Die Dardanellen

Wie der Bosporus Konstantinopel vor einem vom schwarzen Meere kommenden Angriff zur See schützt, so schirmen die Dardanellen vor feindlichen Schiffen, die aus dem Mittelmeere heranziehen würden. Obgleich sie nicht mehr ganz in den Rahmen unserer Rundschau gehören, so wollen wir doch, da sie gewissermaßen eine Wiederholung oder Fortsetzung des Bosporus sind, einen Blick auf ihre Gestade und ihre Befestigungen werfen.

Die Dardanellen, die am entgegengesetzten Ende des Marmorameeres, gegenüber dem Hafen von Gallipoli beginnen, haben eine Länge von zwölf Stunden und sind in Vielem dem Bosporus ähnlich, aber weniger malerisch. Sie sind dreifach so breit als dieser und ihre europäische Seite, der thrakische Chersones, trägt einen rauen Gebirgsrücken, während das asiatische Ufer mit seinen Weingärten und saftigen Waldungen einen anmutigen Anblick darbietet. Kurz nach dem Eingange, hinter der Mündung des Ziegenflusses, beginnen die eigentlichen Engen mit der Flut des Hellespontes, wo einst die Burgen Sestos und Abydos standen. Hier schlug Xerxes seine Brücken, hier bewirkten die Griechen unter Parmenio und der furchtbare Soliman auf einem Floße den Übergang. — Von hier windet sich die Meerenge in verschiedenen Krümmungen fort und endet an der neuerlich oft erwähnten Beschika-Bai, wo lange die französische und englische Flotte vor Anker lag. — Zu den Verteidigungsmitteln der Dardanellen gehört vor Allem die enorme Strömung des Hellespontes, welcher außer der aus dem Bosporus kommenden Wassermenge auch noch die abzuführen hat, welche zahlreiche Flüsse in das Becken des Marmorameeres ergießen. Diese Strömung, die im Bosporus einer eindringenden Flotte günstig ist, tritt einer aus dem Mittelmeere kommenden Flotte sehr hemmend entgegen und ist nur mit Hilfe eines tüchtigen Südwestwindes zu überwinden. Vom Archipelagus her ist der erste Teil des Kanales so breit, dass man nie ernstlich an seine Befestigung dachte. Nach der ersten Richtung von West nach Ost folgt ein zweiter Abschnitt, wo sich die Straße bis Sestos und Abydos nördlich wendet und so eng wird, dass heransegelnde Schiffe in ein Kreuzfeuer genommen werden können. Hierauf sich wieder östlich wendend, bildet der Hellespont einen Winkel, von dem ein furchtbares Feuer ausgeht. Dieses Feuer trifft die Schiffe in ihrer Länge, so dass ein Geschwader, das den Durchgang erzwingen wollte, über eine Stunde weit rechts und links von den Batterien der europäischen und asiatischen Seite und vorn von den Batterien von Sestos beschossen werden würde. Am Eingange und Ausgange dieses Passes liegen die Dardanellenschlösser. Die „neuen Schlösser“ am Eingange vom Mittelmeere her, Kumkaleh an der sandigen Mündung des Mendere oder Simonis und Seddul-Bahr (Grenze der See) sind etwa 2.000 Klafter von einander entfernt und wurden durch Mohamed IV. in der Mitte des 17. Jahrhunderts als Schirm der türkischen Flotte gegen die Venetianer gegründet. Vier Meilen aufwärts, an der engsten Stelle des Kanals, liegen einander gegenüber die „alten Schlösser Chanak-Kalessi“ (Scherben-Schloss) und Kilid-Bahr (Schlüssel der See) und südlich von jenem Namazieh. Der Abstand zwischen diesen festen Punkten beträgt nicht über 750 Klafter. Sie wurden von Mohamed II. kurz nach der Eroberung von Konstantinopel errichtet und obgleich anfänglich durch ihre „Werke furchtbar, verfielen sie doch nach und nach, so dass im Jahre 1770 auf der asiatischen Seite nur noch eine Batterie existierte, welche überdies zur Hälfte versandet war. Die noch vorhandenen Batterien der europäischen Seite konnten wegen Mangels an Munition mit jedem Stücke nur einmal feuern und somit den russischen Admiral Elphinstone 1770 nicht hindern, zwei türkische Schiffe über die ersten Dardanellenschlösser hinaus zu verfolgen und dann mitten im Kanal vor Anker zu gehen. Baron Tott drang zwar mit seinen Vorstellungen bei der Pforte, die Schlösser wieder in guten Stand zu setzen, durch und führte auch die Werke selbst gut aus, so dass man sie unbezwinglich nennen konnte, aber das türkische Phlegma ließ diese Befestigungen abermals so weit in Verfall geraten und das Vorhandene so schlecht bedienen, dass der englische Admiral Duckworth im Jahre 1807, wo Differenzen zwischen England und der Türkei entstanden waren, die Dardanellen ohne großen Verlust passieren und die im Marmorameere liegende türkische Flotte zerstören konnte. Sie wurden zwar von Neuem ausgebessert und frisch armiert, während der Admiral noch vor Konstantinopel lag, so dass ihm die Rückfahrt durch den Kanal schwieriger ward, blieben aber immer unvollkommen. Von dieser Zeit hatten die Dardanellen keinen Feind mehr gesehen, obgleich sie mehrmals, teils durch die griechischen Kreuzer von Hydra und Spezzia, teils 1829 durch die russische Flotte blockiert worden sind. Nach jener Wendung der orientalischen Angelegenheiten, wo die Türkei mit Russland ein inniges Bündnis einging, und ihren alten Verbündeten, Frankreich und England, feindlich gegenüber stand, wurde an der Befestigung der Dardanellen Jahre lang mit dem größten Eifer gearbeitet. Die alten und neuen Schlösser haben gut konstruierte Batterien erhalten, die mit mehr als 200 Kanonen vom stärksten Kaliber besetzt sind. Neuere Forts und Befestigungen, von russischen und preußischen Ingenieurs erbaut, decken auf beiden Ufern die Meerenge und man hat dabei besonders auf den schmalsten Punkt, den Hellespont im engsten Sinne, Rücksicht genommen. Dieser Punkt, wo früher keine Befestigungen waren, starrt gegenwärtig von Batterien und die Dardanellen sind gegenwärtig für eine Flotte ebenso unangreifbar geworden, wie der Bosporus.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das schwarze Meer und die Ostsee