Erste Fortsetzung

Graf Adlerberg erhob den Blick und schaute ruhig auf den Leutnant, der während des ganzen Berichtes in militärischer Achtungsstellung stramm stand. Sodann erhob er sich von seinem Schreibtischsessel, trat langsam auf den jungen Mann zu und legte seine rechte Hand auf dessen linke Schulter.

„Ihr Bericht ist nicht sonderlich ausgefallen“, sprach Adlerberg mit gleichgültiger Stimme, „aber ich bin trotzdem zufrieden mit Ihnen, Leutnant! Wie lange sind Sie schon Leutnant?“


„Drei Monate, Exzellenz.“

„Morgen sind Sie Hauptmann!“

Die Augen des jungen Mannes leuchteten auf, aber er hatte keine Zeit, den Mund zu einem Dankwort zu öffnen. Der Graf steckte ihm ein kleines Kuvert zu, das er in der linken Hand gehalten, und — den jungen Offizier mit seinen durchdringenden Augen scharf fixierend, sagte er:

„Legen Sie dieses Kuvert auf den Schreibtisch des Zaren, derart, dass es keine Menschenseele sonst sieht. Verstanden. Also! Sie sind nicht bei mir gewesen, Sie haben mich nicht gesprochen, nichts von mir erhalten! Verstanden? Sie können abtreten!“

Als der Graf Adlerberg allein war, strahlte er vor Vergnügen und rieb sich freudig die Hände.

Nach einigen Minuten befahl er, den Vorsitzenden der allrussischen Adelskommission, der des Empfanges harrte, hereinzurufen. Der Vorsitzende war nach Petersburg gekommen, um Alexander II. zu ersuchen, dass er die Bauernbefreiung unterlasse, da diese ein absolutes materielles Verarmen des Adels bedeuten würde.

Sie waren Jugendfreunde. Sie hatten seinerzeit im selben Regimente gedient; deshalb setzte der Vorsitzende, Fürst Kachowski, seine ganze Hoffnung auf den reaktionären Hofgünstling.

,,Nun, ihr in der Provinz habt wohl einen Heidenschrecken gekriegt, als ihr von unseren revolutionären Absichten hörtet?" wandte sich Graf Adlerberg scherzhaft an den eingetretenen Fürsten Kachawski.

„Du lachst, mein Freund?“ entgegnete Kachowski, des andern Hand drückend, „uns ist aber wahrlich das Lachen vergangen, wenn man uns mitsamt unseren Familien an den Bettelstab bringen will. Das ist ja eine unerhörte Sache: Freiheit für den Bauer, du lieber Gott! Seit Jahrhunderten lebten unsere Großväter, unsere Urahnen auf diese Weise, der Bauer arbeitete, und wir ernährten ihn. Wenn man auch mal böse wurde und den Schurken durchprügelte, so war es ja noch kein großes Unglück! Deshalb plötzlich alle zu befreien — das ist einfach sündhaft! Das bedeutet ja eine schreiende Ungerechtigkeit gegen den russischen Adel! Und war es nicht etwa der Adel, der stets für seinen Vater und Zaren kämpfte? . . ."

Aber Graf Adlerberg unterbrach ihn.

„So hör' doch auf! Als ob ich dies alles nicht ganz genau wüsste! Höre mal lieber, welch herrliche Neuigkeit ich dir mitteilen kann!“ Und er gab ausführlich das ganze Gespräch des Zaren mit dem Minister des Innern wieder, das ihm soeben der junge Leutnant, der Flügeladjutant des Zaren, hinterbracht hatte.

„Ha — ha — ha!" Begreifst du jetzt, mein lieber Fürst? . . . Alles dies habe ich gestern Abend unserem freiheitliebenden Zaren eingeflößt: die Bauern sollen befreit werden, auf dass ganz Russland, ganz Europa die Menschlichkeit unseres Zaren lobpreisen mögen . . . der Boden aber, jawohl der Boden, soll im Besitze des Adels verbleiben! He — he — he! Begreifst du, Freund, was da herauskommt? . . . Jetzt ist der Bauer Leibeigener. Ob der Gutsbesitzer es will oder nicht, er muss den Bauer ernähren. So aber wird der freie Bauer vor Hunger sterben, denn das Land gehört dem Gutsbesitzer; dieser ist nicht verantwortlich, er ist den Bauer zu ernähren nicht verpflichtet . . . Verstehst du? . . . Beruhige nur die Deinigen, sage dem Adel, dass ich hier über meine und seine Interessen ein wachsames Auge habe. Heute noch wird der Zar auf seinem Schreibtisch einen Brief mit der Drohung finden, dass er getötet wird, falls er es wagen sollte, die Bauern mit dem Lande zu befreien! Ohne Land aber, wohlauf, mag er sie nur befreien! Ich habe schon ein Projekt für das betreffende Manifest entworfen. Und wenn ihr in den Kirchen die Anfangsworte des Manifestes lesen werdet: „Bekreuzige dich andachtsvoll, du rechtgläubiges russisches Volk", dann jubelt auf, denn von diesem Augenblicke an beginnt erst das wahre Sklaventum für den russischen Bauer! Der Adel aber kann sich freuen.