestanten Besorgnisse in den weitesten Kreisen hervorrufen. Er war unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass ihr Bekenntnis mit gutem Grunde widerlegt und abgelehnt worden sei, durch die Mehrheit der katholischen Stände gefasst worden*), und der am 19. November 1530 publizierte Reichsabschied stellte den protestierenden Ständen nur eine Frist bis zum 15. April 1531**) unter Androhung weiterer Maßregeln, falls sie sich nicht über die streitigen Artikel mit der Römischen Kirche vereinigen würden. Zwar dauerten die Verhandlungen mit den Städten über die Annahme des Reichsabschiedes fort, aber sie waren darüber geteilter Ansicht, und vermochten kaum, auch wenn sie die Annahme verweigerten, zu einem entschiedenen Handeln sich zusammenzuschließen. Die Stadt Schwäbisch Hall nahm durch den Umstand, dass der Rat seine Gesandten an Johann Brenz [1499-1570, württembergischer Reformator und Protestantischer Theologe] zu ihrer Beratung und Leitung gewiesen hatte ***), zwar eine etwas selbstständigere Stellung ein, welche jedoch mir dazu dienen konnte, die vorhandenen Besorgnisse zu steigern. Frankfurt, Ulm und Schwäbisch Hall waren, ungeachtet dass die meisten Städte den Abschied den 29. September angenommen hatten, durch die gewährte Bedenkzeit nicht zur Annahme desselben vermocht worden****). Man fürchtete selbst, dass in Folge des widerwärtigen Reichsabschiedes alle evangelische Predigt werde abgestellt werden, und die päpstlichen Kirchengebräuche wieder aufgerichtet werden würden.
Auch in dem Städtchen Ingelfingen bei Schwäbisch Hall ward von dem Beamten, welcher den Zorn der Rom. Kais. Majestät fürchtete, obwohl es früher zum Evangelium sich bekannt hatte, der Versuch gemacht, den evangelischen Gottesdienst durch Wiedereinführung der Messe zu beseitigen. Da war es Matthäus Kochhafe *****), der Prediger des Ortes, welcher sich weigerte, dem an ihn ergangenen Befehl Folge zu leisten, und mit dem Worte Gottes unerschrocken dagegen Zeugnis ablegte. Ungeachtet, dass er selbst auf der Kanzel Gewalttätigkeiten erlitt, und sich mit dem Tode bedroht sah, wich Kochhafe nicht zurück. Teilte er doch mit Brenz, dessen Schüler er gewesen war, da er aus Mangel an äußeren Mitteln nicht in Wittenberg studiert hatte, die freudige Glaubensgewissheit von der Wahrheit des evangelischen Bekenntnisses, die ihn fest und unbeweglich machte. Als aber die Gattin, die in der Kirche zugegen war, jeden Augenblick fürchten musste, dass er von dem Schwerte des wütenden Beamten werde durchbohrt werden, geriet sie in solche Bestürzung, dass sie einige Stunden hindurch weder Worte hervorbringen, noch weinen konnte, und dem Tode nahe zu sein schien.
*) Hortleder, Von den Ursachen des deutschen Krieges, Th. I, Buch 1, Cap. 9. Walch, Luthers Werke XVI, 1925 ff. tt ... K. G. Förstemann, Urkundenbuch zur Geschichte des Reichstages zu Augsburg im J. 1530. Nach den Originalen und nach gleichzeitigen Handschriften herausgegeben. Bd. II, S. 474 ff,
**) Bei Müller, Historie von der evangel. Stände Protestation. S. 997. 5
***) Johann Brenz. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen, von Julius Hartmann und Karl Jäger, Vd. I. (Hamb. 1848), S. 261.
****) A. v. Daniels, Handbuch der deutschen Reichs- und Staatenrechtsgeschichte, Bd. II. (Tüb. 1862), S. 361 f. K. E. Förstemann, Urkundenbuch II., S. 641.
*****) Matthäus Kochhafe, im Städtchen Brackenheim im Herzogtum Württemberg geboren, studierte fünf Jahre in Tübingen, wo er seinen deutschen Namen Kochhafe nach der Sitte der Zeit mit dem griechischen Chyträus vertauschte; der Name dürfte auf so viel als Töpfer, zurückzuführen sein. Doch dürfte es sich fragen, wie weit sich der frühere und der spätere Name decken. Nach der Meinung Anderer hat erst David Chyträus in Wittenberg nach dem Vorgänge Melanchthons seinen Namen geändert. Nachdem Matthäus Chyträus auf Empfehlung von Brenz in Ingelfingen als Pfarrer angestellt war, heiratete er Barbara Nelberg. Hier ward auch ihr Sohn David geboren, nicht aber zu Mentzingen, wo er, nachdem der Vater dort nach seiner Vertreibung einen Zufluchtsort gefunden hatte, erzogen wurde.
Geburt des Chyträus zu Ingelfingen am 26. Febr. 1531.
Dennoch gebar sie unter dem gnädigen Schutze des HErrn bald darauf am 26. Februar 1531 zu Ingelfingen ihren Sohn David, ohne dass die stattgehabten Besorgnisse, er werde unter den heftigen Gemütsbewegungen der Mutter gelitten haben, an ihm sich erfüllten. Aber der Vater, fortwährend von dem erbitterten Beamten verfolgt, sah sich, um der Wahrheit nichts zu vergeben, genötigt, Ingelfingen zu verlassen, und sich nach Mentzingen im Kraichgau, auf der Mitte des Weges zwischen Heilbronn und Speier gelegen, zu begeben, wo er, von den Gebrüdern Erasmus und Petrus von Mentzingen berufen, bis zu seinem im Jahre 1559 erfolgenden Tode im Pfarramt stand.
Jugendjahre des Chyträus; seine gelehrte Vorbildung
Der Vater hatte die Freude, dass sein Sohn David, den er selbst mit gewissenhafter Sorgfalt in den Elementen der Wissenschaft unterwies, sich frühzeitig entwickelte, und zu begründeten Hoffnungen Anlass gab. Schon im siebenten Jahr ward er der Schule des Städtchens Gemmingen übergeben, wo er sich des Privatunterrichts des Pfarrers Wolfgang Busius zwei Jahre lang erfreute, den er wie ein Vater noch später ehrte, und ihm ein dankbares Andenken bewahrte. Seine raschen Fortschritte im Lateinischen befähigten ihn bald, an den Pfarrer Franz Friedlieb (Franciscus Irenicus) mit seinen beiden Söhnen und anderen Schülern gelesen wurden, zu denen auch die Söhne Wolfgangs von Gemmingen, des Gönners Davids, Theodorich und Plicardus, die Erben der Tugenden dieses adligen, dem Evangelium vom Herzen ergebenen Geschlechtes, gehörten. Die hervorragenden Gaben des jungen Chyträus gaben ihm auch über diese seine Studiengenossen ein solches Übergewicht, dass daran gedacht werden konnte, ihn ungeachtet seines noch so sehr jugendlichen Alters die Universität beziehen zu lassen. Der Vater brachte den erst neun jährigen Knaben nach Tübingen, wo ihn seine Vaterstadt Brackenheim mit einem Stipendium unterstützte.
Hier in Tübingen hatte Herzog Ulrich nach der Wiedereroberung seines Herzogtums wiederholt eine Reorganisation der Universität eingeleitet, zu deren Durchführung er auf Anraten Blaurers*) Simon Grynäus**) aus Basel berufen hatte, nachdem seine wiederholten Versuche, Melanchthon für diesen Zweck zu gewinnen***), fehlgeschlagen waren****). Er hatte in Verbindung mit Ambrosius Blaurer bereits zur Einführung der Reformation in Konstanz mitgewirkt, als er nach Tübingen ging. Doch mochte Simon Grynäus [1493-1541, roformierter Theologe, Reformator und Humanist] sich nicht entschließen, seine Stellung in Basel aufzugeben, nahm nur auf ein Jahr lang Urlaub, und kehrte noch vor Ablauf desselben nach Basel zurück, da er seine reformierende Tätigkeit in Tübingen wesentlich durch den Verdacht, dass er Zwinglianer sei, gehemmt sah*****). Die neue Studienordnung, welche noch unter der Mitwirkung des Grynäus am 30. Januar 1535 publiziert war, ward etwas später unter dem Einflusse von Johann Brenz, welcher auf Empfehlung Philipps Melanchthons [1497-1560, Philologe, Philosoph, Humanist und Theologe] von Herzog Ulrich [ ] zur Reorganisation der Universität nach Tübingen berufen war, teils abgeändert, teils erweitert. Es war fast für alle Hochschulen damals zunächst das dringende Bedürfnis vorhanden, an ihrem Teile mitzuwirken, dass eine ausreichende humanistische Grundlage für die höheren Studien gewonnen werde. An die eigentliche Universität schlossen sich zwei Vorschulen an, die Trivialschule für die Anfangsgründe des Sprachunterrichts und das Pädagogium für die Vorgerückten, in welches der junge Chyträus zunächst scheint eingetreten zu sein. Seine Immatrikulation fand unter dem Rektor Michael Rucker, Med. Dr., statt. In Tübingen fand er einen Freund seines Vaters, um dessen willen derselbe auch diese Universität dem näher gelegenen Heidelberg vorgezogen hatte, Hieronimus Gerasdus, der seine Aufnahme unter die Stipendiaten bewirkte, sich seiner überhaupt annehm, und seine Studien leitete. Nach dem Muster einer vom Landgrafen Philipp von Hessen [ ] im Freiheitsbrief der Universität Marburg vom 31. August 1529 ******) angeordneten Stipendiaten-Stiftung errichtete Herzog Ulrich auf Anregung von Schnepf das theologische Stift*******), das unter manchen Modifikationen und Umgestaltungen noch jetzt besteht, und die Pflanzschule der evangelischen Geistlichen Württembergs geworden ist.
*) Vgl, den Brief Blaurers an den Herzog vom 29. Sept. 1534 aus dem Stuttgarter Archiv in: Ambrosius Blaurers, des schwäbischen Reformators, Leben und Schriften von Dr. Theodor Pressel, Archidiaconus in Tübingen. Stuttgart 1851, S. 383.
**) Grynäus stammt aus Veringen in Schwaben, und war im Jahre 1493 geboren. Auf der Schule zu Pforzheim erlangte er seine gelehrte Vorbildung. Wir finden ihn Anfangs als Rektor der Schule zu Ofen (Buda), dann als Lehrer des Griechischen in Heidelberg im Jahre 1524, wo jedoch seine reformatorische Gesinnung noch manche Opposition gegen ihn hervorrief. Nach kurzem Aufenthalt in England ward er durch Oecolampads Vermittlung, welcher der humanistischen Richtung zugetan war (Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reformation 1529. Im Auftrag der akademischen Negenz zur Feier des vierhundertjährigen Jubiläums verfasst von Prof. Dr. Wilhelm Vischer. Basel 1860. S. 227.), nach Basel berufen, wo er im November 1531 eintraf. In Basel ward ihm eine Professur der griechischen Sprache und eine außerordentliche Professur der Theologie übertragen. Vorzugsmeise hielt er exegetische Vorlesungen. Als gelehrter Philologe tritt er durch seine Ausgabe des Plato auf Grund der Ficinischen hervor. Er starb am 1. August 1541 an der Pest. Vgl. ... K. R. Hagenbach, Die theologische Schule Basels und ihre Lehrer von Stiftung der Hochschule 1460 bis zu de Wettes Tod 1849. Zur vierten Säkularfeier der Universität Basel. Im Auftrag der theol. Fakultät verfasst. Basel 1860. S. 8 f.
***) Melanchthon schreibt am 13. Sept. 1584 an Camerarius: ... Corpus Ref. Vol. II., p. 785. R. Matthes, Philipp Melanchthon. S. 151.
****) K. Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. S. 29 f. Melanchthon scheint jedoch nicht mit den zur Hebung Tübingens gemachten Nachschlagen einverstanden gewesen zu sein. Ibid. S. 36. Corpus Ref. Vol. III., 169, 171
*****) Vgl. über den Zusammenstoß des Grynäus mit Schnepf: Pressel a. a. O. S. 384 f.
******) Urkundensammlung der Universität Marburg. Herausgegeben von Bruno Hiltebrand. Marburg 1848.
*******) K. Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. S. 49 ff. In Tübingen sollten (wie in Marburg) zwei gottesfürchtige Männer, einer von der Bürgerschaft und einer von der Universität, das Geld einnehmen und verwalten und Supperattendenten sein. Jeder Stipendiat sollte 25 Fl. bekommen, wovon 18 auf die Kost kamen. — — Im Mai 1341 waren 39 Stipendiaten in der halben Burse untergebracht. Zur Aufsicht wurden zwei Magister bestellt, der eine hieß Magister Domus, und hatte über die Ökonomie die Aufsicht zu führen, der andere hieß Präceptor, und hatte die Studienleitung. Beide mussten in der Burse wohnen, bei Tische anwesend sein, und jeden Tag mit den Stipendiaten die Lektionen repetieren.
Studien im Tübinger Stift, Joachim Camerarius
Der geistliche Sinn, welcher in der Anstalt herrschte, und die unmittelbare Leitung, welche ihre Studien erfuhren, gewahrte den Stipendiaten wissenschaftliche Förderung und zugleich christliche Anregung und Kräftigung ihrer evangelischen Überzeugungen, so dass Chyträus noch in späterer Zeit sich dankbar des mannigfachen Segens erinnerte, der ihm in jenem Stift zu Teil geworden war. Bei seiner großen Jugend war er sich wohl bewusst, doppelt solcher Beratung und Führung bedurft zu haben. Außerdem benutzte er den Unterricht von Johannes Medlinus und Michaelis Vajus mit solchem Erfolge, dass ihm das Baccalaureat erteilt werden konnte.
Mit großem Eifer widmete er sich darauf den humanistischen Studien, zu deren Belebung Joachim Camerarius, der mit Melanchthon nahe befreundet war, im Jahre 1535 von Grynäus nach Tübingen berufen war*). Ward allmählich innerhalb der Universitätsstudien den philosophischen Disziplinen größere Berücksichtigung zu Teil, so ward insbesondere durch Camerarius und Volmar**) das Studium der klassischen Sprachen in Tübingen bedeutsam gehoben. Bis zu dem Weggange von Camerarius nach Leipzig, welcher schon im Jahre 1541 stattfand, benutzte Chyträus erfolgreich dessen Vorlesungen, in denen er die römischen Klassiker erklärte, gleichwie er von Volmar in die Kenntnis; der griechischen Sprache und des Neuen Testaments eingeführt wurde. Volmar war selbst von Liebe zum Evangelium durchdrungen, und wusste auch seine Zuhörer zum Glauben anzuregen. Zugleich beschäftigte sich Chyträus mit dem Studium der Philosophie und der Physik unter der Leitung des Jakob Schnepf von Schorndorf, welcher die Philosophie des Aristoteles vertrat, und vorzugsweise dessen physikalische und naturhistorische Werke erläuterte. Auf seine theologischen Studien indessen übte Erhard Schnepf***) einen entscheidenden Einfluss aus, da er nicht um in die verschiedenen Disziplinen der Theologie ihn gründlich einführte, sondern ihn auch in seinen evangelischen Überzeugungen befestigte.
[/i]Melchior Volmar. Humanistische, philosophische u. physikalische Studien[/i]
*) Joachim Camerarius, im Jahre 1500 in Bamberg geboren, übte in Tübingen, wo er den 28. Juni 1535 eintraf, einen bedeutenden Einfluss auf die Umgestaltung und Erneuerung der akademischen Studien aus. Im Jahre 1538 bekleidete er das Rektorat der Universität, und wirkte nicht unerheblich auf die akademischen Verhältnisse ein.
**) Melchior Volmar, geboren zu Rottweil, einer damals noch schwäbischen freien Reichsstadt, im Jahre 1497, studierte in Tübingen und Paris, erlangte hier das Magisterium, lehrte eine Zeit lang in Paris, dann in Orleans, wo unter anderen Zöglingen Theodor Veza am 5. Dezember 1528 seiner Obhut übergeben wurde. Als Margaretha, damals Herzogin von Alenyon und Berry, Volmar an ihre Universität zu Nourges berief, folgte derselbe ihm dorthin. Auch hier wusste Volmar das Studium der alten Sprachen zu heben. Dort ward Calvin sein Schüler. Nach Tübingen als Lehrer des Rechts im J. 1535 berufen, wurden ihm, weil sein Diplom als Doctor juris bloß von Alciatus ausgestellt war, Schwierigkeiten von der juristischen Fakultät gemacht, so dass er nach längerem Zwiespalt im J. 1544 in die Artisten-Fakultät eintrat, und die Erklärung der Klassiker wiederum als seine akademische Aufgabe betrachtete.
***) Erhard Schnepf, geboren im I. 1495 zu Heilbronn in Schwaben, studiert in Erfurt und Heidelberg anfangs Jurisprudenz, später Theologie, ward ein entschiedener Anhänger Luthers, und verkündigte an mehreren Orten Württembergs das Evangelium. Landgraf Philipp von Hessen berief ihn an seine jüngst gegründete Universität Marburg. Später erbat sich Herzog Ulrich nach Wiedererlangung seines Herzogthums ihn von dem Landgrafen, so dass er im J. 1535 als Pastor nach Stuttgart kam, wo er zur Reformation der Kirchen des Herzogthums verwandt wurde. Im J. 1543 ward er als Professor der Theologie nach Tübingen berufen, ward im folgenden Jahre Doktor der Theologie, und wirkte dort wohltätig auf die theologischen Studien ein. In Folge des Interims verließ er am 11. Nov. 1548 Tübingen. Der Churfürst Johann Friedrich gewährte ihm einen Zufluchtsort, und ernannte ihn zum Professor der Theologie in Jena. Hier wirkte er bis zu seinem im 63. Lebensjahre am 1. Nov. 1558 erfolgten Tode.
Schnepfs Einfluss auf die theologischen Studien des Chyträus.
Schnepf war zur Erkenntnis der Wahrheit geführt worden durch die lutherische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott aus freier Gnade allein durch das Verdienst Jesu Christi, und gleichwie diese Lehre Kern und Stern des lutherischen Bekenntnisses ist, so ward sie auch der Mittelpunkt seiner ganzen theologischen Wirksamkeit. Hatte Schnepf in seiner kirchenregimentlichen Tätigkeit während seiner amtlichen Wirksamkeit in Stuttgart auf diese Lehre ein entscheidendes Gewicht gelegt, so geschah dies auch in seiner akademischen Tätigkeit, aber er war hier vorzugsweise bemüht, den Schriftgrund der Lehre von der Rechtfertigung auf den Paulinischen Briefen, insbesondere aus dem Römerbriefe, darzutun, dagegen jede Beweisführung aus den Vätern, die er mir vorsichtig herangezogen wissen wollte, abzulehnen. Darauf beruft sich auch Chyträus, dass man einen großen Teil der lutherischen Lehre daran geben müsse, wenn man sich auf die alten Kirchenväter stütze. Auch ihm kam es später stets wesentlich darauf an, die Schriftgemäßheit der lutherischen Lehre zur Geltung zu bringen. Mit warmem Danke erinnerte sich auch Chyträus, als er bereits in Rostock wirkte, des Magisters Jakob Heerbrand, Diaconus in Tübingen, und seiner über den ersten Brief Pauli an den Timotheus gehaltenen Vorlesungen, in denen er denselben praktisch erläuterte, und bekennt, aus denselben reichen Nutzen geschöpft zu haben, so dass sie ihm unvergesslich seien. Überhaupt brachten ihm diese Jahre wissenschaftliche und geistliche Anregung der mannigfachsten Art, und der Umgang mit gleichgesinnten Freunden, unter denen ihm Theodorich Schnepf, der Sohn seines von ihm hochverehrten Lehrers, und Jakob Andreae, mit dem er später für die Feststellung des lutherischen Bekenntnisses im Konkordien-Werke zusammenwirkte, besonders nahe standen, wirkte belebend und fördernd nach allen Seiten auf ihn ein. Alle diese günstigen Studienverhältnisse trugen das Ihrige dazu bei, dass er nach sechsjährigem Aufenthalt in Tübingen, erst im fünfzehnten Lebensjahre stehend, sich auf Anraten seiner Lehrer um das Magisterium bewerben durfte, und dasselbe in herkömmlicher Form erlangte.
Der Wunsch, Wittenberg, welches unter allen Universitäten durch Luthers und Melanchthons Wirksamkeit hervorragte, besuchen zu können, ward ihm durch reichliche Unterstützung ermöglicht, welche sein und seines Vaters alter Gönner, Peter von Mentzingen, ihm gewährte. Schon im Oktober 1544 ward er in Wittenberg als Magister Tubingensis intituliert. Von Georg Schwarzerd von Bretten war er an seinen Bruder Philipp Melanchthon, von Johann Brenz an Luther empfohlen, und ward er von beiden großen Männern auf das wohlwollendste aufgenommen und ihres näheren Umgangs gewürdigt. Melanchthon war freilich nach Lesung des Briefes seines Bruders etwas verwundert über den jungen Magister, und brach in die Worte aus: Esne tu Magister artium?, und als Chyträus in bescheidener Weise antwortete, dass seine Tübinger Lehrer ihn: den Grad verehrt hätten, obwohl er nicht wisse, ob er ihren Erwartungen entspreche, fragte Melanchthon, ob er schon mit dein Griechischen sich näher beschäftigt hätte. Als nun Chyträus bejahend antwortete, reichte ihm Melanchthon den Thncydides, welcher ihm gerade zur Hand war, hin, damit er ein Kapitel lateinisch übersetze und auslege. Chyträus entsprach der bei den Schwierigkeiten jenes Schriftstellers nicht leichten Aufgabe zu so großer Zufriedenheit Melanchthons, das; dieser an dem Ankömmling großen Gefallen fand, und ihn mit den Worten entließ: Tu merito es Magister, et tu mihi posthac filii loco eris. Von diesem Augenblicke an bildete sich jenes nahe Verhältnis zwischen Melanchthon und Chyträus aus, welches für diesen die Quelle der reichsten Segnungen wurde. Er wurde Tischgenosse und Hausgenosse Melanchthons, erfreute sich seines täglichen Umganges, und wirkte derselbe bis in das Einzelne hinein auf den Gang und auf die Methode seiner Studien ein. Die vielfältigen Berührungen, die er im täglichen Leben mit Melanchthon hatte, trugen dazu bei, seinen Blick zu erweitern und zu schärfen, um allmählich die in der Theologie und Kirche der Lösung harrenden Fragen erkennen und übersehen zu lernen, Melanchthon, welcher Chyträus seinen David nannte, schenkte ihm ein unbedingtes Vertrauen, welches sich auch später fortsetzte, so dass er, als Chyträus bereits in Rostock die Professur erlangt hatte, ihn in schwierigen Angelegenheiten zu Rate zog, und auf sein Urteil großes Gewicht legte, Chyträus hing seinerseits mit der größten Verehrung und Pietät an dem geliebten Lehrer, mit dem er unverkennbar eine verwandte Gemütsrichtung hat, obgleich darin ein Unterschied sich bemerkbar macht, dass sein Wohlwollen und seine Humanität nicht in Schwäche ausartete. Auch der weite Umfang der wissenschaftlichen Bestrebungen, die wir bei Melanchthon wahrnehmen, findet sich verhältnismäßig auch bei Chyträus, da derselbe ebenfalls den Kreis seiner Studien sehr erweiterte. Auf sein Anraten beschäftigte sich Chyträus näher mit der Philosophie des Aristoteles, insbesondere mit seinem Organon, dessen Kommentatoren er zu Rate zog. Selbst auf die Naturwissenschaften und auf die medizinischen Disziplinen dehnte Chyträus seine Studien aus, so dass er auf den verschiedensten Gebieten sich wenigstens zu orientieren versuchte. Obwohl Melanchthon dies an sich nicht missbilligte, vielmehr selbst ihm darin vorangegangen war, und ihn ebenfalls dazu veranlasste, so war derselbe doch weit entfernt, einer Zersplitterung seiner Kräfte das Wort zu reden, oder sie gar befördern zu wollen. Melanchthon war ein Feind aller ungeregelten Studien, und wollte Alles vermieden wissen, was nur äußerlich das Gedächtnis belaste, ohne wahrhaft der inneren Entwicklung zu dienen. Alle Studien sollten diese fördern, und auf dieses Ziel gerichtet sein. Das Studium der heiligen Schrift stand ihm in erster Linie, so dass ihr Inhalt unter Gebet und Flehen mittelst gründlicher philologischer und geschichtlicher Studien angeeignet werden sollte, damit, wenn dadurch ein gesichertes Fundament gewonnen sei, sich daran das Studium der theologischen Loci fruchtbringend schließen könne. Es lag dem die richtige Erkenntnis zu Grunde, dass alle protestantische Theologie von der durch die Exegese gewonnenen Schrifterkenntnis auszugehen habe, während die Loci die Summe der christlichen Heilswahrheiten umfassen, nicht in ihrer Vereinzelung, sondern im Zusammenhange mit dem Zeugnisse der glaubenden und bekennenden Kirche. Diese Nachschlage Melanchthons wurden von Chyträus stets festgehalten, und je mehr er an sich selbst die Richtigkeit und den reichen Segen, den sie in sich trugen, erfahren hatte, desto eifriger war er bemüht, sie auch seinen Schülern später zu empfehlen und einzuschärfen.
Verhältnis des Chyträus zu Luther
So enge sich auch nun Chyträus an Melanchthon angeschlossen hatte, und so dankbar er Alles erkannte, was ihm von demselben privatim und öffentlich zu Teil geworden war, so hatte doch Chyträus von Anfang an ein Auge für die hohe Bedeutung Luthers, zu dem er sich mächtig hingezogen fühlte. Luther erklärte damals gerade die elf letzten Kapitel der Genesis, und war es hier die große Glaubensfestigkeit und hohe Glaubensfreudigkeit, die ihn bei Luthers Auslegung des Wortes Gottes fesselte. Es ist bekannt, dass Luthers Kommentar zur Genesis zu seinen besten Schriften gehört, und mit Recht als ein großes Kleinod der lutherischen Kirche betrachtet wird. Ganz besonders aber ward er von Luthers Predigten, denen er regelmäßig und mit großer Aufmerksamkeit beiwohnte, tief ergriffen. Durch alle Predigten Luthers ging das Zeugnis von Christo, dem Sohne Gottes, der in diese Welt gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, von seinem Verdienste, das er uns leidend und sterbend erworben, so dass er unsere Gerechtigkeit ist, und wir in ihm Vergebung der Sünden haben. Eine Predigt dieses Inhalts, die Luther am letzten Weihnachtsfest vor seinem Heimgange gehalten hatte, war Chyträus in lebhafter Erinnerung geblieben*). Die Liebe zu Melanchthon ging mit der Liebe zu Luther Hand in Hand. Wie beide von dem HErrn zu Werkzeugen der Erneuerung seiner Kirche ersehen waren, so ergänzten sie sich auch gegenseitig. Chyträus hatte dafür ein Verständnis. Daraus floss seine Pietät für beide. Obwohl er am lutherischen Bekenntnis festhielt, blieb seine Verehrung für Melanchthon ungetrübt. Beides erklärt sich daraus, dass die Wurzeln seiner theologischen Richtung in diesen Jahren liegen, welche ihm vergönnt waren, zu Wittenberg zu verleben, wo er ebensowohl klar erkannt hatte, welches Rüstzeug Gott in Luther erweckt hatte, um der Kirche den Verstand dessen, was Vergebung der Sünde, was Glaube und was Gerechtigkeit sei, zurückzugeben, als es ihm damals gewiss geworden war, wie Melanchthons hohe wissenschaftliche Begabung und Gelehrsamkeit der Kirche zum reichen gesegneten Dienst geschenkt war.
Paul Eber, Lehrer des Chyträus
Überblicken wir den übrigen Kreis seiner Lehrer zu Wittenberg, so ist unter ihnen noch Paul Eber*) hervorzuheben, zu dem er sich durch den Ernst und die Milde seiner theologischen Richtung hingezogen fühlte, so dass Chyträus noch in späteren Jahren seiner als seines Lehrers und der zwischen ihnen bestehenden Gemeinsamkeit gedenkt. Eber stand schon während seiner Studienzeit zu Melanchthon in naher Beziehung, und dieses Verhältnis; dauerte fort, nachdem Eber Dozent geworden war. Er hatte an Melanchthon innerlich und äußerlich seinen Rückhalt**). Seine anfängliche Wirksamkeit fand innerhalb der Artisten-Fakultät statt. Er erklärte die alten Klassiker und las auch über philosophische Disziplinen. In Betreff des Verhältnisses der Philosophie zum Christentum war sein Grundsatz: Hominis Philosophi est, in primis recte de Deo sentire ac religionem amare. Im Jahre 1551 war er Rektor der Universität Wittenberg. Da er erst, nachdem er im Jahre 1559 Doktor der Theologie geworden war, im März 1560 in die theologische Fakultät eintrat, fällt seine eigentliche theologische Wirksamkeit in Wittenberg nach der Entfernung des Chyträus, aber nichtsdestoweniger hatte Eber schon zur Zeit des Chyträus auf die Studierenden heilsam eingewirkt. Die Lebendigkeit und Entschiedenheit seines Glaubens an das Heil in Christo, welcher sich auch in seinen geistlichen Liedern ausspricht, hatte schon lange vor seinem Eintritt in die Fakultät viele junge Theologen angeregt, und die mannhafte Weise, in welcher er sich an dem Kampfe gegen das Augsburger Interim beteiligte, gewann ihm die Herzen Vieler, Chyträus gedachte seiner stets mit dankbarer Liebe.
*) Eber, geb. den 8. Nov. 1511, stirbt den 10. Dez. 1569. Vgl. über ihn: ... Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformations-Zeitalters. Mit XLIX Original-Urkunden. Von Christian Heinrich Sixt. Heidelberg 1843. Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jahren 1532 bis 1569. Ansbach 1857.
**) Dies nahe Verhältnis Ebers zu Melanchthon spricht sich auch darin aus, dass Eber als Repertorium Philippi scherzhaft angesehen ward.
In Wittenberg bildete Johann Forster*) damals einen Mittelpunkt für die Hebräischen Sprachstudien und für die Auslegung des Alten Testaments. Er war noch Schüler Reuchlins in Ingolstadt gewesen, und gehörte wohl in der letzten Lebensperiode desselben zu den hervorragendsten unter seinen Zuhörern, so dass Reuchlin selbst ihn eines öffentlichen Lehrstuhls würdig erachtete. Nach längerem Aufenthalt in Leipzig kam er nach Wittenberg, wo er durch seine theologischen Vorlesungen, wie durch seine Predigten unter den Studierenden vielen Eingang fand. Besonders aber trat er hervor durch seine ausgezeichnete Kenntnis des Hebräischen, so dass Luther sich seines Beirates und seiner Hilfe bei der Übersetzung der heiligen Schrift bediente, auf sein Urteil Gewicht legte, und ihm nicht selten folgte. Chyträus verdankte ihm viel in der Hebräischen Linguistik, und rühmte seine Auslegung der Propheten. Aber erst nach dem Tode Crucigers am 16. November 1548 erhielt Forster dessen Professur.
*) Joannes Forsterus, geboren 1495 zu Augsburg, starb am 8. Dezember 1556. Im Sommersemester 1550 war er Rektor der Universität Wittenberg. Unter seinen Schriften zeichnet sich besonders aus sein Dictionarium Hebraicum, welches aus dem Sprachschatz der Schrift selbst geschöpft ist, und durch sorgfältige Vergleichung der Schriftstellen Sinn und Bedeutung der Wörter und Phrasen im Gegensatz zur Auslegung der Rabbinen festzustellen bemüht ist.
Mathematische, physikalische und astronomische Studien.
Mit dem ganzen Gange der Studien, welchen Chyträus eingeschlagen hatte, hängt es zusammen, dass derselbe auch mathematischen und physikalischen Studien oblag, in denen Erasmus Reinholdus, dessen Chyträus rühmend und dankbar gedenkt, ihm Führer war. Zugleich beschäftigte er sich mit astronomischen und astrologischen Studien, mit denen er schon in Tübingen einen Anfang gemacht hatte. Er liebte diese Studien sehr, weil er in ihnen den vornehmsten Höhepunkt der Philosophie sah, und fühlte sich durch dieselben vornämlich zu Reinhold hingezogen, welcher sich mit der theorischen Astronomie beschäftigte, und die wahren und wirklichen Bewegungen der Himmelskörper zu erörtern bemüht war. Gerade in dieser Zeit beschäftigte man sich lebhaft mit der Erweiterung und Berichtigung der bis dahin stattgehabten astronomischen Überlieferungen. Vorzugsweise erörterte man damals insgemein, wie auch Chyträus selbst hervorhebt, die Theorias Planetarium Georgij Peurbachij (Purbachij) um Gelegenheit zu geben, diese Wissenschaft der Gestirne kennen zu lernen, und die beständige und immerwährende Harmonie der Sonne und der Planeten darzutun. Ähnlich wie Melanchthon vertiefte sich Chyträus gerne in Fragen und Untersuchungen dieser Art.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches David Chyträus